Ist weniger mehr?

Von Steffi Rumpf

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Warum lesen?
Hyperaktive und nie zur Ruhe ­kommende Hunde sind oft hausgemacht. Und warum sind ausgepowerte Hunde nicht entspannt? Erfahren Sie, warum das so ist.
Fakten kompakt
• Mehr Beschäftigung kann für den Hund auch mehr Stress und weniger Ruhe bedeuten.
• Hunde auf Reiterhöfen sind meist tiefenentspannt. Warum das so ist, lesen Sie in diesem Artikel.
• Lieber mehr schnüffeln und im Dreck wälzen als Dauer-Beschäftigungsprogramm.

Entspannt leben mit Hund

Das Thema Überbeschäftigung von Hunden ist ­mindestens genauso aktuell wie das Thema Unterbeschäfti­gung. Hundetrainerin und Buchautorin Steffi Rumpf hat spannende Erkenntnisse zusammengefasst, warum „überausgelas­­tete“ Hunde trotzdem nicht entspannt sind. Gut gemeint ist nicht immer gut für den Hund. Wie Sie es besser machen, lesen Sie in diesem Artikel.

Die meisten Menschen machen sich heutzutage ernsthaft Gedanken, bevor sie einen (oder mehrere) Hunde in ihrem Leben aufnehmen – mehr als das noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten der Fall war. So gesehen haben unsere Hunde wirklich oft Glück – mehr Glück als die Hunde es in anderen Ländern haben. Viele unserer Hunde, meine eigenen eingeschlossen, besitzen mehrere bequeme Liegeplätze, Spielzeuge und Halsbänder, Geschirre und Leinen für mindestens dreimal so viele Hunde. Zudem achte ich sehr darauf, dass sie auch im Hinblick auf Beschäftigung und natürlich auch Gesundheit nicht zu kurz kommen.

Viele Hundehalter schaffen sich ein hundefreundliches (größeres) Auto an, in das die Box auch gut hinein passt, einige später sogar einen Wohnwagen oder ein Wohnmobil, um gut mit Hund in den Urlaub oder auch auf Turniere fahren zu können. Aus der Erfahrung in meiner Hundeschule doggi-fun und meinen Beobachtungen bei Seminaren und Turnieren ist es aber so, dass die Hunde durch die neue privilegierte Stellung nicht unbedingt souveräner und sozial kompetenter geworden sind. Obwohl überdurchschnittlich viele Halter bereit sind, viel Zeit und Geld in den Hund zu investieren und dies auch tun, begegne ich immer mehr gestressten, nervösen, hektischen oder unkonzentrierten Hunden mit schlechter Selbstbeherrschung und niedriger Reizschwelle. Da wird an der Leine gepöbelt, gebellt, die Hunde sind häufig nicht in der Lage anderen zuzusehen, die beispielsweise einen Parcours abarbeiten oder auch nur mit ihren Haltern spielen und rennen.

Tierärzte bestätigen immer öfter auch einen Zusammenhang zwischen Stress bei unseren Hunden und auftretenden Krankheiten wie Hautproblemen, Magenerkrankungen, allgemeiner Unlust und vielem mehr. Schon deshalb sollten wir hier vermehrt einen Blick auf eventuelle Stress-Auslöser haben. Als vorbildlich sehe ich beispielsweise die Hunde auf unserem Reiterhof. Diese Hunde verschiedener Rassen und Altersstufen scheinen den ganzen Tag fast nichts zu tun. Sie begleiten die Halterin auf kurzen Strecken von A nach B. Im Grunde hin und her. Ansonsten beobachten sie, was so auf dem Hof vor sich geht und wer kommt und wer geht. Gelegentlich spielen sie ein bisschen mit den anwesenden Kindern oder auch miteinander. Sie können einige wenige Kunststücke, die sie gerne zeigen, um ein Leckerchen oder Aufmerksamkeit zu bekommen. Unregelmäßig gehen sie auch spazieren. Aber das eigentlich nur bei angenehmen Temperaturen und wenn sie Lust haben. Es steht ihnen frei, z.B. die Pferde bei Ausritten zu begleiten. Diese Hunde sind extrem entspannt und ausgeglichen. Im Auftreten sind sie ruhig und souverän. Sogar die meisten fremden Hunde – sofern sie sich angemessen auf dem Hof benehmen und nicht ihrerseits provozieren – werden toleriert oder auch ignoriert.

Wie kommen diese Unterschiede zu den Hunden in vielen Hundeschulen zustande? Niemand widmet den Hofhunden allzu viel Aufmerksamkeit. Auch das Leben der Halterin dreht sich eher nicht um den Tagesablauf der Hunde. Ähnliches sieht man auch bei Hunden von Obdachlosen in Städten oder auch bei halb wilden Hunden in südlichen Ländern. Ich bin der Meinung, ohne darüber Studien betrieben zu haben, es könnte zum Einen daran liegen, dass viele unserer Hunde überbeschäftigt sind. Wie manche Kinder werden sie teilweise von Termin zu Termin „geschleift“. Morgens erst einmal ausgiebig Gassi, zumindest abends natürlich ebenfalls. Dazwischen eine oder zwei kurze „Pipi-Runden“. Als Halter hat man schon ein schlechtes Gewissen, weil man ja leider arbeiten muss und den Hund vielleicht nicht mitnehmen kann oder sogar in der Zeit anderweitig unterbringen muss. Mit dem reinen Laufen kommt man schon auf 3–5 Stunden am Tag, je nach Motivation oder schlechtem Gewissen der Halter. Dazwischen oder auch während der Spaziergänge zusätzlich Beschäftigungs-Spiele wie Suchaufgaben, Dummytraining, Unterordnungseinheiten oder auch schlicht Apportierspiele wie Balli-Werfen.

Kaum zu Hause angekommen, wird ein bisschen „Kopfarbeit“ gemacht. Schließlich soll der Hund ja nicht nur körperlich, sondern auch geistig ausgelastet werden. Da gibt es fertiges und selbstgemachtes Intelligenzspielzeug, aber auch Clicker-und Tricktraining, Objekte-unterscheiden, Nachahmungslernen etc. Gegen Abend „darf“ der Hund dann noch, am besten mehrmals wöchentlich, „seinem“ Hobby nachgehen. Im Verein oder auf dem Hundeplatz. Zum Glück ist da mittlerweile wirklich für fast jeden etwas dabei, so dass man auch mehrfach die Woche trainieren kann, damit man dem Hund ein vielfältiges Angebot bietet. Obwohl gut gemeint, wird hier vielfach vergessen, dass Hunde ein dem Menschen gegenüber erhöhtes Ruhebedürfnis haben. Je nach Quelle werden um die 18 Stunden pro Tag angegeben. Schon hier sieht man die Problematik von zu viel Beschäftigung.

Auch haben Hunde, wie jedes Lebewesen, ein immenses Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung. Sich den ganzen Tag nach den Vorstellungen ihrer Menschen zu richten, strengt auch den treuesten Vierbeiner an! Dem kann man Rechnung tragen, indem man erkennt, dass es gerade beim Spazierengehen weniger auf die tatsächlich zurückgelegte Strecke oder die Dauer ankommt als auf die Qualität der gemeinsamen Zeit. Hunde sollten gerade bei den Gassi-Runden auch ausreichend Zeit zugestanden bekommen, einfach Hund zu sein, ohne irgendwie geartete Dauerbeschäftigung. Zeit, sich mit den Gerüchen zu beschäftigen (jagende Hunde natürlich entsprechend gesichert durch eine Schlepp-Leine). Zeit, um auch einmal genüsslich herumzutrödeln, sich im Sand zu wälzen oder ähnliches „Uneffektives“ zu tun. Das ist dann auch Zeit für den Halter, sich einmal an einen Baum zu lehnen und seinen Hund zu beobachten, die Gedanken schweifen zu lassen und dabei vielleicht sogar das Handy abzuschalten.

Unsere heutige Gesellschaft mit all ihrer Leistungsoptimierung und ihrem Streben nach Perfektion in allem und jedem hat es uns Menschen schwer gemacht, diese Zielstrebigkeit einmal außen vor zu lassen. Hunde können das jedoch noch – völlig im Hier und Jetzt aufgehen. Alles rund herum ausblenden – und, dabei wollen die wenigsten Hunde weder bei weniger Beschäftigung die Weltherrschaft an sich reißen noch kommen sie als geborene Spitzensportler oder halbe Akademiker auf die Welt. Der Sinn des Lebens ist für Hunde einfach das Leben zu genießen! Um Eindrücke verarbeiten zu können, Gelerntes zu festigen oder zu verarbeiten und um wieder aufnahmefähig für Neues zu sein, benötigen Hunde (und Menschen auch) unbedingt ausreichend Ruhe. Natürlich sollte beispielsweise Regen keine Ausrede sein, nicht mit dem Hund raus zu gehen, allerdings bin ich mir auch völlig sicher, dass zumindest meine Hunde es absolut in Ordnung finden, wenn wir an einem kalten, nassen Wintertag (wohlgemerkt an einem, nicht an allen) bei einem Wolkenbruch den Spaziergang durch einen gemütlichen Kuschelabend auf der Couch ersetzen. Und ja, das tue ich gelegentlich – und das auch völlig ohne schlechtes Gewissen!

Nun ist es natürlich nicht so, dass ich ein Plädoyer für die Nicht-Beschäftigung schreiben möchte. Unsere Hunde trainieren auch. Und auch regelmäßig schnelle, triebfördernde Sportarten. Hunde lieben Sport. Allerdings sollten sie dabei nicht als „Sportgerät“ gesehen werden. Schließlich geben sie immer ihr Bestes, auch wenn es vielleicht mal nicht für das „Treppchen“ reicht. Vergessen wir nicht, warum die einzelnen Hundesportarten entwickelt wurden – um Spaß MIT den Hunden zu haben! Jeder Hund sollte schon von Anfang an lernen, dass er nicht ständig fordert, sondern auch mal einen oder zwei Tage völlig ohne größere Beschäftigung tolerieren kann und dass sich eben nicht die ganze Welt immerzu um ihn dreht. Natürlich sollte auch jeder Hund einen Grundgehorsam erlernen, schon zu seinem eigenen Schutz und auch für seine Umwelt. Das Tempo, in dem er lernt, ist jedoch so individuell wie er und sein Halter oder seine Halterin es eben auch sind. Ein guter Trainer wird jedes Team in seinem Tempo unterstützen und fördern. Vergleiche nutzen hier keinem etwas.

Häufig bekomme ich die Aussage von Teilnehmern, dass Bello aber ohne das tägliche Frisbee-Spiel (oder anderes) nicht müde zu bekommen sei. Nur vergessen diese Menschen, dass sie damit eben Bello auch eine gewisse Kondition antrainieren. Zuerst sind es fünf Minuten, bis der Hund müde und ausgeglichen wird, dann 10, schnell 30 Minuten oder mehr. Und ruck-zuck befindet man sich in der klassischen Beschäftigungsspirale. Hier dann wieder Tempo herauszunehmen ist um ein Vielfaches schwieriger als es erst gar nicht so weit kommen zu lassen – gesundheitliche und psychische Folgen für Bello einmal ganz außen vor. Für viele Hunde ist es auch schön, wenn sie Artgenossen treffen können. Gerade der Umgang mit anderen Hunden sollte gelernt werden, allerdings mehr in der Form, dass man sich als Hund auch in Anwesenheit anderer Hunde noch auf seinen Menschen zu konzentrieren lernt und fremde Hunde toleriert und akzeptiert. Sogenannte Spielstunden machen die Halter zwar mitunter kurzfristig glücklich, langfristig geht das meistens aus verschiedenen Gründen nach hinten los.

Von sehr vielen Hunden, die ich in meinem Leben kennenlernen konnte, wird gemeinsame Ruhezeit mit dem Halter als angenehm empfunden. Manche Hunde haben dies jedoch schon früh verlernt und erwarten ein „Dauerprogramm“ ­seitens der Halter. Von diesen Haltern höre ich dann häufig (mit etwas Anflug von Stolz in der Stimme), dass ihr Hund nicht mit weniger Beschäftigung aus­­­­kommen würde, denn es wäre ja schließlich eine Arbeitsrasse und/oder ein sehr lebhaftes, triebstarkes Wesen. Nur hat der klassische Hütehund, der seinem Job an den Schafen tatsächlich noch nachgehen darf, im Winter mit einigen Monaten „Nichtstun“ zurecht zu kommen. Auch ein Jagdhund geht nicht 365 Tage im Jahr auf Jagd – das wird bei vielen ­Hundehaltern triebstarker Rassen leider oft vergessen.

Ich selbst habe Hunde und auch Kinder. Aus meinen Erlebnissen kann ich sagen, dass man in vielen Verhaltensweisen Kinder und Hunde (zumindest meine) durchaus miteinander vergleichen kann. Gebe ich besonders meinem sehr agilen Sohn zu viel Input in Form von Sport, Freunden, einem Schwimmbad, aber auch Kinobesuch etc., kann ich davon ausgehen, dass ich abends ein quengeliges, nörgelndes Kind zu Hause sitzen habe, das quasi „aufgezogen“ von den vielen (durchaus schönen) Erlebnissen, nicht mehr zur Ruhe findet. Geht das über mehrere Tage so, ist es so gut wie sicher, dass sich dieser „Stress“ irgendwann entlädt in Türenknallen, Tränen und Ähnlichem. Hier gibt es durchaus Parallelen mit überbeschäftigten Hunden und deren reizbarem Verhalten.

Mein Rüde Kalle Wirsch ist ein sehr nervöser, aufgeregter und impulsiver Hund. Während der Genesungszeit von meiner Hündin Biene nach zwei großen OPs im letzten Jahr konnte ich an ihm merken, dass auch ihm diese eigentlich Biene verordneten, sehr langsamen und kurzen Spaziergänge, auf denen auch niemals gespielt wurde, gut taten. Er fing an, sich mehr mit dem Schnuppern zu beschäftigen, das Fordern an mich und Biene mit ihm „etwas zu tun“ verringerte sich deutlich, solange Biene Leinenpflicht und Langsamkeit verordnet bekommen hatte. Hier hat sich ganz deutlich gezeigt, dass ihm dieses „Weniger“ sehr gut getan hat. Kalle liebt Agility und Disc-dogging. Aber wirklich gut tun ihm diese Sportarten nur in Maßen. Einmal die Woche Training, mehr dreht ihn schon zu sehr auf. Noch besser für seine innere Ausgeglichenheit und damit messbar auch besser im Hinblick auf seine Reaktionen auf andere Hunde, plötzliche Reize, Frustration usw. sind ruhige Trainingsvarianten, wie Cavalettitraining, Nasenarbeit oder Longieren oder auch die von uns immer noch eingehaltene Winterpause, in der wir im Grunde gar nicht mit unseren Hunden trainieren.

Das war früher die Regel im Hundetraining, stirbt aber in Zeiten der Hundehallen mehr und mehr aus. Nicht nur die Sportler sind hier angesprochen, auch diejenigen, die durchaus ruhige Dinge „mit ihren Hunde unternehmen“, aber eben vielleicht manchmal etwas viel. Ein oder auch zwei Wochenenden im Monat zu verplanen, sei es durch Seminare oder auch einfach eine Military, einen Wochen­endtrip ins Hundehotel oder Ähnliches, ist sicher schön, alle vier ­Wochenenden zu planen, könnte für manche Hunde schon zu viel sein …

Alles, was ich hier geschrieben habe, sind lediglich meine eigenen Erfahrungen und Gedanken, die ich mir gerade durch meinen eigenen Hund gemacht habe, es handelt sich nicht um eine wissenschaftlich belegte Arbeit.

Pdf zu diesem Artikel: ueberbeschaeftigung

 

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