Merhaba – Auslandstierschutz: Mitleid allein ist zu wenig!

Von Sophie Strodtbeck

Multikulti find‘ ich gut! Ich mag Döner ebenso wie Paella, und Cous-Cous verschmähe ich genauso wenig wie Kässpätzle – ich bin ja als schwäbisch-belgischer, in Bayern lebender Mix auch selbst multikulti. Aber was mir auffällt ist, dass nicht nur die Speisekarte, sondern auch die Hundegesellschaft zunehmend multikulturell wird. Wir hier teilen unser Zuhause ja auch mit einem Dönertier, was oft für alle Beteiligten nicht ganz einfach ist …
Aber was der Auslands"tierschutz" inzwischen teilweise für Blüten treibt, treibt mir manchmal die Tränen in die Augen.

Kürzlich wurde ich zu meiner Nachbarin geholt, ich ­solle mir den neuen Hund aus ­Spanien mal anschauen. Neuer Hund? Den habe ich ja noch nie gesehen! Seit vier Wochen hier? Darf noch nicht ­spazieren gehen? Muss noch ge­päppelt werden? Mal schauen. Es hieß, wie gesagt, dass der Hund zwar seit vier Wochen hier lebt und genau so lange gepäppelt wird, aber trotzdem würde er immer schwächer ­werden. Ob die Hundevermittlerin wohl Recht hätte, dass das normal sei bei Hunden aus dem Ausland?

Der Anblick, der sich mir bot, war schockierend! Solch einen ­apathischen, kranken Hund hatte ich bisher nicht mal auf der Straße im Süden gesehen, wo ich mich seinerzeit, als ich noch hochmotiviert, aber ziemlich ahnungslos war, bei einem Kastrationsprogramm engagierte. Und da habe ich viel gesehen. Dieser arme Kerl war offenbar mehr tot als ­lebendig. Abgemagert bis auf die Knochen, alle Lymphknoten faustgroß angeschwollen, fast kein Fell mehr, dafür schuppige Haut übersät mit blutigen Krusten. Ein Ohr war ihm offenbar abgebissen worden, alles war entzündet. Stehen konnte er nicht mehr, er kippte einfach um. Das Schlimmste aber war die Apathie – es war kein Funken Lebendigkeit mehr in diesem Hund. Die Panik, die er hatte, konnte man nur an seinem Blick erkennen.

Tierschutz als Ego-Trip
Schon auf den ersten Blick
 war klar, dass er mindestens an Leishmaniose erkrankt war. Und trotzdem hatte er im Gepäck einen ordnungsgemäß ausgefüllten Impfpass und ein ­aktuelles Gesundheitszeugnis. Papier ist geduldig. Dazu die Aussage der „Tierschützerin", dass das ganz normal sei, weil der Hund sich ja erst mal akklimatisieren müsse. Die sofort eingeleitete Blutuntersuchung auf die sogenannten Südkrankheiten bestätigte die Leishmaniose, dazu kamen Babesiose und Ehrlichiose. Innerhalb der nächsten zwei Tage ging es dem Hund zusehends schlechter, ein akutes Nierenversagen trat ein. Den einzigen Gefallen, den man dem Hund noch hätte tun können, wäre der Hundehimmel gewesen. Aber nicht einmal das wurde ihm gegönnt, denn die Tierschützerin kam unter wüsten Beschimpfungen angefahren, als sie mitbekam, dass der Hund eingeschläfert werden sollte, und packte ihn ein, um ihn in die nächste Tierklinik zu bringen. Denn sie hatte ihn ja schließlich „gerettet" … Der Hund ist nach 5 Tagen in der Klinik elendig an einem akuten Nierenversagen eingegangen. Leider drängt sich mir hier der Gedanke auf, dass es nur um das menschliche Ego geht und nicht um die Tiere. Wie leider so oft …

Im Sinne des Hundes?
Wer hat diesen Hund gefragt, ob er zwangsadoptiert werden will, um hier ein Leben mit Migrationshintergrund zu führen? Wie viele Tausende andere Hunde auch, die von der Straße weggefangen werden, um dann bei uns in einem Ein-Zimmer-Appartement in der Großstadt zu leben, in einem für sie völlig fremden Lebensraum, häufig gefangen in einem Leben im Dauerstress. Entgegen vieler anderslautender Vermittlungstexte sind das nämlich keineswegs Hunde, die „nur lieb und dankbar" sind, sondern sie sind oft zutiefst traumatisiert und werden es durch die „Rettung" nicht selten noch mehr. Wer klärt die zukünftigen Halter darüber auf, dass es oft zur Lebensaufgabe wird, einen solchen Hund hier zu integrieren? Ich weiß, wovon ich rede!

Die Krankheit, die den kleinen Bretonen das Leben gekostet hat, ist übrigens vermutlich nur durch den Stress des Transportes auf einem LKW von Südspanien nach Bayern ausgebrochen. Auch das ist keine Seltenheit. Aber Stopp! Bevor jetzt alle laut aufschreien, weil ich als vermeintliche Luxusköterhalterin leicht reden habe – auch meine Vier stammen aus dem Tierschutz, eine ja auch aus dem Ausland. Und gleich noch mal ein Stopp! hinterher: natürlich kenne auch ich „Auslandshunde", die hier ein zufriedenes Leben führen und die Annehmlichkeiten durchaus zu schätzen wissen. Aber ich kenne eben auch viele – viel zu viele! –, bei denen das sicher nicht der Fall ist. Und viele Trainer, mit denen ich über die Problematik gesprochen habe, sind der Ansicht, dass die Zahl der Hunde, die sich hier (für Mensch und Hund) unkompliziert integrieren lassen, bei ca. 20 % liegt.

Mitleid allein ist zu wenig
Und ich stelle mir immer wieder die Frage nach dem Sinn des ausufernden Hundetourismus‘. Wo sind denn bei vielen Tierschützern das Wissen und die Kompetenz, die helfen, die Situation vor Ort zu verändern und zu verbessern? Das sucht man leider oft vergeblich. Mitleid ist, wie eigentlich fast immer, der falsche Ratgeber.

Wenn man politische Arbeit vor Ort macht, dauert es sicher länger, bis sich Erfolge einstellen, dafür sind diese dann auch nachhaltig. Und Mann oder Frau kann sich nicht gleich abends für einen Gutmenschen halten, weil man wieder ein Flugzeug voller Hunde ausgeflogen hat. Böse gesprochen, aber leider oft wahr.

Dass diese Hunde dann hier zum Teil bereits mit 3 Monaten kastriert werden – unter dem Deckmantel des Tierschutzes – ist nochmal so erschreckend. Hunde, denen durch die Wegnahme ihrer Sexualhormone noch das letzte bisschen Selbstbewusstsein genommen wird, ebenso wie die Möglichkeit, die Pubertät zu durchleben und wenigstens erwachsen zu werden. Das sind aber dieselben „Tierschützer", die jedes Mal, wenn ich mit einer Freundin und ihrem Hund Chili unterwegs bin, der ohne Rute aus Spanien kam, vorwurfsvoll und laut hörbar zu ihrem eigenen Hund sagen, „Der arme Hund, wie kann man mit einem kupierten Hund unterwegs sein, der kann ja gar nicht mehr kommunizieren – so eine Tierquälerei!" Dass der Hund ohne Schwanz bestimmt weniger Einschränkungen hat als durch eine Kastration vor der Pubertät, und dass das Amputationsgesetz beide Körperteile gleichermaßen betrifft, interessiert niemanden. Und dass die gängigen Kastrationsprogramme nicht das bringen, was sie versprechen, beweist eine Studie der Universität Berlin (siehe „Kastrationsprogramme").

Krankheiten?
Nun zurück zum Leishmaniosehund der Nachbarin: Es ärgert mich immer wieder maßlos, dass die ­Leishmaniose vielerorts und „vieler- tierschutz­orgaseitig" oft als „Zipperlein" abgetan wird, das nicht wesentlich gefährlicher sei als ein Schnupfen. Die ­Leishmaniose ist in Wirklichkeit eine unheilbare Krankheit, und die Vektoren (Überträger), in diesem Fall Sandmücken, die die Einzeller übertragen, sind auf dem Weg, in hiesigen Gefilden endemisch, also heimisch zu werden! Es gibt inzwischen nachweisbar ­Leishmaniose- positive Hunde, die nie in ihrem Leben im Ausland waren. Diese Fälle sind u.a. in Landsberg und Augsburg aufgetreten. Es geht also nicht nur um den Schutz der Auslandshunde, sondern auch der ­heimischen Hundepopulation! Sollen jetzt alle Hunde hier im Ort durchgehend mit der chemischen Keule behandelt werden, nur weil Leishmaniose-positive Hunde ohne Aufklärung der zukünftigen Besitzer, leider sogar oft ohne Test, hierher gebracht werden? Woher sollen diese Menschen wissen, dass sie wenigstens ihren positiven Hund in den warmen Sommermonaten durchgehend mit einem Schutz gegen Mücken behandeln müssen, wenn es ihnen keiner sagt, weil ja die Leishmaniose angeblich nicht gefährlich ist? Außerdem ist das Ganze ja auch wieder mit immensen Kosten verbunden, wenn man die Behandlung auf ein Hundeleben hochrechnet. Aber es sollte eigentlich trotzdem selbstverständlich sein. Ich würde Amok laufen, wenn sich ­meine Hunde anstecken, ohne jemals im Ausland gewesen zu sein! Berechtigter­weise, wie ich finde.

Leishmaniose auf den Menschen übertragbar
Außerdem ist die Leishmaniose eine Zoonose, also eine vom Tier auf den Menschen übertragbare Krankheit. Auch das wird oft verschwiegen. Fehlen die übertragenden Sand­mücken, ist das Zoonosepotential zwar klein, allerdings besteht auch dann ein geringes Ansteckungs­risiko über Hautwunden. So gering die Gefahr der Direktübertragung von Hunden auf Menschen sein mag, 100%ig ausschließen kann man sie nicht. Gefährdet sind vor allem Kleinkinder unter zwei Jahren und immun­supprimierte Personen, wie HIV-infizierte Menschen und Patienten unter ­Chemo- oder Kortisontherapie. Es ist deshalb bei diesen Personengruppen auf peinliche Hygiene zu achten, und diese sind von infizierten Hunden fernzu­halten. Aber wen interessiert das schon, einfacher ist es ja, die ­Leishmaniose-Problematik zu verharmlosen.

Aber auch hier wieder ein Stopp! von mir. Natürlich stehen die Hundehalter, die ihre Hunde mit in den Urlaub in den Süden nehmen, genauso in der Pflicht, denn auch diese Hunde tragen ohne Prophylaxemaßnahmen dazu bei, dass sich die Leishmaniose hier ausbreitet.

Tollwut eingeschleppt
Eine weitere tragische und thematisch passende Schlagzeile erreichte uns erst vor kurzem aus den Niederlanden, wo bekannt wurde, dass ein Tollwut-infizierter Hund aus ­Marokko im­portiert wurde. Das hatte in dem Fall zum Glück „nur" zur Folge, dass jetzt zwei Katzen und ein Hund, die Kontakt zu dem Tier hatten, für 6 Monate in einer Quarantäne­station isoliert werden. Was eine solche ­soziale Isolation für diese Tiere bedeutet, kann man sich vorstellen – mag man aber nicht … Ebenso wenig, was für Folgen so etwas in Zeiten, in denen das Nicht-Impfen „in" ist, haben kann. Dass auch die Tollwut eine ­tödlich ver­laufende Zoonose ist, sollte in­zwischen eigentlich jedem bekannt sein. Dass ein Amtstierarzt in so einem Fall die Keulung (also die Tötung) von un­geimpften Tieren anordnen kann, ist wahrscheinlich weniger bekannt, denn sonst würden die Menschen ­hoffentlich etwas verantwortungs­voller mit den Impfungen ihrer Haustiere um­gehen. Aber das ist ein ­anderes Thema, das an dieser Stelle wirklich zu weit führen würde. Servus, Adiós, Ciao und Pfiat Euch!

Post Scriptum
Ich weiß, dass die von mir vertretene Meinung sicherlich nicht die populärste ist. Ich weiß auch, dass es „DEN Auslandshund" nicht gibt, weil nicht jeder Hund aus dem Süden ein Straßenhund war, sondern es natürlich auch dort Hunde gibt, die in Familien groß und irgendwann überflüssig wurden. Und ich weiß, dass in diesem Artikel vieles sehr pauschal beschrieben ist. Aber meine Meinung – die ich mir aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen gebildet habe – hier differenzierter darzustellen, würde ein ganzes Buch füllen. Man möge mir verzeihen. Darum habe ich mich auf einzelne Aspekte beschränkt, auf die ich immer wieder stoße, und die mir am Herzen liegen. Ich treffe solche gestressten und kranken Hunde nicht nur regelmäßig in meinen eigenen vier Wänden, sondern auch in unserer Beratungspraxis oder in Hundeschulen, die oft sehr verzweifelten Besitzer im Schlepptau. Mit dieser Form des Tierschutzes ist weder Mensch noch Tier geholfen. Darum sollen meine Gedanken dazu anregen, über andere Lösungswege nachzudenken, um die Situation für alle sinnvoller zu gestalten.

HINTERGRUND

Kastrationsprogramme?
Kastrationsprogramme von Streunerpopulationen bringen nicht das, was man sich bisher von ihnen erwartet hat. Dies beweist eine Studie aus Berlin. Besser als Kastrationen sind daher Sterilisationen von ranghohen Rüden, die in der Population belassen werden.

Die Frage, ob die Kastration von Streunerhunden vor Ort, die sicherlich gut gemeint ist, auch zum Ziel führt, wird kaum gestellt. Doch gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Es gibt eine Doktorarbeit, die die nachhaltigen Auswirkungen solcher Aktionen in Frage stellt. Die Studie ging zwar über Samtpfoten in Berlin, beschäftigte sich aber mit den Auswirkungen von Kastrationen auf die Population (B. Kalz, Populationsbiologie, Raumnutzung und Verhalten verwilderter Hauskatzen und der Effekt von Maßnahmen zur Reproduktionskontrolle, Diss. Univ. Berlin, 2001). In dieser Arbeit wurde nachgewiesen, dass einerseits die Kastration von Katern keinen Effekt auf die Population hat, und dass auf der anderen Seite, selbst wenn 2/3 aller Kätzinnen kastriert sind, die Population dennoch stabil bleibt bzw. weiter ansteigt. Und selbst wenn man alle kastriert (was in den entsprechenden Ländern nie möglich sein wird!), kommen andere nach.

Die Kastration ist also nur zur Verhinderung der Fortpflanzung einzelner, individueller Tiere geeignet. Zur Verhinderung einer Überpopulation ist sie nicht geeignet, wenn diese Population in einem vorgegebenen Lebensraum günstige Bedingungen findet. Auf der anderen Seite gibt es fast keine Chance eine Art zu erhalten, wenn diese in der Region keine für sie wichtigen Lebensbedingungen wie Klima, Nahrung, Territorium etc findet. Auch von Füchsen weiß man, dass in Jahren, in denen viele geschossen und die Population dadurch eingedämmt wird,
in den Jahren darauf die Würfe größer sind und junge Fähen früher Nachwuchs bekommen, um die Lücken wieder aufzufüllen.

Nachhaltiger als Kastration: ­Ranghohe Rüden sterilisieren
Deutlich mehr Sinn macht es, die (ranghohen) Rüden zu sterilisieren, also lediglich den Samenleiter zu durchtrennen, denn dadurch bleiben sie hormonell intakt und werden einen Teufel tun, den Schwerenöter aus dem Nachbarort an „ihre Mädels" zu lassen. Aber das spricht sich in diesen Kreisen nicht rum, es drängt sich das Gefühl auf, dass man gar nicht bemüht ist, andere, neue Wege zu gehen und sich einzugestehen, dass der bisher beschrittene Pfad eine Sackgasse ist.

Auch mich lässt natürlich das Schicksal der Hunde aus diesen Ländern nicht kalt, aber genauso wenig das Schicksal, das manche dieser „geretteten Einwanderer" dann hier erwartet, nur weil auf hündische Bedürfnisse keine Rücksicht genommen wird. Und das alles nur,
weil man sich nicht eingestehen mag, auf dem falschen Weg zu sein? Warum nimmt sich der „Auslandstierschutz" nicht ein Beispiel an erfolgreich praktizierten internationalen Naturschutzprojekten, die gezeigt haben, dass es nur gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort funktionieren kann? Ganz ohne Arroganz und Überheblichkeit gegen die Menschen in diesen Ländern, sondern durch die Unterstützung von Menschen und Tieren vor Ort. Blinder Aktionismus ist nicht hilfreich! Oder, um es mit einem afrikanischen Sprichwort zu sagen: Es ist besser, mit drei Sprüngen zum Ziel zu kommen, als sich mit einem das Bein zu brechen.

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