Können Hunde Gedanken lesen?

Von Dr. Hans Mosser

Der interessanten Frage, ob Hunde unsere Gedanken lesen können, ging eine Arbeitsgruppe des Leipziger Max Planck Institutes für evolutionäre Anthropologie nach. Genauer gesagt, ging es darum, ob Hunde artübergreifend erkennen können, daß unsere Augen auf sie gerichtet sind oder nicht und ob sie ihr Verhalten danach einstellen bzw. ändern.
Das Fazit vorweggenommen – unsere Vierbeiner beachten unsere Blicke sehr genau und haben ganz offensichtlich auch eine Vorstellung (= Bewußtsein?) davon, in welche Richtung unsere Blicke gehen, d.h. was wir gerade betrachten. Ihr Verhalten wird dadurch wesentlich beeinflusst, was beweist, daß Hunde keine willenlosen, bloß reflexartig handelnden Bio-Automaten sind, sondern sehr wohl aktiv lernen und vor allem neue Problemlösungsstrategien finden können.
Die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe wurden in der Dezembernummer 2000 der wissenschaftlichen Zeitschrift New Scientist publiziert. Den genauen Aufbau und Ablauf der Studie finden Sie im Kasten auf dieser Seite.
Juliane Bräuer, Mitarbeiterin der Forschungsgruppe zu WUFF-Herausgeber Dr. Mosser: „Die Frage ist, können Hunde einschätzen, was ein Mensch, also ein Lebewesen einer anderen Spezies, zu sehen vermag und was nicht. Eine Frage, die auch in der Forschung mit Menschenaffen eine grosse Rolle spielt und hier hat sich gezeigt, dass Menschenaffen dazu durchaus in der Lage sind. Der Versuch, der hier mit den Hunden gemacht wurde, deutet nun auch in diese Richtung, es werden jedoch weitere Experimente folgen.”

Der Konflikt
Um herauszufinden, wie Hunde auf die Anwesenheit und Blicke des Menschen reagieren, wählten die Untersucher natürlich ein Mittel, mit dem wir die Hunde immer noch ganz einfach locken und in Versuchung bringen können: Leckerlis! Aus dem Konflikt, der aufgrund der Spannung zwischen Leckerli einerseits und verbalem Verbot dessen Aufnahme andererseits erwächst, wird die Lösung dieses Konfliktes durch den Hund in Abhängigkeit von der Anwesenheit des Menschen und auch dessen Verhalten im selben Raum (Blickkontakt ja oder nein) untersucht.

Das Experiment
Ein Untersucher legte in Gegenwart jeweils eines Hundes (von sechs Hunden) kleine Futterstücke auf den Boden und verbot dem Vierbeiner, diese aufzunehmen. Dabei blieb der Untersucher im Raume sitzen, änderte aber sein Verhalten, indem er zunächst den Hund direkt ansah, in weiterer Folge die Augen geschlossen hielt (den Kopf unverändert zum Hund gerichtet), weiters sich mittels eines Computerspieles abgelenkt zeigte und schließlich den Rücken dem Hund zuwandte.

Hunde denken?
Wenn die Hunde das Verbot der Futteraufnahme mißachteten, machten sie in 75% der Fälle ihr Verhalten bzw. ihre Strategie der Verbotsmißachtung vom Verhalten ihres Beobachters abhängig. Sie versuchten, den Untersucher zunächst abzulenken, indem sie im Raume herumspazierten und dann im Vorbeigehen das Futter schnappten. Waren die Hunde unbeobachtet, stürzten sie sich mehrheitlich ohne Umschweife auf das verbotene Leckerli.
Die Forscher schließen daraus, daß Hunde
herausfinden können, was der Blick eines Menschen erfasst und was nicht. Im Gegensatz zur Annahme, daß hundliches Verhalten lediglich auf Instinkten und automatischen Prozessen beruht, zeigen die Versuchsergebnisse auch, daß Hunde aus Erfahrungen lernen und Lösungen für neu auftretende Problemstellungen finden können.

Zu Bewusstsein fähig
Hunde haben aber auch Lösungen parat, die über die Zielsetzung der Erreichung eines Leckerlis liegen. Steven Lindsay, amerikanischer Verhaltensexperte, hält die Ergebnisse der Leipziger Studie für nicht überraschend: ”Hunde befinden sich in der Evolution ziemlich weit oben. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß sie dieselben basalen Emotionen haben wie wir und zu einem Bewußtsein, das unserem ähnlich ist, fähig sind.”
Jean Donaldson, Leiterin der Abteilung Tierverhalten und Ausbildung der San Francisco SPCA (Society for the Prevention of Cruelty to Animals) berichtet, daß Hunde auch geringste Änderungen in der Körperchemie des Menschen registrieren können: ”Das erklärt auch das Phänomen der Hunde-Telepathie und auch, warum Hunde beispielsweise das Auftreten von epileptischen Anfällen voraussagen können.”

Hunde messen Blutzucker
Damit übereinstimmend berichtete eine Forschergruppe erst kürzlich über Ergebnisse von Hunden als ”Warner” vor Unterzuckerung bei an Diabetes erkrankten Menschen (siehe Kasten unten). Noch bevor der zuckerkranke Hundehalter die gefürchtete und gefährliche Unterzuckerung (Hypoglykämie) bemerkt und komatös wird, registriert sein Vierbeiner die Situation und macht Herrchen oder Frauchen auf die Gefahr aufmerksam. Durch Einnahme von Zucker oder einer zuckerhältigen Flüssigkeit kann der Patient dann rechtzeitig darauf reagieren und die Unterzuckerung verhindern.

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Versuchsbeschreibung
Die Studie wurde durchgeführt von der Arbeitsgruppe um Prof. M. Tomasello (Max-Planck Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig), bestehend aus Josep Call, Juliane Bräuer und Juliane Kaminski. 6 Hunde verschiedener Rassen, verschiedenen Alters und Geschlechtes (5 Mischlinge und 1 Labrador Retriever) wurden 5 Monate lang täglich 4 mal folgenden Versuchen unterworfen, mit der Fragestellung, inwieweit die Anwesenheit eines Menschen das Verhalten von Hunden beeinflusst.

• Experiment Nummer 1
Der erste Test sollte zeigen, ob die Hunde in Anwesenheit des Menschen anders reagieren als in Abwesenheit. Für diesen Test gab es zwei Bedingungen.

Erste Bedingung
: Hier legte die Versuchsleiterin ein Stück Futter auf den Boden und verbot dem Hund, dieses zu nehmen. Der Befehl hierfür lautete „Aus, Name des Hundes, Aus.” Danach verliess der Leiter den Raum, in dem nun der Hund mit dem Futter alleine war.
Zweite Bedingung: Auch hier legte die Versuchsleiterin ein Stück Futter auf den Boden, nun blieb sie jedoch im Raum auf einem Stuhl sitzen und sah den Hund direkt an.
Ergebnisse:
Die Ergebnisse zeigten deutliche Unterschiede im Verhalten der Hunde. War die Person im Raum, wurde das Futter in ganz seltenen Fällen genommen, war die Person nicht im Raum, nahmen alle Hunde das Futter nach sehr kurzer Zeit.

• Experiment Nummer 2
Der zweite Test ging nun weiter ins Detail und sollte zeigen, ob die Hunde wirklich auf die Augen der Versuchsleiterin achten oder ob es um die reine An- bzw. Abwesenheit der Person geht. Hier gab es vier verschiedene Bedingungen. Immer ist dem Hund dabei verboten worden, das Futter zu nehmen. Das einzige was sich änderte, war das Verhalten der Versuchsleiterin.

Erste Bedingung: Die Versuchsleiterin spielt ein Computerspiel (gameboy).
Zweite Bedingung: Die Versuchsleiterin hat die Augen geschlossen, ansonsten entspricht ihre Körperhaltung der aus Bedingung 3.
Dritte Bedingung: Die Versuchsleiterin sieht den Hund direkt an.
Vierte Bedingung: Die Versuchsleiterin sitzt mit dem Rücken zu dem Hund gewandt.
Ergebnisse:
Auch hier machten die Hunde deutliche Unterschiede. In der Bedingung 3, in der sie direkt angesehen wurden, nahmen alle Hunde das Futter sehr selten. War die Versuchsleiterin jedoch abgelenkt, abgewendet oder hatte die Augen geschlossen, nahmen die Hunde das Futter.

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Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie

Das zur Max Planck Gesellschaft gehörige Institut befindet sich in Leipzig. Durch einen interdisziplinären Ansatz will die Forschungsstelle Wissenschafter aus den verschiedensten Bereichen vereinen. Vier Forschergruppen beschäftigen sich mit den Themenbereichen Primatologie, Linguistik, evolutionäre Genetik sowie Entwicklungs- und vergleichende Psychologie. Die letztgenannte Gruppe wird von Prof. Dr. Michael Tomasello geleitet und hat die hier besprochene Studie durchgeführt.
Professor Tomasellos Abteilung untersucht Fragestellungen, die sich auf die Evolution der Kultur beziehen, ihre Materialien und symbolischen Akte, insbesondere die Sprache. Besonderes Interesse legt man auf die Erforschung o­ntogenetischer Prozesse, durch welche ein unreifer Organismus lernt, mit Kulturgegenständen, sozialen Konventionen, Symbolen und anderen Arten der kulturellen Praxis umzugehen. Werden üblicherweise solche Fragestellungen bei Kindern und Primatenaffen durchgeführt, bezieht sich die in unserem Artikel vorgestellte Untersuchung auf Hunde.

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Hunde warnen Diabetes-Patienten vor Unterzuckerung

Hunde besitzen die Fähigkeit, Diabetes-Patienten vor Unterzuckerung und einem möglichen Koma zu warnen. Das geht aus einer Studie britischer Wissenschafter hervor, die in der neuen Ausgabe des „British Medical Journal" vorgestellt wird. Forscher der Uniklinik Liverpool und des Wansbeck General Hospital in Ashington beschreiben darin die drei Hunde Natt, Susie und Candy, die bei zuckerkranken Frauen leben. Alle drei Tiere können deutlich eher als ihre Besitzerinnen feststellen, wann deren Blutzuckergehalt unter eine kritische Marke fällt.

Hundliche Warnsignale
Der drei Jahre alte Golden Retriever Natt kann sogar durch eine geschlossene Schlafzimmertür wahrnehmen, wenn sein 34-jähriges „Frauchen“ im Schlaf in Gefahr ist, in ein Koma zu fallen. Er bellt dann und kratzt an der Tür, um sie aufzuwecken, und beruhigt sich erst wieder, wenn sich ihr Zustand stabilisiert hat.
Auch Susie, eine sieben Jahre alte Promenadenmischung, weckt ihre 47-jährige Besitzerin in solchen Fällen nachts auf. Candy dagegen versteckt sich jedes Mal unter einem Stuhl und kommt nicht eher hervor, als bis es ihrer 66-jährigen Besitzerin wieder besser geht.

Siebenter Sinn?
Wie die Hunde dies machen, ist völlig unklar. Möglicherweise nehmen sie Veränderungen im Geruch, etwa durch Schweißabsonderungen, wahr oder registrieren ein leichtes Muskel-Zittern. „Wir neigen aber dazu, diese Fähigkeit mit dem ’siebenten Sinn‘ zu erklären, der
Hunden allgemein zuerkannt wird", schreibt das Team in seinem Beitrag für das „British Medical Journal".

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