Kurt Kotrschal: „Menschen sind ohne Hunde unvollständig“

Von Monica Sterle

Neues Buch des Verhaltensforschers Kurt Kotrschal über „Hund und Mensch“

Wien (APA) – Die Menschen wären ohne Hunde nicht nur einsamer, weniger gesund und unvollständig, sondern hätten auch eine ganz andere Kultur, erklärt der österreichische Verhaltensforscher Kurt Kotrschal in seinem neuen Buch „Hund und Mensch“. Warum dem so ist, wieso in Städten immer mehr Hunde leben und wie man Hunde modern und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erzieht, verrät er im Gespräch mit der APA.

APA: Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, seit 35.000 Jahren gibt es keine menschliche Kultur ohne Hunde. Heißt das im Umkehrschluss, dass die Welt ohne Hunde eine ganz andere wäre?

Kurt Kotrschal: Genau wissen können wir das nicht, denn es gibt weltweit keine wissenschaftliche Kontrollgruppe – also eine Kulturform ohne Hunde. Aber genau, weil die Menschen eben seit 35.000 Jahren stets Hunde dabei hatten, können wir annehmen, dass diese in ihrer Entwicklung immer eine große Rolle gespielt haben.

Die Aborigines sind auf den ersten Blick eine Ausnahme, denn die Dingos kamen erst viele tausend Jahre nach ihnen, nämlich vor 3.500 Jahren, nach Australien. Aber ab dem Zeitpunkt spielten sie bei diesen Leuten eine riesige Rolle und haben ihr ganzes Sozialsystem und die Vorstellungswelt umgekrempelt.

APA: Es gibt auch die Theorie, dass die Beziehung der modernen Menschen zu Hunden einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Neandertalern ausgemacht hat. Was halten Sie davon?

Kotrschal: Das ist durchaus möglich. Es gibt keinen Hinweis, dass die Neandertaler, die bis vor 22.000 bis 25.000 Jahren gleichzeitig mit modernen Menschen in Europa vorkamen, eine Wolfspartnerschaft hatten. Als bei den modernen Menschen die Partnerschaft mit Wölfen begann, tauchten in Europa auch die ersten Mammutcamps auf. Das lässt natürlich die Vermutung zu, dass die beiden bei der Jagd etwas gedreht haben, was für beide Seiten Vorteile brachte. An einer Fundstätte nahe Brünn hat man 30.000 Jahre alte Säugetierüberreste einschließlich jener von Menschen, Hunden und Wölfen gefunden. Mit Isotopenuntersuchungen haben Forscher ihre Ernährungsgewohnheiten herausbekommen: Die Menschen und Wölfe aßen ausschließlich Mammut, vielleicht haben sie das gemeinsam erjagt. Die Hunde lebten damals von Pferden und Rentieren, die sie vielleicht alleine jagen mussten. Was diese Befunde genau bedeuten, ist aber schwer zu interpretieren.

APA: Wieso ist eigentlich gerade der Hund und nicht ein anderes Tier bester Freund des Menschen geworden?

Kotrschal: Damals waren die Menschen Jäger und Sammler und haben ihre Umgebung notwendigerweise sehr gut beobachtet. Dabei sind sie wahrscheinlich draufgekommen, wie ähnlich Wölfe den Menschen im Sozialsystem und der Lebensweise sind. Beide sind Laufjäger, leben in kleinen Gruppen, kooperieren innerhalb der Gruppen irrsinnig gut beim Jagen und Aufziehen der Kinder, aber verteidigen sich auf Gedeih und Verderb gegen ihre Nachbarn.

Schon Konrad Lorenz und Jane Goodall haben übrigens über diese Frage philosophiert. Sie waren sich grundeinig, dass eine Partnerschaft etwa mit den verwandtschaftlich viel näheren Schimpansen überhaupt nicht funktionieren könnte, weil Menschen selber genug machiavellistisch sind und Kumpantiere brauchen, die einen nicht bei der ersten Gelegenheit übers Haxl hauen, sondern auf ehrliche Kooperation eingestellt sind, wie Hunde und Wölfe.

APA: Wie ist eigentlich der Wolf zum Hund geworden?

Kotrschal: Wahrscheinlich innerhalb weniger Generationen, also etwa 10 bis 30, passierte eine Auslese auf jene Tiere, die besonders gut mit Menschen konnten. Die meisten genetischen Veränderungen vom Wolf zum Hund geschahen in Hirnbereichen fürs Verhalten und bei der Verdauung, sie können also Milchprodukte und Stärke so wie wir recht gut verwerten. Das sind übrigens dieselben Anpassungen, wie sie bei den Menschen in dieser Zeit passierten.

Kurt Kotrschal – Hunde als „soziale Schmiermittel“

Wenn die Beziehungsqualität zum Hund stimmt

APA: Die heutige Welt ist hochtechnologisiert, die Menschen leben mehrheitlich in Städten. Wozu brauchen sie da noch Hunde?

Kurt Kotrschal: Paradoxerweise ist es so: Je mehr Menschen in Städten leben, umso mehr Hunde halten sie. Das weist für mich darauf hin, dass das Stadtleben Komponenten aufweist, für die die menschliche Psyche nicht vorbereitet ist. Ich möchte das Landleben nicht romantisch verklären, aber in den Städten ist alles hektischer und es gibt durch die elektronischen Sozialmedien immer weniger reale Kontakte zwischen den Leuten. Mit einem Hund müssen sie aber unmittelbar kommunizieren, und diese sind sehr fähig, unsere sozialen Grundbedürfnisse zu erfüllen.

Außerdem sind Hunde quasi „soziale Schmiermittel“ für Beziehungen von Mensch zu Mensch: Schwierige Kinder kommunizieren in ihrer Gegenwart viel ruhiger und netter miteinander, ältere Leute sind viel besser vernetzt und gesünder, wenn sie mit einem Hund leben, und die Kommunikation innerhalb einer Familie mit Hund ist intensiver und besser, als in hundelosen Familien. Wichtig ist dabei aber immer, dass die Beziehungsqualität zum Hund stimmt. Sie ist ein Schlüssel für die soziale und gesundheitliche Wirksamkeit von einem Hund.

APA: Hunde kooperieren, wie sie im Buch ausführen und wissenschaftlich gezeigt wurde, besser mit Menschen als Artgenossen. Macht es dennoch Sinn, sich ihnen gegenüber als Alpha-Tier und Rudelführer aufzuspielen, wie manche „Hundeexperten“ erklären?

Kotrschal: Im Gegensatz zu Wölfen stört es Hunde viel weniger, wenn sie sehr dominant behandelt werden. Sie sind durch die Domestikation viel toleranter gegenüber sozialer Inkompetenz vonseiten der Menschen geworden. Daher vertragen sie auch die alten Schäferhundmethoden besser, also ein Anschreien, Herumkommandieren und militärischen Umgangston. Damit zerstört man aber die Qualität der Langzeitbeziehung. Wenn ich als Chef in einem Betrieb ständig auf den Tisch hau und meine Leute anschrei, werden sie wahrscheinlich tun was ich sage, aber nicht mehr. Die Beziehungsqualität ist dann bei Null und eigenständiges Denken abgeschaltet. Genau so ist das bei Hunden.

Die Alternative dazu ist ein positiver Führungsstil. Hunde wollen geleitet werden – wenn ich als menschlicher Partner weiß, was ich will und das dem Hund klar kommuniziere, wird er freudig dabei sein. Man muss durchaus Grenzen setzen, aber das kann in einem freundlichen Ton passieren, man muss dazu nicht herumbrüllen. Dominieren und Gewaltmaßnahmen sind nicht nötig und kontraproduktiv.

APA: Woher kommt dieser Glaube, Hunde dominieren zu müssen und sich teils mit Gewalt durchzusetzen?

Kotrschal: Das hat historische Wurzeln. Man hat geglaubt, Wolfsrudel seien irrsinnig hierarchisch organisiert und der Alpha-Wolf setzt sich durch, indem er den anderen in den Hintern beißt, wenn sie nicht tun, was er sagt. Nichts davon ist wahr. Wölfe leben eine relativ meritokratische Gesellschaft, also jene haben das Sagen, die die meiste Erfahrung mitbringen. So wie es früher auch bei den Menschen war.

APA: Sie schreiben schließlich, Menschen ohne Hunde sind irgendwie unvollständig – was fehlt ihnen?

Kotrschal: Auf jeden Fall einmal ein sozialer Bonus: Ein Berliner Soziologe hat herausgefunden, dass sogar hundekritische Personen Hundehalter insgeheim bewundern und beneiden. In Begleitung eines Hundes wird man positiver wahrgenommen, wenn es nicht gerade ein kampfbereiter Listenhund ist. Deshalb verwendet auch die Werbung immer öfter unmotiviert das Auftauchen von Hunden, diese sind hier ein Symbol für ein gut funktionierendes Sozialleben. Unvollständig heißt natürlich nicht, dass jeder einen Hund haben muss. In Österreich wohnen aber zwei Millionen Menschen mit 700.000 Hunden zusammen, da muss man natürlich auch fordern, dass die Wohnungen und Städte entsprechend hundefreundlich gebaut werden. Damit sind sie übrigens gleichzeitig kinderfreundlich, weil Hunde und Kinder sehr ähnliche Bedürfnisse haben.

(Das Interview führte Jochen Stadler/APA)

ZUR PERSON: Der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal ist Professor an der Universität Wien, Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal (OÖ) und Mitbegründer des Wolf-Science-Center in Ernstbrunn (NÖ). Er wurde vom „Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Österreichs“ zum Wissenschafter des Jahres 2010 ernannt und sein 2012 erschienenes Buch „Wolf- Hund-Mensch“ als österreichisches Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet.

(Kurt Kotrschal: „Hund und Mensch – Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft“; Brandstätter Verlag; 256 S., 24,90 Euro)

 

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