In immer kürzeren Abständen erscheinen Artikel, ja auch wissenschaftliche Aufsätze, in denen die Zucht der Rassehunde überhaupt in Frage gestellt oder gar als nicht mehr akzeptabel betrachtet wird. So meinen etwa P.D. Greevy und F.W. Nicholas (1999), dass einfach zu wenig Selektionsdruck in Richtung gesündere und der modernen Gesellschaft besser angepasste Hunde ausgeübt wird. Der Anteil genetischer Defekte sei in manchen Rassen unannehmbar hoch, und die geringe Zahl von Hunden einiger Rassen mache es heute schon fast unmöglich, die Verpaarung eng Verwandter zu vermeiden. Sie empfehlen eine Reihe von Maßnahmen, darunter die Wiedereröffnung der Zuchtbücher zur Einbeziehung von neuem, nicht oder wenig verwandtem Zuchtmaterial, die Erforschung genetischer Marker für wichtige Erbkrankheiten und sogar die Zucht von Rassenkreuzungen erster Generation, sowie die Einkreuzung verwandter Rassen und Rückzüchtung auf die Stammrasse.
Möglichkeiten zur Hebung der Gesundheit des Rassehundes
Obwohl die systematische Zucht bestimmter Rassenmischlinge da und dort in Übersee vorkommt, sehe ich darin keine Lösung des Problems, denn zu ihrer „Herstellung“ sind ja dennoch reine Rassen erforderlich, wenn auch sicher dadurch dem Hundeliebhaber Hunde einheitlichen Typs, aber infolge von Kreuzungsvitalität durchschnittlich besserer Gesundheit, zur Verfügung gestellt werden. Vielmehr muss die Möglichkeit gesucht werden, die Gesundheit des Rassehundes an sich zu heben. Tatsächlich wird dafür heute auch schon viel Mühe und Geld aufgewendet, wie etwa durch die GKF (Gesellschaft zur Förderung kynologischer Forschung e.V., die sich vorwiegend mit der Förderung und Vergabe von Gesundheitsstudien befasst) in Deutschland oder den Canine Health Fund des AKC in USA.
Anatomische Übertreibungen vermeiden
Was die Qualzucht anbelangt, haben die kynologischen Verbände Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Luxemburgs sich zur Bekämpfung gesundheitsschädlicher anatomischer Übertreibungen verpflichtet. Es ist zu hoffen, dass man bald praktische Ergebnisse auf den Ausstellungen zu sehen bekommt – Hunde, die hübsch, originell und rassetypisch aussehen, ohne dafür schwer leiden zu müssen. Doch leider! Manche Rassen haben sich vom Echten, Ursprünglichen so weit entfernt, dass sie eben heute so auszusehen haben. Die Öffentlichkeit – und natürlich auch die Richter – haben sich daran gewöhnt, etwas anderes wird nicht mehr als „echt“ akzeptiert. Sollen sie entweder weiter leiden oder dem Tierschutzgesetz zum Opfer fallen.
Werden die echten, unverfälschten, ursprünglichen Möpse und Pekingesen wieder auferstehen? So, wie sie in den kaiserlichen Palästen Chinas herumliefen? Kaum, aber immerhin haben sich die kynologischen Verbände mehrerer europäischer Länder zur künftigen Vermeidung anatomischer Übertreibungen bei den Hunderassen bekannt. Ein Durchbruch im wissenschaftlichen Fortschritt sind die mikrobiologischen Tests, mit denen nach und nach die Träger von immer mehr Erbkrankheitsgenen erkannt und aus der Zucht ausgeschieden werden können.
Die Fehlinterpretationen des Standards – ein Grundübel
Es wird aber nicht leicht sein, die geradezu schicksalhafte weitere Exterieur-Verzerrung von Rassen einzubremsen. Afghanen, wie sie auf unseren Ausstellungen zu sehen sind, gibt es in Afghanistan nicht, und „Original“-Afghanen nicht mehr bei uns. Der einzigartige Pygmäenhund, der Basenji, wurde in den USA so krank, dass sich sogar der erzkonservative Amerikanische Kennel Klub gezwungen sah, wieder originale Basenjis aus Afrika importieren zu lassen. Nur – diese haben auf Ausstellungen keine Chance, denn die amerikanischen Basenjis sehen ja jetzt viel „echter“ aus als sie … Man hat das Original „verbessert“, dafür bezahlt es jetzt mit dem Fanconi Syndrom und anderen schweren Erbkrankheiten …
Die Mode bestimmt
Man glaubt vielfach, solchen Übeln durch Revidierung der Standards beizukommen. Doch die Richtpraxis legt den Standard oft anders aus, es bestimmt die Mode. Wo steht, dass der Deutsche Schäferhund einen gewölbten, abfallenden Rücken haben muss? Dazu Überwinkelung, die er als „Traber“ angeblich braucht. Man vergaß, dass der weltbeste Traber, der Wolf, eine ziemlich steile Winkelung aufweist und einen schnurgeraden Rücken, wie auch alle Hochleistungsrassen, seien es Schlitten-, Vorsteh- oder die sonstigen Hütehunde, wie des DSH in jüngster Zeit gefährlichster Konkurrent, der belgische Malinois.
Wo steht, dass die Collieaugen winzig sein müssen? Nein, sie müssten nach dem Standard mittelgroß sein (wie beim DSH). Sind es aber nicht. Dementsprechend müssten die Champions disqualifiziert werden, doch wer tut das?
Der neue Bundeszuchtwart des SV (Schäferhundverein), des mächtigsten Hundezuchtvereins der Welt, Dr. Raiser, will nun das Steuer herumreißen. Nun soll es auf einmal Decklimitierungen für Rüden geben, ohne Zweifel unerlässliche, dringende Maßnahmen, ja, er will sogar Fremdrassen einkreuzen. Ob er sich durchsetzen wird können? Ob die Vernunft siegen wird? Sinnvoll angepackt könnte dieser immer noch erfolgreichste Gebrauchshund der Welt durchaus zu einer zweiten Blüte kommen – oder aber in verschiedene Zuchtrichtungen oder sogar Rassen zerfallen.
Mischling oder Rassehund?
Sind Rassehunde also so krank, dass man nur zur Anschaffung eines Mischlings raten kann? Keineswegs. Beim Mischling liegen außerdem verschiedene Risiken vor, man weiß meist nicht, wie er sich entwickeln wird, es kommt nicht selten zu Atavismen (Rückschlägen auf die Vorfahren), wie Jagdtrieb, wo man ihn absolut nicht braucht, Aggressivität oder Scheu, Streunen, Wildern, etc.. All das sind ins Gewicht fallende Nachteile, wenn auch die meisten Mischlinge sich zu guten Heimtieren entwickeln. Nur der Rassehund ist auf bestimmte Leistungen, Wesens- und körperliche Eigenschaften selektiert und lässt diese auch erwarten, doch sollte man sich bei der Auswahl an verschiedene Kriterien halten, um das Gesundheitsrisiko möglichst niedrig zu halten. So sollte ein Welpe – außer nach den üblichen Richtlinien – auch danach beurteilt werden, wie hoch sein Inzuchtkoeffizient ist. Beläuft sich der auf <6,25% (Niveau einer Cousin-Cousinenpaarung) auf möglichst viele, am besten 10 Generationen (was aber selten zu finden ist), kann mit ähnlicher Vitalität und Langlebigkeit wie bei einem Mischling gerechnet werden! (siehe www.Canine-Genetics.com, longevity) Es liegt an den Rassezuchtvereinen, die „Produktion“ solcher Hunde anzukurbeln. Wie es gehen könnte, ist im Kasten angeführt.
Weiter tun wie bisher?
Leider scheint man da und dort zu glauben, man könnte wie in alten Zeiten weiter tun, wenn man nur dank der Fortschritte der Molekulargenetik die Defektträger aus der Zucht eliminiert oder zumindest die Geburt erbkranker Welpen durch entsprechende Anpaarungen verhindert. Das ist zweifellos unerlässlich, doch wenn man dies falsch angeht, kann man böse enttäuscht werden, wenn das Ausscheiden vieler Tiere aus der Zucht dafür das Auftauchen neuer Krankheiten verursacht, weil man dabei die Erhaltung des Genpools nicht berücksichtigt. Autoimmunkrankheiten nehmen zu, weil es einerseits mehr Umweltauslöser dafür gibt und andererseits der sogenannte MHC (Major Histocompatibility Complex) mancher Rassen genetisch verarmt, dadurch Antikörper gegen eigenes Gewebe erzeugt und seiner lebenswichtigen Aufgabe, gegen die riesigen Zahlen möglicher Schadkeime eine Immunantwort geben zu können, nicht mehr genügt. Das Ergebnis ist dann auch ein steigendes Infektionsrisiko.
Zukunftsorientierte Strategie in der Hundezucht
Also sind bei weitem nicht etwa alle Rassehunde heute krank, schon gar nicht alle Mischlinge gesund. Aber eine Vorwärtsstrategie ist nötig. Schließlich besitzt die Wissenschaft heute eine reiche und bewährte Methodik, um gefährdete Populationen – und dazu gehören nicht wenige Hunderassen – besser zu schützen und die genetische Vielfalt wieder auszubauen. Leider wird das in der Hundezucht erst in den seltensten Fällen schon in Anspruch genommen, dann aber mit bestem Erfolg, so beim Islandspitz und beim Landseer. Der Schwarze Große Deutsche Spitz z.B. und der Deutsche Glatthaarpinscher sind als „extrem gefährdete“ bzw. „gefährdete“ Rassen registriert worden. Der Pinscher wird daher in Skandinavien mit dem Schnauzer, ursprünglich ein rauhaariger Pinscher, gekreuzt. Vielfach sind besonders nach dem Krieg gefährdete Rassen durch Einkreuzung nah verwandter saniert worden. Das ist sicher nach Möglichkeit zu vermeiden, doch die so geretteten Rassen haben offensichtlich dadurch nicht gelitten, da entsprechend selektiert und rück gekreuzt wurde. Niemand merkt es heute einem Greyhound an, dass die Rasse im 19. Jahrhundert von Lord Orford, einem erfolgreichen Züchter, mit der Bulldogge gekreuzt wurde. Der englische Genetiker Dr. Cattanach hat sogar den Boxer mit dem Pembroke Welsh Corgi gekreuzt und in vierter Generation Rückzüchtung stummelschwänzige, aber sonst rassetypische Boxer erzielt, was seine Absicht war. Dennoch: die Sanierung muss nach Möglichkeit ohne dieses letzte Mittel erfolgen.
Sanierung der Hunderassen
Die Sanierung der Hunderassen als wichtiges Kulturerbe erfordert eine Zusammenarbeit aller, denen dies ein Anliegen ist oder sein sollte. Viel zu wenig hat sich die Wissenschaft bisher um die Heimtiere gekümmert. Bei Nutztieren hingegen wird die Inzuchtentwicklung aufmerksam verfolgt und kontrolliert, denn erhöhte Inzuchtkoeffizienten wirken sich unmittelbar auf den Wirtschaftserfolg aus. Diese Inzuchtkontrolle ist bei Rassehunden, so wertvoll sie auch sein mögen, erst in Ansätzen der Fall. Die Hundeschauen haben ihre Aufgabe, die besten – d.h. auch gesündesten – Hunde für die Zucht erkennen zu lassen, zum Großteil verloren. Sie müssen diese Rolle wieder übernehmen, nur die geno- und phenotypisch gesündesten Hunde mit niedrigem Inzuchtkoeffizienten dürften Championehren erringen, als Voraussetzung für eine gesunde Zukunft des Rassehundes.
>>> WUFF – HINTERGRUND
Die Zukunft gehört dem genetisch variablen Rassehund
Ähnliche Vitalität und Langlebigkeit wie bei einem Mischling können Rassehundezüchter erreichen,
– wenn nicht nur die Zuchtverwendung der Hündinnen, sondern auch die der Rüden streng begrenzt wird, und
– langjährige Linienzucht und sonstige Inzucht inklusive Inzestzucht aufhören.
– Potenziellen Interessenten ist zu raten, neben sonstigen Überprüfungen sich auch die Zuchtordnung des jeweiligen Rasseklubs durchzulesen.
– In weiterer Zukunft sollten Höchst-Benotungen auf Ausstellungen nur die Hunde erreichen können, für die alle notwendigen DNA- oder sonstigen Tests, medizinische Atteste und solche über Gebrauchsprüfungen vorliegen. Ferner sollten sie – bei Angehörigen aller hierfür geeigneten Rassen – Ausdauer- und Sprintprüfungen abgelegt haben. Die letzteren wären eine zusätzliche, sehr effektive Maßnahme zur Verbesserung der Gesundheit und zur Bekämpfung von Skelettkrankheiten.
– Intensive Inzucht (langjährige Linien- und Inzestzucht) sollte verboten und für Rüden strenge Deckbeschränkungen vorgesehen werden, und zwar möglichst so niedrig angesetzt, dass auf nationalem Niveau die genetisch effektive Populationsgröße (Ne, – eine errechnete Kennzahl für den Genpool) – wenn möglich – mindestens 200 ausmacht. Das kann durch internationale Kooperation, wie Auszucht durch Import von Sperma genetisch entfernter Rüden – wo noch vorhanden – heute erleichtert werden.
>>> WUFF – HINTERGRUND
Literaturhinweise
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– A. Egenvall, B.N. Bonnett, P. Olson, Å. Hedhammar, Gender, age, breed and distribution of morbidity and mortality in insured dogs in Sweden during 1995 and 1996, The Veterinary Record, 29/4/2000, p. 519-57
– H. Eichelberg und R. Seine, Lebenserwartung und Todesursachen bei Hunden I. Zur Situation bei Mischlingen und verschiedenen Rassehunden, Berl. Münch. Tierärztl. Wschr. 109, 292-303,1995
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