Mythen in der Hundewelt
Im zweiten Teil zur Serie der „… du-weißt-aber-schon-dass-Hunde …“ sind wir auf der Suche nach Gründen, warum vor allem den Retrievern, allen voran dem Labrador, ein angeblich unersättlicher Appetit nachgesagt wird. Liegt es wirklich an der Rasse, ist das bei allen „Labbis“ so oder sitzen wir hier wieder einem Mythos auf?
Bungee, ein sehr charmanter 8-jähriger Labrador-Rüde, vergisst nie etwas. Während eines Spazierganges fand er am Flussufer eine Wurstsemmel. Frauchen konnte ihn davon abhalten, diese aufzunehmen. Am nächsten Tag machte sie einen Spaziergang am gegenüberliegenden Ufer des Flusses, da sie vermeiden wollte, dass Bungee die Wurstsemmel doch noch aufsammelte. Bungee löste sein „Ess-Problem“ auf „Labrador-Art“. Er ging zum Fluss, schwamm auf die andere Seite, wo er am Tag vorher die Semmel gefunden hatte, und verspeiste diese genüsslich vor den Augen seines Frauchens. Er wusste noch ganz genau, auf welcher Höhe des Flusses die Semmel lag.
Auch für Eierschalen läuft Bungee meilenweit. Wir waren auf einem gemeinsamen Spaziergang. Im Gebüsch spürte Bungee Eierschalen auf. Es waren wirklich nur noch ein paar Schalen. Um ihn vom Fressen abzuhalten, leinte Frauchen Bungee an. Wir gingen ein ziemlich weites Stück des Wegs und dachten, die Distanz zu den Schalen wäre nun groß genug, und leinten Bungee wieder ab. Er drehte auf dem Fuße um, galoppierte zu den Schalen zurück und ließ es sich schmecken.
Rassebedingt, Wolfs-Erbe oder doch eine Essstörung?
Es könnte drei Theorien für den „unersättlichen Appetit“ geben, der den Retrievern nachgesagt wird. Genauer betrachtet gelten viele Jagdhunderassen als verfressen, und das ist auch gar nicht so schlecht. Ein satter Hund jagt nämlich nicht.
Rassebedingt?
Wann jagen Wölfe, Wildhunde, Füchse und Co.? – Wenn sie hungrig sind oder Jungtiere zu versorgen haben. Verspüren Wildtiere keinen Hunger, gehen sie nicht auf Jagd oder Futtersuche. Es besteht dafür keine Veranlassung. Satt verfallen sie in den „Energiespar-Modus“, betreiben Körperpflege, dösen und schlafen.
Ein Jagdhund, der keinen Appetit verspürt, wird also höchstwahrscheinlich keine große Motivation zeigen, mit Frauchen oder Herrchen auf Futtersuche zu gehen. Deshalb wird vor allem Jagdhunderassen diese Unersättlichkeit nachgesagt, was unserer Theorie nach also nicht schlecht ist. Auch Cocker Spaniel, Beagle und manchen Terrier-Rassen wie Staffordshire Bull und Bull Terrier wird unterstellt, alles zu schlucken, was ihnen vor die Nase kommt. Bei Hüte- und Schäferhund-Rassen bekommt man „… du weißt aber schon, dass der alles frisst …“ eher weniger oft gesagt.
Wolfs-Erbe?
In Wolfsrudeln gibt es keine Futterschüsseln und keine zweibeinigen Dosenöffner. Machen Wölfe Beute, fressen sie so viel wie „rein geht“. Keiner von ihnen weiß ja, wann es die nächste Mahlzeit gibt, wie groß die Mahlzeit ist und für wie lange sie reicht. Sättigungsgefühl wäre da eher kontraproduktiv.
Oder doch eine Essstörung?
Es gibt bei Menschen das sogenannte Prader-Willi-Syndrom. Daran erkrankte Patienten spüren kein Sättigungsgefühl, ihre Gedanken kreisen ständig ums Essen. Beim Menschen wird diese Genmutation vom Vater vererbt und sitzt auf dem Chromosom 15, welches defekt vererbt wird. Im Buch „Gastroenterologie bei Hund und Katze“ von Jörg M. Steiner wird auf diese erbliche Krankheit bei Hunden eingegangen.
Auch wenn Retriever und andere Jagdhunde-Rassen in ihrem Appetit alle Register ziehen, was Fressen angeht, können alle anderen Hunderassen ebenfalls erstaunlich große Mengen auf einmal zu sich nehmen. Ist diese Fresslust also eventuell eine ererbte Fressstörung, die in der Wildnis, durch das Fehlen des Sättigungsgefühls, das Überleben sichern kann? Gilt dieser Mythos für alle Labradore?
Bo, 4-jähriger Labrador-Rüde aus der Schweiz, ist Wasserrettungshund. Guido Dux über Bo: „… mein Bo und ich sind im noch sehr wenig bekannten Sport ‚Wasserarbeitshund‘ aktiv. Bo bekommt nichts vom Tisch, nur ausgelöffelte Joghurtbecher darf er ausschlecken. Er stibitzt zu Hause nichts, und durch das zuverlässig aufgebaute Verbotswort ‚Nein‘ lässt er auch draußen schmackhafte Leckerbissen liegen, wenn ich es ihm sage …“ (Siehe auch Interview)
Ally, 5-jährige Labrador-Hündin aus dem Saarland, kann ihren Appetit sehr gut „kontrollieren“. Sabrina Finkler über Ally: „… Ally ist nun 5 Jahre alt und stammt aus einer Arbeitslinie. Sie ist bei der Arbeit sehr temperamentvoll, kann aber, vor allem mit Kindern, sehr ausgeglichen und ruhig agieren. Sie hat mit mir die Begleithundeprüfung abgelegt. Sportlich sind wir im Turnierhundesport, Rallye-Obedience und beim Mantrailing aktiv. Vor allem beim Trailen wäre es fatal, wenn sie nur nach Fressbarem suchen würde. Ally schnüffelt während der Spaziergänge zwar viel, nimmt aber nichts auf, und auch zu Hause hat sie noch nie etwas geklaut. Würde Ally nur nach Leckereien fahnden, wären wir im Hundesport sicher nicht so erfolgreich …“
Ein verfressener Blindenführhund kann problematisch werden
Kann man Fressverhalten also erzieherisch beeinflussen? Ja – eindeutig ja, denn könnte man es nicht, wäre der Labrador als Apportierhund nicht zu gebrauchen. Der Hund soll seine Beute heil und vor allem im Ganzen beim Jäger abliefern. Labrador Retriever sind noch immer die beliebtesten Blindenführhunde und die häufigste Rasse, die zu sogenannten Service-Hunden für gehandicapte Menschen ausgebildet werden.
Auch bei der Ausbildung zum Therapiehund, Schulhund und in allen Bereichen der Rettungshundearbeit sind Labradore sehr beliebt. In all diesen „Hunde-Berufen“ darf der Hund keinesfalls wegen Wurstsemmeln oder Eierschalen seine Aufgaben unterbrechen oder vergessen. Wenn der Blindenführhund seinen Halter nur von Leckerbissen zu Leckerbissen oder von Mülleimer zu Mülleimer führt, werden die beiden nie am Ziel ankommen.
Präventiv können Sie bei der Ausbildung Ihres Labradors, aber auch bei allen anderen Rassen, Folgendes beachten:
– Welpen nicht mit Futter locken. Vermeiden Sie schon beim Welpen-Training, den Hund mit Futter zu locken. Die leider noch immer sehr verbreitete Methode „Leckerchen-dem-Hund-vor-die-Nase-halten“ fördert nur die Konzentration auf Futter. Der Hund lernt zwar dem Futter zu folgen, blendet den Halter meist aber komplett aus.
– Erfolge für den Hund vermeiden. So „abgedroschen“ es klingen mag: räumen Sie zu Hause alles Fressbare so weg, dass der Hund nicht rankommen kann. Wenn Hunde auch nur ein einziges Mal Erfolg beim Stehlen haben, werden sie es immer wieder tun.
– Ebenfalls ein großes Problem der Labrador-Halter ist, dass manche Vertreter dieser Rasse auch Dinge fressen, die nicht unbedingt als Nahrung geeignet sind. Das können Socken, Steine, Spielzeuge und sogar Watte sein. Der beste Rat lautet hier ebenfalls: Aufräumen – immer und alles
– Abbruchsignal aufbauen. Fangen Sie schon mit dem Welpen an, ein solide funktionierendes Abbruchsignal und zuverlässigen Blickkontakt zu trainieren. Ein POSITIV aufgebautes Verbotswort wird Ihr Hund gerne und schnell befolgen. Belegen Sie ein Abbruchsignal niemals negativ, da sonst die Gefahr besteht, dass sich der Hund nur weiter von Ihnen entfernt, anstatt zu Ihnen zu kommen. Welches Wort Sie nehmen, bleibt Ihnen überlassen, achten Sie nur darauf, dass es ein Wort ist, dass Ihnen schnell von den Lippen geht.
Immer öfter gibt es Meldungen über ausgelegte Giftköder. Verfressene Hunde sind hier natürlich sehr gefährdet. Es gibt inzwischen in einigen Hundeschulen Kurse zur „Giftköder-Prävention“. Hier lernen Hunde das, was sie draußen finden, liegen zu lassen.
Eine 100%-ige Sicherheit gibt es natürlich nicht, das gilt aber für ALLE Rassen. Man kann durch konsequentes Training das Risiko zwar nicht ausschließen, aber zumindest minimieren.
Labrador – Allesfresser, Biotonne oder doch essgestört?
Der Labrador ist nur einer der sechs Retriever-Schläge. Retriever sind die am häufigsten vertretenen Rassen in meinen Kursen. Neben dem Golden Retriever ist der Labrador eindeutig der beliebteste aller Retriever. Vor allem diesen beiden wird der unbändige Appetit nachgesagt. Nova Scotia, Curly Coated, Chesapeake Bay und Flat Coated Retriever werden eher selten gehalten. Inzwischen konnte ich alle diese Schläge kennenlernen. Und es waren bei weitem NICHT alle nur auf Futter fixiert.
WUFF – Interview
Guido Dux aus der Schweiz betreibt mit seinem Labrador Bo den seltenen Hundesport Wasserarbeitshund
WUFF: Warum betreiben Sie die noch seltene Hundesportart Wasserarbeitshund?
Guido Dux: Mein Labrador Bo, er ist jetzt 4 Jahre alt, zeigt natürlich aufgrund seiner Rasse schon eine große Affinität zum Wasser. Ich bin in diesem Element auch gerne zu Hause. Die Arbeit bringt für Hund und Halter sehr viel Abwechslung. Frauchen oder Herrchen sollten jedoch keine Angst vor Wind, Wasser und Wellen haben und vor allem gut schwimmen können. Es ist immer sehr spannend, die Entwicklung der Hunde bei diesem noch sehr unbekannten Hundesport zu beobachten. Spannung pur, vom Anfänger bis zum Hund, der ohne Angst aus einem Boot springt.
WUFF: Wie wird diese Arbeit aufgebaut?
Guido Dux: Alles wird sehr spielerisch aufgebaut. Die Hunde müssen als Erstes lernen, die verschiedensten Dinge zuverlässig ans Ufer zu bringen. Das reicht von kleinen Gegenständen wie einfachen Bällen und üblichen Dummys, bis hin zu größeren Holzstücken. Auch das ins Wasser Springen muss der Hund erst lernen. Es erfordert großes Vertrauen des Hundes zum Halter, da der Hund bei eventuell späteren Prüfungen aus dem Boot ins Wasser springen muss, während der Halter im Boot bleibt.
WUFF: Gibt es Wettbewerbe/Prüfungen, wie sieht es mit Einsätzen in Notfällen aus?
Guido Dux: Einsätze im Ernstfall gibt es nicht. Diese Arbeit mit dem Hund wird in der Schweiz ausschließlich als Sport betrieben. Die Prüfungen bestehen aus den zwei Teilen Unterordnung und Wasserarbeit und sind in vier Stufen eingeteilt. Stufe 1 sind die Anfänger, in den höheren Stufen werden die Anforderungen an das Mensch-Hund-Team langsam gesteigert. Zu den Aufgaben gehört natürlich auch die solide Grund- und Unterordnungsausbildung. Des Weiteren wird geprüft, wie zuverlässig der Hund hinter einem Boot her schwimmt. Auch Distanzschwimmen wird verlangt, wobei sich die Strecken von 200 m über 400 m bis zu 1.000 m, je nach Ausbildungsstufe, steigern können. Bo und ich trainieren gerade für die Prüfung der Stufe 3.
WUFF: Was bewirkt diese Arbeit für das alltägliche Leben mit Ihrem Bo?
Guido Dux: Vertrauen, vor allem wirklich großes Vertrauen des Hundes zu mir. Und natürlich stärkt es auch ganz erheblich unsere Bindung. Das Selbstvertrauen des Hundes wird gefestigt und die körperliche Fitness trainiert. Bo ist durch und durch ein Allrounder. Leidenschaftlich mit mir bei der Wasserarbeit, ist er auch Familienmitglied, Freizeitpartner, Spielgefährte, Tröster, einfach unser Seelenhund. Er geht mit unserem 10-jährigen Sohn sehr vorsichtig um und von Frauchen lässt er sich äußerst gerne rundum-verwöhnen.
WUFF: Um auf das Thema der Serie „… du weißt aber schon, dass …“ zu kommen, wie sieht es mit Bos Appetit aus?
Guido Dux: Es wäre schon etwas peinlich, wenn die Hunde in unserer Sportgruppe ein schwimmendes Brötchen „retten“ würden und sich ihrer Aufgabe erst nach dem Leckerbissen zuwenden. Bo bekommt wie jeder Hund seine normalen Mahlzeiten und „eigentlich“ (Betonung auf eigentlich) nichts vom Tisch. Joghurtbecher darf er nämlich ausschlecken, und er kommt schon, wenn wir den Deckel von einem Becher abziehen. Ansonsten würde ich sagen, Bo zeigt kein übermäßiges Fressverhalten oder ständiges Suchen nach Fressbarem. Er hat zu Hause noch nie etwas Essbares entwendet und auch draußen sammelt er nichts auf. Ein „nein“ ist ein „nein“, wenn ich es ihm sage. Natürlich muss ich auch mit Bo vorausschauend gehen. Ich denke aber, das sollte man mit jedem Hund, egal welcher Rasse, tun.
WUFF: Für welche Rassen ist dieser Hundesport geeignet?
Guido Dux: Eigentlich für alle Rassen, die sich im Wasser wohl fühlen. Neben Labradoren werden auch Deutsche Schäferhunde, Malinois und Neufundländer in diesem Sport geführt. Der Hund sollte nicht zu klein sein. Ein Gewicht ab 20 kg wäre schon gut, da die Hunde ja Boote ziehen, in denen bis zu 4 Personen sitzen. Der Wasserarbeitshund sollte auch in der Lage sein, bis zu zwei Taucher ans Ufer zurück zu bringen. Deshalb sind zu kleine und leichte Hunde für diesen Sport weniger geeignet.
WUFF: Wenn man jetzt Interesse an diesem Sport hat, wohin kann man sich wenden?
Guido Dux: Falls jetzt jemand Lust auf diesen sehr abwechslungsreichen Sport bekommen hat, kann sie/er sich sehr gerne an unseren Verein Hundesport Arbon wenden. Je nach Wohnort können wir auch gerne Ansprechpartner in anderen Vereinen der Schweiz weitergeben. Wir freuen uns immer über neue Sportkollegen.
Kontakt:
Hundesport Arbon und Umgebung
Bleichestrasse
CH 9320 Arbon
info@hundesport-arbon.ch
Pdf zu diesem Artikel: mythen_labrador