Mit Schlittenhunden – durch das Yukon Territory

Von Clemens Wass

Das Grün symbolisiert die Wälder, das Weiß den Schnee und das Blau die Seen und Flüsse. Die Flagge des Yukon Territory ist die Beschreibung einer einzigartigen Landschaft und zugleich einer Lebenseinstellung. Und als Zeichen für die Bedeutung der ­Schlittenhunde für dieses Land im hohen Norden trägt die Flagge einen Alaskan Malamute im Zentrum.

Ich wache auf, Neuschnee liegt auf meinem Schlafsack, in der Luft hängt noch der Geruch des Lagerfeuers, das die ganze Nacht hindurch gebrannt hat. Wir haben wieder einmal einen halben Baumstamm auf das Feuer gelegt. Ich schlüpfe aus dem Biwaksack, meine warmen Sachen habe ich angelassen. Noch ist es still im Lager, es ist leicht dämmrig. Die Huskys schlafen noch eingerollt ­zwischen den Bäumen am anderen Ende unseres Camps, schön aufgereiht im Stake-Out. Von ­unserer Schlittenhundeführerin Michelle ist noch nichts zu hören. Mein Vater hat es noch in unserem großen Zelt auf der Liege gemütlich, obwohl der ­gusseiserne Ofen im Inneren schon vor Stunden ausgegangen ist.

Schon als Kind habe ich davon geträumt, als Trapper in der ­Wildnis von Kanada zu leben, mit einem Schlittenhund und einem Wasch­bären, ganz so wie die Familie Robinson in der Wildnis. Jetzt, etliche Jahre ­später, habe ich es endlich geschafft in die einsame Landschaft des Yukon Territory zu reisen und dort einen Eindruck von der Weite, Ursprünglichkeit und Ruhe dieses Landes zu erleben. Die Suche nach einem kleinen Stück Abenteuer hat mich zu Michelle Phillips und ihrem Mann Ed Hopkins geführt. Die beiden leben mit fünfzig Schlittenhunden in Tagish, einem ­kleinen Ort, der etwa hundert Kilo­meter von Whitehorse entfernt liegt, der Hauptstadt des Yukon Territory. Ich wollte mich ursprünglich einer kleinen Gruppe anschließen, doch wie sich herausstellen sollte, waren zwei Gäste für Michelle genau die richtige Größe. Mein Vater war schnell überredet. Nach einer 24-stündigen Anreise sind wir im März 2012 in einem Winter- und Naturparadies am Ende der Welt angekommen. Zu dieser Jahreszeit ist es dort zwar auch nicht kälter als der „normale" Winter in unseren Breitengraden, aber der Unterschied liegt in den scheinbar endlosen, un­berührten Weiten von Kanada.

Tierischer Empfang in Tagish
Das Empfangskomitee in unserem Basislager ist im wahrsten Sinne des Wortes „zum Heulen". Eine Alarmanlage erübrigt sich, wenn man mit einem Rudel von Schlittenhunden zusammen wohnt. Nicht, dass außer Bären und Wölfen jemand ins Lager einbrechen würde. Der Lärm von den vierbeinigen Sirenen stört die weit entfernten Nachbarn ohnehin nicht, zumal diese selbst Hunde haben, die auch gelegentlich sehr selbständig zu Ed, Michelle und ihrem Sohn Keegan auf Besuch kommen. Wer glaubt, dass fünfzig Hunde für einen Haushalt genug wären, irrt sich. Neben den Huskys haben die Gastgeber auch noch zwei Golden Retriever, zwei ­Katzen und einen ­„pensionierten" Schlittenhund als Haustiere, die – wie der Name schon sagt – auch ins gemütliche Holzhaus der Familie ­dürfen. Und auf die Couch. Und ins Bett. Versteht sich.

Das Gästequartier besteht aus einer einfachen Blockhütte. Geheizt wird mit einem Holzofen. Das Wasser aus dem Bach steht in einem Kanister in der Ecke. Der Abwasch wird auf das Nötigste reduziert. Einen Kühlschrank braucht man nicht, eine Vertiefung im Fußboden reicht aus, um die Milch zu kühlen. Die Erdnussbutter steht neben dem Tee in einem kleinen Regal. Geschlafen wird in alten Decken auf noch älteren Matratzen unter der Dachschräge. Dringende ­Geschäfte erledigt man im „Outhouse", das zwanzig Meter entfernt im Wald steht. Gegenüber vom Tisch findet man den einzigen Luxus der Zivilisation: Einen alten Fernseher und ein paar alte DVDs, die für Unter­haltung sorgen, wenn es vor lauter Ruhe ­einmal zu ruhig wird. Der Strom dafür kommt aus dem Haupthaus, wobei die Verlegung der Kabel nur als kriminell-funktional bezeichnet werden kann. Ganz normale Verlängerungskabel und Verteilersteckdosen hängen mal in der Luft, mal liegen sie im Schnee und versorgen nebenbei auch noch die kleine Hütte, in der das Hunde­futter lagert. Dort steht zwischen dem Werkzeug auch die Stereoanlage, die für die Unterhaltung bei der täglichen morgendlichen Arbeit sorgt.

Füttern und Schaufeln
Bevor es mit dem Schlitten in die Wälder geht, müssen die Vierbeiner jeden Tag ordentlich versorgt werden. Während die einen das Futter verteilen, schaufeln die anderen. Denn schließlich funktioniert der Stoffwechsel bei diesen fünfzig Athleten ausgesprochen gut. Wer eine empfindliche Nase hat, sollte lieber eine organisierte Tour buchen, bei der dieser unangenehmere Teil von anderen übernommen wird. Behindert wird man bei der Arbeit nur von den Hunden selbst, die um die Aufmerksamkeit und Streichelein­heiten der Zweibeiner wetteifern. Etwas aufpassen sollte man jedoch, dass man von den Halbstarken nicht als Eigentum markiert wird. Duschen und Wäschewaschen ist nur sehr eingeschränkt möglich!

Tierische Athleten
Sechs eingespannte Schlittenhunde, die endlich starten wollen, sind kaum zu bändigen. Unglaublich, wie die ­Musher, so werden die Schlittenhundeführer genannt, bei den großen Rennen mit zwölf Hunden zurecht kommen. Die Wollknäuel mit ihren blauen Augen springen in die Luft und verheddern sich dabei manchmal. Die letzten Sekunden vor dem Start sind die spannendsten. Mit einem Ruck wird das Seil losgemacht, das zur Sicherheit an einem Baum befestigt ist, und die schwere Bügelbremse gelöst, die den Schlitten mit ihren ­groben Zacken hält. Ein Fuß steht auf dem Schlitten, der andere auf der Bremse.

Bloß nicht zu schnell werden und Abstand zum Vordermann ­halten. Gerade in der Früh wollen die ­ehrgeizigen Vierbeiner alles vor ihnen überholen. Nur einmal haben wir wirkliches Pech gehabt. Bostjan, ein slowenischer Tagesgast, der mit seinem Motorrad seit einigen Jahren um die Welt fährt, hat mit seinem Gespann unmittelbar nach dem Start in einer Linkskurve die maximal mögliche Schräglage erreicht. Schlittenhunde, die laufen wollen, sind normalerweise nicht sehr kollegial und laufen auch noch weiter, wenn der Musher unfreiwillig abgestiegen ist. Zum Glück haben die vorderen Schlitten das Team von Bostjan noch aufhalten können. Ansonsten hätte die Verfolgungsjagd sehr lange gedauert. Der harsche Schnee hat bei unserem Begleiter für einige Abschürfungen gesorgt, die Motorradfahrer sonst nur als „Road Rash" kennen. Aber wilde Stürze war er auch schon vom Motorradfahren mit Spikes auf den ­Eisstraßen von Alaska gewohnt. In Kanada trifft man eben die ­Abenteurer dieser Welt ganz automatisch.

Die übliche Aufregung beim Start geht immer schnell in ein meditatives Gleiten über. Von ­Weißkopfseeadlern beobachtet, sind wir oft über den gefrorenen Lake Tagish und seine ­Seitenarme gefahren. Dabei haben wir auch die Grenze in das südlich angrenzende British Columbia überquert. Der längste Ausflug hat sieben Stunden gedauert, bei Geschwindigkeiten zwischen zehn und fünfzehn Kilo­metern pro Stunde. Bis auf fünf Minuten Pause sind die ­Schlittenhunde ständig in Bewegung geblieben. Im Grunde haben auch nur wir die ­Pause gebraucht, und nicht die Hunde. Eine beeindruckende Leistung, jedes Mal wieder. Wirklich überrascht hat uns allerdings nicht die Ausdauer der ­Huskys, sondern die Kondition von Nick, dem Haushund. Der ­fünfjährige Golden Retriever ist vierstündige ­Touren problemlos mitgelaufen und hat sogar noch Zusatzkilometer gemacht, indem er zwischen den Schlitten Hütehund gespielt hat.

Große Konzentration ist angesagt, wenn es durch den Wald geht. Je enger die Kurven werden, desto schwieriger wird es. Bremsen hilft nur bedingt: Man stelle sich ein Zugseil vor, das im Slalom zwischen Bäumen durchführt, während vorne ein Leithund möglichst schnell weiterkommen will und hinten ein Musher bremst. Unglücklicherweise ist es geometrisch und physikalisch vollkommen logisch, dass der Schlitten frontal am nächsten Baumstamm landet. Wenn der Weg zudem noch seit einigen Jahren nicht befahren worden ist, machen Gesicht und Rippen auch zwangsläufig Bekanntschaft mit Ästen und ­Zweigen. Das Loch in der Jacke hat immerhin bewiesen, dass diese wirklich mit echten Daunen gefüttert ist!

Hot Dogs und Eisfischen
In den Pausen sind wir ­passenderweise mit Hot Dogs versorgt worden. Das Feuer dafür haben wir natürlich selbst machen dürfen. Ed hat uns in das Geheimnis eingeweiht, wie man mit kleinen Zweigen und einem Streichholz ein riesiges Feuer entflammen kann. Am Ende hat er dann aber auch ein Feuerzeug aus der Tasche geholt – man gönnt sich ja sonst nichts!

Kulinarisches Highlight ist allerdings der selbstgefangene Hecht beim Eisfischen gewesen. Etwas unsportlich haben wir mit einem zwei Meter langen motorbetriebenen Eisbohrer ein Loch durch die zwei Eisschichten eines kleinen Bergsees gebohrt. Der See hat übrigens keinen Namen, es gibt zu viele davon in dieser Gegend. Nach nur wenigen Minuten hat jeder von uns einen Fisch an der Angel gehabt, der dann gleich vor Ort zerlegt worden ist. Eigentlich sabbern Schlittenhunde ja nicht, aber hier ist ihnen das Wasser im Maul zusammengelaufen. Um in British Columbia fischen zu dürfen, benötigt man eine Lizenz, die man über das Internet kaufen kann. Das sollte man auch auf jeden Fall tun, denn die Kontrolleure, die mit Flugzeugen unterwegs sind, können die gesamte Ausrüstung beschlagnahmen, wenn widerrechtlich geangelt wird. Darunter fällt nicht nur die Angel selbst, sondern auch das Schnee­mobil oder das ganze Schlittenhunde­gespann samt Hunden, die bei der Durchführung des „Verbrechens" geholfen haben.

Vier Pfoten statt vier Zylinder
Zum Fischen sind wir mit dem Schneemobil gefahren, und auch zu unserem entlegenen Zeltplatz auf einer Insel in einem Seitenarm des Lake Tagish haben wir unsere Ausrüstung vorab motorisiert gebracht. Die schweren Zelte, der Ofen aus Gusseisen, der Bohrer, die Liegen und Schlafsäcke und das Futter für mehrere Tage waren einfach zu viel für unsere drei kleinen Schlitten. Nicht zu vergessen die vielen Flaschen Bier, die einfach dazugehören.

Das ideale Transportmittel des hohen Nordens bleibt aber dennoch der Hundeschlitten. Auf unserem Zeltplatz sind wir von Bekannten von Michelle besucht worden – Neil und MC sind auf die Schnelle die sechzig ­Kilometer mit ihrem lauten und stinkenden Zweitakter für eine Übernachtung zu uns gestoßen. Die beiden Hunde des Pärchens sind nebenbei hergelaufen oder sind in der angehängten Pulka – einem Transportschlitten – ­gesessen und haben sich ziehen lassen. Schlitten­hunde einmal anders!

Neil hat dann noch die Umgebung des Lagers erkundet, während wir bereits gemütlich in der spätwinterlichen warmen Sonne gelegen sind und eine Flasche Yukon Gold genossen haben. Nach zwei Stunden ist er wiedergekommen. Allerdings zu Fuß mit einer schweren Kiste mit den wertvollsten Überresten aus dem alten Schneemobil auf der Schulter. Einige Kilometer entfernt hatte das Fahrzeug den Geist aufgegeben. Mobiltelefone funktionieren in dieser Gegend natürlich nicht. Der unschöne kanadische Ansatz war, das Schneemobil abzuschreiben und einfach in der Wildnis stehen zu lassen. Naturschutz ist in manchen Bereichen dort leider noch nicht ganz angekommen. Zum Glück wurde das Fahrzeug letztlich doch noch abgeschleppt, sodass es den vereinzelt herumstehenden alten Wagenrädern aus Goldgräberzeiten nicht Gesellschaft leisten musste.

Goldrausch vergangener Tage
Die Gegend um Dawson und Whitehorse in Kanada sowie Skagway in Alaska war der Mittelpunkt des ­großen Klondike-Goldrausches Ende des 19. Jahrhunderts. Dreißig- bis vierzig­tausend Goldgräber haben sich aus dem Süden auf den Weg gemacht, aber nur viertausend haben tatsächlich auch Gold gefunden. Der Chilkoot Trail, den wir bei der verlassenen Bennett Eisenbahnstation bei einem Tagesaus­flug ebenfalls gekreuzt haben, war die wichtigste Verbindungsachse zwischen dem Meer und dem Inland.

Der Grenzübergang zwischen den USA und Kanada ist heutzutage zwar körperlich weniger anstrengend, dafür umso nervenaufreibender. Einen unfreundlicheren und lästigeren Grenzbeamten als dort findet man wohl nur selten. Dem schwer bewaffneten Bewacher des US-Heimatlandes sind wir Musher scheinbar verdächtig und unglaubwürdig vorgekommen – obwohl er unsere Gastgeberin alle zwei Wochen sieht und obwohl wir auf unserem Pick-Up sechzehn Hunde in ihren Boxen transportiert haben. Was wir bloß vorhätten? Ebenso gut hätte er einen Taucher fragen können, was er mit seiner Sauerstoffflasche machen wolle …

Als Ausgleich durften wir Skagway an der Küste von Alaska besichtigen. Eine kleine Stadt wie aus einem Wildwestroman. Im Sommer legen hier etliche Kreuzfahrtschiffe an und verwandeln die im Winter ausgestorbene Stadt in ein Disneyland des Nordens. Sehenswert ist die historische Lokomotive mit einer überdimensionierten Schnee­fräse, die es erlaubt hat, im Winter über den White Pass zu fahren.

Die großen Rennen
Der Goldrausch endete in dieser Gegend 1899, nachdem in Alaska im nördlicher gelegenen Nome ebenfalls Gold gefunden wurde. Nome ist auch das Ziel des jährlich stattfindenden Iditarod Hundeschlittenrennens, das neben dem Yukon Quest das ­längste und härteste Schlittenrennen der Welt ist. 1925 mussten aufgrund einer Diphtherieepidemie unter den Goldsuchern Medikamente von Anchorage aus geliefert werden. In einer Staffel transportierten zwanzig Musher und insgesamt mehr als einhundert ­Hunde das Serum in nur fünf Tagen über eine Entfernung von mehr als ein­tausend Kilometern. Für diese Strecke be­nötigte man damals normalerweise drei Wochen. Dem Leithund Balto, der das letzte Gespann nach Nome geführt hat, ist im Central Park in New York eine Statue gewidmet.

Unsere Gastgeberin Michelle ­Phillips ist auch dieses Jahr wieder beim ­Iditarod gestartet (das Ergebnis stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest). Im Februar hat sie bereits das Yukon Quest 300 gewonnen, während ihr Mann Ed Hopkins bei der vollen Eintausend-Meilen-Distanz den hervorragenden elften Platz belegen konnte.

Akklimatisierung in Vancouver
Wir wollten unsere Reise nach Kanada nicht allzu abrupt abbrechen, und so haben wir noch einen Zwischenstopp in Vancouver eingelegt, nachdem wir uns von den Schlittenhunden im Yukon Territory schweren Herzens verabschiedet hatten. Wir hatten jedoch befürchtet, dass man uns nach zehn Tagen Wildnis überhaupt nicht ins Hotel lässt. Oder dass man uns wieder hinauswirft, sobald wir unsere Rücksäcke geöffnet hätten. Unsere Kleidung hat noch nach Rauch und einem ganzen Rudel Schlittenhunde gestunken. Selbst nach mehrmaligem Waschen ist uns dieses Souvenir noch wochenlang erhalten geblieben. Wir haben jedoch die Gastfreundschaft der Kanadier eindeutig unterschätzt. Für Naturliebhaber hat man selbst im gepflegten Hotel der Millionenstadt Vancouver vollstes Verständnis und empfängt sie mit einem ehrlichen und überaus herzlichen Lächeln.

Zurück in der Großstadt erscheint dieser Ausflug in die Wildnis ­beinahe wie ein Traum. Ein Traum von einem Trapperleben und vielen, vielen Schlitten­hunden. Nur der Waschbär hat gefehlt.

HINTERGRUND

Reiseinfos

Pristine Wilderness Tours
Ed Hopkins & Michelle Phillipswww.yukonhuskies.com/www.tagishlakekennel.com

Flug mit Lufthansa nach ­Vancouver, von dort mit Fly Air North nach Whitehorse; die Anreise dauert insgesamt etwa 24 Stunden; es empfiehlt sich ein Zwischenstopp in Vancouver zur Stadtbesichtigung; beste Reisezeit März oder Anfang April.

Weitere Infos und Fotos gerne direkt vom Autor:

Clemens Wassclemens@wass.atwww.wass.at

Fotos: Clemens & Kangee

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