Medical Training – Damit es beim Tierarzt stressfrei klappt

Von Melanie Zorko

Als Tierarzthelferin arbeite ich regelmäßig mit Tieren, und es kommt leider immer wieder zu Situationen, die für den Hund oder die Katze sehr unangenehm sind. Bei meiner Arbeit als Hundetrainerin bin ich zufällig auf Medical Training gestoßen. Das ist ein spezielles Training für die tierärztliche Behandlung von Tieren, und es wird auch in Zoos angewandt, um wilde Tiere stressfrei behandeln zu können.

Unsere Tiere verstehen leider nicht, dass eine Routineuntersuchung oder eine Blutabnahme nur ihrem Wohlbefinden dienen und nur zu ihrem Besten sind. Daher habe ich mich entschieden, nach Möglichkeiten zu suchen, diese Behandlung für alle Beteiligten stressfrei und so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich begann zu recherchieren, denn es müsste doch auch hierfür Lösungen geben. Da es heutzutage kaum noch etwas gibt, das nicht schon erfunden wurde, durchforstete ich das Internet. Dabei bin ich auf das Medical Training gestoßen. Tatsächlich habe ich gefunden, wonach ich gesucht habe.

In diesem Moment dachte ich mir nur, es ist genau das, was ich gehofft hatte zu finden. Ich kann diese Trainingsmethoden bei jeglicher Art von Tieren anwenden, egal ob Hund, Katze oder Maus. Tatsächlich wird Medical Training seit Jahren auch in unseren Zoos angewendet, um möglichst viele Zootiere stressfrei und ohne Zuhilfenahme von Medikamenten zu behandeln. Ich war verwundert und erstaunt zugleich, dass dies möglich ist. Da ich mein Wissen stets erweitern möchte und ich es beruflich in gewissen Situationen auch gut gebrauchen kann, beschloss ich, eine Ausbildung zur »Expertin für Medical Training« bei Nicole Stein vom Animal College zu machen.

Den Begriff Medical Training haben bestimmt schon viele Tierhalter einmal gehört, aber vermutlich konnten sich nur die Wenigsten auch etwas Konkretes darunter vorstellen. Stellen Sie sich als Hundehalter einfach einmal die Fragen: Kann ich meinen Hund überall anfassen, ohne dass er zurückweicht oder das Gesicht verzieht oder sogar den Kopf senkt? Kann ich meinem Hund problemlos Zecken entfernen, Zähne oder Ohren kontrollieren? Wie verhält er sich beim Tierarzt? Kann er ohne festgehalten zu werden und stressfrei untersucht werden? Nun gut, ich gehe davon aus, dass die meisten Fragen mit »naja« beantwortet werden. Genau deshalb versuche ich nun Medical Training ein Stück interessanter für Sie zu machen.

Was ist Medical Training?
Frei übersetzt bedeutet Medical Training so viel wie das Erlernen bestimmter Verhaltensweisen und Übungen, die bei der Durchführung medizinischer Behandlungen, Untersuchungen oder bei der Pflege (z.B. Bürsten, Krallen schneiden, Blutabnahme) helfen. Es gibt Hunde, die sich bei Pflegemaßnahmen oder beim Tierarzt so starkem Stress ausgesetzt fühlen, dass sie in ein Konfliktverhalten fallen, mit dem sie hoffen, am glimpflichsten aus dieser Situation zu entkommen. Sie versuchen zu fliehen, zu drohen oder gar zu beißen. Diese Verhalten verschlechtern sich in der Regel von Mal zu Mal. Spätestens jetzt besteht Handlungsbedarf.

Medical Training beschreibt die Vorbereitung des Hundes (oder auch der Katze) auf Tierarztbesuche, Behandlungen und Pflegemaßnahmen. Das Tier lernt dabei, auf freiwilliger Basis und stressfrei, mit dem Trainer oder Halter und auch dem Tierarzt zu kooperieren. Durch diese Kooperation werden diese oft schwierig zu meisternden Situationen einfacher für Hund und Mensch.

Das Training beginnt folgendermaßen: Der Hund entscheidet anfangs, wann die Behandlung beginnt und endet. Nichts passiert durch Zwang. Hat der Hund zu viel Stress und weicht zurück oder verlässt seine Position, dann ist das zu akzeptieren. Es hat oberste Priorität, dass wir als Trainer oder Halter das auch zur Kenntnis nehmen. Nur der Hund allein hat sozusagen die Entscheidung. Wenn der Hund aus der Situation flüchtet, war der Trainingsschritt zu groß. Wir haben zu viel vom Hund erwartet. Das macht aber erst mal nichts, wir versuchen es noch einmal und beginnen die Übung etwas leichter für den Hund von Neuem.

Kein Meister ist je vom Himmel gefallen
Durch viele Wiederholungen und die Ausdehnung der Übungsdauer geben Sie dem Hund die Chance, die Behandlung länger auszuhalten. Im Medical Training geht es darum, den Hund oder die Katze mit bestimmten Berührungen, Handlungen und notwendigen, aber vorerst ungewohnten und unangenehmen Maßnahmen Stück für Stück vertraut zu machen. Natürlich benötigt jedes Tier unterschiedlich viel Zeit. Nicht jedes Individuum gleicht dem anderen. Geduld ist hierbei ein wichtiger Faktor.

Den Hund auf einen Tierarztbesuch vorbereiten
Für Tierärzte sind einige Punkte und Übungen besonders wichtig, da sie eigentlich für jede gründliche Untersuchung notwendig sind: überall anfassen lassen von einer fremden Person, mit Gegenständen berühren usw. Dafür gibt es viele verschiedene Trainingsmöglichkeiten und sogenannte Targets, die man für bestimmte Übungen aufbauen kann. Ein Target – was ist das überhaupt? Zusammengefasst bedeutet die Verwendung eines Targets (im Zusammenhang mit Medical Training), dass der Hund lernen soll, mit einem seiner Körperteile einen Gegenstand oder einen Körperteil des Menschen zu berühren. Damit kann man schon sehr viele Verhaltensweisen trainieren. Im weiteren Sinne ist Target-Training noch vieles mehr. Der Hund lernt, auf einem Gegenstand zu verharren und erhält dafür eine Belohnung.

Der große Vorteil, über Targets Verhalten aufzubauen, besteht darin, dass die Aufgabe sehr klar definiert ist. »Berühre Gegenstand x mit deinem Körperteil y«. Dadurch wiederum ist dem Hund die Aufgabe sehr klar und er lernt leicht und schnell. Es gibt so viele Targets, die man im Training nutzen kann, wie zum Beispiel ein Kinntarget, Nasentarget, Wangentarget, Pfotentarget, Bodentarget und viele mehr.

Hier ein paar Möglichkeiten, die man bei einem Tierarztbesuch anwenden kann:
• Abtasten am ganzen Körper (Aufbau Kinntarget oder Pfotentarget)
• Ohren anschauen (Aufbau Kinntarget)
• Krallen schneiden (Aufbau Nasentarget oder Bodentarget in Seitenlage)
• Augen anschauen (Aufbau Kinntarget)
• Maul öffnen und Lefzen anheben (Aufbau Bodentaget oder Pfotentarget)
• Pfoten in die Hand nehmen und untersuchen (Aufbau Pfotentarget)
• Ruhig in Seitenlage liegen bleiben (Aufbau Bodentarget)

Die Möglichkeiten beim Medical Training sind nahezu unendlich, und nicht jeder Hund oder jede Katze muss alles können, um entspannter beim Tierarzt zu sein. Aber je mehr Situationen die Vierbeiner kennen, desto stressfreier ist auch der Tierarztbesuch.

Wie funktioniert Medical Training?
Für das Medical Training gibt es an sich kein Patentrezept, sondern viele unterschiedliche Trainingsansätze. Nicht jede Methode ist für jedes Tier oder jeden Halter gleichermaßen gut geeignet, und vor allem bei ängstlichen Tieren lohnt es sich, Geduld und Verständnis zu zeigen oder auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Beispiel, um sich in die Lage hineinzuversetzen:

Zahnkontrolle: Dafür würde ich ein Bodentarget aufbauen. Am einfachsten unterteilt man eine Übung in lauter kleine Einzelteile, die nach und nach trainiert werden und zu einer Kette zusammengefügt werden. Hierfür würde ich erst einmal das Bodentarget aufbauen, um das fixe Stehenbleiben auf einem Gegenstand zu trainieren. Hat der Hund das Bodentarget verinnerlicht, kann man mit dem nächsten kleinen Schritt beginnen. Nehmen wir dafür das Anheben der Lefzen: Der nächste Schritt bei dieser Übung ist, dass die Hand des Halters langsam in Richtung Maul des Tieres geht. Jedes Mal, wenn der Hund dabei nicht zurückweicht, gibt es ein Markerwort (gut, prima, …) was bedeutet: »das hast du gut gemacht«, gefolgt von einer Belohnung (z.B. Futter). Das Markerwort ist die Ankündigung für eine Belohnung und somit ein Versprechen, dass etwas Tolles kommt.

Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen. Sobald der Vierbeiner diesen Schritt gut mitmacht und positiv verbindet, kann man als nächsten Schritt die Lefze mit der Hand kurz ­berühren. Im Moment der Berührung gibt es wieder das Markerwort und der Hund bekommt eine Belohnung. Wenn auch dieser Trainingsschritt sitzt, kann man versuchen, die Lefzen kurz anzuheben. Im Moment des Anhebens gibt es wieder das Markerwort und danach die Belohnung. Und schließlich dehnt man die Zeitspanne, in der man die Lefze nach oben hebt, ganz langsam immer weiter aus. Wenn das Tier die Übung gut beherrscht, sollte man auch beginnen, diese an anderen Orten, wie z.B. bei Bekannten, zu trainieren – schließlich soll das Trainierte ja irgendwann auch in der Tierarztpraxis klappen. Wichtig ist außerdem, dass später auch andere Personen hinzukommen und mit dem Hund trainieren, damit sich die Vierbeiner auch an fremde Personen gewöhnen. Denn jede Veränderung der Umgebung während der Übung/Trainingseinheit könnte ein neues Verhalten verursachen. Medical Training ist eine Trainingsmethode, in der das Tier selbst mitentscheiden darf und auch kann, denn nur so funktioniert es.

Es geht darum Vertrauen aufzubauen, Vorhersagesicherheit zu schaffen und darum, dass der Hund aktiv etwas tun kann, um sich besser zu fühlen.

Ich hoffe, dass ich Ihnen Medical Training etwas näher bringen konnte. Ich lege Ihnen ans Herz, mit dem Training schon im Welpenalter zu beginnen, damit Sie einen »tierarztfesten« Hund bekommen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß und Erfolg beim Trainieren Ihres Lieblings.

Medical Training im Tiergarten Schönbrunn

Auch in Zoos wie dem weltberühmten Tiergarten Schönbrunn wird mit Medical Training gearbeitet. Es wäre sonst kaum möglich, Wildtiere zu behandeln. Der Tiergarten Schönbrunn schreibt dazu:

»Tierärztliche Untersuchungen wie Ultraschall zu üben oder kleinere Manipulationen durch die Tierpfleger, wie Nagelfeilen im Rahmen des Trainings zu simulieren, hilft den Zootieren diese mitunter notwendigen Maßnahmen in entspannter Atmosphäre zu bewältigen. Wir üben zum Beispiel mit den Orang-Utans regelmäßig auf ein bestimmtes Zeichen das Maul zu öffnen. Sollten sie in Zukunft Zahnprobleme bekommen, lassen sie auch den Tierarzt nachsehen.«

Als Gründe für diese Form des Trainings nennt der Tiergarten Schönbrunn:

• Stressfreie Durchführung medizinischer Untersuchungen
• Bereicherung des Tieralltags (mentale Stimulation)
• Vereinfachung jeglicher Interaktion mit dem Tier
• Forschung

»Die Trainingseinheiten dauern nicht länger als zehn Minuten. Trainiert wird nach der Methode der positiven Verstärkung. Wir bestärken erwünschtes Verhalten mittels Belohnung. Das kann Futter sein oder auch etwas, das das Tier besonders schätzt wie z.B. Bürsten. Unerwünschtes Verhalten wird einfach ignoriert«, erklärt Tiertrainerin Dr. Eveline Dungl vom Tiergarten Schönbrunn.

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