Kinder und Hunde

Von Manuela van Schewick

Für viele Kinder ist ein Hund so viel mehr, als die meisten Erwachsenen es sich vorstellen können. Buchautorin Manuela van Schewick über die ­Bedeutung des Hundes für Kinder sowie Umgang und Maßnahmen in den verschiedenen Alters­stufen, von der Ankunft des Babys über das Krabbelalter bis hin zur Pubertät.

Welches Kind wünscht sich nicht einen Hund? So einen coolen wie aus der Fernsehsendung! Kinder wünschen sich einen Kumpel, auf den sie sich verlassen können, mit dem sie gemeinsam unterwegs sein und toben können, der mit ihnen kuschelt und ihre Geheimnisse nicht weitererzählt. Für viele Kinder ist ein Hund so viel mehr, als die ­meisten Erwachsenen es sich vorstellen ­können.

Die Großfamilie, in der immer jemand Zeit für die Kinder hatte, gibt es nur noch selten. Kinder leben heute meist mit den Eltern oder oft auch nur mit einem Elternteil alleine. Freunde wohnen oft zu weit weg, um für ein spontanes Spiel erreichbar zu sein, und die Belastung durch Schule und Freizeitaktivitäten ist für manches Kind grenzwertig.

Einfach nur Freund
Der Hund, der einfach nur da ist und Zeit hat, der stundenlang mit auf dem Boden liegt und das Kind in seiner Traumwelt begleitet, der zuhört, ohne zu ermahnen, endlich zum Wesentlichen zu kommen, kann Nähe und Geborgenheit geben, das Kind zur Ruhe kommen lassen. Seine Zuwendung ist nicht an menschliche Werte gebunden und nicht abhängig von Statussymbolen. Die Fünf in Mathe ist ihm ebenso egal wie das unaufgeräumte Zimmer. Nicht umsonst sprechen Kinder in Befragungen ihren Hunden Eigenschaften und Fähig­keiten zu, die sie bei den sie umgebenden Menschen vermissen.

Kinder, je jünger desto mehr, und Hunde kommunizieren analog, sie sind authentisch in ihrem Handeln. Beide handeln spontan, können das Hier und Jetzt uneingeschränkt genießen. Je früher man ihnen die Möglichkeit gibt, die Sprache des anderen zu lernen, desto besser wird ihre Gemeinschaft funktionieren.

Wer aber erklärt unseren Kindern, wie Hunde „funktionieren"? Tiere gehören schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr selbstverständlich zum Umfeld eines Kindes. Ein Hineinwachsen in den Umgang mit dem Tier, das latente Erlernen seiner Bedürfnisse, seines Wesens, seines Verhaltens, egal um welches Haus- oder Nutztier es sich handelt, ist eher selten der Fall. Nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene müssen mittlerweile die Kommunikation mit Hunden und anderen ­Tieren ähnlich mühsam lernen wie eine Fremdsprache.

Auswahl des „richtigen" Hundes
Bereits bei der Auswahl des Familien­hundes werden oft elementare Kriterien außer acht gelassen. Dass Hunde sich nicht nur in Aussehen und Größe unterscheiden, sondern dass es wichtige Unterschiede bezüglich des Wesens, alltagsrelevanten Verhaltens und der Bedürfnisse der Tiere gibt, ist vielen Menschen beim Kauf nicht wirklich bewusst. Auch die Tatsache, dass die ersten Lebenswochen eines Hundes entscheidend für sein späteres Verhalten gegenüber Menschen und seiner Umwelt sind, erkennen viele Hundebesitzer erst, wenn die ersten Probleme auftauchen. Ein Hund, der in den ersten fünf bis ­sieben Lebenswochen keinen intensiven Menschenkontakt hatte, der in ­dieser Entwicklungsphase keine Kinder unterschiedlichen Alters, also auch Kleinkinder, kennengelernt hat, wird voraussichtlich immer ein Problem im Umgang mit Menschen haben.

Wird ein Hund gezielt für das Leben in einer Familie mit Kindern angeschafft, müssen die Auswahlkriterien so sein, dass ein Zusammenleben mit genau diesem Tier auch funktionieren kann. Nur ein Hund, der dem oft stressigen und lauten Alltag in einer Familie mit Kindern gewachsen ist, kann ein guter Kumpel der Kinder werden und sie in ihrer Entwicklung fördern. Wir sollten die Auswahlkriterien also hoch an­siedeln, damit eine für alle positive und sichere artengemischte Gemeinschaft erreicht werden kann. Dies könnte folgendermaßen aussehen:

Die Rasse oder auch ein Mischling wird mit Bedacht ausgesucht, und die zu erwartenden Wesenseigenschaften, besonderen Fähigkeiten und Bedürfnisse des Hundes werden dabei berücksichtigt. Der Züchter wird unter dem Aspekt, dass die Welpen optimal aufwachsen und die gewünschten Wesenseigenschaften entwickeln können, genau unter die Lupe genommen. Die Elterntiere haben optimale Eigenschaften, die Mutter ist bei den Welpen und reagiert freundlich auf Menschen. Die Familie darf ihren Hund oft besuchen und darf zu den Welpen Kontakt aufnehmen. Die Kinder erleben so bereits die ersten wichtigen Entwicklungsphasen eines Hundes. Gemeinsam mit dem Züchter, evtl. auch gemeinsam mit einem erfahrenen Trainer, wird ein Hund aus dem Wurf ausgesucht, der weder Macho noch Angsthase ist, und zu dem sich leicht Kontakt herstellen lässt.

Der optimale Familienhund hat Vertrauen zu Menschen und begegnet ihnen freundlich. Er ist gelassen in allen Umweltsituationen, zeigt sich sicher gegenüber akustischen und optischen Reizquellen. Er hat ein ausgeglichenes Temperament und eine kontrollierbare Arbeitsveran­lagung. Er ist spielfreudig, lernfähig und kooperiert gerne mit dem Menschen. Ausreichende körperliche Robustheit und Unempfindlichkeit sind ebenfalls Faktoren, die berücksichtigt werden sollten.

Hunde aus dem Tierschutz?
An dieser Stelle stellt sich die Frage: Was ist denn mit erwachsenen Hunden, mit Hunden aus dem Tierschutz? Meist haben wir es hier mit einer großen Unbekannten zu tun: der Vergangenheit. Oft ist über das Vorleben dieser Hunde wenig bis nichts bekannt. Wir wissen nicht, ob sie in den entscheidenden Entwicklungsphasen den Menschen bereits als Sozialpartner kennen und schätzen gelernt haben. Ebenso ist oft schwer einzuschätzen, wie stressresistent und umweltsicher diese Hunde sind oder mit entsprechendem Training werden können. Mancher Hund mit wenig Menschen- und Umwelterfahrung ist in unserer Form der Zivilisation und erst recht in einem turbulenten Kinderhaushalt hoffnungslos überfordert. Klappt es nicht und der Vierbeiner muss wieder abgegeben werden, ist dies nicht nur für den Hund sondern auch für die Kinder traumatisch. Die verantwortungsbewusste Auswahl des Hundes ist auch ein wichtiger Lernschritt für die Kinder. Sie erfahren hier, welche Bedeutung es hat, Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu übernehmen, dessen Eigenschaften und Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren, achtsam zu sein.

Wenn das Baby kommt
Ein Hund, der bereits da ist, wenn das erste Baby erwartet wird, sollte unter den eben beschriebenen Kriterien noch einmal genau und ohne rosarote Brille betrachtet werden. Vielleicht zeigt er Eigenschaften, die im Zusammenleben mit Kind schwierig oder gar gefährlich werden können. Zum Glück dauert eine Schwangerschaft lange genug, um viel mit dem Vierbeiner arbeiten und manch entgleiste Angewohnheit wieder richten zu können. Hier ist sicher die Zusammenarbeit mit einem kompetenten und verständigen ­Trainer angesagt, der das Verhalten des Hundes objektiv beurteilen und das bestehende Mensch-Hund-Team auf die neue Lebensphase vorbereiten kann.

Die Geburt eines Babys bedeutet für alle Beteiligten eine große Umstellung. Um all das leisten zu können, was für die optimale Versorgung des kleinen Menschen erforderlich ist, sind Eltern und gegebenenfalls auch der Hund hormonell in Aufzuchtstimmung versetzt (s. Gansloßer, „Verhaltensbiologie für Hundehalter", Kosmos, 2007). Aufzuchtstimmung des Hundes bedeutet nicht nur, dass er rudeleigenem (im Zweifel sogar artfremdem) Nachwuchs Pflegeverhalten ange­deihen lassen würde, es bedeutet auch erhöhte Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft. Bereits in der Schwangerschaft „seines" Menschen, ist ein Hund oft bereits viel aufmerksamer und schneller bereit, Frauchen gegenüber aller Welt zu verteidigen. Dies kann soweit gehen, dass auch fremde Kinder nicht geduldet werden. In freier Wildbahn wäre es so, dass fremder Nachwuchs als Konkurrenz für den eigenen angesehen würde, der beispielsweise die vorhandenen Futter­ressourcen verringert. Es gilt also, auch den Hund, der in seinem engen sozialen Umfeld sehr freundlich ist, im Umgang mit Fremden gut im Auge zu behalten.

Selbst wenn ein Familienhund mit aller Sorgfalt ausgesucht, gut erzogen wurde und in seinem Sozialverhalten stets unauffällig war, ist es zwingend erforderlich, den Kontakt zum Baby nur kontrolliert zuzulassen. Ein Hund, egal wie gut er sozialisiert ist, wird sich immer nur verhalten können wie ein Hund! Legen wir ein Baby an einen Platz, an dem der Hund es ungehindert erreichen kann, können wir nicht vorher sehen, was passiert und wie der Hund auf das Verhalten des Kindes reagiert. Der kontrollierte Kontakt dagegen ist von großer Bedeutung für die Zusammengehörigkeit des gemischten Sozialverbandes. Wird der Hund ausgegrenzt, hat er keine Möglichkeit, den kleinen Menschen kennen zu lernen, sein Verhalten zu beobachten und insbesondere auch seine Bezugspersonen im Umgang mit dem Kind zu beobachten. Damit nehmen wir ihm die Möglichkeit, Bindung zum neuen Familienmitglied aufzubauen und es als dazugehörig zu akzeptieren.

Vorsicht im Krabbelalter
Während es noch recht leicht ist, das kleine Baby und den Hund voneinander zu trennen, stellt uns das Krabbelkind da schon vor ganz andere Aufgaben! Es muss lernen, alles im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, die Welt mit allen Sinnen erfassen. Seinem Erkundungsdrang wird auch der Hund zum Opfer fallen. Der kleine Mensch entwickelt recht bald eine Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, die hohe Ansprüche an die Reaktionsfähigkeit seines Umfeldes stellt. Mit scheinbar krimineller Energie nähert er sich immer wieder dem gerade interessanten Ziel, und das kann auch der Hund sein. Verbote versteht er noch nicht und auch das Empfinden seines Gegenübers, wenn er ihm Schmerz zufügt, kann er noch nicht nachvollziehen. Hier sind die Erwachsenen gefragt, Hund und Kind voreinander zu beschützen, den explorativen Zwerg immer rechtzeitig abzufangen oder präventive Maßnahmen, z.B. durch Türgitter, zu ergreifen! Tun sie es nicht, zwingen sie den Hund, auch einen sehr geduldigen Hund, irgendwann selbst Grenzen zu setzen. Dies wird er, mangels anderer Handlungsmöglichkeit, genau so tun, wie er es einem Welpen gegenüber tun würde. Im Zweifel versucht er das Kind nach diversem Drohen mit einem reglementierenden Schnauzgriff zur Raison zu bringen. Da die Haut eines Kindes dafür aber definitiv nicht geschaffen ist, hat der kleine Mensch dann im Zweifel Löcher im Gesicht, zumindest aber blaue Flecken. Hätte der Hund eine ernste Beschädigungsabsicht gehabt, wäre das Kind zumindest schwer verletzt. Das soziale Umfeld wird sich nach solcher Korrektur durch den Hund meist darüber aufregen, dass der „böse" Hund dem armen Kind ins Gesicht gebissen hat, nicht darüber, dass man selbst Kind und Hund nicht beschützt hat.

Permamente Aufsichtspflicht bis zum Schulalter
Nach und nach lernt das Kleinkind, Verbote zu verstehen und Regeln einzuhalten. Ideal ist es, wenn es altersentsprechend in die Versorgung des Hundes einbezogen wird. Es lernt, sein Gegenüber als eigenständiges ­I­­ndi­viduum mit Bedürfnissen und Empfindungen zu betrachten und zu akzeptieren. Bald kann es beim ­Bürsten oder Füttern helfen oder mit der Mama zusammen die Leine halten. Manchem Kindergartenkind macht es bereits großen Spaß, unter An­leitung kleine Übungen mit dem Hund zu machen. Kleine Kinder sind meist so authentisch in ihrer Kommunikation, dass ein Hund gerne bereit ist, ihren Kommandos zu folgen, selbst wenn diese noch gar nicht korrekt aus­gesprochen werden können. Auch wenn ein Kind schon sehr verständig scheint und im Umgang mit dem Hund gut angeleitet wird, gilt mindestens bis zum Schulalter eine permanente Aufsichtspflicht für beide.

Erst das Schulkind kann langsam zu kleinen eigenverantwortlichen Auf­gaben angeleitet werden, die selbstverständlich anfangs immer und ­später regelmäßig ­beobachtet werden. Die Persönlichkeit und ­individuelle Reife des Kindes sind ­hierbei natürlich immer zu bedenken.

Kinder genießen es, einem Hund neue Dinge beibringen zu dürfen. Sie wachsen hierbei in eine neue Rolle hinein, lernen durch Lehren. Solche Aktionen fördern nicht nur das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl des Kindes, es trainiert auch die Beobachtungsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit. Das Kind muss sein Gegenüber bewusst wahrnehmen, empathisch sein und sein eigenes Handeln auf ein anderes Individuum einstellen, um zum Erfolg zu kommen. Die Bindung zwischen Kind und Hund wird durch sinnvoll angeleitetes gemeinsames Tun sicher in hohem Maße gefördert.

Der Hund – wichtige Bezugs­persönlichkeit für Jugendliche
Nicht nur für jüngere Kinder sondern auch gerade für Jugendliche ist der Hund oft eine ganz wichtige „Bezugsperson". In einer Zeit, in der die Erwachsenen komisch und die Eltern zickig sind, in der man sich unverstanden und ständig falsch eingeschätzt oder ungerecht behandelt fühlt, kann der Hund ein zuverlässiger Freund sein, der unvoreingenommen Nähe und Zuwendung gibt. Bei ihm darf man sich Kuscheleinheiten holen, ohne dass es uncool ist, sich bei ihm ausweinen oder mit ihm zukunftsplanend durch die Wälder streifen.

Unsere Hunde können wertvolle Freunde für unsere Kinder sein und sie in ihrer Entwicklung maßgeblich fördern! Helfen wir ihnen dabei, indem wir sie als Hund wahrnehmen und akzeptieren, nicht aufhören zu lernen, wie sie „funktionieren" und unsere Kinder einfühlsam im Umgang mit ihnen anleiten!

HINTERGRUND

Der Hund – eine Gefahr fürs Kind?
Gelegentliche Meldungen in den Medien über Unfälle mit Kindern und Hunden schrecken alle auf. Eltern mit Hund sind verunsichert, ob auch der eigene Hund das Kind verletzen oder gar töten würde. Eltern ohne Hund fördern die Angst ihrer Sprösslinge durch hektisches Wegziehen des Kindes beim Spaziergang, und die Hundegegner haben um die Gefahr eh schon immer gewusst. Unfälle mit Kindern und Hunden passieren zum größten Teil im eigenen Haushalt oder mit einem wohl bekannten Hund. (S. z.B. Hans Mosser: Metaanalyse der Risikofaktoren, Hunde-Beißunfälle bei Kindern und Jugendlichen, WUFF, ­Ausgabe 3/2002)

Es sind also nicht die spektakulären Fälle, an denen zwielichtige Hundehalter und unkontrollierbar gewordene Hunde beteiligt sind, die die Masse der Unfälle ausmachen. Es ist eher der eigene, scheinbar so gut bekannte Hund, der beißt. Die Ursachen hierfür liegen sowohl in mangelndem Wissen über das Verhalten von Hunden, wie auch in der Fehleinschätzung der kindlichen Fähigkeiten.

Im Vergleich der Statistiken kristallisiert sich heraus, dass im Vergleich zu anderen Hunden von denjenigen eine größere Gefahr ausgeht,

– die unsicher oder ängstlich sind,

– die aufgrund falscher Zuchtauswahl oder Dressur verändertes Sozialverhalten zeigen,

– die in den sensiblen Entwicklungsphasen nicht ausreichend sozialisiert wurden und nur mangelhafte Umwelterfahrungen machen konnten,

– die mangels Erziehung und klarer Grenzen keinen sicheren Platz im Ranggefüge des Familienverbandes haben, und

– die nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten und ausgelastet werden.

BUCHTIPP

Kind und Hund
von ­Manuela van ­Schewick

Kinder und Hunde ziehen sich oft magisch an. Sie können schöne und wertvolle Zeiten miteinander haben, voneinander profitieren. Dies kann aber nur dann der Fall sein, wenn bestimmte Voraussetzungen stimmen, die Fähigkeiten, die entwicklungsbiologischen Besonderheiten und die Bedürfnisse der jeweiligen Individuen berücksichtigt werden. Mangelndes Wissen und mangelndes Verständnis für beide kann ernsthafte Gefahren nach sich ziehen. Ziel dieses Buches ist es, diese artengemischte Lebensgemeinschaft, Familie mit Hund, aus unterschiedlichen Positionen zu beleuchten und Verständnis für die Handlungsmöglichkeiten von Eltern, Kindern und Hunden zu schaffen. Es richtet sich insbesondere an alle, die mit Menschen und Hunden arbeiten, aber auch an interessierte Eltern und Hundebesitzer. Es ist ein Buch aus der Praxis für die Praxis.

Verlag: Filander Verlag
ISBN: 978-3-930831-87-6
Seiten: 134
Preis: 14,90 Euro

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