Kinder und Hunde:

Von Dr. Hans Mosser

Ihr Kind wünscht sich plötzlich von ganzem Herzen einen Hund. Und Sie sind im Prinzip nicht abgeneigt, weil Sie entweder selbst in der Kindheit einen Hund hatten, oder weil der Wunsch Ihres Kindes sich mit Ihrem trifft. Was jetzt – hoffentlich – kommt, sind Fragen über Fragen. Rassehund oder Mischling? Wenn Rassehund, dann welcher? Welche grundsätzlichen Anforderungen sollte man an einen „Kinderhund“ stellen? Ab wann kann man seinem Kind eine Mitverantwortung für den Hund übertragen? Wie sieht’s aus, wenn ein Baby geplant oder schon im Haus ist? Und so weiter …

„Hund ist g’sund“
Es gibt genügend Gründe, die für die Anschaffung eines Hundes in der Familie sprechen. Im letzten WUFF (3/2002, Seite 18) wurden zahlreiche genannt. Die wichtigsten sind die Förderung der psychosozialen und kommunikativen Kompetenz Ihres Kindes, vor allem wenn Sie in einer Stadt leben. Das hat der bekannte Kölner Psychologe Univ.-Prof. Dr. Bergler herausgefunden. Dass aber Hunde nicht nur auf Kinder, sondern auch auf ihre Eltern einen positiven Einfluss sowohl in körperlicher wie auch psychischer Hinsicht haben, Stress abbauen helfen, Blutdruck und Herzfrequenz reduzieren können u.v.a.m., ist nur ein weiteres Argument für die große Bedeutung, die Hunde in der heutigen Gesellschaft noch immer haben, auch wenn ihnen zu Unrecht manche Medien und Politiker den Garaus machen möchten. Denn Hundefeindlichkeit scheint derzeit hierzulande salonfähig zu sein.

Die Expertenrunde
Wenn Sie trotzdem planen, sich einen Hund in die Familie zu holen, dann haben wir für Sie konkrete Tipps und Informationen. Die Expertenrunde:

– Univ.-Prof. Dr. Hermann Bubna-Littitz von der Veterinärmedizin. Universität Wien ist Leiter der tierpsychologischen Beratungsstelle der Uni und WUFF-Lesern bereits seit längerem bekannt.

– Prof. Dr. Dorit Feddersen-Petersen von der Universität Kiel ist Fachtierärztin für Verhaltenskunde und leitet die verhaltensbiologische Arbeitsgruppe am Inst. für Haustierkunde an der Universität Kiel. Durch ihre Fachartikel und Bücher ist Dr. Feddersen weit über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt und anerkannt.

-Dipl. Ing. Dr. Hellmuth Wachtel ist Genetiker und Hundefachmann, sowie perfekter Kenner einer aufgrund ihrer Menge schon unübersichtlich gewordenen Literatur zum Thema Hunde. Es gibt kaum eine Frage, zu welcher Dr. Wachtel keine Antwort wüsste und sofort Quellen zitieren könnte. Mit seinem Buch „Hundezucht 2000“ hat er sich ebenso in der Kynologie einen Namen gemacht.

Gibt es „kinderfreundliche“ Hunderassen?
Die Diskussion beginnt mit der Frage, ob es Hunderassen bzw. deren Mischlinge gibt, die für Kinder geeigneter sind als andere. Da warnt Bubna-Littitz sogleich vor der Gefahr, mit einer solchen Frage in eine unseriöse Diskussion über „gefährliche Hunderassen“ zu geraten. Und damit liegt der Wiener Uni-Professor auch auf einer Linie mit allen Fachkollegen. Denn die Wissenschaftler sind sich einig, dass Gefährlichkeit kein Rassespezifikum ist, sondern stets nur ein individuelles Merkmal eines Hundes. Bezeichnet man nun bestimmte Rassen als „kindergeeignet“, unterstellt man dann den nicht genannten Rassen ungeeignet zu sein.

Auch Feddersen-Petersen meint dazu: „Wir sollen diese Erwartungshaltung dem Hund gegenüber nicht so sehr (oder gar ausschließlich) an der Rasse festmachen. Entscheidend ist doch, dass Hunde in ihrer frühen Entwicklung Kinder als Sozialpartner kennenlernen konnten, ihre tapsigen Bewegungen, ihr spontanes Verhalten.“ Die Wissenschaftlerin hält – unabhängig von der Rassezugehörigkeit – solche Hunde für „kindergeeignet“, die sich das o.a. kindliche Verhalten, sozusagen das „Muster Kind“, in einer Entwicklungsphase einprägten, die ein sog. Lernfenster für besonders intensives Lernen bietet. Dieses Lernfenster des Hundes liege je nach Rasse etwa in der Zeit zwischen der 3. (4.) und 12. (14.) Lebenswoche.

Individuelle Einpassung in die Familie
Dass kleine Hunderassen nicht unbedingt per se kindergeeigneter seien als große, meint Wachtel. Der Hundeexperte aus Wien gibt zu bedenken, dass „kleine Hunde sich leichter von wilden oder groben Kindern bedroht fühlen könnten und im Durchschnitt auch häufiger schnappten als große Rassen“. Außerdem werde züchterisch bei kleineren Rassen nicht immer auf eine ausgeprägte Beißhemmung gegenüber dem Menschen geachtet, wie bei größeren. Zudem könnten v.a. Zwergrassen durch kleine Kinder zu Schaden kommen. Aber auch typische Wachhunde seien keine Ideallösung, „sie können vor allem für die Freunde der Kinder ein Problem sein“.

Feddersen-Petersen warnt vor dem Praktizieren eines Schwarz-Weiß-Sehens, festgemacht an Hunderassen: „Wir sollten vielmehr den aufwändigeren, jedoch hundegerechten Weg der individuellen Einpassung eines Hundes in die Familie optimieren“. Dieser Weg biete dem Menschen Sicherheit und sei tiergerecht!

Anforderungen an einen „Kinderhund“
„Kinderhunde“ müssten als Welpen Kinder und den Umgang mit ihnen kennengelernt haben, sagt Feddersen-Petersen: „Dazu gehört auch die Toleranz gegenüber dem Kleinkind, das den Hund zwickt – wobei dies als Möglichkeit gesehen werden muss, die sich ereignen könnte, und nicht als etwas, das Hunde ‘ertragen müssen’. Kinder müssen ja auch lernen, den Hund als Lebewesen mit eigenen Ansprüchen zu achten, ihm Ruhe zu gewähren u.a.“

Hundefachmann Wachtel erwartet von einem „Kinderhund“ Eigenschaften wie Spielfreudigkeit, Gutmütigkeit und eiserne Nerven. Außerdem solle er kein typischer „Einpersonenhund“ sein. Und Bubna-Littitz empfiehlt: „Der Welpe soll von einem Züchter stammen, der selbst Kinder hat und den Welpen in die Familie integrierte“.

Mitverantwortung: Ab welchem Alter?
In der Meinung, ab welchem Alter man dem Kind eine Mitverantwortung für den Hund übertragen könne, unterscheiden sich die Experten nicht wesentlich. Bubna-Littitz hält ein Alter ab etwa 10 Jahren für ausreichend, vor allem weil bei jüngeren Kindern die Gefahr eines inkonsequenten Umgangs mit dem Hund bestünde. Auch Wachtel ist der Meinung, dass Kinder ab etwa 10 Jahren mit einem kleinen Hund spazierengehen könnten, immer jedoch abhängig von der örtlichen Situation (viele freilaufende Hunde? Problematische Vierbeiner in der Umgebung, usw.?). Ist der Vierbeiner jedoch größer, empfiehlt der Wiener Hundefachmann ein Alter von etwa 12 Jahren, wobei auch Stärke und Körpergröße des Kindes, sowie Reife und Verantwortungsbereitschaft mitberücksichtigt werden müssten. Dies sei aber seine persönliche Meinung und er empfehle, dazu auch Psychologen und Pädagogen zu befragen und auch die rechtliche Seite abzuklären.

Feddersen-Petersen gibt in diesem Zusammenhang konkrete Empfehlungen: „Kontrollierte Verantwortung können Kinder mit sechs bis sieben Jahren übernehmen, indem sie darauf achten, dass der Hund ungestört seine Schlafphasen haben kann, dabei sind, wenn er ausgeführt wird, ihm bei Anwesenheit eines Elternteils das Halsband anlegen oder ihn anleinen, mit ihm spielen und ihm Futter geben“. Dem in der letzten WUFF-Ausgabe erklärten „Dogma“, Kleinkinder und Hunde nicht unbeaufsichtigt zu lassen, stimmt die Fachtierärztin für Verhaltenskunde zu: „Wichtig ist die Kontrolle der Eltern und deren Einbeziehung ihres Kindes in die Wahrung der hundlichen Bedürfnisse. Ich halte es für wichtig, dass Kinder lernen, diese Bedürfnisse zu erkennen und zu achten, und dass ein Hund nicht etwa als Spielzeug traktiert wird“.

Gefahrenträchtige Situation für Kinder nicht erkennbar
So empfiehlt Feddersen-Petersen auch eindeutig, dass Babys, Kleinkinder und Kinder bis zu einem Alter von 8 bis 12 Jahren nur unter Aufsicht mit Hunden zusammen sein sollten. „Die weite Zeitvarianz bezieht sich auf die individuellen Unterschiede in der jeweiligen Beziehung, auch auf die Größe, das Temperament und die Kraft des Hundes“. Die Frage, ob man den Hund nachts beim Kind schlafen oder über den Tag allein lassen könne, beantwortet sich durch das vorhin Erwähnte zwar bereits von selbst, doch erklärt Feddersen-Petersen noch eindringlich den Grund für diese Empfehlung: „Kinder können gefahrenträchtige Situationen nicht erkennen, vermenschlichen den Hund, beziehen ihn in ihre Kreativität ein und wollen ihn ‘umfunktionieren’. Ihnen ist aber wahrlich kein Vorwurf zu machen, denn es ist Pflicht der Eltern, die Aufsicht über die Entwicklung der Beziehung Kind-Hund zu übernehmen, und wenn nötig zu korrigieren, zu erklären und ggf. einzugreifen“.

Besondere Ausbildung nötig?
Bei der Frage, ob ein „Kinderhund“ eine spezielle Ausbildung benötige, fordert Bubna-Littitz einen guten Gehorsam des Hundes. In diesem Sinne empfiehlt auch Wachtel etwa Welpenspielstunden und eine Begleithundeausbildung. Für ideal hielte er eine Ausbildung wie bei Besuchshunden in Spitälern. Feddersen-Petersen wirft ein, dass eine spezielle Ausbildung eines „Kinderhundes“ im engeren Sinne nicht nötig sei, denn prinzipiell „muss jeder Hund früh lernen, dass Kinder seine Sozialpartner sind. Auch Hunde, die in einem kinderlosen Haushalt leben, werden mit Kindern konfrontiert werden – und das Erkennen des Sozialkumpans bedeutet Sicherheit im Umgang miteinander“.

Vertrautheit Kind und Hund
Den positiven Einfluss von Hunden – auf Kinder wie Eltern – haben wir eingangs bereits erwähnt. Mit diesem positiven Aspekt möchten wir die Diskussion nun beenden, und eine Aussage von Feddersen-Petersen erscheint als ideales Schlusswort: „In der Gemeinschaft Kind und Hund ist mir persönlich die Vertrautheit, die Bindung, die sich zwischen beiden entwickelt, sehr wichtig. Kinder erleben Emotionen wie Freude und Angst des Hundes, sie finden in ihm einen Verbündeten gegen die manchmal wenig Freiraum lassende Welt der Schule und des Elternhauses. Die emotionale Beziehung, die Bindung, das Vertrauen des Hundes sind Qualitäten, die Kinder formen, die auch ihr Handeln in Bezug auf Menschen positiv zu verändern vermögen“.

>>> WUFF – TIPPS

Zuerst Baby, dann Hund – oder umgekehrt?

Dr. Feddersen-Petersen hält es nicht für entscheidend, ob der Hund vor, gleichzeitig mit, oder nach einem Baby angeschafft werden soll, vorausgesetzt, dass die Regeln der Hundeaufzucht und der Eingliederung in den Sozialverband gekannt und beachtet werden. Gehen wir aber davon aus, dass dies nicht der Fall ist, wäre die Gleichzeitigkeit des Erscheinens von Baby und Welpe eine gute Voraussetzung dafür, dass letzterer das Kleinkind von Anbeginn kennenlernt, somit Konflikte vermieden werden, die aus angestammten Rechten des Lebens vorher resultieren (z.B. Aufmerksamkeit der Halter, etc.).“

Den häufig zitierten angeborenen Welpenschutz, den normale Hunde angeblich besitzen und der auf Kinder übertragbar sei, verweist die Wissenschaftlerin in das Reich der Fabeln: „Einen angeborenen Welpenschutz beim Hund fremden Welpen wie Kindern gegenüber gibt es nicht.“ Dieses immer wieder tradierte Wunschdenken des Menschen entspräche nicht der Realität. Hunde müssten den Umgang mit Kindern lernen.

>>> WUFF – INFORMATION

Ein Hund aus dem Tierheim?

Bei einem im Familienverband gemeinsam mit dem Kind aufwachsenden Welpen stellen sich manche Fragen nicht, die bei einem Hund aus dem Tierheim hingegen sehr wohl überlegt sein wollen. So ist nicht selten das Vorleben des Tierheimhundes unbekannt, und nicht in allen Tierheimen bemüht man sich, einerseits die „Macken“ der Schützlinge herauszufinden, nötigenfalls zu therapieren, und andererseits auch Stärken und Schwächen des Hundes herauszufinden, um den Hund möglichst gut in sein neues Zuhause einpassen zu können. Haben also Tierheimhunde in einer Familie mit Kind keine zweite Chance auf ein glückliches Zuhause? Der Wiener Hundeexperte Dr. Wachtel will da kein striktes Nein sagen. Er meint: „Das kommt auf den Hund an, den muss man prüfen“. Er würde jedoch eher empfehlen, einen Welpen zu nehmen als einen alten Hund. Prinzipiell aber würde Wachtel die Frage mit „eher Nein“ beantworten. Der Kynologe warnt zudem auch deutlich davor, sich einen Hund aus einer Tierhandlung zu nehmen, und empfiehlt nur Hunde vom Züchter, wo Mutterhündin ebenso wie Aufzuchtbedingungen überprüfbar seien.

Prof. Bubna-Littitz von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, auch durch seine Gutachten bei Wesensüberprüfungen von Hunden bekannt, hätte nur dann ein gutes Gefühl bei der Übernahme eines Tierheimhundes in eine Familie mit Kind, wenn man das Verhalten des Hundes Kindern gegenüber vor einer etwaigen Übernahme eindeutig überprüft bzw. testet. Damit einverstanden ist auch Dr. Feddersen-Petersen, die bekannte Ethologin und Buchautorin von der Universität Kiel: „Im Tierheim Hamburg etwa werden die Hunde vor der Abgabe getestet, um sie gezielter vermitteln zu können. Wenn der Hund von den Mitarbeitern des Tierheims als ‘kindervertraut’ bezeichnet wird, sollten die Eltern das auf Spaziergängen mit dem Hund und dem Kind prüfen“.

Zugleich fordert die Wissenschaftlerin jedoch Sachkunde der Eltern, die die Entwicklung der Beziehung zwischen Kind und Hund überwachen sollen. „Ist profunde Sachkunde nicht vorhanden, würde ich abraten!“ Keine Probleme sieht die Expertin jedoch, „wenn etwa ein verspielter Junghund, der Kinder kennt, im Tierheim vorgestellt wird, und die zukünftigen Besitzter einen Kurs mit dem Hund absolvieren, der aussagekräftig bezüglich ihres Wissens ist, das evtl. vertieft werden muss“. Leider seien aber solche Beratungen nicht in allen Tierheimen möglich.

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