Oasis – Einkaufszentrum mit einem Herz für Hunde

Von Regina Röttgen

„Hunde sind wertvolle Wesen,“ – begrüßt mich Mazhar Vardar in seinem Büro.
Auf der Couch schläft Lamia, eine Mischlingshündin, deren graue Haare um ihre
Schnauze von ­hohem Alter zeugen. Sie ist nur einer der Hunde, der im Einkaufszentrum Oasis in ­Bodrum an der türkischen Riviera seit Jahren ein festes Zuhause gefunden hat.
Im Einkaufszentrum mit Herz gehen Hunde vor, was nicht nur für die Türkei selten ist.

Bereits in Kindheitsjahren war Vardar vernarrt in Tiere, ins­be­sondere Hunde und Pferde haben es ihm angetan. Seit er vor 20 Jahren nach Bodrum an die Südwestküste der Türkei zog, hat er privat insgesamt 17 Hunden ein warmes Heim gegeben. Alle hat er von der Straße geholt. Darun­ter auch Daisy, ein blinder, hinkender Hund, dem jemand grundlos die Ohren abgeschnitten hatte. Sechs zufriedene Jahre lebte Daisy in der sicheren Umgebung des Vardar‘schen Hauses, bis sie in den Hundehimmel kam. Wie auch Daisy sind die meisten der Hunde ­Vardars eines natürlichen Todes gestorben. Einige wenige ließ er schweren Herzens einschläfern, damit sie aufgrund von nicht mehr behandelbaren Krankheiten keine Qualen leiden mussten. „Gestorben sind sie aber alle in meinen Armen“, erzählt Vardar leicht melancholisch. Derzeit sind es drei, die in den Genuss der Vardar‘schen Couch kommen: ­Schäferhündin Maya, der Mischling Lucky und Laila.

Welpe im Einkaufszentrum versteckt
Laila hat er aus dem Einkaufszentrum, dessen Geschäftsführer er seit 2000 ist. Eines kalten Wintertages sah Vardar sie dort plötzlich: Ein kleiner Mischlingswelpe, gerade mal zwei Monate alt, hatte sich tapsend an die Fersen einer Frau geheftet. Vardar ging hinterher. Der Weg führte ihn zu Marks & Spencer. „Ich hatte genau gesehen, dass der Welpe der Frau dort hinein gefolgt war, doch ich konnte ihn nicht mehr finden,“ schildert Vardar die Geschichte von Laila. Er fing an zu suchen. „Ich beschloss, nach dem Welpen aus Sicht eines Hundes Ausschau zu halten und ging auf die Knie,“ erzählt Vardar lachend weiter. Auf allen Vieren kroch er durch das Bekleidungsgeschäft, schob Hosen beiseite und robbte unter Kleiderrondelle. Letztlich fand er den Hundewelpen. Im Schutze des ­Stoffes langer Röcke hatte sich die kleine Laila an einen warmen Platz gerollt. Vardar beschloss, sie mit nach Hause zu ­nehmen. Mittlerweile lebt Laila schon sechs Jahre bei der Familie. Ihr bevorzugter Schlafplatz ist das Bett des Ehepaars Vardar.

Jeder Hund ist willkommen
So wie Laila finden viele Hunde den Weg ins Einkaufszentrum Oasis. Das aus rund 30 kleinen und großen Straßen mit insgesamt 239 Geschäften bestehende Einkaufszentrum ist beliebt bei Straßentieren und Tierliebhabern. Über das Straßennetz erstreckt sich eine beeindruckende Zeltdachkonstruktion, die vor Wind und Regen schützt. Zwar fehlt der Komfort eines warmen Aufenthalts, dafür kann man im Oasis rund um den Einkauf frische, saubere Luft genießen. In Bodrum hat es nur maximal drei Monate zwischen zehn und 15 Grad, kälter wird es tagsüber extrem selten. Oasis bietet Hundehaltern dadurch einen extremen Vorteil. Der glückliche Vierbeiner darf beim Einkauf oder auch beim Essen in einem der zahlreichen Restaurants natürlich dabei sein! Über einen der vielen kleinen Plätze mit Springbrunnen oder mit Seerosen bedeckten Teichen zu schlendern, am Rande von Anlagen mit einem halben Jahrhundert alten ­Kakteen, Dattelbäumen, Palmen und Oliven­bäumen, die noch aus osmanischen Zeiten stammen, einen Einkaufsbummel zu machen, ist mit Hund wahrlich ein besonderes Vergnügen.

Lamia, Pati, Gofret & Co.
Dabei kann man dann auch einen der drei Oasis-Hunde antreffen. Neben der alten Mischlingsdame Lamia teilen sich noch Pati, ein kleiner schwarzer Mischlingsrüde, und Gofret, eine braune Labradordame, die Straßen des Einkaufszentrums mit unzähligen Katzen, die alle von den Ladenbesitzern versorgt werden. Vor dem Dönerladen Uluda˘g Iskender stehen sogar ein Körbchen und Napf für Pati bereit. Natürlich sind die Weibchen Lamia und Gofret kastriert. Vardar kümmert sich um alle Tiere, die eine Pfote in sein Einkaufszentrum setzen. So auch um Pascha, der ursprünglich vierte Oasis-Hund, der vor fünf Jahren an Krebs erkrankte. Trotz Operation und entsprechender Behandlung erblindete Pascha, bevor er dann letztes Jahr leider starb.

Oase für Hunde
Da Oasis keine geschlossene, eingezäunte Einheit bildet, finden immer wieder Straßentiere ihren Weg hierher. Für Hunde ist das Einkaufszentrum eine regelrechte Oase. Die vielen Restaurants sorgen bereitwillig für ­ausreichend Verpflegung. Zudem hat sich die Geschäftsführerin der Uluda˘g Iskender Filiale, Nilüfer Kefeli, der kulinarischen Verköstigung der Oasis-Hunde verschrieben. Etwas zu wohlwollend manchmal, denn nachdem die täglichen Dönerportionen Lamia, Pati und Gofret anzusehen waren, beschloss Vardar, die Vierbeiner per kontrollierter Fütterung von ihren Pfunden zu befreien. Bei Lamia klappte das Abnehmen weniger gut, denn sie ist nachts oft unterwegs und hat daher noch andere Futterquellen. Ihr Charakter ist von Freiheitsdrang geprägt. Gerne tourt sie im Dunkeln um die etwa einen Kilometer entfernten Hafen-Restaurants.

Auch heute fühlt sich Lamia noch nicht zu alt, um nachts um die Ecken zu ziehen. Zumindest tagsüber hat Vardar aber lieber ein Auge auf sie. Daher lässt er sie jeden Morgen um 8:00 in sein Büro, wo sie in kalten Zeiten den Tag meist auf der Couch verbringt. Pati und Gofret hingegen sind im Winter tagsüber in einem Teil des Warenlagers des Einkaufszentrums untergebracht, wo sie vor Kälte und vor allem vor Regen geschützt sind. „Die beiden haben da ihre Hundekissen und alles, was sie brauchen. Mittlerweile sind sie so daran gewöhnt, dass sie pünktlich vor der Tür sitzen und darauf warten, ins Depot gelassen zu werden,“ erzählt Vardar glücklich. Abends und nachts ziehen die Vierbeiner dann mit dem Wachpersonal ihre Runden. An warmen Tagen jedoch sind alle Hunde rund um die Uhr im Einkaufszentrum frei unterwegs. Während man Pati dann meist in seinem Körbchen vor dem Restaurant Uluda˘g Iskender finden kann, bevorzugt Gofret einen lebendigeren Platz. Gleich gegenüber von Tchibo, neben ihrem heiß­geliebten Wachpersonal, sieht man sie oft gemütlich das Treiben beobachten oder es genießen, von Besuchern gekrault zu werden.

Dank der Unterstützung hiesiger Tierschützer findet Vardar für die meisten Hunde, die es zum Einkaufszentrum führt, ein neues Zuhause. Selbst nach Ankara, Izmir und nach Samsun an die Schwarzmeerküste hat er schon Fahrten für Hunde zu ihren neuen Haltern organisiert. Für die Vierbeiner, die nicht vermittelt werden können, hat Vardar eine andere Lösung gefunden. Er bezeichnet es als sein „persönliches soziales Projekt“: Vardar investierte in eine Einzäunung und Hundehütten auf dem großen Gelände einer Fabrik, die einem Bekannten in der benachbarten Stadt Milas gehört. Für ausreichende Verpflegung der Hunde ist Dank der dortigen Kantine jeden Tag gesorgt. Auch Lamia sollte ursprünglich dort leben, doch sie zeigte deutlich, dass sie Entscheidungen lieber selbst trifft: Als sie in Milas ankam, verkroch sie sich flugs unter dem Auto und weigerte sich woandershin als zurück ins Auto zu gehen. Daraufhin beschloss Vardar, dass Lamia im Einkaufszentrum leben könne. Tierarztkosten bezahlt Vardar für alle Hunde aus der eigenen Tasche. „Tierarzt Ahmet Kurt hilft mir so gut er kann, indem er sich nur die Unkosten erstatten lässt,“ erzählt Vardar dankbar. Doch Vardar redet nicht gerne über veterinärmedizinische Kosten, die sicherlich nicht gering sind, da er jedes Jahr für rund 20 Hunde, die den Weg ins Einkaufszentrum finden, ein neues Zuhause findet.

Ärger mit Kunden ist vor­programmiert
Natürlich ist nicht jeder Kunde über die pfotenreiche Familie beim Einkauf erfreut. „Die meisten Formulare in der Beschwerdekiste betreffen unsere Hunde. Dabei tun sie doch keinem etwas,“ seufzt Vardar. Damit die Hunde dem guten Image des Einkaufszentrums nicht schaden, leistet Vardar regelrecht Missionarsarbeit. Ihm liegt viel daran zu zeigen, dass ein problemloses Zusammenleben mit Hunden möglich ist. „Um jede einzelne Beschwerde kümmere ich mich persönlich. Jeden rufe ich an, erzähle die Geschichten der Tiere und kläre über die tierärztliche Betreuung der Hunde auf.“ In der Regel sind die Kunden dann nicht nur beruhigt, sondern zudem vom beispiellosen Einsatz des Geschäftsführers überrascht. „Wenn die Tiere unseren Kunden schaden könnten, dann würden wir sie doch niemals hier dulden,“ beteuert Vardar skeptischen Kunden gegenüber.

Tatkräftig steht er auch bei problematischen Situationen Hund und Personal zur Seite. So wie Lamia, die im Alter etwas ängstlich geworden ist und insbesondere laute Kinder gerne mal anbellt. „Damit sich die Kinder nicht erschrecken und die Mütter dem Kind nicht auch noch Angst vorm Hund einflößen, greife ich in solchen Situationen unmittelbar ein,“ berichtet Vardar von einem Vorfall, als Lamia ein kleines Mädchen anbellte. Er bat die Mutter um Erlaubnis, ihrem Kind etwas über Lamia erzählen zu dürfen. Der „Bell-Vorfall“ endete mit einer ruhigen Lamia, die sich bereit­willig von dem kleinen Mädchen streicheln ließ und einer Mutter, die sich, von so viel Fürsorge und Tierliebe beeindruckt, gleich mehrfach bei Vardar bedankte. Ein anderes Mal jedoch forderte jemand „die Entfernung der Straßenhunde“. Als die benachrichtigten Beamten des Veterinäramtes die Hunde mitnehmen wollten, ließ sich Vardar nicht ins Bockshorn jagen. „Ich zeigte ihnen die Impfpässe der Hunde, in denen ich als Besitzer eingetragen bin. Meine Hunde gebe ich nur per Gerichtsbeschluss heraus!“ Unverrichteter Dinge mussten die Beamten von dannen ziehen.

Eine Ausstellung macht die Runde
Um noch mehr als nur den in der Hunde-Oase gestrandeten Vierbeinern zu helfen, organisierte Vardar 2014 eine Ausstellung der besonderen Art. 40 Hunde suchte er zusammen mit seinen Angestellten in den Tierheimen Bodrums aus. Karikaturist und Maler Hakan Derya Ömürlüoglu, der ansonsten Kunden des Einkaufszentrums porträtiert, fotografierte die Vierbeiner und fertigte davon dann Malereien an. Auch für ihn war es die erste Ausstellung der eigenen Werke. Die Bilder der Hunde wurden zusammen mit ihrer Geschichte präsentiert, in der Hoffnung, dass vielleicht der eine oder andere adoptiert werden würde. So konnte man vom Schicksal der Hündin „Madame Maus“ lesen, kastriert und knapp sieben Monate alt. Gerade mal 6 Wochen alt und todkrank war Madame Maus ins Tierheim eingeliefert worden. Nach der nötigen Behandlung wurde bei ihr zudem Rachitis diagnostiziert, die aber ebenfalls erfolgreich behandelt werden konnte. Das weiche Gemüt der verspielten Hündin machte sie schnell zum Liebling der ehrenamtlichen Mitarbeiter des Tierheims. Viele Ehrenamtliche sind Engländer, daher kann Madame Maus zwei Sprachen. Leider konnte sie auch auf der Ausstellung kein neues Zuhause finden.

Dem damals zweijährigen Riesenterrier Robbie erging es nicht anders. Eigentlich hatte er die Herzen der Ladenbesitzer im Stadtteil Turgutreis erobert und war dort gut versorgt. Jedoch hatte er die Angewohnheit, Motorradfahrern hinterher zu rennen, was ihn letztlich ins Tierheim brachte. Auch Robbie fand bei der Ausstellung kein neues ­Zuhause. Viele der Hunde jedoch, die Hakan Derya Ömürlüoglu porträtierte, fanden vom Zeitpunkt des Fotoshootings bis zum Tag der Ausstellung bereits ein neues Zuhause, so dass es viele glückliche, neue Halter unter den Besuchern gab. Vardar ging es allerdings um mehr. „Ich wollte Kindern sowohl Spaß an ehrenamtlicher Arbeit als auch Tierliebe vermitteln. Daher haben wir zusammen mit der Stadtverwaltung Bodrum einen Schreibwettbewerb organisiert,“ erzählt er. Schüler der 5. bis 8. Klassen konnten Aufsätze über den Hund als ihren besten Freund einreichen. Die zehn besten Geschichten wurden ebenfalls ausgestellt. Den Großteil des Erlöses aus dem Verkauf der Bilder spendete ­Ömürlüoglu dem Tierheim in Bodrum. Nach dem umwerfenden Erfolg der Ausstellung überlegte Vardar nicht lange. „Als Geschäftsführer eines Einkaufszentrums kennt man natürlich seine Kollegen. Die rief ich an,“ erinnert sich Vardar daran, wie die Ausstellung später auch in Einkaufszentren in Istanbul, Ankara und Izmir Spenden für Tierheime einbrachte. „Natürlich konnten Lamia und die anderen Hunde dort nicht dabei sein, und auch die Original-Gemälde waren bereits verkauft,“ berichtet Vardar stolz. „Aber wir haben die Fotos auf Canvas drucken und spannen lassen. Diese wurden dann zum Verkauf angeboten.“ Sieben Tonnen Hundefutter konnten allein aus dem ­Erlös der Bilder in Istanbul an ein dortiges Tierheim gespendet werden.

Hund geht vor Kunde
Dass Vardars Herz für die Straßenhunde schlägt, sieht man im Oasis-Einkaufszentrum nicht nur an Pati, Gofret und Lamia. Freie Werbefläche verwendet er zugunsten der Straßentiere. Mit dem Slogan „Tierheime sind keine Lösung. Sie sind ihr Zuhause.“ will das Einkaufszentrum auf die Möglichkeit des Adoptierens von Tieren aus Tierheimen aufmerksam machen. „Die Tierheime hier leisten phantastische Arbeit. So versuchen wir sie zumindest etwas zu unterstützen,“ meint Vardar. „Wir sind nun mal ein Freiluft-Einkaufszentrum, da ist so etwas machbar. Diesen Vorteil müssen wir nützen,“ sagt Vardar bestimmt. Resolut ist er auch den Läden gegenüber. An kalten und nassen Tagen den Tieren einen warmen Schlafplatz und Schutz zu gewähren, ist für Vardar selbstverständlich. Weigert sich ein ­Geschäft, kennt Vardar kein Pardon: „Wem das nicht passt, der kann seinen Laden woanders aufmachen.“

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