Neue Dimensionen in der Kognitions­forschung bei Hunden – Wie Hunde in Neuseeland das ­Autofahren erlernten

Von Dr. Barbara Wardeck-Mohr

Um Autofahren zu erlernen, benötigt man ein hohes Maß an kognitiven Fähigkeiten und sowohl ein räumliches wie auch ein abstraktes Vorstellungsvermögen. Es klingt unglaublich, ist aber wahr: In Auckland (Neuseeland) gibt es drei Hunde, die in einem umgebauten Kleinwagen (Mini) ­selbständig auf einer Rennbahn Auto fahren. Hundetrainer Mark Vette hat dies den Hunden Monty, Ginny und ­Porter beigebracht. Die Videos auf You Tube gingen um die Welt und wurden von Millionen gesehen. Die  Kommunikationsexpertin Dr. Wardeck-Mohr hat für WUFF mit Mark Vette ein spannendes Interview geführt, zuvor noch ein kurzer Abriss über die Grundlagen der Kognitionswissenschaft.

Können Hunde (und auch ­andere Tiere) tatsächlich denken? Besitzen sie Fähigkeiten wie „Sich-erinnern- können"? Haben sie ein Gedächtnis und können sie selektieren, Begriffe mit Gegenständen verknüpfen oder sogar Probleme lösen? Allesamt sind dies ­kognitive Leistungen und Fähigkeiten. Und längst bestätigt uns die Wissenschaft: Ja, Hunde sind dazu in der Lage, und keinesfalls sind sie eine „Reiz-Reaktionsmaschine" nach dem Modell der klassischen Konditionierung, wie so lange angenommen wurde – und ­leider teilweise auch heute noch angenommen wird. Hunde entscheiden stets situativ, sie selektieren oder schätzen Risiken ein – auch unter Berücksichtigung von Vorerfahrungen und nicht etwa nach einem bloß ­instinktgesteuerten Automatismus.

Neue verblüffende ­Dimensionen in der Kognitionsforschung bei  ­Hunden
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Kognitionsforschung rasant weiterentwickelt und gezeigt, dass die Denkfähigkeit von Hunden – auch mit strategischem Planen, dem Einschätzen von Risiken, dem gezielten Nutzen von eigenen Potenzialen – für entsprechende Verhaltensstrategien ausgerichtet wird, was ein zielgerichtetes kreatives Vorgehen bedeutet. Das Denken von Tieren wurde bisher völlig unterschätzt. Dazu gehörte bis vor kurzem auch die wissenschaftliche Fehlannahme, dass Denken ohne Sprachvermögen nicht möglich sei. Außerdem haben Tiere auch ein Bewusstsein über ­Aufmerksamkeit oder über ein Erfahrungs- oder Er­lebnisbewusstsein.

Was ist Kognitionswissenschaft?
Unter Kognition werden jene Prozesse verstanden, durch die eine komplexe Umweltwahrnehmung ­einschließlich deren Informationsverarbeitung stattfindet – also ein Verständnis von Zusammenhängen, die sich zu einem „Weltbild" fügen. Dabei wird unter kognitiven Vorgängen insbesondere das Denken subsummiert. Aber auch Erkennen, Urteilen, Schlussfolgerungen-ziehen, ein Vorstellungsver­mögen, Lernen, Gedächtnis-haben, Planen oder das Problemlösen ge­hören zur Kognition.

Die Kognitionswissenschaften untersuchen interdisziplinär verschiedene geistige, emotionale und psychologische Prozesse („science of the mind"). Wahrnehmungen geschehen auf verschiedenen Ebenen, sodass es bei den Kognitionswissenschaften nicht nur um Denken, Lernen, Gedächtnis-haben geht, sondern auch um abstraktes Denken oder um räumliches Vorstellungsvermögen, um Sprache, um Emotionen und Motivation. Aber auch um die ­Informationsverarbeitung von Vorwissen und die ­Verarbeitung aktueller Informationen bzw. Wahrnehmungen. Nicht zuletzt ist die Kognitionswissenschaft auch das interdisziplinäre Ergebnis aus Psycho­logie, Neurowissenschaften und Sprache. Doch Denken– wie früher angenommen – muss nicht unbedingt an Sprache gekoppelt sein; obwohl Sprache und Denken in einem engen Zusammenhang stehen.

Kognitionsleistungen von Hunden
Hunde – davon geht die Wissenschaft heute aus – verfügen über ein begrenztes abstraktes Denkvermögen sowie über ein bildhaft-räumliches Vorstellungsvermögen. Sie sind ferner in der Lage Entfernungen oder ­Risiken einzuschätzen und verhalten sich auch uns Menschen gegenüber stets im Kontext von ihren Beobachtungen. Sie berücksichtigen durch die neuronale Verknüpfung selbstverständlich auch Vorerfahrungen bei gleichzeitiger Einschätzung der jeweiligen Lage und unter Berücksichtigung des speziellen Kontextes. Um Hunde oder andere Tiere verstehen zu können, benötigen wir nicht nur Kenntnisse der Verhaltens­biologie, zu deren Ausdrucksverhalten bzw. Vokalisation, sondern auch zu deren Denkmustern bzw. Kategorienbildungen, die für ihr alltägliches Leben relevant sind. Auch Grundbedürfnisse, Vorlieben, Rituale spielen dabei eine Rolle.

Keinesfalls läuft das Lernen und ­Denken von Hunden nur über angeborenes Verhalten oder gar über die Klassische Konditionierung ab: Vielmehr nutzen Hunde – wie auch andere Tiere – ihre individuellen Vorerfahrungen und setzen dieses erworbene Wissen bei Verhaltens- oder Problem­lösungsstrategien ein.

Hunde haben ein Verständnis von Zeit und Raum und erkennen darin auch Unterschiede oder Ähnlichkeiten.Wahrnehmungen von Hunden werden mit einem räumlichen oder zeitlichen ­Kontext assoziiert. Weiterhin gibt es in der Wahrnehmung von Hunden wichtige Parameter, wie sie weiter unten angeführt sind.

Hunde verfügen über eine ­individuelle „kognitive Landkarte"
Hunde müssen als territoriale Lebe­wesen eine recht konkrete und komplexe Vorstellung von räumlichen Gegebenheiten wie auch von sozialen Kontexten haben. Es sind ihre olfaktorischen, akustischen und visuellen Bilder bzw. Wahrnehmungen, die eine quasi „kognitive Landkarte" ergeben. Hinzu kommt auch eine hohe Fähigkeit des Hundes, menschlich artikulierte Be­griffe mit Gegenständen verknüpfen und verstehen zu können. Border Collies wie der aus „Wetten Dass …" bekannte Hund Rico unterscheiden Hunderte von Spielzeugen, Chasey sogar über zwölfhundert Gegenstände.

HINTERGRUND

Über die Wahrnehmung von Hunden

Neben einem Verständnis von Raum und Zeit gibt es in der Wahrnehmung von Hunden auch wichtige Parameter, wie sie im Folgenden angeführt sind.

1. Unterschiede wie auch Ähnlichkeiten bzw. Kategorien, wie „vertraut"- „unbekannt"- „neu"- „bedrohlich"; dies aufgrund von Vorerfahrungen.

2. Objektpermanenz, d. h. selbst wenn ein Objekt für den Hund unsichtbar ist, besteht eine Vorstellung von der Existenz dieses Objektes (z. B. bei Jagdstrategien, bei Suche nach ­seinem „Lieblingsspielzeug" oder nach vergrabenen Gegenständen).

3. Konzeptbildung, Kategorien, ­Gruppen: Kategorien werden gebildet hinsichtlich Identität oder der Bedeutung,
z. B. Freude beim "Wiedersehen mit seinem Menschen" oder der menschlichen Aufforderung zum Spaziergang, dem Leineholen usw.

4. Logische Verknüpfungen, z. B. ­„wenn-dann" oder „größer-kleiner", „der Aufforderung des Halters folgen oder auch nicht", als Hinweise auf Hierarchieverständnis, soziale Ordnung oder Vorstellung von Mengen.

5. Bewertungen/Selektion, z. B. von Nahrung (Hunde können z. B. eine Wertigkeit zwischen Käsesorten nach „eigenem Gusto" erstellen, indem sie etwa Appenzeller Käse von anderen Käsesorten wie Holländischem ­Gouda unterscheiden und immer wieder als ersten oder letzten Käse in einer bestimmten Reihenfolge fressen.

6. Risikoeinschätzung: Hunde bewerten selbstverständlich auch Risiken: So zeigen Versuche des Max-Planck-Instituts in Leipzig, dass Hunde sehr viel häufiger „verbotenes Futter" dann stibitzen, wenn die Versuchsperson abgewandt vom Hund und vom Futter Zeitung liest.

7. Geografisch-Räumliche Ortung/Erkennen von Bewegungsmustern: Hunde reagieren z. B. auch auf bewegte Objekte, wie andere Tiere. Sie können Landschaften unterscheiden oder suchen die Herkunft von Geräuschen – auch beim Radio zeigen sie dies durch blickfolgende Bewegungen an.

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