Meier hat Rücken … – Bandscheibenvorfälle bei Hunden

Von Sophie Strodtbeck

Herr Meier, der den meisten WUFF-Lesern wohl inzwischen bestens bekannte Beaglerüde, ist eben auch nur ein Hund und hat als solcher auch Bandscheiben. Seit der Operation eine weniger …

Meier ist als Beagle bereit, seine Bandscheibe für ein Leckerchen zu verkaufen. So geschehen Ende Februar, als meine Nichten zu Besuch waren und – von mir unbemerkt – versuchten, aus Meier einen Zirkushund zu machen. Jedenfalls lief Meier an diesem Nachmittag fast ausschließlich auf den Hinterbeinen und am nächsten Tag fast gar nicht mehr. Natürlich habe ich davon nichts mitbekommen, sonst hätte ich die Zirkuslektion untersagt! Ich wunderte mich aber erst am nächsten Tag darüber, dass er sich sehr ruhig verhielt, nicht aufstehen wollte und – das Schlimmste! – die Rute hängen ließ. Ich vermutete zunächst eine Wasserrute, und tatsächlich verbesserte sich die Symptomatik in den nächsten Tagen. Aber die Rute blieb dort, wo sie bei einem Beagle definitiv nicht hingehört: unten. Ein Bild des Elends … Aber ­Meier ist ein harter Knochen und zeigt keine Schmerzen, auch das ist typisch für einen Beagle. Trotzdem begab ich mich natürlich auf Ur­sachensuche, und unser Weg führte uns von einer Tierärztin zu einer Chiropraktikerin zu einer Osteopathin zu einer Naturheilkundlerin zu einer Physiotherapeutin zu einem Tierarzt … Keiner konnte feststellen, was die Ursache der hängenden Rute war, auch auf den Röntgenbildern war nichts zu erkennen. ­Auffällig war, dass die Gabe sogenannter nicht-steroidaler, also Cortison-freier ­Entzündungshemmer ­keinerlei ­Verbesserung brachte. Auch die Gabe von Cortison half nicht, ­Meier ­wurde unter der Therapie inkontinent, ­hatte aber immer noch eine hängende Rute. Dazu kam in­zwischen, dass die abendlichen Spielrituale mit Piccolo ausblieben, dass er sich in Ruhe sofort hinlegte, mich nicht mehr ständig durchs ganze Haus verfolgte und auch sonst inaktiver wurde, die Muskulatur an der Hinterhand sich zurückbildete, er den Rücken aufzog und er erst nach mehrfacher Aufforderung ins Auto sprang. Spannend war aber, dass ­Meier der Meinung ist „Status verpflichtet", denn beim Aufeinandertreffen mit Artgenossen konnte er trotzdem noch die Zähne und die Pobacken zusammenkneifen und die Rute stand immerhin bei Begegnungen für ein paar Sekunden bis Minuten. Aber ansonsten war die weiße Beagleflagge gar nicht mehr gehisst. Es musste etwas geschehen! Also blieb nach fast 8 Wochen konservativer Behandlung nur noch eins: Meier musste ins CT.

Ich habe das Glück, mit Dr. Kai ­Rentmeister einen sehr kompetenten Neurologen „um die Ecke" zu haben und machte einen Termin aus. Sehr schön, wenn man telefonisch auf die Dringlichkeit pocht, weil der Hund kaum mehr läuft, und man dann in der Praxis bei der Begrüßung des Arztes einen Ruck an der Leine spürt, weil Meier meint, eigenständig auf den Tisch springen zu müssen, weil er weiß, dass er auf dem Behandlungstisch das bekommt, was für ihn essentiell ist: Aufmerksamkeit! Während der Kollege also fragte, ob das der Hund ist, der kaum mehr laufen kann, und ich etwas von „aber springen kann er noch" stammelte, thronte Meier auf dem Tisch und sein Gesichtsausdruck sagte „könnt ihr Euch jetzt endlich mal um mich kümmern?".

Eine Vollnarkose später lag das Er­gebnis vor: Ein Bandscheibenvorfall zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein. Eine ausge­sprochen seltene Lokalisation für einen Bandscheibenvorfall beim Hund – nicht einmal Bandscheibenvorfälle kann Meier normal …

Was sind Bandscheiben?
Die Wirbelsäule eines Hundes besteht aus Hals-, Brust-, Lenden- und Schwanzwirbeln. Wichtig ist eine Pufferung zwischen den einzelnen Wirbeln, um ein Verschleißen zu verhindern und die Wirbelsäule flexibel zu halten. Das ist die Funktion der Bandscheiben (­Disci ­intervertebrales). Wie kleine runde Gelkissen sitzen Bandscheiben zwischen den Wirbeln und fungieren als Stoßdämpfer. Sie bestehen aus einem ­faserknorpeligen Gewebering (Anulus fibrosus) und einem weichen Gallertkern ­(Nucleus pulposus), der die harmonische Beweglichkeit der Wirbelsäule er­möglicht.

Das Rückenmark
Das Rückenmark (Medulla oblongata) gehört zum Zentralnervensystem (ZNS) und zieht vom Gehirn bis in den hinteren Bereich der Lendenwirbelsäule. Es liegt gut geschützt im ­Wirbelkanal (Canalis vertebralis), der von den Wirbelknochen gebildet wird.

Die (Spinal-)Nerven, die aus dem Rückenmark austreten, steuern die inneren Organe, sind für die Sensibilität des Körpers und für die willentliche Bewegung von Hals-, Rumpf- und Gliedmaßenmuskulatur zuständig.

Der Bandscheibenvorfall ­(Diskusprolaps)
Verschiedene Ursachen können dazu führen, dass der äußere Ring der Bandscheibe brüchig wird. Dazu gehören Bewegungsmangel und Übergewicht, genetische Prädispositionen (Hunde mit langem Rücken und kurzen Beinen) oder eben auch eine Fehl- oder Überlastung, wie es bei Meier der Fall war. Die Folge ist, dass die Bandscheibe brüchig wird und sich durch den entstandenen Schaden der weiche Gallertkern nach außen wölbt. Der vorgewölbte Gallertkern drückt nun auf die Spinalnerven, deren Blutversorgung oder das Rückenmark und verursacht starke Schmerzen.

Es gibt zwei Arten von Bandscheiben­vorfällen: beim einen verliert der Bindegewebsring seine Festigkeit und der Gallerkern schiebt ihn in Richtung Rückenmark (unvollständiger Diskusprolaps). Je nach Ausmaß und Lokalisation verursacht das Schmerzen, die sehr stark sein können. Typische Symptome sind ein- oder beidseitige Schwäche der Hinter­beine mit Bewegungsstörungen, ein in Schonhaltung aufgekrümmter Rücken und eine herabgesetzte oder erhöhte Berührungsempfindlichkeit. Bei einem Vorfall im Bereich der Halswirbelsäule verursacht selbst das Anlegen eines Halsbandes Schmerzen. Deutliche Lähmungserscheinungen sind bei Vorwölbungen eher selten zu sehen.

Anders beim vollständigen Diskusprolaps: Der schützende Außenring reißt, und das weiche Bandscheibenmaterial fällt ins Innere des Rückenmarkskanals vor. Das Rückenmark wird dann durch die Raumforderung verdrängt bzw. stark geschädigt. Die Symptome können denen des unvollständigen Vorfalles ähneln, oft sind sie jedoch so schwerwiegend, dass es je nach Lokalisation und Umfang des Vorfalls zu Lähmungen bis hin zur Querschnittslähmung kommt. Der Hund kann nicht mehr laufen, seine Beine nicht mehr kontrollieren, die Reflexe fallen aus.

Bandscheibenvorfälle treten meist zwischen dem zweiten Halswirbel und dem ersten Brustwirbel oder aber ab dem neunten Brustwirbel auf. Jenseits des fünften Lendenwirbels, wie bei Meier, spielen sie eher eine unter­geordnete Rolle.

Die Symptome
Welche Symptome ein Bandscheibenvorfall beim Hund verursacht, hängt davon ab, wie stark die Bandscheibe in den Wirbelkanal vorfällt, ob es ein vollständiger oder ­unvollständiger Vorfall ist, und welche Stelle der ­Wirbelsäule betroffen ist. Schmerzen sind fast immer das erste ­Anzeichen eines Bandscheibenvorfalls. Der Hund schont sich und bewegt sich nur noch, wenn es unbedingt sein muss. Fällt dann komplettes Bandscheibenge­webe vor, äußert sich der Bandscheibenvorfall beim Hund durch Lähmungserscheinungen an den Vorder- oder Hinterbeinen mit Nachschleifen der betroffenen Pfote, starken Schmerzen und einer erhöhten Schmerz- und Druckempfindlichkeit. Oft ziehen die betroffenen Hunde als Schonhaltung den Rücken auf oder bekommen einen steifen Hals. Wenn das vorgefallene Bandscheibenge­webe auf die Nerven drückt, die für die Kontrolle der Blasen- und Afterfunktion zuständig sind, kann eine Inkontinenz die Folge sein.

Wie wird der Bandscheibenvorfall diagnostiziert?
Zunächst wird der Tierarzt eine orthopädische und neurologische Untersuchung machen, die erste Hinweise liefert. Der nächste Schritt wäre eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule, die aber – wie in Meiers Fall – nicht unbedingt eine Diagnose bringt. Dann bleiben nur noch andere bild­gebende Verfahren, wie eine Magnet-Resonanz- oder Computertomografie. Es gilt, Differentialdiagnosen, wie etwa Entzündungen, Tumore, Frakturen, Infarkte oder anderes im Wirbelkanal auszuschließen. Für die Magnet-Resonanz- oder Computertomografie bekommt der Hund eine kurze Vollnarkose, da er für diese Untersuchung absolut ruhig liegen muss.


Die Therapie
Ein Bandscheibenvorfall ist immer ein Notfall und man sollte nicht zögern, bereits bei einem Verdacht den Hund einem Tierarzt vorzustellen. Je ­früher der Behandlungsbeginn, desto besser die Heilungschance! Je nach Schwere­grad der Symptome variiert die Therapie des Bandscheibenvorfalls beim Hund. Leidet der Patient nur an leichten Schmerzen und hat weder Lähmungserscheinungen noch zeigt er Inkontinenz, reicht in der Regel eine strikte Ruhigstellung in Kombi­nation mit schmerzstillenden und entzündungs­hemmenden Medikamenten. Außerdem sollte anschließend unbedingt eine Physiotherapie gemacht werden. Wenn die Symptome sich unter diesen Maßnahmen nicht bessern oder unvollständige oder vollständige Lähmungserscheinungen und / oder Inkontinenz auftritt, ist eine Operation unumgänglich. Je länger man damit wartet, desto größer ist das Risiko, dass es zu irreversiblen Nervenschädigungen kommt.

Das Rückenmark selbst lässt sich chirurgisch nicht „reparieren", aber eine Öffnung des Wirbelkanals und eine Entfernung des vorgefallenen Bandscheibenmaterials kann zu einer Entlastung führen. Den Rest muss der Körper alleine bewerkstelligen. Wichtig ist, dass die Operation durch einen erfahrenen Chirurgen durchgeführt wird. Die Bandscheiben-Operation birgt zwar immer ein gewisses Risiko, aber je erfahrener und umsichtiger der Chirurg, desto besser die Prognose.

Nur bei Patienten mit ausgefallenem Tiefenschmerz über 24-48 h spricht man von einer infausten Prognose, in diesem Fall kann man davon ausgehen, dass die Nervenschädigungen irrever­sibel sind und auch eine Operation daran nichts mehr ändern kann. Auch nach einer erfolgreichen ­Operation spielt die Physiotherapie für die ­Heilung eine wichtige Rolle, optimal ist es, wenn der Tierarzt und der Physiotherapeut Hand in Hand arbeiten.

Zurück zu Meier
Der kleine Beagle wurde 5 Tage nach der Computertomografie erfolgreich operiert und hat alles gut überstanden. Die ersten zwei Tage wurde er mit einem Schmerzpflaster versorgt, um ihm den OP-Schmerz zu nehmen, danach bekam er noch für einige Tage einen Entzündungshemmer und ein Antibiotikum. Bereits am zweiten Tag post OP zeigt die Rute einen deut­lichen Aufwärtstrend, inzwischen steht sie wieder wie eine Eins und Meier ist ganz der Alte – zum Glück! Ein weiteres Glück, das wir hatten, war die Lage von Meiers Bandscheibenvorfall, denn dadurch, dass die Lokalisation so weit hinten, im Bereich der Cauda equina war, benötigte ­Meier keinerlei Schonung, sondern durfte – sobald er wollte – wieder ganz normal belasten. Ein Segen für mich, denn ich habe bis heute keine Ahnung, wie ich diesen Hund ruhigstellen soll, wenn es irgendwann mal nötig sein ­sollte … Auch eine Physio­therapie war in ­diesem speziellen Fall nicht notwendig. Und da kurzes Beaglefell schnell nachwächst, ist Meier schon länger wieder berufstätig und macht nach wie vor einen super Job als Beagle-Action-Fotomodel. Das Ziehen der Fäden hat er übrigens, Meier-typisch, nicht ­einmal zur Kenntnis genommen …

Das könnte Sie auch interessieren: