Kynopädagogik – Co-Pädagoge Hund hat die Nase vorn!

Die Zahl der Hunde, die in Schulen oder anderen pädagogischen oder betreuenden Einrichtungen im Einsatz sind, ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts stetig gestiegen. Die Aufgaben der Hunde in den einzelnen Institutionen unterscheiden sich allerdings erheblich. Sie reichen von bloßer ­Anwesenheit mit Streicheln, Füttern und Ausführen bis hin zu zielgerichteten, eventuell sogar bühnenreifen ­Interaktionen. Voraussetzung dafür, dass dieses Potenzial pädagogischer (und therapeutischer) Begleithunde auch optimal genutzt werden kann, sind einerseits ein umfangreiches Wissen von den einzigartigen Möglichkeiten hundgestützter Interventionen und deren Wertschätzung und ­andererseits eine auf die Mensch-Hund-Teams und deren Arbeitsplatz abgestimmte Ausbildung.

Die Kynopädagogik als ein modernes pädagogisches Konzept kann in einer Zeit der Umstrukturierung unseres Bildungssystems auf drei zentralen Feldern einzigartige Beiträge leisten:

1. Erwerb von Kompetenzen und ­Persönlichkeitsentwicklung,

2. Individuelle Förderung,

3. Inklusive Beschulung (s. Kasten auf Seite 40).

Im Zentrum der kynopädagogischen Arbeit steht die als Spiel ­verstandene ganzheitliche Kommunikation ­zwischen den Arten, also zwischen Mensch und Hund. Der Hund ist wegen seiner Jahrzehntausende langen Koevolution an der Seite des Menschen für eine solche Arbeit geeignet wie kein anderes Tier. Denn er hat gelernt, seine zweibeinigen Partner zu verstehen und sich ihnen verständlich zu machen. Übrigens gelingt das unserem Hund sogar besser als den Primaten, wie inzwischen auch wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen haben. Hunde verstehen ihre Menschen nicht nur, sondern sind in der Lage, empathische Be­ziehungen zu ihnen aufzubauen und bisher stumme oder verstummte Saiten bei ihren Menschen-Freunden anzurühren. Das heißt, der Hund bringt, wenn er über positive Verstärkung entsprechend ausgebildet worden ist, die besten Voraussetzungen mit, um ein kompetenter Co-Päda­goge auf vier Pfoten zu werden.

Am Anfang kynopädagogischer Arbeit, sei es in Kindertagesstätte, Schule oder in Förderprogrammen, steht ein vertiefendes Kennenlernen des Partners Hund als denkendes und fühlendes Wesen. Um die Welt aus der Sicht des Hundes zu erfahren und um die eigene Wahrnehmung zu schärfen, schlüpfen Kinder oder Jugendliche immer wieder in die Rolle des Hundes. Dabei lernen sie ebenfalls, wie sie sich dem Hund am besten verständlich machen können. Themen der ­Aktionen und Interaktionen sind einerseits Alltagssituationen und andererseits Elemente aus verschiedenen Hunde­sportarten wie Agility, Mobility und Trickdogging oder aus der Nasen- und Zirkusarbeit. Das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation, zunächst in ritualisierter und dann auch in freier, eigenverant­wortlicher Form, leitet der Kyno­päda­goge zunächst wie ein Mediator als Vermittler zwischen den Arten, um dann im Laufe der Zeit wie ein Moderator immer weiter in den Hintergrund zu treten.

Beim Erlernen einer achtsamen und respektvollen Kommunikation stellt der Umgang mit Emotionen eine wichtige Komponente dar. Dabei geht es sowohl um die Wahrnehmung und Achtung der Gefühle des Hundes als auch um den Ausdruck der eigenen Emotionen, z.B. die Übermittlung von echtem, ehrlichem Lob – für so manchen eine schwierige Übung. Der Hund unterstützt diesen Prozess als idealer Lehrmeister dadurch, dass er vorurteilsfrei und ohne zu werten spiegelt, was er aus bewusst oder unbewusst übermittelten Botschaften versteht. So werden Kinder und Jugendliche sich durch die Interaktionen mit dem Hund der ständig ab­laufenden Kommunikationsvorgänge bewusst. – Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren! (Watzlawick und Beavin, 2000) Und so lernen sie, Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung für das ­Wohlergehen ihres vierbeinigen Freundes und Verantwortung für Entschlüsseln und Senden von (interspezifischen) Botschaften. Und sie lernen, das Glück gelungener Kommunikation ebenso wie Nähe, Wärme und Zuneigung ihres vier­beinigen Freundes zu genießen.

Das Einüben einer bewussten, achtsamen Kommunikation mit dem Hund wirkt sich oft „automatisch" auch auf die zwischenmenschliche Kommunikation aus. Diese Erfahrung wird durch wissenschaftliche Studien bestätigt, die derzeit von der multiprofessio­nellen Arbeitsgruppe „Human ­Animal Interaction in Psychology" an der ­Universität Wien durchgeführt ­werden. (Vgl. WUFF 11/2011)

Kynopädagogik in Kindertagesstätten, Schulen und Förder­programmen

Kynopädagogik eignet sich wegen der spielerischen ­Vermittlung der Inhalte schon für die Arbeit in Kinder­tagesstätten, zur Förderung von Kreativität und ­Persönlichkeit durch den Erwerb von sozialen, emotionalen und fachlichen Kompetenzen. Für diese anspruchsvolle Aufgabe eignet sich der Hund als großes Rahmen­thema, in das sich (fast) alle Bereiche der erzieherischen Arbeit integrieren lassen: Der Hund wird Anlass, sich mit sinnlichen ­Wahrnehmungen, Befindlichkeiten und Emotionen ­auseinanderzusetzen, er unterstützt und lenkt die Bewegungsfreude, er lässt ­Kommunikation und Interaktion auf der Basis von ­Achtsamkeit und Respekt bewusst erleben und bietet unzählige Gelegenheiten, Neues zu entdecken, Rollen zu spielen, eigene Pläne und Strategien zu entwickeln und zu über­prüfen.

Natürlich verlangt der Altersunterschied von den Jüngsten bis zu den Vorschulkindern einen differenzierten Umgang mit dem Thema Hund und den damit verbundenen Aktionen und Interaktionen. So übt z.B. auf die jüngeren Kinder das Hund-Spielen häufig eine größere Faszination aus als das Mit-Dem-Hund-Spielen. Auch innerhalb der Lehrpläne der unterschiedlichen Schulformen bietet die Kynopädagogik zahlreiche Möglichkeiten für eine individuelle Gestaltung nicht nur des Unterrichts, sondern auch von fächerübergreifenden Projekten und Arbeitsgruppen. Art und Anspruchsniveau der kynopädagogischen bzw. fächerübergreifenden Arbeit richtet sich nach den Vorgaben und Möglichkeiten der jeweiligen Schule sowie den Neigungen, Fähigkeiten und Ausbildungen der dort unterrichtenden Lehrkräfte und ihrer Hunde.

Wichtig ist, dass der Hund grundsätzlich als Freund oder freundschaftlicher Begleiter in die Schule kommt. In der Regel sollten mit dem Hund verbundene pädagogische Absichten den Kindern und Jugendlichen gegenüber nicht thematisiert werden. Nur so kann die Anwesenheit des Hundes sich positiv auf die Atmosphäre aus­wirken, auf die Entstehung eines Gefühls freundschaftlicher Verbundenheit sowie auf die Bereitschaft Rücksicht zu nehmen und sich an Regeln zu halten sowie Verantwortung zu ­übernehmen und Ängste zu über­winden. Der Co-Pädagoge Hund wird so für die Kinder/Jugendlichen zu einem bedeutsamen Helfer beim Erwerb sozio-emotionaler Kompetenzen.

Fördermaßnahmen

Geht es um gezielte Fördermaßnahmen, ist natürlich zuerst der Förderbedarf festzustellen bzw. eine Diagnose vom Fachmann einzuholen. Für die Entwicklung von Förderprogrammen bzw. Förderplänen ist, wenn es sich z.B. um Legasthenie, Dyskalkulie, AD(H)S, Autismus (Asperger Syndrom) sowie geistige oder motorische Beeinträchtigungen handelt, eine spezielle Ausbildung notwendig. Das heißt, ein kynopädagogischer Förderplan kann, wenn der Kynopädagoge nicht selbst eine entsprechende Ausbildung abgeschlossen hat, nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit (idealerweise auch unter Einbeziehung der Eltern) erstellt werden.

Ob es sich nun um Förderbedarf im Bereich der schulischen Leistungen, des Sozialverhaltens, der physischen oder psychischen Entwicklung bzw. beim Erwerb von Kompetenzen handelt, immer ist es so, dass die Kinder sich um des Hundes willen bereitwilliger oder sogar freudig auf das jeweilige Programm einlassen. Deshalb ist auch hier zu beachten, dass der Hund nur als Freund oder freundschaftlicher Begleiter in Erscheinung tritt.

Dabei kann die Rolle des Hundes entsprechend dem individuellen Förderbedarf der jeweiligen Kinder und Jugendlichen sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. ­Grafik auf Seite 41). Die Übungen werden dem jeweiligen Bedarf entsprechend angepasst oder erweitert. Außerdem ist der Kynopädagoge jederzeit in der Lage, die Kinder in erforderlichem Maße – auch unbemerkt – zu unterstützen, so dass diese auf jeden Fall zum gewünschten Erfolg gelangen.

Was ist Kynopädagogik

Kynopädagogik bezeichnet ein ganzheitliches, handlungsorientiertes und persönlichkeitsförderndes pädagogisches Konzept. Ihre didaktisch-methodische Konzeption macht die Kynopädagogik nicht nur lehrbar, sondern auch überprüfbar.

Das Wort selbst leitet sich aus dem Griechischen her. Seine drei Bestandteile, kyon (Gen. kynos) „Hund", pais (Gen. paidos) „Kind" und agein „führen, lenken, leiten", korrespondieren mit den drei Grundkomponenten des hier zu beschreibenden Konzepts: Zielgerichtetes Arbeiten (agein) mit Kindern/Menschen (pais) unter interaktiver Beteiligung entsprechend ausgebildeter Hunde (kyon), die die Kinder ein Stück weit in Lernprozessen und ihrer Persönlichkeitsentwicklung begleiten.

Durch spielerische Interaktionen zwischen Kind/Mensch und Hund, die auf respektvoll-achtsamer Wahrnehmung des Interaktionspartners Hund gründen, werden nicht nur sozioemotionale Kompetenzen, sondern auch die gesamte physische, psychische und mentale Entwicklung, also die gesamte Persönlichkeit gefördert.

Inklusion – diskriminierungsfreies Leben und ­Lernen

Am 13. Dezember 2006 hat die Generalversammlung der Ver­einten Nationen die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschiedet. Seit dem 26. März 2009 sind Konvention und Zusatzprotokoll auch in Deutschland verbindlich. Im Artikel 24 der Konvention verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten zu einem „inclusive educational system at all levels", einem inklusiven Bildungssystem auf allen Ebenen. Sylvia Löhrmann definiert in ihrer Rede vom 29. Januar 2011 Inklusion als „selbstbewusstes und diskriminierungsfreies Leben und Lernen von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen". (Der Landtag in Nordrhein-Westfalen hatte im Dezember 2010 ohne Gegenstimmen beschlossen, die UN-Konvention zur Inklusion in der Schule umzusetzen.) Die Bildungsministerin räumt in der zitierten Rede ein, dass zur Umsetzung des inklusiven Gedankens „ein grundlegender Mentalitätswechsel in unserer Gesellschaft und in unseren Schulen" nötig ist. Inklusion bedeutet nach Degenhardt Teilhabe für alle, unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft oder IQ, bedeutet eine Grundhaltung, die auf Toleranz und Wertschätzung jedes einzelnen in seinem So-Sein basiert, bedeutet also für unser Bildungssystem eine Schule für alle.

Literatur:

■ P. Watzlawick u. J.H. Beavin, Menschliche Kommunikation, Huber 2000, S. 50 und öfter.

■ Degenhardt, Sven. Universitäres Lehramtsstudium „Blinden- und Sehbehindertenpädagogik" in den Zeiten einer zu ent­wickelnden inklusiven Schule. In: blind-sehbehindert: ­Zeitschrift für das Sehgeschädigten-Bildungswesen, 130,2,114-122(2010).

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