Mein Hund ist eine Mimose

Von Sabina Pilguj

Mimose bzw. mimosenhaft ist ein Synonym und wird verwendet, wenn jemand sehr empfindlich und übersensibel ist. Bei uns Zweibeinern ist es bekannt, dass es hoch­sensible Mitmenschen gibt. Bei Hunden ist es nicht anders, jedoch werden diese oft verkannt oder das Verhalten mit einem „Stell dich nicht so an“ abgetan. Sabina Pilguj hat sich mit dem Thema „Mimosenhunde“ intensiv beschäftigt.

„Stell dich nicht so an, Du bist ja empfindlich wie eine Mimose“! … Wenn der Hund sich in eine „Mimose“ verwandelt, hat es der Halter nicht immer einfach. Ein leichter Regenschauer wird zum Feind erklärt. Der Galgorüde Diego verweigert beispielsweise bei Regen den Gang in den Garten und das, obwohl er nach ­einer langen Nacht am Morgen eigentlich dringend Pipi machen müsste. Ähnlich geht es meinem Podenco Amigo. Er liebt es über alles, im Rasen zu liegen und sich in der Sonne zu wälzen. Aber wehe, wenn am frühen Morgen oder am Abend der Rasen feucht ist. Er verabscheut jegliche Form von „Tautreten“. Es scheint dann so, als würde er über ­glühende Kohlen laufen, seine Pfoten sollen möglichst wenig Bodenkontakt haben. Sind Diego und Amigo etwa Mimosen? Na ja, etwas sehr empfindlich sind die Zwei schon.

Lieber leise Töne
Ängstliche oder geräuschsensible Hunde mögen keinen lauten Krach. Da werden der Staubsauger oder ein Gewitter schon mal zu bedrohlichen Angstmonstern. Es gibt Hunde, die von Geburt an empfindlich auf Alltagsgeräusche reagieren. So wie es auch bei uns Menschen ist, einige Menschen mögen keine Silvesterböller oder Motorradgeräusche, und andere reagieren hochempfindlich auf das quietschende Geräusch das entsteht, wenn man mit dem Fingernagel über Styropor streicht oder der Donner laut grollt. Es gibt Hundetypen, die auf bestimmte Geräusche sehr hypersensibel reagieren. Die Bandbreite der als unangenehm empfundenen Geräusche ist sehr groß. Aber einige Hunde scheinen das „Mimosen-Gen“ in die Wiege gelegt bekommen zu haben. „In einer Untersuchung zeigten jeweils ein Drittel der Border Collies und Australian Shepherds eine auffällige Geräuschempfindlichkeit – dies entspricht den Werten, die auch für Mischlinge und Hunde anderer Rassen zutreffen. Am häufigsten treten Geräuschphobien bei Schüssen und Feuerwerk auf; die Genetik spielt eine Rolle, vor allem aber auch eine schlechte Sozialisation im Welpenalter“, so die Tierärztin Dr. Silke Meermann, die eine Studie zum Verhalten von Border Collies und Australian Shepherds durchgeführt hat.

Wenn alles ein wenig sensibler scheint
Die leicht übergewichtige Mopsdame Ciara scheint optisch betrachtet ein Vielfraß zu sein. Dabei ist sie gar kein verfressener Mops, sondern ein wählerischer Gourmet. Die Hündin ist sehr anspruchsvoll und überempfindlich in ihrer Futterwahl. Sie hat ganz ­spezielle Vorlieben und diese variieren sogar manchmal wöchentlich. Einige Hunde sind sehr geruchsempfindlich. Sie meiden intensive Gerüche, und einige verabscheuen den Chemikaliengeruch der Silvesterböller. Wer sich als Hundehalter/Hundehalterin einmal Gedanken zur empfindlichen Hundenase macht, die ja in der Wahrnehmung sehr viel feiner ist als bei uns Menschen, wird im Alltag mit seinem Hund mehr Rücksicht nehmen und vielleicht beispielsweise das Duftbäumchen im Auto vorsorglich entfernen.

Dann gibt es Hunde, die in ihrem Fühlen, d.h. in ihrer körperlichen Empfindung sehr sensibel sind. Sie mögen nicht einfach so und vor allen Dingen von Fremden angefasst werden. Einige empfindungssensible ­Vierbeiner, teilweise mit wenig Fell am Bauch, mögen es nicht, sich auf dem Pflaster oder Steinboden im Straßencafé oder auf der Terrasse hinzulegen. Sie bleiben lieber sitzen oder bestehen auf ihre Kuscheldecke, um es sich gemütlich zu machen. Darum haben einige Hunde­halter immer eine Decke für ihren vierbeinigen Freund dabei. Hundekleidung kann für die feinfühligen Hunde auch schon mal richtig zur Tortur werden. Die Tiere fühlen sich unwohl, eingeengt und empfinden die Kleidung als kratzigen Fremdkörper. Übrigens gibt es auch Menschen, die zum Beispiel keine engen Rollkragenpullis am Hals ertragen können. Besonders unangenehm können die Hundemäntel mit Fleecefutter sein. Durch die statische Aufladung empfinden die Hunde es oftmals als sehr unangenehm, wenn sie diese als ein Knistern spüren. Einige Hunde mögen nicht am Geschirr laufen, weil es am Bauch, im Rippenbereich oder an den Ellenbogen leicht scheuert. Es gibt Hunde, die mit ihren feinfühligen Pfoten nicht über bestimmte Bodenbeläge oder Wege mit vielen kleinen, spitzen Steinen oder Split laufen mögen. Schneeklumpen am Ballen werden im Winter als extrem unangenehm empfunden, während einige Hunde diese scheinbar gar nicht wahrnehmen.

Hochsensible Menschen und Hunde
Oftmals ist der Zweibeiner geneigt, Aussagen zu tätigen, wie zum Beispiel „Stell dich nicht so an“, „Mann, bist Du empfindlich“, „Du bist so komisch anders“ oder „Du Mimose“ . Dies wird manchmal einfach so dahergesagt, übrigens nicht nur über unsere vierbeinigen Begleiter, sondern auch zu anderen Menschen, egal, ob Kind oder Erwachsener. Meistens verbindet man mit dem Begriff „Mimose“ ein negatives Bild. Da ist eben jemand anders, anders als das Raster, welches in der heutigen Gesellschaft als Norm deklariert wird. Doch was ist schon normal?! Es gibt eine Spezies Mensch und Tier, die eben noch etwas mehr sensibler ist, nämlich hochsensibel. Hochsensibilität ist ein Phänomen, bei dem Betroffene stärker als der Durchschnitt Reize der Umwelt wahrnehmen. Ihr Wahrnehmungsspektrum ist wesentlich größer und die Reaktion auf diese ist viel intensiver.

Der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow ist in der Hundeszene bekannt. Er entdeckte das Prinzip der klassischen Konditionierung. Ein wichtiger Aspekt in der Hundeerziehung und im Hundetraining. Für seine Versuche zum bedingten Reflex (Pawlow’scher Hund) erhielt er den Nobelpreis. Er ­stellte aber auch Versuche zur menschlichen Empfindsamkeit und deren Belastbarkeit an. Sensiblere Menschen und Tiere reagieren in bestimmten Situationen durch ihre Feinnervigkeit eben anders. Neben den sensibleren Menschen gibt es aber noch eine weitere feine Abstufung: Die Hochsensiblen.

Hundeverhalten einmal anders betrachtet – hochsensible Hunde
Es gibt aktuell meines Wissens nach noch keine Studie zu hochsensiblen Hunden, aber ich möchte aufgrund meiner eigenen Hochsensibilität und Begegnung mit anderen Hochsensiblen in meinem Beruf behaupten, dass es sie gibt. Mein Podenco Ibicenco Amigo ist nämlich so ein Exemplar. Podencos haben ja sowieso schon eine ­intensivere Wahrnehmung mit all ihren Sinnen als andere Hunde. Aber Amigo zeigt manchmal Verhaltensweisen, die ich von hochsensiblen Kindern kenne. Er ist per se kein hibbeliger, ­hyperaktiver oder ängstlicher Hund, aber einige ­Reaktionen auf bestimmte Reize sind anders und er reagiert auch sehr viel sensibler auf bestimmte Alltagsdinge. Meiner Meinung nach haben Podencos, ebenso wie zum Beispiel die Hunde­rassen Border Collie oder Australian Shepherd, eine sehr sensitive visuelle Wahrnehmung. Sie haben eben immer alles im Blick. Das mag in ihrem Job ein großer Vorteil sein, aber oftmals nicht im Alltag. Manchmal werden diese Hunde als „hyperaktive Hunde“ bezeichnet. Sicherlich scheint es auf den ersten Blick auch so. Es gibt auch Kinder, die wie hyperaktiv wirken oder in die ADS-Schublade gesteckt werden, aber durch ihr manchmal unverständliches, unerklärbares Verhalten, eben noch laut und wild und dann auf einmal so leicht verletzlich zu sein, aber zu den hochsensiblen Kindern gehören. Die Eltern dieser Kinder haben es nicht immer einfach, und es bedarf sehr viel Einfühlung, Verständnis und Geduld. Und eines haben hochsensible Kinder und Hunde gemeinsam: auf eine grobe, autoritäre wenig einfühlsame Erziehung reagieren sie mit Verweigerung.

Mein Amigo fühlt sich bei vielen Eindrücken in der Stadt sehr leicht überreizt, und der feinnervige Hund kommt dann schlecht zur Ruhe. Er liebt es auch im Garten in der Sonne zu dösen, aber zum Schlafen geht er lieber ins Haus. Es gibt noch viele weitere Beispiele, in denen Amigo von seinem Verhalten oder Charakter her zeigt, dass er definitiv zur Gruppe der hochsensiblen Hunde gehört. Seine Geschichte, mit all seinen Eigenarten und besonderen Ansprüchen und Verhaltensweisen habe ich in dem Buch für Kinder (und Erwachsene) „Ich bin wie ich bin – genial und total normal“ aufgeschrieben, mit der Idee, sensible Kinder in ihrer besonderen Wahrnehmung zu stärken. Hundefreunde erfahren, wie ein hochsensibler Hund den Alltag empfindet und welche Unterstützung er braucht. Da Hochsensibilität eine genetische Disposition ist, kann man diese nicht desensibilisieren oder weg erziehen, aber man kann versuchen, eine gute Balance im Alltag zu finden. Hochsensible Lebewesen nehmen mehr Reize auf, die manchmal wie ungefiltert auf sie einströmen und das Zentrale Nervensystem regelrecht überfluten. Darum ist es wichtig, dass die hochsensiblen Hunde in ihrem Alltag immer Rückzugsmöglichkeiten haben, um zur Ruhe und Entspannung zu finden.

Und sicherlich sind die laufenden Studien zu dem Thema „Hochsensible Menschen“ erst der Anfang. Ich bin mir sicher, dass sich der Fokus auch auf die Hunde richten wird. Hochsensible Hunde sind nicht verhaltensauffällig, sondern einfach nur sensibler in ihrer Wahrnehmung, so wie es auch bei uns Menschen ist, und hochsensible Menschen sind wie bunte Farbtupfer in einer leistungs- und zielorientierten Welt.

Hintergrund

Die Mimose
Mimose bzw. mimosenhaft ist ein Synonym und wird verwendet, wenn jemand sehr empfindlich und übersensibel ist. Leider ist der Begriff negativ konnotiert und wird meistens mit „Weichei“ in Verbindung gebracht. Dabei ist die Mimose ein zartes Pflänzchen, welches mit ihren filigranen Blättern schnell auf Umweltreize reagiert. Pustet man die Pflanze an, dann ziehen sich die Blätter sofort zusammen und die Mimose schaut ganz traurig aus. Ähnlich intensiv reagieren sehr sensible Menschen auf eine Reizüberflutung. Aber nicht nur Menschen, sondern auch Hunde können sehr empfindlich und sensibel sein. Dies kann sich auf alle Sinneserfahrungen auswirken: das Hören, das Riechen, das Schmecken, das Sehen und das Fühlen.

Hintergrund

Hochsensibilität
Über sensible Menschen wurde schon 1935 berichtet, und 1997 prägte die amerikanische Psychologin Elaine Aron den Begriff „Highly Sensitive Person“ (kurz HSP). Inzwischen gibt es einige Studien zu dem Thema der besonderen Wahrnehmung. Hochsensibilität ist keine pathologische Erscheinung, also keine Krankheit. Es ist nach der Temperamentenlehre ein normaler Wesenszug. Die besondere Feinfühligkeit ist angeboren.

Buchtipp

Ich bin wie ich bin – genial und total normal

Geschichten aus einem hochsensiblen Hundeleben. Mit wertvollen Botschaften zum Selber-lesen oder Sich-vorlesen-lassen – für Kinder ab 4 Jahren und Erwachsene. Amigo ist anders als andere Hunde, denn er hat eine besonders feine Wahrnehmung. Er ist hochsensibel und fühlt sich dadurch manchmal fremd und unverstanden. Mit kurzen Geschichten und Beispielen aus seinem Leben macht Amigo Kindern Mut, ihren besonderen Wesenszug und die Gabe der Hochsensibilität wertzuschätzen und sich total normal zu fühlen. Die Botschaften sprechen die Kinder direkt an, fördern die soziale Integration, regen zum Nachdenken an und machen Mut, sich gut zu fühlen. Tipps und einfache Übungen unterstützen dabei, den Alltag stressfreier und entspannter zu meistern.

Sabina Pilguj
Verlag Via Naturale
ISBN: 978-3-9817978-1-7
EUR 14,16

Pdf zu diesem Artikel: sensible_hunde

 

Das könnte Sie auch interessieren: