Verhaltensstörungen des Hundes können durch schlechte Bedingungen während der Entwicklungsphasen sowie durch negative Erlebnisse im späteren Leben des Hundes (beispielweise Mißhandlungen, grobe tierquälerische Abrichtemethoden) verursacht sein. Verhaltensstörungen können aber auch organische Ursachen haben oder durch eine Erkrankung verstärkt hervortreten. An verschiedenen soll demonstriert und erklärt werden, warum jeder tierpsychologischen Beratung eine exakte tierärztliche Untersuchung vorausgehen soll.
Allgemein gesteigerte Erregbarkeit
Man versteht darunter eine gegenüber der statistischen Norm gesteigerte emotionale Erregbarkeit. Prinzipiell können wir – wie beim Menschen – zwei Formen unterscheiden: Beim introvertierten Tier hat sie Furcht und Angst zur Folge. Beim extrovertierten Tier hat sie gesteigerte Aktivität zur Folge. Mögliche Ursachen sind im Kasten angeführt.
Therapiemöglichkeiten
– Ruhe verschaffen
– Desensibilisierung
– Pharmakologische Angstlösung
Das wichtigste ist es, dem Hund zunächst Ruhe zu verschaffen. Wenn in einer Familie oder zwischen Partnern oft gestritten wird, so belastet dies das Tier, insbesondere wenn es noch nicht erwachsen ist. Sehr oft werden Streitigkeiten auch über das Tier ausgetragen: Der Hund hat etwas angestellt, ein Familienmitglied schimpft ihn aus, ein anderes hingegen bedauert den Hund und streichelt ihn. Dadurch wird der Hund in eine Konfliktsituation gebracht: Ein- und dasselbe Verhalten wird einmal belohnt und einmal bestraft.
Inkonsequent
Leicht erregbare Hundehalter reagieren oft selbst auf ein- und dasselbe Verhalten unterschiedlich: Einmal wird der Hund wegen seiner Zutraulichkeit und dafür, daß er auf Schritt und Tritt folgt, gelobt, das andere Mal wird er vertrieben, weil der Hundehalter sich gerade geärgert hat und ihm das Nachfolgen des Hundes „auf die Nerven geht". Häufig sind z.B. nicht berufstätige Frauen, wenn sie den ganzen Tag im Haushalt sind, gegenüber dem Hund sehr konsequent und beschäftigen sich auch stärker mit ihm. Wenn dann abends nach der Arbeit der Mann nach Hause kommt, möchte er sich beim Hund beliebt machen und vielleicht auch seine Partnerin sogar etwas ärgern, indem er dem Hund jetzt alles angehen läßt: Er darf sich zu ihm auf die Couch setzen, wird vom Tisch gefüttert. Es passiert also all das, was der Hund sonst nicht darf. Abgesehen davon, daß der Hund dadurch verunsichert wird, könnte der Mann bei sehr dominanten Hunden in der Rangordnung unter den Hund absinken. Diese Inkonsequenz kann dann wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Partnern führen, was wiederum den Hund belastet. Versetzen Sie sich in die Lage eines solchen Hundes und Sie werden verstehen, daß solch ein Tier enormen psychischen Belastungen ausgesetzt ist.
Manche Hunde haben sogar oft mehrere Bezugspersonen und Domizile: Unter der Woche sind sie bei den Eltern, am Wochenende oder abends werden sie abgeholt und wohnen bei „ihren" berufstätigen Besitzern. Die Eltern der Hundehalter verhalten sich dem Hund gegenüber wieder anders als die Hundehalter selbst.
Mit diesen Beispielen und Bemerkungen wollte ich verdeutlichen, daß in der Regel alle Personen ihr Verhalten gegenüber dem Hund überdenken und neu gestalten müssen, bevor eine Besserung des gestörten Hundeverhaltens zustande kommen kann. Das folgende Fallbeispiel soll zeigen, daß bei Angstzuständen organische Erkrankungen die Angstsymptomatik verstärken können.
Fallbeispiel:
– Anamnese: Ein 7 Monate alter Golden Retrieverrüde, der mit 5 Monaten von seiner derzeitigen Besitzerin übernommen worden war, zeigte immer öfter Angstzustände bei teilweise auch bekannten Geräuschen. So waren der eingeschaltete Fernseher und vorbeifahrende Autos als Auslöser für diese Zustände bemerkt worden. In diesen Situationen wich der Hund auch vor dem eigenen Besitzer zurück, winselte, wurde extrem nervös und versuchte, sich zu verstecken.
– Bei der klinischen Untersuchung im Rahmen der tierpsychologischen Beratung präsentierte sich der Hund in fremder Umgebung ängstlich und nervös. Dieser Zustand steigerte sich, als auf der angrenzenden Straße mehrere Autos vorbeifuhren. Es fiel auf, daß die Schleimhäute des Hundes einen leichten Blaustich aufwiesen und beim Abhören des Brustkorbes wurde ein pathologisches Herzgeräusch auf der linken Seite festgestellt. Die Herzfrequenz war auf 160 Schläge pro Minute erhöht.
– Zur Abklärung eines möglichen Herz-Kreislaufproblems wurde eine Herzultraschalluntersuchung durchgeführt: Hierbei konnte der bereits erhobene Verdacht auf eine vermutlich angeborene Herzerkrankung bestätigt werden. Eine Einengung im Herzen vor der Körperhauptschlagader (Subaortenstenose) bewirkte eine erhöhte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes an dieser Stelle im Kreislauf. Der Blutdruck war zu diesem Zeitpunkt noch im Normbereich.
Bei Aufregung, Erregung, Angst und körperlicher Belastung des Tieres kann es dann zu einer Verschärfung der Herzproblematik kommen, die ihrerseits zu Angstzuständen führt bzw. bestehende Angst verstärkt. In der Humanpsychologie wird gleichfalls angenommen, daß die Symptome der Angst (Herzjagen, Schweißausbruch) die bestehende Angst noch verstärken.
Therapiemöglichkeiten
Die Therapie muß in so einem Fall sehr vorsichtig erfolgen. Eine Kombination von angstlösenden Medikamenten mit den für diesen Fall erforderlichen Herzmedikamenten sollte, wenn es vermeidbar ist, nicht durchgeführt werden. Es könnte sonst möglicherweise zu einem starken Blutdruckabfall kommen. Daher wurde in Absprache mit der untersuchenden Kardiologin Dr. Ursula Kolm zuerst eine angstlösende Therapie für 2 Monate eingeleitet (der Hund spricht derzeit gut darauf an) und erst nach nochmaliger Herzkontrolle wird dann eine mögliche Herztherapie erwogen werden. Aus diesem Beispiel ist jedenfalls klar ersichtlich, wie eine organische Ursache, die durch eine tierärztliche Untersuchung im Rahmen einer Verhaltensstörung erkennbar wird, ein Verhaltensproblem verstärkt.
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Ursachen gesteigerter Erregbarkeit
a) Genetisch.
b) Jugenderfahrung, z.B. Überforderung des Junghundes durch zu intensives Training. Auch Proteinmangelernährung beim Welpen wird als Ursache diskutiert.
c) Gesteigerte Erregbarkeit des Muttertieres.
d) Beziehungsarme Umgebung (z.B.: Der Hund stammt von einem Züchter, der sehr abgeschieden wohnte und der Hund war in die Familie des Züchters nicht integriert).
e) Spätere ungünstige Erfahrungen (z.B. Hund wurde ausgesetzt und/oder war längere Zeit in einem Tierheim).
f) Ängstlichkeit und Erregbarkeit des Besitzers.
g) Inkonsequente Behandlung des Hundes.
h) Belastung des Hundes (Lautstarke Auseinandersetzungen, der Hund kommt nie zur Ruhe).
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A.Univ.Prof. Dr. Hermann Bubna-Littitz, stv. Vorstand des Instituts für Physiologie, ist Leiter der tierpsychologischen Beratungsstelle der veterinärmedizinischen Universität Wien (Vorlesung „Verhalten und Verhaltensstörungen bei Hund und Katze").
Dr. Michael Leschnik ist Tierarzt an der I. Med. Univ. Klinik für Einhufer und Kleintiere der veterinärmedizinischen Universität Wien. Seine Spezialgebiete sind die Neurologie (Zusatzausbildung am Royal Vet.College in London) und interne Medizin.