Molekulargenetik

Von Dr. Hellmuth Wachtel

Hunde haben etwa 19.000 Gene, Menschen 21.000. Jedes Gen ist als Informationseinheit der Code einer Aminosäure, die für eine oder auch mehrere Eigenschaften oder Funktionen eines Individuums, einer Rasse oder Art verantwortlich ist. Jetzt ist die Wissenschaft dabei, allmählich die Rolle jedes Gens aufzuklären. Die Molekulargenetik hat bereits in vielerlei Art in die Kynologie Eingang gefunden, wie im Nachfolgenden berichtet werden soll.

Abstammungsforschung
Kein Haustier und keine Tierart zeigt sich in so vielfältiger Erscheinung wie der Hund. Kein Wunder, dass die Wissenschaft früher an die Abstammung von verschiedenen wilden hundeartigen Raubtieren glaubte, zuletzt sogar noch Konrad Adenauer, der Wolf und Goldschakal für die Ahnen des Hundes hielt. Erst die Erforschung des Verhaltens dieser Arten im Vergleich zum Hund und die Analyse des Skeletts machten den Schakal zu einem unwahrscheinlichen Vorfahren, aber die letzten Zweifel haben erst DNA-Untersuchungen ausgeräumt. Hierzu wurde aber nicht das Genom des Zellkerns verwendet, sondern die Gene von Zellorganen (Organellen), die ursprünglich von Bakterien stammen, welche seit etwa einer Milliarde Jahren in den Zellen als deren „Kraftwerke" lebenswichtig sind. Da diese Zellorganellen – Mitochondrien genannt – in Form ihrer DNA (mtDNA) nur von einem weiblichen Organismus mit der Eizelle an die nächste Generation weitergegeben werden können, bieten sie sich an zur Prüfung von Abstammungsfragen. Bei solchen Untersuchungen zeigte sich, dass die Hunde nur von Wölfen stammen können und im Laufe der Zeit bestimmte Änderungen erfahren haben. Die Geschwindigkeit, mit der solche Änderungen (= Mutationen) entstehen, ist nicht eindeutig bekannt, so dass das Alter des Hundes nach solchen Berechnungen zwischen 15.000 und 140.000 Jahren schwankt. Die Annahme von 15.000 Jahren passt allerdings eher zum Alter der ältesten archäologischen Hundefunde. Damit ist das Alter der Mutterlinie der Hunde erforscht. Doch könnte auch die Vaterlinie ergründet werden, wenn man dem männlichen Y-Chromosom, das nur bei männlichen Individuen vorkommt, in ähnlicher Weise nachginge.

Bestimmung der genetischen Vielfalt
Die heutigen Hunderassen stammen in der Regel von nur wenigen Stammtieren ab. Dadurch ist die überlebenswichtige genetische Vielfalt (auch Variabilität oder Diversität bezeichnet) in den einzelnen Rassen an sich gering, in allen Rassen zusammengenommen aber groß. Darüber hinaus wurde sie in jeder Rasse durch Inzucht und die Verwendung von zu wenigen Deckrüden, davon manche im Übermaß eingesetzt, oft fortlaufend vermindert. Heute sucht man dieser Entwicklung durch Überprüfung des Inzuchtkoeffizienten entgegenzuwirken. Leider entspricht dieser jedoch nicht genau der noch vorhandenen Diversität, die für die Lebenskraft (Fitness) der Rasse bzw. eines Hundes entscheidend ist. Es ist ein Durchschnittswert, der mit der Realität nicht genau übereinstimmt. DNA-Ermittlungen der Genorte könnten Auskunft über die Heterozygotie bringen, also ob zwei gleiche oder zwei verschiedene Allele vorliegen. In ihrer Gesamtheit über alle Genorte zeigen sie die genetische Diversität des betreffenden Hundes an. Dazu wäre es aber auch wichtig, die Stellen zu kennen, die für die Fitnesswirkung besonders wertvoll sind. Derzeit sind derartige, vielversprechende Forschungen an verschiedenen Rassen in Deutschland im Gange.

Erforschung der genetischen Grundlagen der Erbkrankheiten
Mit der bisherigen Art der Rassehundezucht hängt auch die steigende Verbreitung der Erbkrankheiten zusammen, gegen die man bisher vielfach hilflos war. Nunmehr aber werden für immer mehr dieser Krankheiten die genetischen Grundlagen erforscht. So gibt es bereits für immer mehr der rezessiven monogenetischen Krankheiten DNA-Tests zur Ermittlung der Defektgenträger, die dann aus der Zucht ausgeschlossen werden können, oder besser, nur mit Nichtträgern des Gens verpaart werden. In beiden Fällen werden keine kranken Nachkommen erzeugt. Da der Anteil der Defektgenträger in manchen Rassen exorbitant hoch ist, ist dort die letztere Methode vorzuziehen, wobei man allmählich die Verwendung derselben reduziert, um die genetische Diversität nicht weiter gefährlich zu vermindern.

Aus welchen Rassen besteht dein Mischling?
Ja, aus welchen denn? Er ist z.B. langhaarig, hat kurze Läufe, aber eine spitze Schnauze. Ist er vielleicht ein „Spitzdackel"? Solches und Ähnliches mag sich so mancher Mischlingsbesitzer schon gefragt haben, ohne zu erwarten, darauf je eine Antwort zu erhalten. Aber wir leben in einer Zeit der Entdeckung immer neuer molekulargenetischer Wunder. So ließ auch die Lösung dieses Problems nicht lange auf sich warten.

Noch 1991 war man der Meinung, alle Hunde wären gleich weit oder nah mit dem Wolf verwandt, gleichgültig ob es sich um einen Dackel handelt oder einen so wolfsähnlichen Sibirischen Husky. Doch heute haben diejenigen Recht behalten, die schon immer meinten, der Husky wäre dem Wolf näher verwandt. Heute weiß man, dass alle bisher untersuchten Rassen nichteuropäischen Ursprungs zur Gruppe der „Wolfshunde" gehören, alle europäischen dagegen zu vier bis fünf anderen Gruppen. Die Ahnen der Wolfshunde waren die ersten, die sich weit früher vom Wolf getrennt haben als die europäischen Hunde, die genetisch vor etwa 2500–2000 Jahren aus diesen entstanden.

Es ist unklar, wieso nur die europäischen Hunde eine genetische Weiterentwicklung oder Änderung von den „Wolfshunden" durchgemacht haben. Es dürfte das eine besonders intensive Selektion auf spezielle Verwendungszwecke bei enger Zusammenarbeit mit dem Menschen hervorgerufen haben. Immerhin wurden nur in Europa Rassen mit solcher spezieller Verwendung wie Bauhunde (Dachshund, Terrier), Schäferhunde und „Gun Dogs" (Hunde für den Jäger mit Gewehr) geschaffen. Vor allem die beiden letztgenannten sind zu einer Zusammenarbeit mit dem Menschen fähig, die uns immer wieder in Verwunderung versetzt. Man denke etwa an den Border Collie, den Schäferhund und den Pudel, ursprünglich ein Jagd- und Schäferhund. In den übrigen Kontinenten waren als Jagdhunde ursprünglich nur Bracken, Windhunde, Pariaformen und Verbeller (z.B. Laiki) vertreten, die hauptsächlich unabhängig jagen. Als Herdenhunde gab es nur die Herdenschutzhunde mit wenigen Ausnahmen wie die Tibet"terrier".

In der molekulargenetischen Forschung versuchte man auch bald herauszufinden, ob es durch molekulargenetische Untersuchungen möglich wäre, die Rasse eines Tieres zu bestimmen bzw. zu überprüfen. Sehr früh erfolgte dies bei italienischen Fleischrinderrassen, da ein Steak einer bestimmten Rasse besonders begehrt sein kann und einen hohen Preis erzielt. Dies stellte sich bald als möglich heraus.

2003 publizierte dann der finnische Biologe M.T. Koskinen eine Arbeit über die Frage, ob es möglich sei, auch die Rasse eines Hundes nach seiner Erbmasse (DNA) zu bestimmen. Es gelang ihm dies sogar mit 100-prozentiger Sicherheit, was die bisherige Ansicht, dies sei nicht möglich, eindeutig widerlegte. Er untersuchte eine große Anzahl von Hunden verschiedener Rassen und stellte dabei jeweils eine größere Anzahl von Hunden zweier verschiedener Rassen einander in einem Diagramm gegenüber. Die meisten waren dabei grafisch eindeutig getrennt, aber in einigen Fällen näherten sich die Werte mehr oder weniger, so z.B. bei einem Deutschen Schäferhund und einem Dachshund, was die Reinrassigkeit dieser Tiere natürlich in Frage stellt.

Die Tatsache, dass es nicht möglich war und bis vor kurzem für unmöglich gehalten wurde, zu bestimmen, welche Hunderassen die Ahnen eines Mischlings sind, hat oft schwerwiegende Folgen. So ist z.B. in England und anderen Ländern die Haltung von Pit Bull Terriern und anderen „Kampfhunderassen" verboten. Hunde, die keine Papiere haben, aber wie Pit Bull Terrier aussehen oder einfach als „Pit Bull Terrier-Typ" betrachtet werden, fallen gleichfalls unter dieses Verbot, obwohl es sich z.B. um eine Kreuzung Boxer/Labrador Retriever handeln könnte. Sie können daher u.U. konfisziert und getötet werden. Manchmal können aber auch Mischlinge einem Rassehund sehr ähnlich sein und vielleicht gefälschte Papiere haben. Oder ein Hund wurde beim Begehen eines Verbrechens verwendet. Aus DNA-haltigen Spuren am Tatort konnte man bisher die Identität eines Hundes nachweisen, aber nicht dessen Rasse ermitteln.

Doch nunmehr gibt es hier einen spektakulären Fortschritt. Eine Firma namens MMI Genomics hat einen Test entwickelt, der aus der DNA eines Hundes die Rassen seiner Eltern oder Großeltern bestimmen kann und natürlich auch eine bestehende Rassenreinheit nachweist. Der Test erstreckt sich vorläufig auf immerhin 38 häufigere Rassen.

Es ist natürlich vorteilhaft, wenn man die „Zusammensetzung" eines Mischlings weiß, da man gewisse Rückschlüsse auf Verhalten, Krankheitsneigung und Entwicklung ziehen kann. Es ist daher zu erwarten, dass dieser Test kommerziell einschlagen wird. In den USA geraten jährlich ca. sechs Millionen Hunde in die Tierheime, davon nur 25% Rassehunde. Die Nachfrage nach diesem Test dürfte groß werden.

Was kann man noch alles erwarten?
Nicht alles, was nun zunehmend in den Bereich des Möglichen kommt, ist auch unbedingt wünschenswert. Bereits gelöst scheint das Problem zu sein, Hunde zu klonen. In Korea hat man bereits drei geklonte Afghanische Windhunde präsentiert. In Zukunft könnte man etwa besonders leistungsfähige Spürhunde klonen, nach denen im Zeitalter des Terrorismus ein großer Bedarf besteht, und die etwa die Suche nach Sprengstoffen und Waffen noch effektiver machen könnten.

Die genetischen Hintergründe der Eigenschaften der Hunde, wie Jagdtrieb und Aggression, werden bereits intensiv untersucht. Viel Energie wird in die Erforschung der Leistungsgene von Gebrauchs- und Sporthunden investiert werden.

In der Medizin wird man zum Beispiel auf die Auffindung wichtiger Gene der Hüftgelenksdysplasie nicht mehr lange warten müssen. Neue Methoden beschleunigen und verbilligen die Forschung immer mehr. Manche Eigenschaften der Hunde sind vielen Menschen nicht willkommen, so das Markieren, das Wälzen im Kot, das Graben und das übermäßige Bellen. Alles das passt nicht mehr zu den Bedingungen, unter denen wir heute leben (müssen). Es wird wohl früher oder später möglich sein, dass Hunde noch mehr unseren Wünschen und unserer Bequemlichkeit entsprechen. Doch ist es wirklich wünschenswert, den Hund künstlich noch weiter zu „domestizieren" und seiner ursprünglichen Natur zu entfremden?

Dagegen könnten so vielleicht auch Eigenschaften und Fähigkeiten von Hunden aus alter Zeit, die längst abgeschwächt oder verloren gegangen sind, etwa in der DNA von alten Stopfpräparaten gefunden und in moderne Hunde transplantiert werden, wie z.B. von Barry, dem berühmten Bernhardiner, der so viele Menschen gerettet hat, wozu seine modernen Nachfahren nicht mehr imstande sind. Die Zeit, wo man Solches und Ähnliches zu bewerkstelligen als unmöglich hätte bezeichnen können, ist nun vorbei.

WUFF HINTERGRUND

Fachbegriffe

• Allel: Genvariante

• Genom: Die gesamte DNA.
Die Gesamtheit der Erbanlagen eines Individuums, die aus den Chromosomen bestehen, auf denen als funktionelle Einheiten die Gene lokalisiert sind.

• Heterozygotie: Genorte mit zwei verschiedenen Allelen, auch Gesamtanteil derselben am Genom.

• Sequenzierung: „Dechiffrierung" des Gencodes bzw. des Genoms.

WUFF LITERATUR

Literatur

• M.T. Koskinen: Individual assignment using microsatellite DNA reveals unambiguous breed identification in the domestic dog, Anim. Genetics, 34, 1–5

• J.A. Leonard, SCIENCE, 22.11.02, VOL 298, 1613–1616

• H.G. Parker et al.: Genetic Structure of the Purebred Domestic Dog, SCIENCE, 21.5.04, VOL 304, 1160–1164

• H.G. Parker et al., SCIENCE, 21.5.04, VOL 304, 1160–1164

• P. Savolainen, SCIENCE, 22.11.02, VOL 298, 1610–1613

• D. Smith, T. Meier, E.Geffen, L.D. Mech, J.W. Burch, L.G. Adams,R.K. Wayne, Is incest common in gray wolf packs?, Behavioral Ecology, Vol.8, No 4, S. 384–391

• C.Vilà et al., SCIENCE, 13.6.97, VOL 276, 1687–1689

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