Nase, Ohren, Schnauze, Zunge, Po – Warum Hunde tun, was sie tun …

Von Regina Röttgen

Der Ethologe und Hundeforscher Marc Bekoff ist vielen WUFF-Lesern bekannt. WUFF-Autorin Regina Röttgen hat ihn zu seinem neuen Buch „Canine Confidential“, das im Herbst dieses Jahres unter dem Titel „Feldforschung auf der Hundewiese“ erscheint, interviewt. Lesen Sie in diesem Artikel interessante Erkenntnisse des vermutlich weltbesten Hundebeobachters Marc Bekoff.

Über Hunde zu lesen gibt es im Land jenseits des großen Teiches sicherlich reichlich. Doch selbst für den amerikanischen Markt ist Marc Bekoffs neues Buch etwas Besonderes. Wahre Hundegeschichten verspinnt er mit persönlichen Beobachtungen und wissenschaftlichen Studienergebnissen zu einem leicht lesbaren Seitennetz. Dem Leser wird somit in leicht verständlicher und amüsanter Sprache Wissen vermittelt, das in der Fachsprache für die meisten unverständlich bleiben würde. Dank zahlreicher Anekdoten über die verschiedensten caninen Charaktere veranschaulicht Bekoff die jeweiligen Themen für den Leser in leicht nachvollziehbarer Weise. So geht es zum Beispiel um die Frage, ob Hunde einen Sinn für Humor haben. Laut Bekoff eindeutig ja – gleich mehrere Beispiele führt der Ethologe als Begründung an. Seinen Hunden im Park gibt er sogar entsprechend charakteristische Namen: Der Leser lernt „Bernie und Beatrice, die Popo-Fans“ kennen, „Tammy, die Zunge“, „Louie, der Schlecker“, „Harry und Helen, die glücklichen Springer“ und „Peter, der Schnäbelnde“. Denn viel dreht sich beim Hundeverhalten um Körperteile: Nase, Ohren, Schnauze, Zunge oder eben auch der Po. Allein bei der Begrüßung sind oft eine Menge Körperteile mit von der Partie: Augen­­kontakt, Nase an Nase, Nase an Schnauze, Nase an Po.

All diese Geschichten sind zudem wahr. Denn seit über vier Jahrzehnten sitzt Bekoff in Hundeparks und beobachtet Hunde und Halter. Eine Welt für sich tat sich dem Ethologen dort auf: Er lernte nicht nur viel über Hund-Hund-Beziehungen, sondern auch über Hund-Mensch-Beziehungen. Vor allem aber lernte er, Hunde vollkommen anders zu betrachten.

Bekoffs Lieblingsthema ist die „Bürgerwissenschaft“, wie er sie nennt. Für Bekoff ist Zuhören vor allem Beobachten. Schon in seinen Anfangsjahren vertraute er auf die Macht der Beobachtung. Viel Schmunzeln von Seiten seiner Co-Wissenschaftler brachte ihm dieser damals doch recht ungewöhnliche Ansatz ein. Für Bekoff jedoch wurde es zu einer unendlichen Quelle an Wissen: „Ich fand es schon immer interessant, dass viele Anekdoten durch empirische Fakten, die zu einem späteren Zeitpunkt gesammelt werden, ganz klar unterstützt werden“, erzählt er im Interview. Nicht nur in Parks wird Bekoff Zeuge solcher Anekdoten, auch Hundehalter auf Parkbänken scheinen sehr mitteilungsbedürftig zu sein. Als viel gelesener Autor der populären Online-Plattform „Psychology Today“ wenden sich natürlich häufig auch Hundehalter per Internet an ihn, in der Hoffnung, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Bekoff freut sich immer über Post. Jede einzelne Frage findet der Ethologe interessant. ­„Dadurch lerne ich ja auch etwas dazu“, sagt Bekoff. Daher glaubt der Amerikaner, dass eigentlich in jedem ein Ethologe steckt. Er nennt es „Bürgerwissenschaft“ und ermuntert immer wieder in seinem Buch Leser dazu, Hunde, aber auch andere Tiere einfach nur zu beobachten.

Vieles von dem, was Bekoff beim Beobachten bemerkt, ist bereits zum wissenschaftlichen Thema geworden. Immer wieder greift Bekoff daher in seinen Erzählungen auf ethologische und neurowissenschaftliche Studien zurück. So geht es in „Canine Confidential“ um all die Fragen, die Hundehalter sich schon gestellt haben oder es einmal werden. Es geht um all die Themen, die seit ein paar Jahren die canine Medienwelt dominieren: Hunde als emotionale Wesen, welche Freude, Glück, Traurigkeit, Trauer, Schmerz, Ekel, Eifersucht und eventuell sogar Schuldgefühle empfinden und auch einen Sinn für Humor besitzen. Manchmal wird ein Thema nur kurz angerissen. Dass Bekoff in solchen Fällen nur einen kleinen Allgemeineindruck vermittelt, könnte den belesenen Hundehalter eventuell enttäuschen. Umso entzückter werden gerade diese Leser dann von der Vielfalt der Fußnoten sein, die einiges wettmachen. Die Liste aktueller Studien in „Canine Confidential“ umfasst gleich mehrere Seiten.
Zwar gibt Bekoff viele Antworten, viel wichtiger ist allerdings, dass er dem Leser das Werkzeug an die Hand gibt, um weitere Fragen selber zu beantworten. Denn für den Ethologen steht zum Beispiel die Frage, ob Hunde Emotionen empfinden, nicht an erster Stelle. Viel wichtiger ist ihm die Frage, warum sie dies tun. Sein Buch möchte er daher als direkte Erklärung verstanden wissen – eine Erklärung der Sinne, des Verhaltens, des emotionalen, kognitiven und moralischen Lebens von Hunden. In „Canine Confidential“ geht es nicht darum, „was“ Hunde sind, sondern um die Frage „wer“ sie sind. Manchmal liegt die Antwort ganz nah.

Wir haben mit Marc Bekoff über sein Buch gesprochen:

WUFF: „Canine Confidential“ beantwortet viele Fragen, aber es stellt auch welche. Sind wissenschaftliche Studien nicht immer aufschlussreich, insbesondere, wenn sie verschiedene Ergebnisse zum gleichen Thema liefern?

Bekoff: Das ist eine sehr wichtige Frage. Einer der Gründe hierfür ist, dass verschiedene Wissenschaftler unterschiedliche Hunde untersuchen und dafür uneinheitliche Methoden in mannigfaltigen Kontexten anwenden. Einer der Punkte, die ich auch in meinem Buch anspreche, ist, dass innerhalb der Hunde eine große Individualität besteht. Es ist irreführend, über „den Hund“ zu sprechen – jeder einzelne Hund ist ein einmaliges Individuum, wie es auch die jeweiligen Hunde-Mensch-Beziehungen sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Wissenschaftler verschiedene „Fakten“ über das kognitive und emotionale Leben von Hunden entdecken. Wir sollten uns auf das „Warum“ konzentrieren. Dabei können wir noch weitaus mehr über Hundeverhalten und die Variablen erfahren, die Hunde dazu beeinflussen, zu tun, was sie tun, und auch, warum sie es tun.

WUFF: Sie gehen noch weiter und schreiben: „Sich um Tiere zu kümmern beginnt mit der Sprache, die wir benutzen.“

Bekoff: Wir sollten jeden einzelnen Hund als einzigartiges Wesen betrachten. Selbst die Geschwister eines Wurfes sind so unterschiedlich in ihren Wesen, dass wir uns mit der Frage beschäftigen sollten, wie diese Unterschiede zustande kommen. Meiner Meinung nach sollten wir hierfür eine Kombination aus persönlicher Erfahrung und wissenschaftlichen Fakten benutzen. Ich selber lerne zum Beispiel viel, indem ich mich mit anderen Menschen über das Verhalten ihrer Hunde unterhalte. Manchmal gibt mir das sogar neue Ideen für Forschungsprojekte. Um mehr über unsere vierbeinigen Freunde zu erfahren, ist die Kombination aus gefestigter Wissenschaft und Bürgerwissenschaft extrem wertvoll.

WUFF: Sollten wir uns mehr in die Rolle von Hunden hineinversetzen? Müssten wir dann nicht auch Begriffe wie ­Fairness, Mogelei oder Habgier neu definieren?

Bekoff: Ja, das muss man. Wirklich wesentlich ist es, im „Hündisch“ flüssig zu werden und zu verstehen, wie Hunde die Welt wahrnehmen. Dafür müssen wir besonderes Augenmerk darauf legen, wie Hunde die Welt über den Geruchs-, Seh-, Hör-, Tast- und Geschmackssinn wahrnehmen und warum wir ihnen erlauben sollten, diese Sinne so oft und stark auszuleben wie sie möchten. Spaziergänge zum Beispiel sollten für die Hunde sein und nicht für uns Menschen. Das ist auch der Grund, warum ich es wunderbar fände, wenn alle Menschen Amateurethologen würden. Für jeden ist es gewinnbringend, wenn er seinen Hund als einzigartige Persönlichkeit beobachtet und wahrnimmt. Indem man „Hündisch“ perfekt versteht, kann man viel über das Verhalten der Vierbeiner herausfinden und merken, wie einzigartig jeder einzelne von ihnen ist. Außerdem macht es Spaß! In meinem Buch erzähle ich viele Geschichten von Hundehaltern, die mir anvertraut haben, wie das Verstehen von „Hündisch“ nicht nur ihre Sichtweise verändert hat, sondern auch ihre Beziehung zu ihrem Hund! Hundeverhalten und die Hunde-Mensch-Beziehung zu verstehen ist für beide Parteien ein ­Gewinn.

WUFF: Einen großen Teil von „Canine Confidential“ widmen Sie dem Spiel zwischen Hunden, nennen es den Traum eines jeden Ethologen. Unterschätzen wir die Wichtigkeit des Spiels?

Bekoff: Definitiv! Die meisten Hunde ­lieben es zu spielen und sollten dies so viel und oft dürfen, wie sie möchten. Wir sollten darauf achten, wie Hunde es schaffen, fair zu spielen, immer Spaß an wildem Herumrennen finden, aber auch zurückhaltend spielen. Eindeutig haben Hunde Spaß daran mit Freunden zu ­spielen, egal ob Vier- oder Zweibeiner. ­Natürlich sollte kein Hund zum Spielen gezwungen werden.

WUFF: Welche verschiedenen Arten von Spiel gibt es unter Hunden?

Bekoff: Ich beschäftige mich meist mit dem sozialen Spiel, aber es gibt auch ­Objekt-fokussiertes Spielen und Allein-Spielen. Wir alle kennen es, wenn der Hund plötzlich wie irre durch die Gegend rennt, als wenn er sich um nichts auf der Welt kümmern müsse. Die sogenannten „Zoomies“ (Anm.: Das plötzliche unbändige Herumlaufen) machen Hunden richtig Spaß und sollten ihnen auch nicht verboten werden.

WUFF: Mischen wir uns vielleicht einfach zu oft ein?

Bekoff: Oh ja, oft ist das so. Zum ­Beispiel denken viele Hundehalter, dass spielerische Kämpfe bei Hunden oft in richtige Kämpfe umschlagen würden. Dabei haben Studien eindeutig gezeigt, dass dies nur in ein bis zwei Prozent der kämpferischen Spiele der Fall ist. Hunde sind gut darin, ihr Spiel auszuhandeln, und hat einer genug, dann kann er einfach aufhören und etwas anderes machen. Gerade deshalb ist es so wichtig Hundeverhalten zu verstehen – wenn Hundehalter „Hündisch“ können, dann können sie besser voraussagen, wann etwas passieren wird, das ihr Hund ­lieber vermeiden würde.

WUFF: In Ihrem Buch sprechen Sie über eine aktuelle Studie. Gibt es dazu bereits eine Veröffentlichung?

Bekoff: Wir sind noch immer sehr ­interessiert an der sozialen Dynamik des Hundespiels, und eines der aktuellen Themen ist daher, ob Hunde, die einander kennen, anders miteinander spielen als Hunde, die sich fremd sind. Derzeit sind wir noch dabei, Daten zu sammeln, aber es sieht ganz danach aus, als ob Hunde, die sich kennen, im Spiel weitaus ruppiger miteinander umgehen und ihre Freunde auch nicht immer fragen ­müssen, ob sie denn auch spielen wollen – sie tun es einfach! Auf der anderen Seite verbringen unbekannte Hunde mehr Zeit damit sich kennenzulernen und erforschen ihre potenziellen ­Spielkameraden geradezu, bevor es dann losgeht. Bald werden wir dazu aber mehr sagen ­können.

WUFF: Ein letzter Tipp für unsere Leser?

Bekoff: Die Einzelhaltung von Hunden ist nicht unbedingt schlecht, vielmehr kommt es darauf an, wie viel Zeit und Energie der Halter auf seinen Hund ­verwendet, um ihm das bestmögliche Leben zu ermöglichen. Ich kenne einige Hundehalter mit zwei Hunden, die ­glauben, dass ihre Vierbeiner ohne menschlichen Kontakt gut zurecht­­kommen. Da bin ich anderer Meinung. Hunde brauchen den Kontakt zu anderen Hunden und zu Menschen. Wichtig ist, dass man ihnen beides bietet.

Zum Reinschnuppern

Ein paar Auszüge aus dem Buch „Canine Confidential“ – übersetzt von Regina Röttgen:
„Spiel ist natürlich Spaß, aber es kann auch richtiger Ernst sein… Indem wir Hunde sorgfältig beim Spiel beobachten, können wir unter anderem viel über ihr Verständnis von Empathie, Kooperation, Gerechtigkeit, Fairness und Moralvorstellungen lernen. Soziales Spiel ist nicht zufällig oder automatisch, und Hunde beteiligen sich daran ganz universal“

„Also, wenn Sie mehr über das Spielen herausfinden möchten, dann gehen Sie runter auf den Boden und scheuen Sie keinen Dreck! Spielen Sie mit den Hunden. Dabei können Sie viel über Ihren Hund lernen, zum Beispiel was er toll findet, mit wem er gerne und mit wem nicht so gerne spielt.“

„Ich vergleiche Spielen gerne mit einem Kaleidoskop, einer Mischung verschiedener Handlungen, die aus anderen Kontexten entliehen sind… Sie benutzen Gesten aus anderen Kontexten auf zufällige Art und Weise und ganz unvorhersehbar. Dabei ­reflektieren Sequenzen im Spiel nicht die Sequenzen von Verhalten, das Hunde bei der Paarung, im Kampf oder bei der Jagd zeigen.“

„Anhand von ausgiebigen Studien konnten wir vier grundsätzliche Aspekte des fairen Spielens bei Tieren feststellen: Zuerst fragen, ehrlich sein, dann die Regeln befolgen und zugeben, wenn man Fehler gemacht hat. Andere Tiere haben die gleichen ­Normen beim Spielen. Werden die Regeln gebrochen und Fairness endet, so hört auch das Spiel auf. Hunde und andere Tiere verfolgen ganz genau, was passiert. Das sollten wir auch. Natürlich brechen Hunde auch manchmal die Regeln. Studien zeigten, dass „Schwindler” richtiggehend bestraft werden. In Zukunft werden sie als ­Spielpartner eher seltener ausgewählt, andere Hunde weigern sich ganz einfach mit den „Schwindlern” zu spielen und suchen sich andere Spielkameraden.“

WUFF-Information

Über Marc Bekoff
Marc Bekoff ist Professor a.D. für ­Ethologie und Evolutionäre Biologie an der Colorado Universität in Boulder USA. Für seine wissenschaftliche Arbeit hat er viele Auszeichnungen erhalten, darunter auch die Guggenheim ­Mitgliedschaft und den „Exemplar Award“ für lange Beiträge von musterhafter Beispielhaftigkeit der Animal Behavior Society. Bekoff hat über
30 Bücher und drei Enzyklopädien veröffentlicht, schreibt regelmäßig über ­Hunde, Kognition und Gefühle von Tieren sowie Naturschutz für das Online-Portal Psychology Today. Zudem betreibt er die Internetpräsenzen www.marcbekoff.com und, zusammen mit der Primatenforscherin Jane Goodall, www.ethologicalethics.org.

Geht es um Hunde, dann steht er Hundetrainern beratend zur Seite, indem er seine einzigartige Sichtweise schildert. Denn er hat nicht nur Hunde in Hundeparks, sondern auch ­freilebende Hunde, wilde Kojoten, verschiedene Vogelarten und die Adélie Pinguine in der Antarktis beobachtet. Dass sein Buch gerade im chinesischen Jahr des Hundes auf den Markt kommen wird, ist für Bekoff ein besonderer Anlass zur Freude. ­Ansonsten findet er, dass jeder Tag „Tag des Hundes“ sein sollte, da wir das große Glück haben, mit den Vierbeinern unser Leben teilen zu dürfen.

Das Buch

„Canine Confidential:
Why Dogs Do What They Do.“
University of Chicago Press, 256 Seiten
ISBN 9780226433035 – 26 $

Anfang Oktober erscheint „Canine Confidential“ in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Feldforschung auf der Hundewiese“ im Kynos Verlag.

Pdf zu diesem Artikel: warum_hunde_tun_was_sie_tun

 

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