Mantrailing – Ein Paradigmenwechsel in der Ausbildung?

Von Martina Stricker

Mantrailing bietet im privaten Bereich eine artgerechte und spannende Auslastung unserer Hunde, verbessert die Bindung zwischen Mensch und Tier und kann sehr effektiv im Rettungshundewesen eingesetzt werden. Schade nur, dass wir Menschen unbewusst Fähigkeiten unserer Vierbeiner blockieren und damit die Erfolgsquote verschlechtern. Martina Stricker fordert einen Paradigmenwechsel in der Maintrailing-Ausbildung.

Mantrailing ist die Suche nach einem bestimmten Menschen mit Hilfe eines Hundes. Ein der gesuchten Person eindeutig zuzuordnender Gegenstand wie getragene Kleidung oder die Zahnbürste, dient als Geruchsmuster und wird dem Hund am letzten bekannten Aufenthaltsort der Person präsentiert. Von hier aus verfolgt der Hund diese spezielle Geruchsspur, filtert sie unter allen anderen Gerüchen permanent heraus, bis er zur Person selbst gelangt.

Ein gut trainierter Mantrailer arbeitet im ruhigen Wald wie im Stadtgebiet, durch schmale Gassen wie über stark befahrene Straßen, in offenem Gelände wie zwischen dichtem Markttreiben, bei Wind und Wetter, bei Tag und Nacht. Die Ausbildung eines Mantrailers für den Einsatz im Rettungsdienst ist sehr umfangreich und zeitintensiv. Typische Einsätze sind beispielsweise die Suche nach verschwundenen Demenzkranken oder Kindern.

Spurtreue als Qualitätsmerkmal?
Auch wenn allseits betont wird, dass Mantrailing nicht mit der Fährtenarbeit verwechselt werden darf, spukt weiterhin in unseren Köpfen die Vorstellung, der Hund müsse relativ nahe der zurückgelegten Route des Traillegers arbeiten. Immer noch wird der Hundelehrling angehalten, die Spur nicht zu weit zu verlassen. In manchen Staffeln führt eine große Abweichung bei Prüfungen gar zum Abbruch.

Trügerische Bilder hinterfragen
Machen wir Menschen, im Vergleich zum Hund bekanntermaßen geruchlich Unbedarfte, es uns nicht allzu leicht, nur das zuzulassen, was wir selbst einigermaßen nachvollziehen können? Spricht nicht hier der Blinde von der Farbe? Wieso scheint es zwar plausibel, dass Tiere fähig sind, kilometerweit einen Sexualpartner anzusteuern und wieso putzen wir den Sahara-Sand von unseren Fensterbänken, Tausende von Kilometern vom Wind verschleppt, glauben jedoch die weitaus leichteren, mikroskopisch kleinen, menschlichen Partikel des Traillegers, die seine Duftspur bilden, dürften nur im engeren Umfeld seines Weges zu finden sein?

Ungeahnte Fähigkeiten
Wird der Vierbeiner im Ausbildungsaufbau nicht in der Nähe der gelegten Spur ­gehalten, setzt er all seine natürlichen Fähigkeiten ein. Dazu gehört auch, dass er von Natur aus, anhand des Alters der Partikel, die Richtung einer Spur und somit die Nähe zu Beute oder Versteckperson bestimmen kann. Eine Fähigkeit, die manchmal angezweifelt wird, nicht ahnend, dass sie erst durch das Drängen des Hundes auf die Spur blockiert wurde.

Beweisführung
Dabei liegt der Beweis auf der Hand. Würde irgendein Raubtier stundenlang vor dem verlassenen Bau eines Beutetieres ausharren oder auf die Spur eines Beutetieres treffend, diese rückwärts verfolgen? Solch ein Verhalten hätte unweigerlich zum Aussterben mancher Spezies geführt. Nein, jedes Raubtier ist imstande, das Alt und Neu der Partikel zu unterscheiden und daran zu erkennen, in welcher Richtung die Beute am schnellsten zu erreichen ist. Das muss auch unser Hund nicht erst erlernen. Es liegt ihm sozusagen im Blut.

Dränge ich jedoch im Ausbildungsaufbau den Hund nahe an die Spur, vermittle ich ihm, dass beispielsweise zugewehte frischere Partikel nicht zu beachten sind, sondern immer nur fleißig vor der Nase weitergearbeitet werden soll. Unsere Hunde sind gelehrig und kooperativ. Sie erkennen an unserem Verhalten, dass die Fähigkeit der Alt-Neu-Unterscheidung hier anscheinend genauso wenig geschätzt wird, wie im Wald das Jagen.

Praxistest
Gerade das Unterscheiden des Alters der Partikel ist jedoch im Rettungsfall von größter Bedeutung:

Ein kleiner fünfjähriger Junge ist verschwunden. Er hatte ums Haus mit seinem Fahrrad seine üblichen Runden gedreht. Als seine Mutter vergeblich zum Abendessen ruft und nach ihm sieht, ist er nicht zu finden. In heller Aufregung strömen Familie und Nachbarn zur Suche aus – ohne Erfolg. Es wird dunkel. Wo kann er nur sein?

Der Junge hat natürlich zu jeder Zeit seines Lebens im und um das eigene Zuhause seine Partikel hinterlassen. Wie soll ein Personenspürhund aus dieser gigantischen Menge im weiten Umfeld herausfinden, wohin sich das Kind zuletzt entfernte? Spurtreu ausgebildete Hunde stoßen da oft an ihre Grenzen. Nur durch das Differenzieren des Alters und Verfolgen der absolut frischesten Partikel kann die Suche zielführend an der Wohnung ­gestartet werden. Die Dichte der Partikel sagt über die Richtung und somit die Nähe zum Opfer nichts aus, denn sie unterliegt überall Schwankungen durch Wetter und Verkehr. Die Duftspur kann stellenweise stark ausgedünnt, mitunter gar unterbrochen sein. So bringt den Hund im Mantrailing nicht das Weniger/Mehr an Partikeln zur gesuchten Person, sondern das Alt/Neu.

Experte Hund weiss es besser
Ein in der Ausbildung nicht unbedacht begrenzter Vierbeiner wird, wie in der Natur beim Aufspüren eines Beutetieres, automatisch die jüngsten Partikel des Opfers verfolgen, dabei auch einmal die gelegte Route verlassen, möglicherweise unvermittelt abkürzen, da ihm von weither zugewehte frischere Partikel aus dem weiteren Verlauf der Spur zur Verfügung stehen. Er wird aktiv Spurlücken, die mit der Zeit durch Wind, Wetter und Mechanik unweigerlich entstehen, zu überbrücken versuchen, indem er selbständig nach einem Wiederanschluss fahndet. Weil er es kann und weil er es immer durfte!

Der Mühe wert
Damit verlieren zwar sowohl Hundeführer als auch begleitende Ausbilder schon recht früh im Trainingsaufbau die Kontrolle über die Route, was uns allen offensichtlich äußerst schwerfällt, aber wir verbessern definitiv die Erfolgsquote. Ob mein Hund tatsächlich motiviert arbeitet, zeigt mir dann einzig seine ganz individuelle und facettenreiche Ausdrucksweise, die zu entschlüsseln eine der spannendsten Aufgaben für uns Hundeführer darstellt.

Dazu brauchen wir jedoch eine stabile Basis des gegenseitigen Verstehens zwischen Mensch und Hund, sowohl durch klare Kommunikation im Alltag, als auch später im speziellen Mantrail-Training. Indem man sich immer wieder neue Konstellationen für die Trails ausdenkt, diese sehr genau mit dem Trailleger bespricht und in Kenntnis der eingebauten Schwierigkeiten die Reaktionen seines Hundes während der Suche aufmerksam beobachtet, lernt man mit der Zeit diese den jeweiligen Situationen zuzuordnen. Das ist eine gewaltige Herausforderung für uns Menschen. Nicht nur einmal fragt man sich nach einem Trail, wie der Hund auf dieser unerwarteten Route zum Opfer gelangen konnte. Oft schaut man sich den Trail immer wieder auf der Karte an, überprüft die Gegebenheiten, befragt Beteiligte und ringt um Antworten.

Der Arbeit Lohn
Das ist manchmal frustrierend, aber auch faszinierend. Mit der Zeit erkennt man immer mehr, was der eigene Hund tatsächlich leisten kann. Der Lohn dafür sind eine innige Mensch/Hund-Beziehung und die unglaublichsten Trailerfahrungen und Erfolge.

Im Rettungshundebereich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, zum Wohle Hilfsbedürftiger alle Fähigkeiten des Vierbeiners auszuschöpfen.

Beispiel Rettungseinsatz

Das Telefon läutet – Alarmierung! Eine demente ältere Dame ist zum Abendessen im Altersheim nicht erschienen.

Mit Hund und Ausrüstung im Auto versuche ich die Fahrt zum Einsatzort zu nutzen, um telefonisch Einzelheiten zu erfahren. Das Gebäude wurde abgesucht, die Mitbewohner befragt. Widersprüchliche Hinweise.

Wirkte der Hund heute nicht irgendwie müde? Hoffentlich kann ich sein Verhalten bei der Suche immer einordnen und ihn optimal unterstützen. Der mentale Druck ist immer wieder groß. Gut, dass um diese Jahreszeit noch eine Weile mit Tageslicht gerechnet werden kann.

Vor Ort versuche ich mir mit Hilfe der Heimleitung einen Überblick zu verschaffen. Wenngleich eine Freundin von Oma Hilde, wie die Vermisste allseits liebevoll genannt wird, berichtet, mittags mit ihr zusammengesessen zu haben, ist die zeitliche Einordnung der ebenfalls Dementen fraglich. Wesentlich zuverlässiger scheint der Hinweis einer gerade eingetroffenen Pflegerin, sie am Nachmittag im angrenzenden Park gesehen zu haben.

Wir beschließen, nachdem ich mir im Zimmer der Vermissten ihr Nachthemd als Geruchsmuster besorgt habe, im Park die Suche zu starten. Ein Pfleger wird mich begleiten.

Das Nachthemd wenden, um mögliche Fremdgerüche zu minimieren. Den Hund entspannt anriechen lassen. Ruhe und Routine geben dem Vierbeiner Rückhalt.
Zügig nimmt er die Geruchsspur auf, verlässt den Park, folgt und überquert mehrere Straßen und landet nach einiger Zeit am Bahnhof.

Kein ganz leichtes Terrain. Reger Publikumsverkehr erschwert nicht nur das Durchkommen des Hundes, etwaige Partikel der Gesuchten wurden und werden von Passanten verschleppt. Durchfahrende Züge reißen ganze Luftmassen mit.

Mein vierbeiniger Partner durchquert die Halle und steuert nun auf die Gleise zu. Von mir am Bahnsteig gestoppt, zeigt er eindeutig Interesse an der gegenüberliegenden Seite der Gleise. Jetzt ist es an mir, ihn dorthin zu bringen. Ich spreche ihn freundlich an: »Komm wir gehen außen herum«, fordere ich ihn in gewohnter Weise auf, mich zu begleiten. Von mir zur Gleisüberführung gebracht, nimmt er trotz des starken Windes bereits oben auf der Mitte eigenständig den Trail wieder auf, führt mich auf der anderen Seite hinunter, biegt auf einen Weg ab und steuert auf eine Gruppe von Büschen zu.

Seine Erregung ist nicht zu übersehen. Ich kenne diese Zeichen und lasse mich anstecken, schwanke zwischen freudiger Erwartung und Angst, der alten Dame könne etwas zugestoßen sein. Irgendwie tröstlich, dass der Pfleger dicht hinter mir läuft.

Ein schmaler Fußweg führt zwischen den Büschen hindurch und dahinter …? –Liegt die alte Dame. Der Pfleger ist sofort bei ihr und kümmert sich um alles Nötige, während sich mein Vierbeiner zur Identifizierung ruhig und, wie ich finde, nicht ohne Stolz neben Oma Hilde gesetzt hat. Augenblicklich schlägt die alte Dame die Augen auf und scheint ihren Ausflug gut überstanden zu haben. Schon organisiert der Pfleger den Abtransport.

So kann ich mich ganz meinem Partner Hund widmen und ihn kräftig loben.

Die Autorin

Martina Stricker ist seit 2000 selbst aktiv und seit 2007 auch als Ausbilderin im Rettungshundewesen tätig. Sie hat sowohl für das Mantrailing als auch für die Flächensuche neue, zielorientierte Ausbildungskonzepte entwickelt, die für die echte Vermisstensuche in unserem zunehmend stark frequentierten Umfeld fit machen.
2017 erschien ihr Buch »Mantrailing – Schritt für Schritt vom ersten Trail bis zum realen Einsatz« (Kosmos) und 2018 »Flächensuche mit Hund – Vom Freizeitspaß bis zur Vermisstensuche im Rettungseinsatz« (Müller Rüschlikon).

Pdf zu diesem Artikel: maintrailing

 

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