Leben mit einem blinden Hund

Von Achim Janssen

Begonnen hatte alles im Januar 2001. Im Rahmen unserer Initiative "Schäferhunde in Not" wurden wir gebeten, Gilbert, einen blinden, ca. 2-jährigen Schäferhund, der sich in der Obhut der spanischen Tierschutzorganisation ANAA befand, mit auf unsere Internetseiten aufzunehmen, um seine Vermittlungschancen zu erhöhen. Natürlich sind diese für einen blinden Schäferhund grundsätzlich äußerst gering einzuschätzen. Daher wurden besondere Anstrengungen unternommen, Gilbert in ein schönes Zuhause zu vermitteln. Ohne Erfolg.
Kurz bevor wir vom Schicksal Gilberts erfuhren, mussten wir uns schweren Herzens von unserem Langhaar-Schäferhundrüden Benny trennen, da es im Viererrudel zwischen Benny und dem gleichaltrigen Rüden Mücke zu Ernstkämpfen mit schweren Bissverletzungen gekommen war.

Die Chance kam
Was die schlechten Vermittlungschancen des blinden Gilbert angeht, hatten wir uns aber ziemlich getäuscht, denn ein neues Zuhause war bald gefunden: Nach reiflicher Überlegung hatten wir uns nämlich entschlossen, den zuvor frei gewordenen Platz im Rudel für den blinden Gilbert zu reservieren.
Flughafen Düsseldorf am 14. Februar 2001: LH 1417, die Maschine aus Madrid. Gespannt warten wir auf unser neues Rudelmitglied. Bisher kannten wir Gilbert ja nur von einem Foto und wussten, dass er orientierungslos bei Madrid aufgefunden worden war. Wie unsere Hunde und Katzen auf Gilbert reagieren würden, blieb abzuwarten.
Endlich war es soweit. Von weitem konnten wir die große Transportbox erkennen, in der Gilbert während des mehrstündigen Fluges untergebracht war. Mit einem dicken Kuss auf die Stirn wurde Gilbert von der Begleiterin, in deren Obhut er mehrere Wochen verbracht hatte, verabschiedet. Von den vorher verabreichten Beruhigungsmitteln war der Neuankömmling noch ziemlich benommen.

Erster Kontakt mit dem Rudel
Mitten in der Nacht zuhause angekommen, stand der erste Kontakt mit seinem neuen Rudel bevor. Gerne hätten wir Gilbert mit den anderen Hunden auf neutralem Terrain bekannt gemacht. Durch die veränderten Flugdaten jedoch waren alle Pläne über den Haufen geworfen. Ziemlich aufgeregt wurde daher Hund für Hund aus dem Haus geholt. Vollkommen überraschend fand die erste Begegnung ohne nennenswerte Zwischenfälle statt. Von Ricky, dem Rudelchef, war kein Knurrlaut zu hören, und auch Banjas “Begrüßungsbürste” hatte Feierabend. Mücke, der als Letzter schnuppern kam, sollte sich später als unermüdlicher Spielpartner Gilberts herausstellen. Die Sorge, dass Gilbert vom Rudel nicht akzeptiert würde, blieb bis heute unbegründet.

Neue Umgebung für den Blinden
Zunächst wurde Gilbert mit allen Räumlichkeiten vertraut gemacht und ihm Gelegenheit gegeben, die neue Umgebung ausgiebig zu erschnüffeln. Die leichte Unsicherheit, erkennbar an den beim Gehen hoch angehobenen Vorderpfoten, hatte sich schnell gelegt, und Gilbert bewegt sich heute in Haus und Garten wie ein sehender Hund. Natürlich dürfen sich keine Hindernisse auf dem Boden befinden, und auch die Möbel sollten nicht ständig verrückt werden.
An die im Haushalt lebenden Katzen wurde Gilbert langsam herangeführt. Aufgrund des fehlenden Lidschlussreflexes beim blinden Hund ist Vorsicht geboten. Nicht jede unserer Katzen ist mit Hunden so vertraut wie Ratz oder Rübe. Daher ist Gilbert mit den Katzen nie unbeobachtet zusammen.

Gilbert und seine Umwelt
Die wenigen Regeln, die wir in Haus und Garten zu beachten haben, gelten auch für die täglichen Spaziergänge mit Gilbert. An der 8 Meter langen Flexileine bekommt er ausreichend Gelegenheit, seine Umgebung und fremde Menschen zu erschnüffeln. Es ist erstaunlich, wie schnell er sich zurechtgefunden hat. Bekannte Büsche und Sträucher werden geschickt umgangen und immer an den selben Stellen markiert. Richtig freuen kann Gilbert sich auch, nämlich immer dann, wenn er die Stimme von Tonis Herrchen Andreas hört und geruchlich Kontakt aufgenommen hat. Voraussetzung für diese gute Orientierung ist natürlich, dass die Spaziergänge jeweils in bekannter Umgebung stattfinden und nicht ständig die Orte gewechselt werden.

Leiten mit Lautzeichen
Schon bald waren wir in der Lage, Gilbert stellenweise an der Schleppleine laufen zu lassen. Dabei orientiert sich Gilbert natürlich an seinem Rudel, aber auch an Vibrationen, die er von unseren Schritten wahrnimmt. Direkt zu Beginn hatten wir Gilbert auf eine Pfeife konditioniert, und wir nutzten jeden Spaziergang dazu, das Herankommen auf Pfiff zu üben. Als weiteres Signal benutzen wir das Wort "Vorsicht" mit einem anschließenden "O.K". Schnell hatte es Gilbert gelernt, vor Hindernissen abzubremsen und die Richtung zu wechseln.
Bei den täglichen Rennspielen auf der Wiese sieht man Gilbert die Blindheit nicht an. Ab und zu auf die 10-Meter Schleppleine angesprochen, erleben wir dann immer wieder erstaunte Gesichter, wenn die Leute erfahren, dass der dort so fröhlich und ausgelassen tobende Hund blind ist.

Innerartliche Kommunikation
Bei den vielfältigen Begegnungen mit fremden Hunden haben wir die positive Erfahrung gemacht, dass Gilbert aufgrund seiner Behinderung, gut sozialisierte Hunde vorausgesetzt, bevorzugt behandelt wird. Aber auch das eigene Rudel darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Ricky, der älteste und souveränste Hund im Rudel, sonst immer peinlich um seine Individualdistanz bemüht, lässt bei Gilbert sogar über längere Zeitdauer Kontaktliegen zu.

Die Ausbildung von Gilbert
Erziehung schadet nie, dachten wir uns, und haben Gilbert von Beginn an mit den Kommandos "Sitz", "Platz" und "Steh" vertraut gemacht. Dabei machten wir uns den Geruchssinn des Hundes zunutze. Am Leckerchen geführt, konnten schnell die ersten Erfolge erzielt werden. Schon nach wenigen Wochen war das Kommando "Sitz" kein Fremdwort mehr für unseren Spanier. Die Ausbildungsmöglichkeiten sind zwar eingeschränkt, die Ausbildung als solche ist jedoch nicht schwieriger als bei sehenden Hunden. Ausdauer und Konsequenz führen langfristig zum Erfolg.
Was die Leinenführigkeit anbelangt, ist es oft nicht einfach, mehrere Hunde gleichzeitig an der Leine zu führen. Gilbert wurde daher schon kurz nach seiner Ankunft an das Halti gewöhnt, an dem er sich heute gut führen lässt.

Sportliche Aktivitäten
Hunde haben in der Regel ein hohes Laufbedürfnis und lieben abwechslungsreiche Beschäftigung. Es bietet sich daher auch für blinde Hunde an, sie am Rad laufen zu lassen. Die Gewöhnung an dieses Fortbewegungsmittel konnte bei Gilbert schnell erreicht werden. Zum anfänglich nur geschobenen Rad konnte eine positive Verknüpfung über Leckerchen hergestellt werden. Am Rad selbst wird über zwei Leinen sichergestellt, dass Gilbert nicht aus der Spur brechen und sich am Rad verletzen kann.

Tipps für den Umgang mit einem blinden Hund
Blinde Hunde sollte man so normal wie möglich behandeln. Sicheres Auftreten kann dadurch gefördert werden, dass man Ihnen das nötige Vertrauen schenkt. Dazu gehört es auch, dem Hund Leistungen zuzutrauen, statt ihn ständig mit besorgter Miene vor möglichen Gefahren bewahren zu wollen. Der Hund würde diese Angst spüren und sich entsprechend unsicher verhalten. Beflügeln Sie ihre Phantasie und fördern Sie die verbliebenen Sinne des Hundes. Freuen Sie sich über jeden Fortschritt und lassen Sie dies den Hund durch häufige Kontaktaufnahme und eine freundliche Stimme spüren. Regelmäßiges Berühren und Massieren, insbesondere eines blinden Hundes, festigt die Hund-Halter-Beziehung. Auch interessant gestaltete Spaziergänge sind einer positiven Entwicklung des blinden Hundes dienlich und sorgen für die notwendige geistige und körperliche Auslastung.

>>> DES HUNDES SINNE

Augen, Nase, Ohren

Betrachtet man die Sinnesleistungen des Hundes genauer, wird schnell klar, dass ein blinder Hund bei weitem nicht so eingeschränkt ist wie etwa ein blinder Mensch.

Augen
Mit den Augen nimmt der Hund Bewegungen, auch auf große Entfernungen, deutlich besser wahr als der Mensch. Unbewegliches dagegen erkennt der Hund nur sehr undeutlich, wie eine verschwommene Masse. Sicherlich ist manchen Besitzern schon einmal aufgefallen, dass der eigene Hund Herrchen oder Frauchen auf einige Meter Entfernung nur erkennt, wenn er von ihnen angesprochen wird.

Nase
Nicht die Augen, sondern die Nase ist das wichtigste Organ des Hundes. Mit ihr ist der Hund in der Lage seine Umwelt zu erkunden, wahrzunehmen und sich in ihr zurechtzufinden. Der Hund "sieht" über die Nase. Mit weit über 200 Millionen Riechsinneszellen – der Mensch hat nur ca. 5 Millionen – ist der Hund in der Lage, um ein Vielfaches besser zu riechen als der Mensch.

Ohren
Auch das Gehör des Hundes ist dem des Menschen weit überlegen. Selbst im Ultraschallbereich nimmt der Hund noch Schwingungen wahr.

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