Österreichische Hunde helfen

Von Martina Horvath

Ich saß gerade beim Frühstückstisch, als ich in den Nachrichten von einem verheerenden Erdbeben in der Türkei mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala hörte. Gemeinsam mit meinem Lebensgefährten überlegte ich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass uns die türkische Regierung mit unseren Suchhunden als Hilfsmannschaft anfordern würde. Selbst zweifelte ich sehr daran; zu oft passierte es schon, dass eine Regierung aus politischen oder religiösen Gründen unsere Hilfe nach einem Erdbeben ablehnte und auch diesmal dachte ich mir eigentlich, dass die Religionsangehörigkeit der Mehrheit in diesem Staat es nicht gestatten würde, mit Hilfe von Hunden, welche ja im Islam als unrein gelten, Menschenleben zu retten.

Einsatzbereit halten
Ich telefonierte mit unserer Ausbildungsleiterin, Dr. Resi Gerritsen, und sie berichtete mir, dass Manfred Raggautz, Chef des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) für Katastrophenhilfe, bereits nachgefragt habe, wie viele Teams die Hundestaffel Wr. Neustadt für einen Einsatz im Katastrophengebiet zur Verfügung stellen könne. Es hieß auch, wir sollen uns einsatzbereit halten, also das notwendige Einsatzgepäck herrichten, Arbeitgeber informieren, um auf einen Einsatzbefehl vorbereitet zu sein. Noch immer war ich jedoch sehr skeptisch, dass es wirklich soweit kommen sollte, unsere Hunde mit ihren Führern und deren Können im Ernstfall unter Beweis zu stellen, denn auch nach dem Erdbeben im Iran vor etwa einem Jahr gab es bereits Anweisungen dafür, sich einsatzbereit zu halten; aus politischen Gründen wurde unsere Hilfe letztendlich jedoch abgelehnt. Dennoch packte ich natürlich meine zwei Rucksäcke, schrieb meinem Lebensgefährten eine Liste mit den Telefonnummern jener Leute, die in den nächsten Tagen einen Kurstermin in meinem Hundeschulungszentrum hätten.

Am frühen Nachmittag trafen sich einige Teams am Trainingsplatz, da aus aktuellem Anlass Filmaufnahmen für „Der Report” gemacht werden sollen. Um 14Uhr30 war es dann so weit: Der Pager piepste zweimal hintereinander – Katastrophenalarm!

Katastrophenalarm
Anderthalb Stunden später stand die Einsatzgruppe, insgesamt 15 Hundeführer mit ihren Hunden, zur Abfahrt am Flughafen bereit. Keiner von uns hatte gedacht, dass wir bereits um 22Uhr im Flughafen sitzen würden; aber genau dann, wenn Hilfsmannschaften so schnell wie nur möglich im Katastrophengebiet eintreffen können, ist natürlich die Chance, Leben zu retten, am größten. Wir waren zuversichtlich, dass wir mit unseren vierbeinigen Lieblingen Einiges ausrichten könnten – und nicht zu unrecht!
Am Flieger machte Resi, die im Einsatz für die Hundearbeit verantwortlich war, die Gruppeneinteilung. Es wurde besprochen, welche Teams nach der anstrengenden Anreise zuerst eingesetzt werden sollten u.s.w. Andererseits waren wir uns aber von Anfang an bewusst, dass Flexibilität für eine erfolgreiche Arbeit vor Ort natürlich nicht unwesentlich sei.
Vom Flughafen mussten wir dann noch eine Zeit mit dem Autobus fahren, um letztendlich zum Einsatzgebiet Derince, einen Stadtteil von Izmit, zu gelangen. Dort angekommen, blieben der Logistiker, der Techniker und zwei Hundeführer bei unserem zukünftigen Basislager, um die Zelte aufzustellen. Die restlichen Teams und der Einsatzleiter, Raphael Eisikovic, machten sich bereits auf den Weg zu den ersten Schadstellen. Und es dauerte auch nicht lange, da konnten wir schon die ersten Lebendbergungen melden.

Lange Aufbauarbeit
Jahrelanges Training mit den Hunden, mindestens zweimal pro Woche, steht hinter solchen Leistungen. Die Ausbildung zum Suchhund beginnt im optimalen Fall schon im Welpenalter. Das Wichtigste dabei ist, dass der Hund völlig verrückt aufs Spielen ist. Darauf baut die ganze Arbeit auf. Der junge Hund wird erst auf einen „Sockenball” (Tennisball in einem Socken) eingestellt, lernt auch schon im frühen Alter sich auf „frischen Trümmern” frei zu bewegen. Nur wenn sich ein Hund sicher und selbständig auf solch wackeligem Untergrund voll Scherben und sonstigen Gefahrenquellen bewegen kann, ist er dazu fähig, dort auch seine Suchleistung zu vollbringen. Ein Tier, das sich ängstlich und unsicher in der Motorik auf Trümmern bewegt, hat niemals die Energie, dort auch noch zu suchen!

Erste Übungen
Hat der Hund dies gelernt und ist er auf seinen Spielgegenstand regelrecht verrückt, so werden die ersten Vorübungen für die Sucharbeit durchgeführt: Der Vierbeiner bekommt seinen geliebten Sockenball von einem liegenden Menschen. Nach dem Spiel, welches keineswegs in eine Apportierübung ausarten darf, sondern ein vom Hund bestimmtes, den Hundeführer miteinbindendes Spiel sein soll, erfolgt die „Beuteteilung”, wobei der Hund mehrere Leckerbissen auf seinen Gegenstand bekommt, um seinen Trieb wirklich zu Ende kommen zu lassen und ihn nicht zu frustrieren.
Die „Verstecke” sind anfangs für den Hund natürlich leicht zugänglich. Langsam werden die Helfer mehr und mehr wirklich versteckt. Zuerst verwendet man leichtes Material, um das Versteck zuzubauen, z.B. kleine Holzstücke, Ytong – Stücke oder kleinere Ziegelstücke. So kommt der Hund schnell zum Erfolg, lernt aber bereits, seine Pfoten dafür einzusetzen.
Es reicht nicht, den Hund darauf zu trainieren, beim Opfer zu bellen. Der Trümmerhund muss einen enormen Drang zum Opfer entwickeln. Mit dieser Methode kann ich im Einsatz einem Bergetrupp auch genau sagen, wo sie nach dem Verschütteten graben müssen. Durch verschiedene Schichtungen in einem Trümmerfeld wird der Geruch ja oftmals verschlagen, das Opfer liegt also meist nicht direkt dort, wo der Hund das erste Mal anzeigt. Deshalb sollten die Hundeführer auch so nah wie möglich bei der Fundstelle bleiben, um dem Bergetrupp mit Hilfe unserer Hunde sagen zu können, wo sie weitergraben müssen.

Bestätigung durch zweites Team
Nach einer Anzeige durch einen Hund schicken wir auch prinzipiell ein zweites Team über diese Schadensstelle, um die Anzeige bestätigt zu bekommen. Durch zuviel Druck seitens des Hundeführers kann es nämlich durchaus vorkommen, dass ein Hund eine Fehlanzeige macht, also so tut als hätte er einen Menschen gefunden. Die Folge in den Trümmern wären ohne Bestätigungshund dann fatal: Ein Bergetrupp verliert kostbare Zeit und gräbt, wo eigentlich gar kein Verschütteter liegt.
In der Türkei hatten wir mit unseren Hunden keine einzige Fehlanzeige. Alle Anzeigen, die wir melden konnten, führten auch wirklich zu Verschütteten. Dies liegt sicherlich auch daran, dass wir mit unseren Hunden ohne jeglichen Zwang arbeiten. Unter Ausnützung des Jagd-Beutetriebes bilden wir daraufhin aus, dass die Tiere freudvoll und möglichst selbständig suchen, was natürlich nicht heißt, dass wir unsere Vierbeiner überallhin schicken. Unsere Einstellung ist: Dort, wo es für uns Hundeführer zu gefährlich ist, schicken wir auch unsere Hunde nicht hin! Dennoch ist es oft sehr wichtig, dass auf Distanz gearbeitet wird.

Stolz auf die Hunde
Zurück zum Einsatz: Von sämtlichen Reportern wurde jeder von uns befragt, was denn das beeindruckendste Erlebnis bei diesem Einsatz war. Für diesen Bericht möchte ich meine Erfahrungen, meine Gefühlszustände wirklich als Hundeführer ausdrücken. Ich muss sagen, ich bin auf alle unsere Hunde stolz, aber von meinem eigenen Hund bin ich wirklich überaus überrascht. Eigentlich dachte ich mir, Daisy, meine neunjährige Schäferhündin würde aufgrund ihres Alters hauptsächlich als Bestätigungshund eingesetzt. Bei dieser Arbeit muss der Hund zwar sicher und deutlich anzeigen können, die Größe des Suchgebietes bleibt dabei aber etwas eingeschränkt. Gemeinsam mit Ruud Haak, einem „holländischen Österreicher” und seiner Malinoishündin Speedy sowie Gerhard Pavitschitz, der ebenfalls ein Mali-Mädl führt, arbeitete ich mit Daisy in der Gruppe.

Stress für die Hunde
Die Hitze während des Einsatzes war enorm (40° Celsius), die Trümmer selbst irrsinnig schwierig zu bewältigen. Für die Hunde war die Temperaturumstellung sehr belastend. Weitere Stressfaktoren waren natürlich der dauernde Lärmpegel, die vielen Leute, von denen sie dauernd umkreist wurden, von denen sie pausenlos gestreichelt wurden u.s.w. Es fiel mir nicht immer leicht, diesen zu sagen, sie sollen die Hunde rasten lassen, sie würden Ruhe brauchen; hört man doch, dass der Großteil dieser Bevölkerung Hunde als unrein betrachtet! Es waren nur wenige Situationen, wo man spürte, dass Hunde eigentlich nicht so gerne gesehen sind. Ich selbst hatte die schönsten Erlebnisse. Die Leute schätzten die Hilfe durch die Hunde sehr! Sie fächelten ihnen Luft zu, wollten ihnen Kekse und Kirschsaft anbieten, brachten ihnen Wasser, um nur einige Beispiele zu nennen.
Jedenfalls machten es all die erschwerten Umstände und die vielen Schadensstellen unmöglich, einen von drei Hunden zurückzuhalten und nur begrenzt suchen zu lassen. Natürlich wäre uns nichts Anderes übrig geblieben, wenn Daisy wirklich schwächer und zu müde geworden wäre. Aber das alte Mädl arbeitete, als hätte sie gewusst, worum es gehe. Sie meisterte die schwierigsten Trümmer, arbeitete freudig und machte starke Anzeigen, indem sie uns durch Scharren, Wegbeißen von Holzteilen u.s.w. und ein forderndes Bellen den Weg zum Opfer zeigte. Es stellte sich einfach nicht mehr die Frage, ob Daisy nicht doch „nur” als Bestätigungshund eingesetzt werden sollte.

Eine Schadensstelle blieb mir auch besonders in Erinnerung. Dort erlebten wir einerseits die kaum fassbare Bergung von zwei Überlebenden als auch eine solche, wo Hoffnung in Enttäuschung und Trauer umschlug. Anfangs wussten wir natürlich nicht, wie unsere Hunde auf Leichengeruch reagieren würden. Sicherlich waren wir uns bewusst, dass der Hund beim Auffinden einer Leiche sämtliche unsichere Verhaltensweisen wie Maullecken, Ohren zurücklegen, Flucht, Niesen und viele andere zeigen konnte. Wie sich jedes einzelne Tier verhalten würde, konnten wir davor aber nicht sagen. So war es bei den ersten Schadstellen für uns auch nicht immer sicher zu sagen, ob es sich nun wirklich um eine Lebendanzeige oder doch um eine Anzeige einer toten Person, welche vielleicht erst kürzlich verstorben war, handelte. Es gab auch Hunde, die Leichen fast so stark wie Lebende verwiesen, zwar etwas schwächer, weniger freudig, aber dabei kaum Unsicherheit zeigten. Da ging es dann wieder um die enorm wichtige Fähigkeit der Hundeführer, Hunde in ihrem Ausdrucksverhalten lesen zu können!
Von Mal zu Mal erkannte man jedoch deutlicher, ob der Hund eine lebende oder eine tote Person geortet hatte. Die Lebendanzeigen waren deutlich intensiver und freudiger. Die meisten Hunde zeigten zwar bald auch schon Eindringverhalten und scharrten, wenn sie tote Menschen fanden, jedoch weitaus weniger freudvoll.

Natürlich war es auch für uns Hundeführer ein bedeutender Unterschied, ob man eine Lebend- oder Totanzeige vermelden konnte. Das Gefühl, mit Hilfe des Hundes wieder einem Menschen das Leben gerettet zu haben, war wohl für jeden von uns unbeschreiblich. Aber es war für die Angehörigen der Verschütteten auch von großer Wichtigkeit, ihnen genau sagen zu können, wo sie nach dem Leichnam des Vermissten graben sollten. Die Ungewissheit über Leben und Tod konnte erst abgelegt werden, wenn sie die tote Person bergen konnten; erst dann konnte für die Verwandten der eigentliche Trauerprozess einsetzen, so schien uns. – Und sie bedankten sich bei unseren Hunden und ihren Führern genauso als hätten sie eine lebende Person gefunden!
Die Annahme, dass die Hunde ein Erdbeben schon vorher wahrnehmen, können wir aufgrund unserer jetzigen Erfahrungen mit Nachbeben nicht bestätigen. Wir wurden von mehreren, auch stärkeren Nachbeben überrascht; die Hunde zeigten sich davor aber keineswegs unruhig und machten uns durch kein anderes Verhalten darauf aufmerksam; dass Tiere jedoch Vorbeben spüren und auch demnach handeln, ist wiederum eine andere Sache. Diese Tatsache wird in der einschlägigen Literatur des öfteren belegt. Das Erlebnis einer Gruppe finde ich jedoch sehr wohl erwähnenswert. Es handelte sich dabei um drei Hunde, die alle ihre Arbeit lieben, auf Distanz und selbständig arbeiten. An einer Schadstelle weigerten sich jedoch alle drei, einen Raum zu betreten, obwohl es keinen ersichtlichen Grund dafür gab. Als der Hundeführer des dritten Hundes sein Tier gerade motivieren wollte, dort hinein zu gehen, begann es ziemlich heftig, von der Decke zu rieseln. Die Hunde hatten die Instabilität des Gebäudes anscheinend wahrgenommen. Dazu ist jedoch noch zu erwähnen, dass mindestens zwei Hundeführer, bevor die Gruppe mit der Suche an einer Schadstelle beginnt, eine Begehung dieser machen, um eben bei der Arbeit selbst besonders gefährliche Stellen (herunterhängende Dachteile etc.) zu meiden und um das Suchgebiet in vorrangig abzusuchende und weniger wichtige Teile einzuteilen. Da sich das Erdbeben um 3Uhr nachts ereignete, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich viele Opfer zum Zeitpunkt des Hauseinsturzes noch im Schlafzimmer oder am Weg von diesem zum Ausgang befanden. Es war auch tatsächlich so, dass wir viele Verschüttete an solchen Stellen des Trümmerhaufens finden konnten.

31 Lebendbergungen
Vier ganze Tage leisteten unsere Hunde Unglaubliches, arbeiteten bis ans Ende ihrer Kräfte. Auch uns Hundeführern konnte man die Müdigkeit bereits ablesen. 31 Lebendbergungen konnten durch die Hundestaffel des ÖRK ermöglicht werden! Es war eine gute Entscheidung unserer Gruppe, die Anreise am Samstag oder Sonntag anzutreten. Die Chance, Überlebende zu finden, wurde offensichtlich immer geringer. Die Hunde haben sich nun wirklich eine Ruhepause verdient. Genauso wie ihre Frauerln und Herrln müssen sie diesen anstrengenden Einsatz nun erst Mal verarbeiten. Wie auch für die Hundeführer war es für die Hunde nicht nur eine körperliche, sondern auch eine psychische Belastung. Erwähnenswert ist sicherlich auch, dass die ÖRK-Hundestaffel Wr.Neustadt eineinhalb Monate vor dem Einsatz bei der Weltmeisterschaft für Rettungshunde den ersten Platz in der Mannschaft erringen konnte und nur zwei Tage davor von den Österreichischen Internationalen Staatsmeisterschaften mit einem 3., 5. und einem 9.Platz zurückkehrte! Für unsere vierbeinigen Lieblinge steht jetzt auf jeden Fall eine Zeit lang nur Spiel, nicht zu lange Spaziergänge und Schlaf am Programm!



>>> WUFF STELLT VOR


Martina Horvath

ist Sonderschullehrerin, Hundeführerin der Rot-Kreuz-Hundestaffel seit 1988, tlw. auch in der Ausbildung tätig, ÖRK-Leistungsrichter für Rettungshunde, sowie nationaler Leistungsrichter für das ungar. Rettungshundewesen, Leiterin des Hundeschulungszentrums "Canis".


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