Oldies but Goldies: Piccolino, der alte Sarde

Von Martina Bartl

Hunde-Omas und -Opas sind etwas ganz Besonderes. Wir holen die grauen Schnauzen vor den Vorhang und stellen jeden Monat einen Hunde-Oldie vor. Diesmal berichtet Sina Schmitt über ihren Piccolino, den sie im Jahr 2020 aus Sardinien gerettet hat.

Piccolino hatte einen sehr langen Leidensweg hinter sich, bevor er zu seiner jetzigen Halterin Sina Schmitt nach Deutschland kam. Das tatsächliche Alter des Rüden ist unbekannt, wurde aber bei Übergabe im Jahr 2020 mit zehn Jahren angegeben – der sardinische Tierarzt, der ihn vor seiner Abreise nach Deutschland untersucht hatte, vermutete aber, dass er einige Jahre älter ist. Piccolino kannte von Jugend an nichts anderes als das Canile (siehe Kasten unten) in Sardinien, wo er zu seiner eigenen Sicherheit einzeln gehalten wurde. Im Tierheimalltag sind Artgenossen nicht immer rücksichtsvoll, Futterneid und der begrenzte Platz lassen das Aggressionspotenzial schnell wachsen. Die alten und schwachen Hunde sind meist die Verlierer, und zu denen zählte auch Piccolino. Fortuna hatte bis Mitte 2020 dem kleinen Mischlings-Rüden nicht gerade viel Aufmerksamkeit geschenkt, das sollte sich jedoch mit einem Inserat im Internet vom Verein »saving dogs« ändern.

Reise ins neue Leben

Für seine jetzige Halterin war es eine lange und auch schwierige Entscheidung, Piccolino nach Deutschland zu holen: »Ich habe seine Geschichte gelesen und musste tagelang nur noch heulen. Da wir schon zwei Hunde haben und einer davon eigentlich nicht bzw. sehr selten mit unkastrierten Rüden verträglich ist, kam eine Adoption von Piccolino (unkastrierter Rüde) eigentlich nicht in Frage. Doch Piccolino ging mir nicht mehr aus dem Kopf, ich musste Tag und Nacht an ihn denken. Also habe ich noch mal mit meinem Freund gesprochen, und er bestärkte mich in der Überlegung, Piccolino zu adoptieren. Ich vermutete, dass Piccolino wegen seines Alters wahrscheinlich nicht mehr so vor Testosteron strotzen würde. Zahlreiche Telefonate mit der Vermittlerin folgten, alle Sorgen und Ängste wurden wieder und wieder besprochen. Dann mussten wir wegen Corona noch von April bis Juni warten, bis der Transport aus Sardinien stattfinden konnte. Die Wartezeit zog sich wie Kaugummi. Am 6. Juni 2020 war es dann endlich so weit, und Piccolino kam mit einem speziellen Autotransport nach Deutschland. Wir holten ihn ab und nahmen ihn mit nach Hause.«

In Deutschland angekommen, kam auch das ganze Ausmaß des schlimmen gesundheitlichen Zustandes von Piccolino ans Tageslicht: »Ihm lief gelb-brauner Eiter aus dem Ohr und aus dem Maul, er hatte einen Tumor im Ohr und eitrige Zähne. Er war ein Häufchen Elend, unglaublich dürr und stank erbärmlich. Seine Leishmaniose-Werte waren sehr hoch, und sein Allgemeinzustand so schlecht, dass an eine sofortige Zahnsanierung wegen des Narkoserisikos nicht zu denken war. Zwei Tage nach seinem Eintreffen waren wir beim Tierarzt, um mit der Sanierung der ‚Baustellen‘ zu beginnen. Nachdem die vielen kleinen Baustellen behoben bzw. gemildert waren, konnte er in Narkose gelegt werden. Es wurde der Tumor im Ohr entfernt und die Zähne saniert. Sehr viele Zähne waren nicht mehr zu retten, und deshalb hat er nur noch ganz wenige. Aber auch das stört ihn nicht, wahrscheinlich kann er seit langer Zeit endlich wieder schmerzfrei fressen. Piccolino hat auch einen Hodentumor. Wir haben uns aber, zusammen mit der Tierärztin dazu entschieden, diesen vorerst nicht entfernen zu lassen. Seine Hormone sind noch da, und die halten ihn jung und geben ihm Aufschwung. Ein echter Italiener halt ;-). Später wurde auch noch seine Leishmaniose von einem Spezialisten behandelt. Mit gutem Futter, den richtigen Medikamenten und mit viel Liebe ging es Piccolino bald besser. Zur Verbesserung seines Allgemeinzustandes und zum Muskelaufbau besucht Piccolino zudem regelmäßig eine Tierheilpraktikerin und Physiotherapeutin. Mittlerweile hat Piccolino an Gewicht zugelegt, hat ein schönes Fell und strotzt fast vor Energie, Kraft und Lebensfreude. Den finanziellen Aufwand sollte man bei der Anschaffung so eines Hundes immer bedenken, aber Piccolino ist natürlich jeden Cent wert und dankt es uns täglich mit seinem liebenswerten Wesen.«

Langsames Einleben

Bedingt durch seinen schlechten gesundheitlichen Zustand und sein Vorleben, war auch die Eingewöhnung in sein neues Zuhause nicht ganz einfach. Besonders einer der zwei im Haushalt lebenden Hunde mied den Neuzugang wie der Teufel das Weihwasser: »Als wir mit Piccolino nach Hause kamen, nahm unser stolzer Rüde Nanju erst mal Reißaus vor dem kleinen Piccolino. Nanju konnte wohl Piccolinos Gestank nicht ertragen. Mit der Hündin Lene klappte es auf Anhieb. 14 Tage lang lag Nanju ausschließlich auf meinem Bett, da Piccolino dort nicht hochkam. So konnte es nicht weitergehen, und als wir nach einer Krisensitzung entschieden, die Vermittlerin anzurufen, um ihr zu sagen, dass es mit den Hunden leider nicht klappt, taute Nanju von heute auf morgen auf und schlief freiwillig wieder im Wohnzimmer – bei Lene und Piccolino. Von da an war das Eis gebrochen, und Piccolino klebte etwa drei Monate an Nanju. Er verfolgte ihn auf Schritt und Tritt und schlief ausschließlich bei ihm im Körbchen. Nanju ertrug es mit stoischer Geduld. Heute sind alle drei Hunde ein zusammengewachsenes Rudel, und Piccolino wird von den zwei großen Hunden gegen andere Hunde verteidigt. Das muss man immer im Auge behalten«, erzählt Sina Schmitt über die Eingewöhnung mit den drei Hunden.

Bis auf die Startschwierigkeiten mit Nanju fügte sich Piccolino aber vom ersten Tag an problemlos in den Alltag von Sina Schmitt ein: »Er war ab dem zweiten Tag stubenrein und stellt keine großen Ansprüche. Für ihn reichte es, satt und bei uns zu sein. Anfangs wollte Piccolino immer in unseren schwarzen Wohnzimmerschrank kriechen, wahrscheinlich hat ihn das an den Unterschlupf im Canile erinnert. Ich habe das Gefühl, dass Piccolino alles nachholen möchte, was er in seiner Jugend verpasst hat. Für uns ist es einfach schön zu sehen, wie Piccolino jeden Tag mehr an Lebensfreude gewinnt, zutraulicher und entspannter wird und neue Aktivitäten wie etwa Buddeln entdeckt. Wir konnten sogar schon einen gemeinsamen schönen Urlaub im Schwarzwald genießen.«

Mittlerweile ist das Selbstbewusstsein und die Freude am Leben und den Artgenossen bei Piccolino so sehr gewachsen, dass er »völlig angstfrei ist, was andere Hunde betrifft, selbst der 70-kg-Herdenschutzhund wird freudig von ihm begrüßt. Piccolino versucht in allen Situationen mit den zwei vorhandenen Hunden mitzuhalten und hat sich fast alles von ihnen abgeschaut. Gutes, wie etwa ‚ich bleibe im Restaurant brav unter dem Tisch liegen‘ oder ,ich schaue während des Spaziergangs nach meinen Leuten‘, aber auch nicht so Gutes, wie ‚ich belle Hunde an, die Lene und Nanju auch anbellen‘. Piccolino hat den Mitleidsbonus und darf das ein oder andere, was die anderen Hunde nicht dürfen. Da er auch sehr schlecht hört, reagiert er auf keine Kommandos wie Komm, Sitz oder Platz. Aber das ist auch nicht nötig, denn er ist einfach mit dabei. Auf der Hundewiese ist er der Liebling aller, und auch meine Eltern haben ihn nach kurzem Schock (Oje, ein dritter Hund) schnell in ihr Herz geschlossen. Piccolino freut sich mittlerweile über uns Menschen und wedelt mit seinem Stummelschwänzchen. Das hat er am Anfang nur bei anderen Hunden, aber nicht bei Menschen gemacht,« beschreibt die Halterin die Entwicklung von Piccolino, der bedingt durch sein Vorleben und sein Alter auch Spondylosen und Arthrosen hat und deshalb »morgens eigentlich gar nicht vor die Tür gehen möchte. Dafür läuft er dann nachmittags tapfer mit. Er hört und sieht schlecht. Dafür funktioniert die Nase umso besser, deshalb besuchen wir mit ihm einen Zielobjektsuche-Kurs. Piccolino ist dabei sehr konzentriert bei der Sache und hat Spaß daran, sein Zielobjekt zu suchen.«

Das Zusammenleben mit Piccolino ist für Sina Schmitt und ihre Familie eine echte Bereicherung und hat auch ihre Sicht auf Hunde und ihrer Haltung etwas geändert: »Ich möchte den Menschen Mut machen, sich einen (alten) Hund aus dem Tierheim oder von einem seriösen Tierschutzverein zu holen. Es gibt so viele arme Seelen da draußen, die sich ein schönes neues Zuhause bzw. überhaupt einmal ein Zuhause wünschen. Man muss den Gedanken ablegen, dass man vielleicht nicht mehr viel Zeit mit dem Hund hat. Aus der Sicht des Hundeseniors ist es nämlich so: Egal wie viel oder wenig Zeit er noch in seinem neuen Zuhause hat, er verlässt irgendwann diese Welt mit dem Wissen, ein richtiges Zuhause und einen eigenen Menschen, der ihn über alles liebt, gehabt zu haben. Und nur darauf kommt es an.«

Steckbrief

Name: Piccolino
Geschlecht: Rüde
Geburtsdatum: 10+ (ich vermute 12 oder 13 Jahre alt)
Rasse: Beagle-Epagneul-Breton-und-sonstiger-Mischling
Lieblingsfutter: Alles …
Lieblingsbeschäftigung: Essen und schlafen (am liebsten in viele Decken gekuschelt)
Sonstige Vorlieben: Essen klauen, spazieren gehen, andere Hunde treffen, im Garten in der Sonne dösen, sich im Gras wälzen.

Canile

Bei den Canili handelt es sich nicht um Tierheime, wie man sie hierzulande kennt. Es sind Aufbewahrungsanstalten für Straßenhunde mit keinerlei medizinischer Versorgung, keinerlei menschlicher Zuwendung und ohne die Absicht bzw. Aussicht auf eine Vermittlung. Für die vierbeinigen Bewohner ist es eine Einbahnstraße; kaum ein Hund kommt dort lebend wieder heraus. Sie fristen ihren Alltag auf drei bis vier Quadratmetern auf Schotter oder Beton und einem winzigen, dunklen Unterschlupf. Die Hunde werden dort lediglich verwaltet, haben keinen Auslauf, sehen kaum Menschen, bekommen niemals Besuch. Das Säubern des Zwingers und die Fütterung mit Essensabfällen oder Reissuppe sind ihre einzige Abwechslung. Der Rest des Tages – also rund 23 Stunden – ist geprägt von Langeweile und Monotonie. Vermittelt wird kaum ein Hund, denn aus einem Canile einen Hund zu adoptieren, ist in südlichen Ländern eher der Einzelfall.

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