Kastration – bequem, aber für wen?

Von Maximilian Pisacane

„Ihr Rüde ist ja intakt“, sagt die Dame mit mehr als deutlicher Verwunderung in der Stimme. Um sie noch mehr zu irritieren, antworte ich mit gewissem Stolz in der Stimme und einem süffisanten Lächeln: „Stimmt, er ist nicht kaputt.“ Zugegeben, das war etwas (absichtlich) provokant. Aber wie das Wort schon sagt, bedeutet „intakt“ so viel wie „ganz, heil, in Ordnung“. Insofern war meine Wortwahl also richtig, denn das Gegenteil davon ist ja dann „nicht heil, kaputt“. Die Selbstverständlichkeit in meiner Stimme schien die Dame zu irritieren, mit deutlich nervösem Vibrato in ihrer Stimme entgegnete sie mir: „Also ich habe unseren Rüden, kurz nachdem er zu uns kam, kastrieren lassen.“ Nicht nur aus ­beruflicher Neugierde wollte ich wissen, warum. Ihre Antwort: „Weil mir sein Rüdengehabe auf die Nerven ging!“ Warum sie sich dann überhaupt einen Rüden geholt hätte, wollte ich wissen, denn die logische Schlussfolgerung wäre doch dann, dass sie ein Weibchen nimmt. „Neeee, die sind dann zweimal im Jahr verwirrt, und außerdem tropfen die dann alles voll …“

Nun ist es aber nicht so, dass uns solche skurrilen Fälle bei unseren Gassigängen nur im ­Zusammenhang mit Rüden ­vorkamen. Erst kurz zuvor erklärte uns eine andere Halterin, dass sie ihr Weibchen hat kastrieren lassen, „damit die nicht so verwirrt ist wie bei der Läufigkeit typischerweise; außerdem: so bleibt die Wohnung sauber und ich kann sie ganzjährig im Bett schlafen lassen.“ Aus ihrer Sicht mögen das vielleicht ­plausible Gründe sein. Doch in ­meinen Augen erscheint mir das nicht nur unlogisch, es zeigt auch einen ge­wissen Mangel an Respekt vor dem Leben und dessen Unversehrtheit. Vor allem zeigt es aber, wie sehr der Mensch aus egoistischen Gründen bereit ist in die Natur zu pfuschen – oder besser gesagt: zu schnippeln. Damit es für IHN passt und bequem ist. Doch was ist mit den Hunden? Der darf dann alle Nachteile alleine mit sich schleppen …

Am liebsten würde ich solchen Haltern empfehlen, sich doch besser ein Stofftier zuzulegen – die sind dann noch pflegeleichter. Oder auch die relativ neuen „Roboter-Dogs“, die kann man sogar ausschalten. Gesetzlich ist die Lage klar: Das Amputieren von Körperteilen (ohne medizinische Indikation) ist laut Paragraph 6 des Tierschutzgesetzes verboten. Ein Verstoß kann – sofern es zur Anklage kommt – mit Geldbußen und Halteverbot bestraft werden. Sollte dann noch Tierquälerei nachgewiesen werden (beispielsweise durch unsachgemäße Operation durch jemanden, der kein Tierarzt ist), wird das Ganze sogar zur Strafsache – dann können sogar Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren verhängt werden.

Damit spiegelt die Gesetzeslage durchaus auch den derzeitigen Stand der ­Wissenschaft wider: Aus verhaltensbiologischer Sicht birgt die Kastration sowohl von Rüden (Udo Gansloßer in WUFF 12/2010) als auch von Hündinnen (Sophie Strodtbeck in WUFF 2/2011) mehr Risiken als Vorteile. Sofern man überhaupt von Vorteilen sprechen kann – denn den „genießen“ dann über­wiegend die Menschen, mit den Nach­teilen haben dann die Hunde zu kämpfen.

So sind kastrierte Rüden nicht selten Opfer von Mobbing durch andere Hunde. Doch statt den Sinn der Kastration zu hinterfragen, reagiert so mancher Halter da mit wenig nachvollziehbarer Logik (vermutlich, weil er sich selber ­keinen Fehler eingestehen will). So war der Lösungsvorschlag von so manchem Hundehalter, um dieses Mobbing zu verhindern, dass es das Beste sei, wenn doch alle Rüden kastriert wären – denn so wären die ja dann alle unter sich und keiner würde gemobbt. Eine solche Lösung ­bewahrt zwar den jeweiligen Hunde­halter davor, sich seinem Irrtum zu stellen, doch die gesundheitlichen Konsequenzen wischt es nicht hinweg. So steigt beispielsweise das Risiko an bestimmten Krebsarten zu erkranken mit der Kastration (nach derzeitigem Kenntnisstand sogar mehr, als dass sie andere Tumorarten verhindert).

Umso erstaunlicher ist es, dass sogar Tierschützer manchmal skurrile Wege gehen und die Kastration von vermittelten Hunden sogar vertraglich verlangen. Ganz davon abgesehen, dass solche Klauseln in Verträgen ungültig – weil rechtswidrig – sind, scheint diesen Tierschützern nicht bewusst zu sein, dass sie damit auch dem illegalen Hunde­handel in die Hände spielen. (übrigens: der Tierhandel ist nach dem Menschen- und Waffenhandel das lukrativste Geschäft für das organisierte Verbrechen siehe auch Artikel ab Seite 24)

Aber warum akzeptieren so viele Halter denn nicht ihren Hund, so wie er ist? Denn schließlich „ist der Hund unser Bindeglied zur Natur“, wie Günther Bloch weiß (Interview in WUFF 9/2016). Warum ihn also dann nicht belassen, wie die Natur es vorgesehen hat? Sicher, das ist vielleicht unbequem und nicht immer einfach. Aber mal Hand aufs Herz: Wer ­würde denn sein Kind kastrieren, wenn es in die Pubertät kommt? Und welche ­Triebe sich da Bahn brechen, weiß ja sicher jeder noch aus eigener Erfahrung.

Von daher bleibt mein Döggelchen Rico unkastriert, solange es nicht medizinisch notwendig werden sollte. Die Nachteile stehen wir schon durch – gemeinsam!

Pdf zu diesem Artikel: gassireport_11_2017

 

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