Verhaltensstörungen des Hundes können durch schlechte Bedingungen während der Entwicklungsphasen sowie durch negative Erlebnisse im späteren Leben des Hundes (beispielweise Mißhandlungen, grobe tierquälerische Abrichtemethoden) verursacht sein. Verhaltensstörungen können aber auch organische Ursachen haben oder durch eine Erkrankung verstärkt hervortreten. An verschiedenen Fallbeispielen soll in dieser und den nächsten Ausgaben von WUFF demonstriert und erklärt werden, warum jeder tierpsychologischen Beratung eine exakte tierärztliche Untersuchung vorausgehen soll.
In vorliegendem Fallbeispiel geht es um eine organischen Ursache von Aggression: Ein Rottweilerrüder knurrte zunehmend bei Berührung seines Rückens.
Schmerzbedingte Aggression
Der erste Schritt wird in einer eingehenden klinisch-neurologischen Untersuchung bestehen müssen, dem als weiterer Schritt eine entsprechende Therapie folgen muß. Oft ist aber auch nach Behebung der schmerzauslösenden Prozesse noch die aggressive Verhaltensweise z.B. bei Berühren der vormals schmerzhaften Stelle vorhanden. In diesem Fall wird eine Verhaltenstherapie angezeigt sein. Das Mittel der Wahl ist die Desensibilisierung. Der Besitzer soll den Hund zunächst durch gutes Zusprechen beruhigen, das Angreifen nur andeuten und loben, solange der Hund nicht reagiert. Das Andeuten soll nun in tatsächliches Berühren übergehen. Dies kann auch mit einer Gegenkonditionierung verknüpft werden, indem man den Hund belohnt, während man ihn berührt. Ist die Angst vor der Berührung auf eine Körperstelle lokalisiert, so kann man den Hund zunächst entfernt davon berühren und sich von Tag zu Tag näher an die ehemals schmerzempfindliche Stelle herantasten. Vor allem bei älteren Tieren und wenn der schmerzhafte Prozeß lange Zeit bestanden hat, ist dabei sehr viel Geduld des Tierbesitzers erforderlich.
Bei sehr verängstigten Tieren (z.B. infolge langwieriger, schmerzhafter Therapie) ist eventuell zu Beginn der Desensibilisierung eine psychopharmakologische Angstlösung angezeigt. Die Medikation soll selbstverständlich nach erfolgreicher Desensibilisierung (und Gegenkonditionierung) wieder abgesetzt werden.
Fallbeispiel:
• Anamnese: Ein 6 Jahre alter Rottweilerrüde zeigt fortschreitende und stärker werdende Lahmheiten der Vorderextremitäten nach Aufstehen und nach Belastung. Dem Besitzer fiel auf, daß der Hund beim Streicheln über den Rücken immer öfter knurrte und sich ängstlich vom Besitzer zurückzog. Das Tier hatte scheinbar auch Probleme, Stufen zu steigen und sprang nur unwillig ins Auto.
• Bei der klinischen Untersuchung zeigte der Hund beim Durchtasten Schmerzhaftigkeit über der Lendenwirbelsäule und beim Strecken der Oberarme.
• Ein Röntgen der Lendenwirbelsäule und der Ellbogengelenke ergab hochgradige Arthrosen der Ellbogen mit einem im Gelenksspalt freiliegenden Knochenteil, sowie eine Instabilität des Überganges Lendenwirbelsäule – Kreuzbein mit arthrotischen Veränderungen.
• Klinische Diagnose: Durch das Streicheln wurden Schmerzen ausgelöst, die das abweisende Verhalten des Hundes erklären. Der allgemeine Zustand bei chronischen (Gelenks-) Schmerzen ergibt zusätzlich einen mißgelaunten und unwilligen Patienten.
• Als Therapie wurden in diesem Fall entzündungshemmende und schmerzlindernde Medikamente eingesetzt, die eine sofortige Besserung brachten. Weiters wird eine Operation an beiden Ellbogengelenken in Erwägung gezogen.
Im nächsten WUFF: Organische Ursachen einer gesteigerten Erregbarkeit.
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A. Univ. Prof. Dr. Hermann Bubna-Littitz
A. Univ. Prof. Dr. Hermann Bubna-Littitz, stv. Vorstand des Instituts für Physiologie, ist Leiter der tierpsychologischen Beratungsstelle der veterinärmedizinischen Universität Wien (Vorlesung „Verhalten und Verhaltensstörungen bei Hund und Katze").
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Dr. Michael Leschnik
Dr. Michael Leschnik ist als Tierarzt an der I. Med. Univ. Klinik für Einhufer und Kleintiere der veterinärmedizinischen Universität Wien tätig. Seine Spezialgebiete sind die Neurologie (Zusatzausbildung am Royal Vet. College in London) und interne Medizin. Dr. Leschnik führt die internistischen und neurologischen Untersuchungen von Patienten im Rahmen des Verhaltenstherapiezentrums durch.