Welcher Mehrhundehalter kennt sie nicht, die lange Warteschlange am wichtigsten Busch im Garten, quasi am VIP-Gestrüpp. Während der Erste bereits fleißig markiert, steht der Nächste schon an, der Dritte macht sich warm und beginnt schon mal mit ausgiebigen Bein-Dehnübungen. Und wenn Nummer 3 dann endlich durfte, ist der erste wieder dran … Markieren gehört zu den Lieblingshobbys vieler Couchwölfe; höher, schneller, weiter ist die Devise. Schnell ist auch hier die Rede vom „dominanten Hund" oder vom Territorialverhalten. Aber was liegt diesem Verhalten wirklich zu Grunde?
Von den Beobachtungen an freilebenden Wölfen wissen wir, dass die Markierung des beanspruchten Reviers mittels Duftmarken überlebenswichtig ist. Dieser für Kaniden unüberriechbare Duftzaun dient dazu, das eigene Revier für andere Wolfsrudel als besetzt anzuzeigen. Das ausgesendete Signal „Halt, Stopp, keinen Schritt weiter, ihr betretet fremdes Territorium" hilft so, aggressive Begegnungen zu verhindern und die innerhalb des beanspruchten Gebietes vorhandenen Nahrungsressourcen zu sichern. Auch in den Zeiten der Welpenaufzucht können mittels dieser grenzmarkierenden Duftsignale unerwünschte Störungen durch benachbarte Rudel vereitelt werden. Der große Vorteil dieser Duftmarken ist, unabhängig davon, ob sie aus Urin oder Kot bestehen, dass diese Signatur über einen längeren Zeitraum ihre Botschaften aussendet, auch in der Abwesenheit des Senders. Nach den Beobachtungen des bekannten Wolfsforschers Günther Bloch markieren bei frei lebenden Wölfen ausschließlich die ranghohen Tiere, und das besonders gern an erhöhten Plätzen. Diese Duftmarkierungen werden sowohl von Rüden als auch von den Fähen abgesetzt.
Mein Haus, mein Auto, mein Boot?
Bei unseren Haushunden zeigt sich ein deutlich anderes Markier- und Übermarkierverhalten. Haushunde, unabhängig von Geschlecht, Alter, Rang und egal ob kastriert oder intakt, markieren wesentlich öfter und wahlloser als es freilebende Wölfe tun. In einer Studie, die der amerikanische Verhaltensbiologe Charles Snowdon von der University of Wisconsin im Jahr 2011 durchführte, konnte er beobachten, dass Hunde geschlechtsunabhängig regelmäßig die gemeinsamen Pinkelstellen untersuchten. Markieren und Gegenmarkieren wurde sowohl von Rüden als auch von Hündinnen gezeigt. Dabei fiel ihm auf, dass Hunde, die eine hohe Rutenposition demonstrierten (auch wieder unabhängig vom Geschlecht), häufiger markierten und übermarkierten als Tiere mit einer niedrigeren Rutenposition. Sein Erklärungsmodell für das Übermarkieren, insbesondere der intakten (also unkastrierten) Rüden über den Urin von Hündinnen, deutet dieses Verhalten als den Versuch der Verschleierung des Duftes intakter Hündinnen und somit der eigenen Privilegierung gegenüber Geschlechtsgenossen.
Welche Informationen entnimmt nun ein Haushund aus dem Geruch einer bereits bepieselten Litfasssäule oder dem oft in diesem Zusammenhang beschriebenen Laternenpfahl? Dieses als Zeitunglesen – oder wie wir es nennen „Facebook für Hunde" – bekannte Verhalten dient der Informationsgewinnung über den oder die Urheber/-in der duftenden Hinterlassenschaft. Zuerst einmal lässt sich eindeutig aus dem Geruch erkennen, welches Geschlecht vor einiger Zeit hier zu Besuch war. Und, falls es sich um eine Hündin gehandelt hat, in welchem Stadium des Zyklus sie sich gerade befindet. Weiterhin kann erschnüffelt werden, ob eine Hündin gerade tragend oder, wenn sie bereits vor kurzem Hundemama wurde, ob sie laktierend ist, sprich zur Zeit Welpen säugt. Auch alte Bekannte, wieder egal ob Rüde oder Hündin, werden so wiedererkannt, und das auch dann, wenn sie sich nur zum Beispiel von einer Hundewiese kennen, die nur ab und zu einmal besucht wird. Also quasi ähnlich einem Facebook-Profil. Wer neu dazu kommt, weiß genau, wer bereits da war. Datenschutzbestimmungen werden auch hier außer Kraft gesetzt.
Geruchslegastheniker Mensch
Diese Möglichkeit liegt natürlich am Riechvermögen des Hundes, das bekanntermaßen dem unseren haushoch oder besser wolkenkratzerhoch überlegen ist. Wir Menschen haben eine Riechschleimhaut, die im Durchschnitt fünf cm² groß oder besser klein ist. Hunde dagegen verfügen über eine Riechschleimhaut, die eine durchschnittliche Größe von 75 – 150 cm² aufweist. Beim Menschen finden sich auf der Riechschleimhaut etwa 20 Millionen Geruchsrezeptoren – lächerlich, finden unsere hündischen Hausgenossen, haben sie doch zwischen 120 und 200 Millionen Riechzellen. Spezielle Gebrauchshunderassen, wie Bloodhounds, aber auch der Meutehund Beagle, kommen auf Werte zwischen 400 und 500 Millionen dieser Chemorezeptoren. Beim Hund sind allein rund 12 Prozent des Gehirns für die Verarbeitung von Gerüchen „reserviert". Bei uns Menschen lediglich etwa 2-3 Prozent. Ein Spürnäschen wie Herr Meier, der Schnüffeljournalist, wird sich also ständig über den Geruchslegastheniker Mensch wundern …
Im Urin von Hunden finden sich neben einer Vielzahl von Stoffen, wie dem Hauptbestandteil Wasser, noch Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin, verschiedene Salze und auch Stoffe wie Oxalsäure und Zitronensäure. Daneben enthält der gelbe Saft auch noch Pheromone. Dies sind Botenstoffe, die von einem Tier ausgesandt werden, um das Verhalten eines anderen zu beeinflussen, und die auch über den emotionalen Zustand eines Hundes Auskunft geben können. Verarbeitet werden diese Pheromone im Vomeronasalorgan, auch Jacobsonsches Organ genannt, einem kleinen Geruchsorgan im Gaumendach vieler Wirbeltiere.
Der Urin eines Hundes, der aus welchem Grund auch immer, gerade in einer gestressten Stimmungslage ist, duftet, wegen der starken Stresshormonausschütung anders als der eines Hundes in einem emotional stabilen Zustand. Und diese Informationen wollen kommentiert werden, also wird fleißig das Bein gehoben und übermarkiert, was die Blase hergibt, Statusmeldungen, um beim Facebook-Vergleich zu bleiben. Allerdings wird die Menge streng kontrolliert, denn der kostbare Saft steht ja nicht unbegrenzt zur Verfügung und wird deshalb wohldosiert eingesetzt. Das ist auch der Grund, warum sich die meisten Hunde beim ersten Lösen am Morgen nicht vollständig entleeren. Denn eine Statusmeldung zu kommentieren gehört, wie wir Hundehalter alle wissen, zu den Lieblingsbeschäftigungen unserer Vierbeiner.
Übrigens gibt es auch Hündinnen, die beim Pinkeln ein Hinterbein heben und es dabei locker mit jedem männlichen Artgenossen aufnehmen. Die Ursache des Verhaltens einer solchen „Rüdin" liegt in der Regel weit zurück und ist dem vorgeburtlichen Einfluss der Sexualhormone geschuldet: Wenn eine Hündin als Embryo vor der Geburt zwischen zwei Rüden in einem der beiden Gebärmutterhörner liegt, so erhält sie über diese eine deutlich höhere Konzentration des sogenannten männlichen Sexualhormons Testosteron, als wenn sie zwischen zwei Geschlechtsgenossinnen liegen würde. Dieser höhere Anteil des männlichen Sexualhormons schlägt sich dann auch sichtbar im Verhalten nieder, unter anderem eben im Markierverhalten.
Kleine Hunde heben übrigens öfter ihr Hinterbein deutlich höher als es ihrer Größe nach zu vermuten wäre. Dieses „Pfote-in-den-Himmel-recken" soll potenziellen Nachfolgern eine Körpergröße signalisieren, die weit jenseits der tatsächlichen liegt. Darum wird auch von manchen Zwergen im Handstand markiert. Hochstapeln auf hündisch …
Das Markierverhalten von Hunden dient aber nicht nur der territorialen Revierabgrenzung des eigenen Gartens oder des täglichen Spazierweges. Es enthält oft eine soziale Komponente. So ist bekannt, dass Hunde, die sich gut kennen, gern gegenseitig über die unterschiedlichen Hinterlassenschaften pinkeln. Dies dient in diesem Falle der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls und hat – Sie ahnen es schon – mal wieder nichts mit Dominanz zu tun! Auch wenn man Gerüchten nach immer wieder von Hundetrainern hört, die „zur Stabilisierung der Rangfolge" empfehlen, dass der Mensch über die Markierungen des Hundes pinkeln soll, also quasi das letzte Wort haben muss. Dass solche Empfehlungen nur dem Gehirn eines kynologischen Legasthenikers entspringen können, muss ich hoffentlich nicht extra erläutern.
Markieren nach Meier-Art
Erwähnenswert ist vielleicht noch das besondere Markierverhalten des Herrn Meier: der Canis schnüffeljournalisticus war nämlich zu Beginn der Pubertät, also ca. mit einem halben Jahr, schlagartig nicht mehr in der Lage, wie jeder „normale Hund" auch, sein Häufchen einfach in ein Gebüsch oder am Wegesrand zu verrichten.
Nein, der Herr benötigt hierzu eine besonders exponierte und erhöhte Lage. Jeder Maulwurfshügel oder abgesägte Baumstamm wird bis heute dankbar angenommen und zielsicher beladen. Ist nichts derartiges in erreichbarer Nähe und der Beagle somit gezwungen, ins Flachland zu machen, so wird er sich dies unter keinen Umständen anmerken lassen, sondern nach getaner Arbeit wichtig umher scharren und danach mit hoch erhobenem Haupt von dannen ziehen, als ob er soeben auf das Dach der Welt gesch***** hätte. Ob er in diesen Fällen wirklich der Meinung ist, auf dem Gipfel des Himalaya gewesen zu sein, oder ob es sich auch hier nur um die von Meier in Perfektion beherrschte „dumdidumdidum-Gesichtswahrung" handelt, konnte bis heute noch nicht endgültig geklärt werden.
Vielleicht sollte ich ihm mal den Absatz über die hündische Hochstaplerei vorlesen …?!