Im vorigen Teil dieses zweiteiligen Artikels ging es darum, was Glücklichsein in der emotionalen Welt unserer vierbeinigen Gefährten bedeutet, wie, wann und wo dieses Gefühl von Glück entsteht und woran ich erkenne, dass mein Hund wirklich glücklich ist. Diesmal geht Hundepsychologe Jörg Tschentscher u.a. den Fragen nach, ob Hunde Situationen, die sie glücklich machen, selbst herbeiführen, ob Hunde Glücklichsein lernen können und ob es Übungen gibt, die Wohlbefinden auslösen.
Im vorigen Teil ging es um verschiedene Arten des Wohlbefindens, darunter solche, die mit Entspannung verbunden sind. Eine andere Art von Wohlbefinden ist hingegen die bei Aktivität. Und hier wird es schwierig.
Griff ins körpereigene „ Kokainkästchen“
Nehmen wir einmal einen Border Collie. Er war 6 Stunden alleine, und jetzt geht´s raus zur täglichen Bewegung, da ist richtig Power vorhanden. Beim Anlegen des Geschirrs ist der Hund sehr wuselig und schnell, er springt um einen herum, lässt sich kaum bändigen. Auffällig ist in diesem Fall, dass die Bewegungsabläufe sehr weich sind und der Hund sich sehr geschmeidig bewegt. Draußen wird dann Bällchen gespielt, etwa so, dass Herrchen den Ball wirft und der Hund ihn wieder apportiert, dies wieder und wieder. Nach einer gewissen Zeit verändert sich das Spiel fast unmerklich. Der Hund wird körperlich immer angespannter, die Bewegungen werden immer kantiger, die Maulwinkel sind meist weit nach hinten gezogen, der Hund hechelt, die Augen sind etwas glasig und weit geöffnet. Jetzt hat der Hund eine Endorphin- und Opiatausschüttung vom Feinsten, er ist total hochgepowert. Durch die Belastung wird Serotonin ausgeschüttet, dazu kommt noch ACTH ( Adrenocorticotropin) und Noradrenalin – sozusagen ein Griff ins körpereigene „Kokainkästchen“. Das wird dann gerne fälschlicherweise als „gemeinsames Spiel“ bezeichnet. Tatsächlich hat das aber nichts mehr mit Spielverhalten oder einer Gemeinsamkeit zu tun. Der Hund versucht nur noch den Ball zu kriegen und zurück zu bringen. Ist jetzt im wahrsten Sinne des Wortes im „Drogenrausch“, er hat absolute Hochgefühle – verursacht durch die erwähnten körpereigenen Endorphine und Opiate. Und nach dem Abebben des Gefühls wird er immer wieder danach streben, weil ihm dieses Gefühl gefällt, was dann andererseits schnell zu negativem Stress für das Tier werden kann, weil das permanente Hochpushen den Körper belastet.
Der „Ball-Junkie“
Durch diese Endorphine ist der Hund so sehr in seinem „Ball-hol-Film“, dass er für andere Außenreize (z.B. den Kontakt zu anderen Hunden) gar nicht mehr ansprechbar ist. In dem Fall würde der Hund zu einem vom Menschen instrumentalisierten Ball-Junkie unter der Prämisse: “Der braucht Bewegung und ist damit glücklich.“ Das Wort Ball-Junkie ist nicht frei gewählt. Der Hund bringt den Ball zwar immer wieder zu seinem Menschen, aber nicht, um mit diesem gemeinsam zu spielen, sondern um wieder dem Ball hinterher zu hetzen, weil er´s so gelernt hat, weil er´s in dieser Situation und Konstellation (Spaziergang, Ball, Umgebung) immer so macht …
Der umgekehrte Fall, nämlich dass der Hund seinen Menschen „glücklich“ machen möchte, ist in Verbindung mit einem solchen Objektspiel nicht bestimmbar. Hunde nehmen den Menschen zwar als Spielpartner wahr, ob dessen Wohlbefinden dabei aber gefördert werden soll, kann ich nicht beantworten. Hunde leben da wohl eher im Hier und Jetzt und genießen einfach den (gemeinsamen) Augenblick. Marathonläufer haben auch den sog. „Runner´s High“ und streben danach – laufen aber im Schnitt pro Jahr auch nur drei Marathons. Dazwischen streben sie den entspannten Wohlfühllauf an.
Sympathikus und Parasympathikus
Es gibt im Körper das para- sympathische Nervensystem („Parasympathikus“), das für alles Entspannende steht, und das sympathische Nervensystem („Sympathikus“), das für alles Aktivierende steht.
Wenn unser Hund bspw. ein Kaninchen hetzt, ist der Sympathikus aktiv: Die Muskeln werden besser durchblutet, das Herz pumpt schneller, Endorphine werden ausgeschüttet und somit zusätzliche Kräfte mobilisiert. Dann wird das Kaninchen gerissen und konsumiert – mit vollem Bauch wird dann der Parasympathikus aktiviert. Alles entspannt sich, da wird noch genüsslich ein bisschen am Knochen geknabbert oder sich geputzt, das Fell geleckt und ein Nickerchen gemacht. Jetzt ist die Pulsfrequenz unten, es wird ganz ruhig geatmet. Somit müssen wir unterscheiden zwischen positiv erlebter Aktivität einerseits und körperlicher und geistiger Entspannung andererseits.
Führen Hunde Situationen, die sie „glücklich“ machen, selber herbei?
Warum spielen Hunde miteinander? Um innerartlich zu kommunizieren – natürlich. Um Rangordnungen oder Spannungen zu bearbeiten – auch klar. Aber auch, weil es einfach Spaß macht! Meine Hündin Lena lief im Urlaub einen Deich hinauf, warf sich oben auf den Rücken und „schlängelte“ sich den Deich herunter, ein paar Mal. Warum, wenn´s keinen Spaß macht, wenn´s nicht glücklich macht? Es gibt etliche solcher Beispiele, in denen Tiere sinnfreie Bewegungsabläufe zeigen, z.B. indem sie mehrfach voller Freude um einen Baum herum rennen, oder wiederholt ein Stöckchen im Solitärspiel hochwerfen oder z.B. eine Böschung herunterrutschen. Wissenschaftliche Dokumentationen zeigen dies auch bei anderen Tieren, wie bspw. bei Raben oder Pinguinen, die immer wieder einen Schneehang hinunterrutschen.
Da so ein Spiel natürlich Energie kostet und gerade Wildtiere sehr sparsam mit ihrer Energie umgehen, ist anzunehmen, dass diese sinnlos scheinende Tätigkeit doch irgendeinen Gewinn bringen muss – und dieser ist Wohlbefinden, ein emotionales Glücksgefühl.
Eine andere Situation, in der Hunde aller Wahrscheinlichkeit nach Wohlempfinden verspüren, ist z.B. das gemeinsame Kontaktliegen, das gegenseitige Pflegen des Fells, was natürlich auch dem Zusammengehörigkeitsgefühl und der Körperpflege dient, aber eben auch über die Hautrezeptoren Wohlbefinden auslösen kann.
Durch das Herbeiführen einer solchen Situation wird auch deutlich, dass Hunde den „happyflash“ bewusst erleben. Aus der Humanmedizin ist bekannt, dass glückliche Menschen länger leben, eine höhere Lebensqualität haben und seltener krank werden. Und werden sie dann doch einmal krank, ist der Umgang mit der Krankheit ein anderer und der Genesungsprozess geht schneller. Dass diese Effekte auch bei Tieren angetroffen werden können, darf auf keinen Fall ausgeschlossen werden.
Kann ein Hund Glücklichsein lernen?
Wie sieht‘s eigentlich aus, wenn ein Hund im Zwinger gehalten wird oder gar mit Schlägen oder anderen Zwangsmaßnahmen beeinflusst wird – kann er dann noch Wohlbefinden empfinden? Ich denke, dass jedes Tier ein echtes positives Gefühl, unabhängig von seiner Herkunft oder den Haltungsbedingungen, empfinden kann. Wichtig ist nur, dass das Tier diese Geste als positiv erlebt und verknüpft hat. Es ist wahnsinnig schwierig für ein Tier, welches oft Schläge o.ä. bekommen hat und der Hand ausweicht, die Hand dann positiv zu verknüpfen. Aber auch das geht meistens, es braucht einfach Zeit, und im schlimmsten Fall (dauerhaftes Ablehnen der Hand) können ja auch Glücksmomente entstehen, in denen z.B. freundlich und liebevoll mit dem Tier gesprochen wird, es einen gemeinsamen Erlebnispaziergang oder einen besonders leckeren Knochen gibt. Auch das kann ein echtes Highlight sein, wichtig ist nur, dass es etwas nicht zu häufig Vorkommendes, etwas ganz Besonderes ist. Das sind dann Momente des Wohlbefindens, die aber nichtsdestotrotz die widrigen Umstände (Zwinger/Schläge etc.) nicht besser machen oder gar rechtfertigen. Es gibt in einigen Bereichen der Hundeausbildung immer noch den Leitsatz „Ein Hund lernt nur über Strafe, und das Ausbleiben von Schmerz, das ist die Belohnung und macht ihn glücklich.“ Wenn dem so wäre, müssten die Hunde, die das unsinnige Procedere ja kennen, sehr glücklich sein. In der Praxis sehe ich diese Tiere aber eher permanent mit hängenden Ruten, traurigen Augen und gebeugtem Rücken, oder aber sehr angespannt, stark hechelnd und aufgedreht wirkend, laufen. „Glücklich sein, sich wohl fühlen wird aber fast immer mit Entspannung und der damit verbundenen Körperhaltung genannt. Hier gibt’s also einen Widerspruch.
Happy dogs – gibt es pauschal glückliche Rassen?
Der Samojede hat immer ein rassetypisches Lächeln im Gesicht und ist deshalb glücklich, der Mops ist immer niedlich (Kindchenschema) und der Golden Retriever ist immer kinderlieb, weil er nie die Zähne zeigt und so lieb guckt … Das alles sind natürlich Klischees, die nichts über das Verhalten oder gar über den emotionalen Zustand des Tieres aussagen. Unser Empfinden orientiert sich da ganz einfach häufig an nur einem äußerlichen Mimikmerkmal, das wir durch einen schnellen Blick wahrnehmen. Unser Blick wird von einem Gesichtsteil (z.B. dem Auge) angezogen und aus der Erfahrung heraus (immer wenn Jerry so geguckt hat, war er lieb und glücklich, und Willi guckt genauso, also ist er auch lieb und glücklich) bewertet. Und daraus entsteht dann unsere Meinung. Allerdings, eine sehr oberflächliche Meinung, denn bei genauem längerem Hinsehen werden wir schnell feststellen, dass im Gesicht noch so viele andere mimische Signale vorhanden sind, die den ersten Eindruck nicht unterstützen. Wohlbefinden oder „Glücklichsein“ lässt sich nicht an einem Merkmal oder einer Rasse festmachen. Es ist ein Gesamtes aus Mimik, Gestik, Situation und Erfahrung.
Gibt es Übungen, um Wohlbefinden beim Hund auszulösen?
Jeder Hund ist ein Individuum, jeder empfindet unter anderen Voraussetzungen Wohlbefinden. Der eine entspannt sich völlig bei einer sanften Massage, der andere ist beim Kuscheln völlig relaxt und ein dritter genießt vielleicht einen gemeinsamen Spaziergang. Was viele Hundehalter unabhängig voneinander beschreiben, ist auf alle Fälle eine große Ruhe, in der sie zum einen sich selbst als glücklich empfinden und zum anderen auch ihren Hund als „glücklich“ wahrnehmen. Fragt man hier die Situationen detaillierter ab, werden als Orte Sofa, Fußboden, Bett genannt. Die menschliche Körperposition ist sitzend oder liegend. Der Hund liegt meist auf der Seite oder auf dem Rücken. Dabei wird der Hund häufig gestreichelt, massiert oder gebürstet, aber auch einfaches Aneinander- Kuscheln kommt oft vor. Als bevorzugte Tageszeit zum „Groomen“ werden meist die Abendstunden genannt. Es gibt aber auch Hunde, die es sehr genießen, mal alleine zu sein. Auch hier sind das Sich-Räkeln, das sich auf den Rücken Drehen und der entspannte Gesichtsausdruck gut erkennbar. Wohlbefinden muss nicht zwangsläufig nur in Anwesenheit des Menschen stattfinden bzw. durch diesen ausgelöst werden.
Wie verhält es sich mit Medikamenten
Interessanterweise fragen Hundehalter häufig nach Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten, um bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Angst, Bellen, unangepasstes Aggressionsverhalten etc.) zu behandeln. Bisher hat in der Praxis bei uns noch niemand nach den – in den USA frei erhältlichen – „Glückspillen“ für seinen Hund gefragt. Der Wirkstoff ist aber für Entspannung bei der „Problembehandlung“ und für „Glücksempfinden“ identisch. So wird Tryptophan bzw. 5- HTP (5-Hydroxytryptophan) eingesetzt, um den Serotoninspiegel zu erhöhen. Tryptophan wird im Körper zu Serotonin verstoffwechselt und soll entspannend und beruhigend wirken. Der therapeutische Einsatz ist aber sehr schwierig, weil es einerseits keine Referenzwerte gibt, an denen man sich orientieren kann. Andererseits ist der Schluss „Eine Pille und der Hund ist glücklich“ somit nicht haltbar. Der Einsatz solcher Mittel ist schon im Humanbereich stark umstritten. Da wir aber über die Gefühlswelt unserer Hunde noch viel weniger als über die menschliche wissen, stehe ich dem Einsatz dieser Mittel sehr skeptisch gegenüber. Eine Medikamentengabe und auch der Therapieerfolg würde ausschließlich auf der Beobachtung des Tieres und seines Verhaltens beruhen. Wenn über eine Medikamentengabe nachgedacht wird, dann sollte die Entscheidung auf alle Fälle durch einen Tierarzt erfolgen.
Glück kommt von innen, es findet seinen Weg über die Augen und die Seele nach außen. Wir können es fördern aber nicht konstruieren.