Kommunikation unter Hunden

Von Kristina Ziemer-Falke

Vererbt oder erlernt?

Hunde kommunizieren untereinander über Körpersprache und Lautäußerungen. Obwohl es große Unterschiede in Größe und Aussehen gibt, verstehen sich die meisten Hunde problemlos untereinander. Woran liegt dies? Ist die Fähigkeit zur Kommunikation unter Hunden genetisch vorgegeben? Oder müssen Hunde »Hundesprache« erst erlernen?

Die Frage, ob Verhalten erlernt oder vererbt ist, beschäftigt die Wissenschaft schon seit dem 19. Jahrhundert. Angefangen mit Darwin (1809 bis 1882) beschäftigten sich immer mehr Wissenschaftler mit dem Ursprung und der Funktion von Verhalten. Nicholas Tinbergen (1907- 1988), der zusammen mit Konrad Lorenz als Begründer der klassischen Verhaltensforschung gilt, beschäftigte sich besonders intensiv mit dieser Fragestellung und machte im Zuge dessen eine sehr berühmte Aussage. Er sagte: »Verhalten ist zu 100 Prozent vererbt und zu 100 Prozent erlernt.« Aber was meinte er damit?

Der heutige Stand

In der heutigen Verhaltensforschung geht man davon aus, dass Verhalten eine genetische Grundlage hat, welche durch die Umwelt geformt und beeinflusst wird. Bezogen auf die Kommunikation unter Hunden bedeutet das, dass jeder Hund mit der grundsätzlichen Fähigkeit auf die Welt kommt, mit anderen Hunden über Körpersprache und Laute zu kommunizieren. Welche Ausdrücke und Laute er allerdings in welcher Situation anwendet und welche er wiederum verstehen und korrekt interpretieren kann, hängt zu großen Teilen von den Erfahrungen ab, die der Hund nach seiner Geburt sammelt. Das Wissen zur Entstehung und Entwicklung von kommunikativen Fähigkeiten stammt heute aus unterschiedlichen Forschungsbereichen. Einer dieser Forschungsbereiche ist der Vergleich zwischen Hunden und deren Stammart: Dem Wolf.

Von Wölfen und Hunden

Durch Beobachtung von Wölfen fand man heraus, dass Wölfe in vielen Teilen ähnlich kommunizieren wie Hunde. Auch sie drücken Stimmungen und Intentionen vornehmlich über eine komplexe Körpersprache und dazu passende Lautäußerungen aus. Allerdings gibt es auch wichtige Unterschiede zur Kommunikation unter Hunden: So ist das Ausdrucksverhalten der Wölfe sehr viel differenzierter. Das bedeutet, sie können besser verschiedene Stimmungen und Intentionen kommunizieren als Hunde. Diese sehr feine Kommunikationsfähigkeit brauchen Wölfe, um das Leben im Rudel mit anderen Wölfen gestalten zu können. Auch Hunde besitzen immer noch sehr ausgeprägte Fähigkeiten zur (sozialen) Kommunikation, was sie zum idealen Begleiter für uns Menschen macht. Allerdings sind diese Fähigkeiten im Vergleich zum Wolf vergröbert. Verhaltensbiologen glauben, dass sich die kommunikativen Fähigkeiten bei Hunden durch die Anpassung an das Zusammenleben mit dem Menschen verändert haben. So war es für Hunde im Zusammenleben mit Menschen nicht mehr nötig, sich so stark differenziert auszudrücken wie ein Wolf, da Menschen gar nicht in der Lage waren, diese feinen Signale so genau wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Im Gegenzug entwickelten Hunde im Bereich der Lautäußerungen jedoch neue Fähigkeiten: Im Gegensatz zu Wölfen bellen die meisten Hunde viel und gerne. Während Bellen bei Wölfen ausschließlich im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten gezeigt wird, hat das Bellen bei Hunden viele unterschiedliche Funktionen und wird in fast jeder Stimmung gezeigt. Auch hier vermuten Verhaltensbiologen eine evolutionäre Anpassung an den Menschen und seine Vorliebe zu sprachlichen Äußerungen.

Die Fähigkeit, körpersprachliche Signale und Lautäußerungen zu benutzen sowie diese zu verstehen, haben Hunde also bereits vom Wolf »geerbt«. Trotzdem sehen wir Unterschiede zwischen einzelnen Hunden, welche körpersprachlichen Signale sie besonders gerne benutzen oder wie »geschickt« sie in der Kommunikation mit anderen Hunden sind. Die Erklärung für diese Unterschiede finden wir in Untersuchungen zur Entwicklung von Hundewelpen.

Die Entwicklungsphasen des Hundes

Die Entwicklung eines Hundewelpen beginnt bereits im Mutterleib. Während der Trächtigkeit werden die Welpen bereits durch äußere Einflüsse beeinflusst, z.B. durch Stress bei der Mutterhündin. Auch Hormone spielen in der Schwangerschaft eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Welpen.

Die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit und das Erlernen von Kommunikation beginnt direkt nach der Geburt. Auch wenn die Welpen zu diesem Zeitpunkt noch blind und taub sind, so können sie doch schon Wärme wahrnehmen und nehmen auch Berührungen wahr. Natürlich sind alle Hunde unterschiedlich und auch unterschiedliche Rassen entwickeln sich unterschiedlich schnell. Doch die generelle Entwicklung eines Welpen läuft immer ähnlich ab. Die jungen Welpen können sich schon etwas bewegen und kriechen zum Beispiel zur Zitze der Mutter, um zu trinken. Hierbei werden sie ab und zu auch mit der Schnauze der Mutter an die richtige Position gestupst – auch dies ist eine Form der Kommunikation, die die Welpen schnell lernen. Wenn sich einer der Welpen auf seinem Weg einmal sehr verirrt, so kann er schon in seinen ersten Tagen winseln. Die Mutterhündin holt ihn dann zurück ins Nest. So lernt der Welpe, dass er mit dem Winseln auf sich aufmerksam machen und Hilfe bekommen kann. Auch Geborgenheitslaute werden von den Welpen ausgestoßen, mit denen sie ihrer Mutter kommunizieren, wenn es ihnen gut geht oder was ihnen besonders gefällt.

Die sozialsensible Phase

Mit etwa 10 – 13 Tagen öffnen sich Augen und Ohren, sodass den Welpen zwei neue Sinneswelten offenstehen: das Sehen und das Hören. Schon hier fangen die Welpen an, sich miteinander zu beschäftigen und beginnen zu lernen, welche Gesichtsausdrücke ihre Geschwister in unterschiedlichen Situationen zeigen und was bestimmte Geräusche bedeuten. Ab der dritten Woche nimmt die soziale Entwicklung dann richtig Fahrt auf. Es beginnt die wichtigste Phase des jungen Hundelebens, die so genannte sozialsensible Phase. In dieser lernt der Hund seine Umwelt kennen und erlernt und erweitert seine sozialen Fähigkeiten im Umgang mit der Mutterhündin und seinen Geschwistern. Jede weitere Woche sind die Welpen in der Lage, neue Verhaltensweisen und Gesichtsausdrücke zu zeigen. Dabei trägt die körperliche Reifung genauso zur Entwicklung bei wie die Interaktion mit der Mutter und den Geschwistern. Verhaltensbeobachtungen haben gezeigt, dass Welpen, welche in einer reizarmen Umgebung aufwachsen und nicht die Möglichkeit bekommen, ihr Sozialverhalten mit anderen zu üben, sich nicht richtig entwickeln. Sie entwickeln ihr Verhalten verzögert oder unvollständig und weisen ihr Leben lang Symptome einer schweren Entwicklungsstörung auf. Bei Hunden nennt man dies das »Deprivationssyndrom«. Die häufigsten Symptome sind Apathie, Hyperaktivität, Angst und/oder gesteigertes Aggressionsverhalten vor allem gegenüber anderen Hunden und/oder Menschen. Generell können aber alle Verhaltensbereiche betroffen sein, so sind diese Hunde zum Beispiel oft nicht in der Lage, mit Artgenossen zu spielen und können schlechter lernen. Die Möglichkeit zur ausreichenden Interaktion mit Sozialpartnern ist demnach ein sehr wichtiger Aspekt für die gesunde Entwicklung eines Hundewelpen. Da der Mensch für den Hund ebenfalls ein wichtiger Sozialpartner ist, wird auch das Kommunizieren mit und Lesen von Menschen in der sozialsensiblen Phase gelernt. Dazu sollte der Welpe angemessen viele positive Kontakte zu Menschen aller Altersklassen haben.

Früh übt sich …

Mit Artgenossen lernen und verfeinern Welpen Kommunikation vor allem im Spiel. Hier können in entspannter Atmosphäre alle möglichen Gesichtsausdrücke und Bewegungen geübt und deren Wirkung auf andere getestet werden. Die sozialsensible Phase dauert je nach Rasse unterschiedlich lange, endet aber frühestens in der 8., spätestens in der 20. Woche. Der gängige Abgabezeitpunkt für Welpen liegt hierzulande bei 8 – 10 Wochen. Hier befinden sich die meisten Welpen noch mitten in ihrer sozialsensiblen Phase. Es ist deshalb wichtig, dass Welpen auch nach Verlassen des Wurfverbandes weiterhin positive Kontakte zu anderen Hunden haben, um ihre kommunikativen Fähigkeiten weiter auszubauen. Viele Hundeschulen bieten dazu »Welpenstunden« an, in denen die Welpen meist auch auf Hunde anderer Rassen treffen. Da Hunde je nach Rasse sehr unterschiedlich aussehen und sich auch sehr unterschiedlich ausdrücken bzw. ausdrücken können, müssen junge Hunde die »Sprache« anderer Rassen auch erst einmal verstehen lernen. In einer guten Welpengruppe können sie dies – unter kontrollierten Bedingungen – unter Gleichaltrigen tun. Aber auch der weitere Kontakt zu sozialverträglichen erwachsenen Hunden, zum Beispiel auf dem Spaziergang, ist wichtig. Erwachsene Hunde zeigen den »Jungspunden« oft erst einmal ihre Grenzen auf, was ein sehr wichtiger Bestandteil des kommunikativen Lernens ist. Nur wenn junge Hunde lernen, auch abstandsvergrößernde körpersprachliche Signale und Laute zu erkennen und zu akzeptieren, kommt es im späteren Leben des Hundes nicht zu ständigen Missverständnissen. Ein gut sozialisierter, d.h. in Hundesprache gut geübter Hund, ist also in der Lage, verschiedene Rassen zu ­verstehen und sowohl aggressive als auch freundliche Kommunikation eines anderen Hundes zu verstehen und angemessen zu reagieren.

Lebenslanges Lernen

Natürlich hört das Lernen von Kommunikation und Sozialverhalten nicht mit dem Ende der sozialsensiblen Phase auf. Hunde lernen – genau wie Menschen – ihr Leben lang und verändern ihr Verhalten entsprechend den gemachten Erfahrungen. So kann auch ein Hund, der einen ungünstigen Start ins Leben hatte und vielleicht in der Welpenzeit nicht so viel lernen konnte, später noch viele kommunikative Fähigkeiten erlernen. Und auch in ihrer Welpenzeit gut sozialisierte Hunde brauchen ein Leben lang positive Kontakte zu Artgenossen, um ihre sozialen Fähigkeiten »fit« zu halten.

Ist Kommunikation unter Hunden vererbt oder erlernt? Was also ist nun die Antwort? Wie auch bei vielen anderen Fähigkeiten gilt auch hier: die Anlagen, sich durch sein Verhalten und seine Laute auszudrücken, sowie andere Hunde zu verstehen, sind bei jedem Hund von Anfang an gegeben. Diese Fähigkeiten zu nutzen und richtig anzuwenden wiederum ist eine Sache des Lernens. Die Wirkung der eigenen Kommunikation auf andere Hunde, sowie die Nachrichten und Signale, die andere Hunde einem Hund übermitteln wollen, lernen die meisten Hunde als Welpen oder als Junghunde kennen. Doch auch Hunde, die als Welpen nicht alles gelernt haben, können nachträglich noch in gewissen Maßen Kommunikation lernen. Dazu gehört, wie bei den Welpen auch, das Ausprobieren von bestimmten Verhaltensweisen, sowie das Verknüpfen von Verhaltensweisen anderer Hunde mit bestimmten Ereignissen.

Epigenetik

Neben der Genetik und Lernerfahrungen beschäftigen sich Wissenschaftler heute mit noch einem dritten Phänomen, welches Einfluss auf das tatsächliche Verhalten und die Fähigkeiten des Hundes hat: Die Epigenetik. Die genetischen Informationen eines Hundes sind verschlüsselt in der DNA, der Desoxyribonukleinsäure. Diese liegt fein säuberlich verpackt in den Zellen des Hundes. Die genetischen Informationen können hier abgelesen werden. Je nachdem, wie dicht die DNA verpackt ist, können Informationen an einigen Stellen einfach oder weniger einfach abgelesen werden. Die »Verpackung« der DNA wird beeinflusst von Faktoren wie Stress und Ernährung und kann vererbt, aber auch erworben werden.

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