Liebe gegen Leckerli

Von Dr. Hans Mosser

Erkauf von Zuneigung durch Futter und Leckerli?

Ist das Sich-Erkaufen hundlicher Zuneigung durch Futter und Leckerli eine der Ursachen der steigenden Zahlen von Übergewicht und Fettleibigkeit? Wissenschaftler weisen auf einen Zusammenhang hin, der nicht unterschätzt werden sollte.

Übergewicht und Fettleibigkeit gelten nicht nur bei Hunden als eines der größten Gesundheitsprobleme. Eine der umfassendsten Studien in 195 Ländern zum Ausmaß der Fettleibigkeit beim Menschen kommt für das Jahr 2015 zum Ergebnis, dass weltweit rund 107 Mio. Kinder und 603 Mio. Erwachsene davon betroffen sind (Afshin 2017). In mehr als 70 Ländern habe sich die Häufigkeit gegenüber 1980 sogar verdoppelt. Global sollen 4 Mio. Todesfälle auf die Ursache Fettleibigkeit zurückzuführen sein, zwei Drittel davon auf durch Übergewicht verursachte Herz-Kreislauferkrankungen. An der von Bill und Melinda Gates teilfinanzierten Studie haben 124 Universitäten und mit öffentlicher Gesundheit befasste Institutionen teilgenommen.

Gemeinsamer Lebensstil
Wohl aufgrund des engen Zusammenlebens von Mensch und Hund und dem damit verbundenen gemeinsamen Lebensstil ist Fettleibigkeit auch bei Hunden ein großes Problem, das die Gesundheit und die Lebensqualität unserer Vierbeiner entscheidend beeinträchtigt. Rund ein Drittel der Haushunde sei davon betroffen, so eine Studie aus den USA (Lund 2006), während Wissenschaftler der Ludwig-Maximilian-Universität München die Prävalenz zu dicker Hunde sogar mit 52 Prozent angeben (Becker 2012). Während beim Menschen Fettleibigkeit eindeutig ab einem BMI (Body Mass Index) von 30 objektiv definiert ist, wird der Ernährungszustand des Hundes durch den sicht- und spürbaren (und damit eher subjektiv bestimmten) Körperfettanteil bestimmt und als BCS (Body Condition Scale oder Score) angegeben. Genauere Erklärungen und entsprechende Illustrationen dazu, wie Sie dies bei Ihrem Hund feststellen können, finden sich im ersten Teil dieser Serie (WUFF 9/2018).

So wie Menschen bevorzugen zu dicke Hunde hochkalorisches Futter und ­weisen zudem eine reduzierte körperliche Aktivität auf. Außerdem wurde bei 25% der Labrador und der Flat Coated Retriever sogar ein sog. Fress-Gen ­gefunden, eine Genmutation, die mit gesteigertem Appetit und Fettleibigkeit einhergeht (Raffan 2016). Dass diese Tiere stärker auf Futterbelohnung (Futtermotivation) reagieren als andere würde deren leichtere Ausbildbarkeit erklären, so die Wissenschaftler.

Liebe gegen Leckerli
Wissenschaftler der Universität Utrecht (Niederlande) beschreiben eine relativ neue Theorie in der Ursachenanalyse von Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern – und analog bei Hunden (Pretlow 2016). Demnach seien die Faktoren Emotion und Suchtverhalten bislang unterbewertet worden, obwohl sie eine entscheidende Rolle im Nahrungsverhalten spielen würden. Im Besonderen gehen die niederländischen Wissenschaftler unter Berücksichtigung der Studienlage (Page 2009) davon aus, dass Eltern ihre Kinder häufig mit Süßigkeiten und Essen verwöhnen würden, um von ihnen Zuneigung und Liebe zu erhalten. Analog gelte das auch für „Hundeeltern“, also Frauchen oder Herrchen, die sich die Zuneigung ihres Vierbeiners mit Leckerli und besonders gutem Futter erkaufen wollen würden (Hawn 2006).

Und so wie manche Eltern sogar von der durch Süßigkeiten induzierten Zuneigung ihres Kindes psychologisch abhängig, d.h. darauf süchtig werden würden (IOM 2006, Katz 2012), würde sich das analog auch bei Hundehaltern bzw. bei deren Familienmitgliedern beobachten lassen. Dieser Zusammenhang zwischen Leckerligabe und erlebter Zuneigung des Hundes sei daher – häufiger als man denkt – als eine nicht zu unterschätzende Ursache beim Problem fettleibiger Hunde anzusehen. Sind medizinische Ursachen der Fettleibigkeit ausgeschlossen, liegt das Ausmaß des Ernährungszustandes eines Haushundes ja in erster Linie in der Hand seines Halters.

Entzugserscheinungen
Als ein Beispiel dieses Zusammenhangs zitieren die niederländischen Wissenschaftler einen Marketingslogan der Tiernahrungsfirma IAMS, „Feed the dog good food and get the real love“, nach dem also Hundehalter für gutes Futter „wirkliche Liebe“ ihres Hundes erhalten würden. Tatsächlich können solche oder ähnliche Slogans auf viele Hundehalter motivierend wirken, Futter als Mittel zur Gewinnung von Liebe und Zuneigung einzusetzen.

Bemerkt man dann aber an den gesundheitlichen Folgen bzw. an der beeinträchtigten Lebensqualität, dass der Hund mit der Zeit übergewichtig oder gar fettleibig geworden ist, wird oft versucht die Notbremse zu ziehen, d.h. die Menge des Futters und der Leckerli zu reduzieren. So einfach ist das aber nicht, wie Wissenschaftler betonen (Pretlow 2016).

Denn die plötzliche Reduktion der Menge des Hundefutters und der Leckerli würde nicht nur beim Hund, sondern gerade auch bei manchen Hundehaltern zu regelrechten „Entzugserscheinungen“ führen. Dann nämlich, wenn der Hund als Reaktion auf fehlende Leckerli oder zu wenig Futter dem Frauchen oder Herrchen keine Zuneigung mehr zeigt, ja, sogar unfreundlich wird (Jakovcevic 2013, Carballo 2015, Fugazza 2016). Das wiederum kann beim Hundehalter zu Verlustgefühlen, Unwohlsein, Stress, Ärger oder sogar Aggression führen. Diese Entzugserscheinungen beim ­Menschen würden zeigen, dass es sich tatsächlich um ein Suchtverhalten ­handelt.

Fazit: Nicht nur der Hund ist „süchtig“ auf Leckerli, sondern auch sein Frauchen oder Herrchen oder sonstwer in der Familie ist süchtig auf den Erhalt der Zuneigung des Hundes und zeigt Entzugserscheinungen, wenn sie fehlt.

Bloßes Abnehmen ist out!
Die eben angeführten Kenntnisse, dass es sich in nicht wenigen Fällen bei Übergewicht und Fettleibigkeit um ein Suchtverhalten handelt, erklärt auch das Problem der zahllosen, meist erfolglosen, jedenfalls selten nachhaltigen Versuche der Gewichtsreduktion. Bloßes Abnehmen ist mangels nachhaltigem Erfolg in den meisten Fällen also out. Das gilt für Hunde und Menschen gleichermaßen.
Aus diesem Grund haben die Wissenschaftler der Universität Utrecht ein dreistufiges strategisches Konzept entwickelt, das auf den klassischen medizinischen Suchttherapien wie Entzug/Abstinenz aufbaut und mit verhaltenstherapeutischen Methoden kombiniert wird. Damit werden Kinder und ihre Eltern bzw. analog Hunde und ihre Halter durch einen Prozess stufenweiser nachhaltiger Nahrungsreduktion geführt (Pretlow 2015).

Kurz zusammengefasst besteht dieses dreistufige Konzept aus 1. der Reduktion von hochkalorischer Problemnahrung, 2. dem Verzicht auf Zwischenmahlzeiten (= Leckerli) bzw. deren Einberechnung in die Tagesfuttermenge und 3., nach jeweils 10-tägiger erfolgreicher Absolvierung der Stufen 1 und 2, aus der konsequenten Verminderung der täglichen Energiezufuhr (durch Reduktion der Menge oder Einsatz eines kalorienreduzierten Futters). Dies solange, bis das Zielgewicht bzw. der angezielte Körperzustand erreicht ist.

Begleitet werden diese 3 Stufen von verschiedenen Maßnahmen wie Triggervermeidung, Ablenkung, vermehrte Beschäftigung und Bewegung sowie Verhaltenstherapie. Das Konzept wurde ausführlich in der vorigen WUFF-Ausgabe beschrieben (Mosser 2018).

Besser dick und fit als dünn und schlapp
Dass es sich bei diesem Zwischentitel nicht um einen bloßen Slogan handelt, sondern um einen ganz wichtigen Zusammenhang, der Mensch wie Hund aus dem scheinbar ewigen Kreislauf von Abnehmen und Zunehmen herausnehmen kann, wurde schon in der vorigen WUFF-Ausgabe betont. Man muss und soll nicht sein ganzes Leben nur auf seinen eigenen BMI bzw. den Ernährungszustand seines Hundes konzentrieren und darüber womöglich Lebensfreude verlieren. Wenn Sie vorerst die Reduktion der Nahrungszufuhr, also der Kalorienzufuhr noch nicht angehen wollen, dann verbessern Sie wenigstens das Fitnessniveau. Damit sind Sie für sich und/oder für Ihren Vierbeiner schon einmal auf der sicheren Seite. Denn Übergewicht und sogar Fettsucht haben nämlich dann kaum einen Einfluss auf die Sterblichkeitsrate eines Individuums, wenn gleichzeitig trotzdem ein hohes Fitnessniveau besteht (Barlow 1995).

Zugegeben sei, dass es letztlich für den zu dicken Hund einfacher ist, seine Fitness zu verbessern und/oder seinen Ernährungszustand zu optimieren (= abzunehmen) als dies für sein zu dickes Frauchen oder Herrchen gilt. Denn immerhin ist es der Hundehalter, welcher sich um den Hund kümmert und seinen Ernährungszustand beeinflusst. Hingegen, wenn es um die eigene Fittness und den BMI von Herrchen oder Frauchen geht, müssen wir uns schon um uns selber kümmern. Aber eine gute Motivation, d.h. zu wissen wofür, und eine konkrete Vorstellung vom Ziel, das man erreichen will, sind schon ein guter Beginn. Diese vierteilige Serie möchte dazu beitragen.

Literatur

Die im Artikel zitierte Literatur in alphabetischer Reihenfolge.

• Afshin A et al. Obesity and overweight and their health impact 1990-2015 in 195 countries, N Engl J Med 2017; 377:13-27. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1614362
• Barlow C et al. Physical fitness, mortality and obesity. International Journal of Obesity 1995;19, S41eS44
• Becker N et al., Feeding of dogs and cats in Germany, Tieraerztl. Praxis Kleintiere 2012;40(6):391-397
• Carballo F et al. Dog’s discrimination of human selfish and generous attitudes: the role of individual recognition, experience, and experimenters’ gender. PLOS ONE 2015,å10, e0116314
• Fugazza C et al. Do as I … Did! Longterm memory of imitative actions in dogs (Canis familiaris). Anim Cogn 2016;19:263–269
• Hawn R. Canine: weight management. Vet Tech 2006;27:565–566
• IOM – Institute of Medicine, Committee on Food Marketing and the Diets of Children and Youth. Food marketing to children and youth: Threat or opportunity?. National Academies Press, Washington, D.C; 2006.
• Jakovcevic A et al. Frustration behaviors in domestic dogs. J Appl Anim Welf Sci 2013;16:19-34
• Katz DL, Murimi M, Pretlow RA, et al. Exploring effectiveness of messaging in childhood obesity campaigns. Child Obes 2012;8:97–105
• Lund EM et al. Prevalence and risk factors for obesity in adult dogs from private US veterinary practices. Int. J. Appl. Res. Vet. Med. 2006;4,177
• Mosser H. Nachhaltiges Abnehmen – Gewichtsreduktion bei Hund und Mensch. WUFF 2018;11
• Page RM, Brewster A. Depiction of food as having drug-like properties in televised food advertisements directed at children: portrayals as pleasure enhancing and addictive. J Pediatr Health Care 2009; 23: 150–157
• Pretlow R et al. Treatment of child/adolescent obesity using the addiction model: a smartphone app pilot study. Child Obes 2015;11:248–259
• Pretlow R, Corbee R. Similarities between obesity in pets and children: the addiction model. British Journal of Nutrition 2016;116:944–949
• Raffan E et al. A deletion in the canine POMC gene is associated with weight and appetite in obesityprone labrador retriever dogs. Cell Metab 2016;23:893-900

Übersicht

Die vierteilige Serie zu Übergewicht und Fettleibigkeit bei Hunden (und Menschen) umfasst folgende Beiträge:
1. Zu viel Speck auf den Rippen? Übergewicht bei Hund und Mensch
2. Ein „Fress-Gen“ beim Hund? Ursachen von Übergewicht bei Hund (& Mensch) 
3. Nachhaltiges Abnehmen – Gewichtsreduktion bei Hund & Mensch
4. Liebe gegen Leckerli – Erkauf von Zuneigung durch Futter und Leckerli?

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