Leben mit einem „triebigen" Hund

Von Matthias Wolf

Stellen Sie sich einen Bordercollie vor, der auf einer Farm in England begeistert seiner Aufgabe nachgeht, die Schafe seines Herrn am Abend sicher nach Hause zu treiben. Oder einen Labrador Retriever, der begeistert die eben vom Herrchen geschossene Wildente apportiert. Abends liegen sie entspannt bei Herrchen, der den zu Ende gehenden Tag genießt. Diese Hunde erfüllen den ursprünglichen Zweck, für den sie bzw. ihre Vorfahren gezüchtet worden sind.

Verhaltensstörungen vorprogrammiert
Jetzt stellen Sie sich beide Hunde in einer anderen Situation vor. Nehmen Sie den Bordercollie aus der Farm und den Labrador aus dem Feld und übersiedeln sie in die Stadt. Jetzt leben die Hunde mit ihrem Besitzer, der tagsüber in die Arbeit geht und sich abends mit den Schularbeiten der Kinder beschäftigen oder mit ihnen Fußball spielen muss. Die entspannten Abende werden eher selten sein. Im Gegenteil, die Kombination eines langen Arbeitstages, familiärer Hektik und dem Mangel an entspannter Beschäftigung führt bei dem hohen Energiepotential dieser Hunde nicht selten zu Verhaltensstörungen, die wiederum den Hundehalter frustrieren und nur allzuoft im Tierheim enden.

Vor- und Nachteile
Wenn Sie einen Hund mit einem hohen Energieniveau, also einen „triebigen" Hund, besitzen, dann gibt es Vorteile ebenso wie Nachteile. Ein Hund, der immer bereit ist für „action", ist für einen Menschen, der gerne viel unternimmt, lange Läufe liebt oder etwa Hundesport betreibt, ein idealer Gefährte. Belgische Schäferhunde, auch Rottweiler und Deutsche Schäferhunde aus Leistungszuchten sind häufig sehr triebig auf hohem Energieniveau. Andererseits aber gibt es häufig Hundehalter, die sich genau solche Hunde zulegen, ohne über die Anforderungen dieser Rassen Bescheid zu wissen. Sie zahlen dann den Preis dafür und erleben die Nachteile triebiger Hunde.

Für Aufgaben gezüchtet
Hunderassen wurden für eine bestimmte Funktion gezüchtet. Beispielsweise Retriever und Terrier für Jagd und Sport oder Hütehunde für die Arbeit mit der Herde. Alle diese Rassen haben in ihren Genen die Aktivität, die sie von anderen ruhigeren Rassen unterscheidet. Wenn man daher einen Hund nur nach dem Aussehen, weil er einem gerade gefällt, erwirbt und nicht die rassespezifischen Funktionen in Betracht zieht, wird man nicht immer glücklich mit seiner Entscheidung sein.
Es ist nicht so einfach, mit einem Hund mit einem extrem hohen Energie- und Aktivitätsniveau zu leben. Häufig findet sich destruktives Verhalten, wenn der Hund seine Energie nicht in anderer Weise abreagieren kann. Das Zerbeißen von Gegenständen (Möbel, Teppiche, etc.) ist dann ein häufig genutzer Ausweg, diese Energie abzubauen. Auch das Graben im Garten und ähnliche Aktivitäten dienen dazu und befriedigen zudem die Neugier des Hundes. Nicht selten beobachtet man Energieausbrüche, und der Hund rennt wild im Kreis oder hechtet über Sofas und Stühle und hinterlässt in der Wohnung ein Chaos. Hunde mit zuviel angestauter Energie bellen auch häufiger oder springen über Zäune.

Vorbeugen ist besser als Heilen
Die Lösung für diese Probleme lautet Vorbeugung. Verantwortungsvolle Züchter, die schon an den Welpen erkennen, ob und welche besonders triebig sind, werden den Welpeninteressenten dahingehend beraten. Solche zukünftigen Hundehalter sollten einen Garten mit einem hohen Zaun haben, weiters ausreichend Zeit, sich intensiv mit dem Hund zu beschäftigen, und auch eine dem Hund angepasste körperliche Konstitution. Entsprechendes Wissen über Hunde durch Studium einschlägiger Literatur und Informationen von Hundeleuten sollten ebenfalls Voraussetzung sein. Denn wenn ein Züchter einem unbedarften Hundeinteressenten einen triebigen Welpen verkauft, kann das unvermeidlich in einer Katastrophe enden. Deshalb beraten verantwortungsvolle Züchter den Hundekäufer und empfehlen ihm sogar einen Hund aus einer anderen, weniger triebigen Zucht, oder raten ihm zu einer anderen Rasse oder sogar von einem Hund ab, wenn erkennbar ist, dass der Interessent für die Hundehaltung ungeeignet oder diese mit seinem Lebensstil nicht vereinbar ist.

Es gibt Hoffnung
Aber es gibt Hoffnung für Hundehalter mit triebigen Hunden, die bereits Verhaltensprobleme aufweisen. Der Erfolg einer Problemlösung hängt jedoch weitgehend vom Hundehalter ab! Tägliche Übungen mit dem Hund, wie beispielsweise lange Spaziergänge oder Läufe, können Wunder wirken und den Energiepegel des Hundes abbauen. Triebige Hunde haben meist auch einen starken Beutetrieb, weshalb Spiele mit Bällen, einem Kong, Frisbees und anderen Spielgegenständen ebenfalls gerne angenommen werden und Energie verbrauchen. Herumtoben, Versteck- und Suchspiele und das Erlernen von Kunststückchen sind ebenfalls sehr effektive Alternativen des Energieabbaus. Auch die Teilnahme an Gehorsamskursen der Hundevereine baut nicht wenig Stress ab, wie man an der Ermüdung des Hundes am Ende der Kurszeiten erkennen kann. Zudem macht es Spaß und ist auch für die Halter-Hund-Beziehung wichtig, sowie für einen sicheren Umgang mit dem Hund in unserer Gesellschaft. Weitere Möglichkeiten sind die unterschiedlichsten Sportarten, wie beispielsweise Agility oder Breitensport. Und ist der Vierbeiner auch mit anderen Hunden verträglich, dann ist auch das Herumtoben mit Artgenossen eine gute Möglichkeit des Energieabbaus.
In Hundevereinen findet man zudem oft Kontakt zu anderen Hundehaltern mit triebigen Hunden und kann Erfahrungen austauschen und bekommt neue Ideen. Gute Rassehundevereine beraten ihre Mitglieder auch bei rassespezifischen Problemlösungen.

So lässt´s sich leben …
Lenken wir unsere Gedanken nochmals auf den eingangs erwähnten Bordercollie und den Retriever. Der Besitzer könnte morgens etwa eine Stunde früher aufstehen, und einen langen Morgenspaziergang machen. Außerdem könnte er seinen Hund in einen Gehorsamskurs eingeschrieben haben, und die ganze Familie nimmt am Kursgeschehen teil, und lernt, wie man sich richtig verhält und den Hund korrekt kontrolliert. Und zuhause spielen die Kinder mit dem Hund im Hof Stöckchen apportieren, und wenn der Vierbeiner einmal alleine zuhause bleiben muss, dann kommt er halt in eine fixe oder aufklappbare Hundebox, wo er gemütlich döst, bis das Rudel wieder vollständig da ist. Und jeder ist glücklich und zufrieden. Das ist doch ein Bild, mit dem jeder leben kann, oder?

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