Im Zweifel für den Hund – Mensch-Hund-Beziehung: Lebenslänglich?

Von Sophie Strodtbeck

Es ist ein interessantes Phänomen. Auf der einen ­Seite werden viel zu viele Hunde bereits wegen kleinster ­Probleme abgegeben, meist von Haltern, die unterschätzt haben, wie viel Zeit und Erziehungsaufwand ein Hund ­kostet, wie viel Schmutz auch ein noch so ­kleiner Hund nach einem Spaziergang bei Regen mit nach ­Hause ­bringen kann und wie viele Paar Schuhe dran glauben ­müssen, bis der Hund durch den Zahnwechsel ist. Oder auch, welche Kosten neben den eingeplanten ­Aufwendungen für Futter, Versicherung und Steuer auf einen zukommen können, wenn es mal „nicht rund läuft“. Auf der anderen Seite ist die Empörung maßlos, wenn ein Hund vom Halter abgegeben wird. Und die Gründe, die dazu führen können, werden oft nicht hinterfragt, weil doch eine konsequenzlose Entrüstung wesentlich einfacher ist.

Erst vor kurzem geisterte ein Blog-Beitrag einer Hunde­trainerin durchs Internet, in dem die Frage gestellt wurde, ob es moralisch vertretbar sei, „einen Hund abzugeben, nur weil die Lebensumstände sich ändern“. Dass es sich dabei um eine rein rhetorische Frage handelt, versteht sich von selbst. Weiter wurde gefragt: „Kannst Du morgens noch in den Spiegel schauen, wenn Du in einsamen Momenten mal Deine Ausreden für Deine Entscheidungen abgelegt hast?“
Nun frage ich zunächst mich und Wikipedia, was überhaupt eine Ausrede ist. Eine Ausrede ist das Vorbringen eines nicht zutreffenden Grundes für einen vermeintlich oder tatsächlich tadelnswerten Umstand. Also geht die Autorin des Blogs davon aus, dass der Grund für die Abgabe nicht zutreffend und die Abgabe eines Hundes per se tadelnswert ist. Doch ist das wirklich immer so?

Wie bei jeder Hypothese muss auch hier die Vermutung erst einmal verifiziert werden. Ich setze dem eine Antithese entgegen, nämlich die, dass es nicht nur moralisch vertretbar, sondern höchst verantwortungsvoll ist, die eigenen Belange hintanzustellen, weil sich die Lebensumstände geändert haben, weil die Gesamtsituation nicht mehr die Ausgangssituation ist.

„Egoismus oder Treue?“ wird in dem Blog weiter gefragt. Ich persönlich halte es für unangebracht, in diesem Zusammenhang von Egoismus zu sprechen. Oft geschieht die Abgabe eines Hundes aus der ­gegenteiligen Motivation heraus, nämlich aus ­Altruismus, sprich, aus Uneigennützigkeit und Selbstlosigkeit.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet …
Ich meine damit natürlich nicht die Menschen, die einen Hund kurzsichtigerweise anschaffen, ohne sich der mit dem Hund übernommenen Verantwortung bewusst zu sein und für die ein Hund nichts anderes ist als beispielsweise ein Einrichtungsgegenstand oder ein Accessoire. Obwohl ich auch hier der Meinung bin, dass es bei Menschen, die Hunde „ablegen“ wie ein paar abgelaufene Schuhe, ­besser ist, wenn der Hund in ein anderes Zuhause kommt, in dem verantwortungsvoller mit ihm umgegangen wird. Aber auch hier helfen keine ­Vorwürfe im Nachgang, sondern einzig und ­alleine Aufklärung im Vorfeld.

Züchter stehen in der Pflicht, schonungslos über die Anforderung einer Rasse an die potenziellen Halter und das neue Umfeld des Hundes aufzuklären und ihre Hunde nicht jedem Interessenten anzuvertrauen. Man denke nur an den territorialen Herdenschutzhund in einem Mehrfamilienhaus, an den überforderten Chihuahua in einer Familie mit fünf Kleinkindern oder an den Malinois bei absoluten Couchpotatoes mit einem 12 Stunden-Arbeitstag. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Hunde, die über den Tierschutz vermittelt werden, sofern hier die Vorgeschichte des Hundes bekannt ist. Dass sich nicht jeder Hund, der jahrelang halbwild draußen auf der Straße gelebt hat, nach trauter Zweisamkeit mit einem Menschen im Einzimmerappartement sehnt, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, ebenso, dass beispielsweise nicht jeder Hund für eine Familie mit Kindern geeignet ist. Hier steht also der Verkäufer/Vermittler genauso in der Verantwortung wie der Käufer/Interessent.

Leben passiert, während wir ­Pläne machen
Gehen wir nun aber davon aus, dass der Hund sorgsam ausgewählt wurde und es sich um ein annähernd perfektes Mensch-Hund-Team handelt, das schon einige schöne gemeinsame Jahre auf dem Buckel hat. Auch solche Konstellationen sind leider nicht davor gefeit, dass sich Lebensumstände von jetzt auf gleich ändern, denn wie heißt es so schön: Leben ist das, was passiert, während wir Pläne machen. Eine Kündigung der Wohnung zum Beispiel kann fast jeden ereilen. Und ich behaupte, dass alle, die jetzt laut aufschreien, dass das ja kein Grund sei, sondern dass sie mit ihrem Hund auch unter der Brücke schlafen würden, gerade auf einer warmen Couch sitzen, das Essen im Ofen, das monatliche Gehalt sicher auf dem Konto, den Hund zu Füßen. Aus dem Glashaus heraus empört es sich leicht!

Auch eine Kündigung der Arbeitsstelle ist meist ein gravierender Lebenseinschnitt und passiert ungeplant. Ein Jobangebot auszuschlagen kann sich sicherlich heutzutage nicht jeder finanziell erlauben. Was tun, wenn man den Hund nun nicht mehr zur Arbeit mitnehmen kann, wenn sich die Arbeitszeiten so verändern, dass der Hund nun auf einmal 10 ­Stunden ­täglich alleine wäre? Nicht jeder hat das Glück, einen Hundesitter in erreichbarer Nähe zu haben und/oder ihn sich leisten zu können – gerade wenn sich die berufliche Situation geändert hat. Und es gibt Hunde, die man nicht mal „eben so jedem“ mitgeben kann, weil sie entweder ein massives Problem mit fremden Menschen oder aber auch mit Artgenossen haben. Und nun?

Auch eine schwere, plötzlich Erkrankung kann dazu führen, den Hund abgeben zu müssen, weil man ihm nicht mehr gerecht werden kann. Wenn man weiß, dass das Problem nur vorübergehender Natur ist, lässt sich vielleicht ein kurzfristiger „Plan B“ finden; was aber, wenn der Zustand irreversibel ist? Ist es dann nicht im Sinne des Hundes, einen Platz für ihn zu suchen (und zu finden!), auf dem man ihm gerecht werden kann? Wäre es nicht genau in solchen Situationen der pure Egoismus, den Hund auf ­Teufel komm raus behalten zu wollen? Ich meine, ja.

Aber es gibt auch vermeintlich harmlosere Gründe, sich von einem Hund zu trennen. Es gibt immer wieder Menschen und Hunde, die nicht zusammenpassen, aus welchen Gründen auch immer. Oder Mehrhundehaltungen, in denen die Harmonie zwischen den Hunden nicht stimmt. Ist es da nicht ein Leben im Stress für alle Beteiligten, wenn man die ­Situation trotzdem so belässt und versucht, durch ausgeklügelte Logistikpläne zu managen? Ich kenne Haushalte, in denen sich die dort lebenden Hunde niemals begegnen dürfen – das würde ich meinen Hunden nicht antun!

Fast jeder (ehrliche!) Hundetrainer wird schon mal zur Abgabe eines Hundes geraten haben und weiß, wie schwer solche Gespräche sind, weil der Mensch sich eben mit dieser Entscheidung sehr schwertut, sich als Versager fühlt, und weil ihm ständig von allen Seiten impliziert wird, dass es kaum ein schwereres Vergehen gibt als einen Hund abzugeben. Und trotzdem ist es eben manchmal der bessere Weg.

Lebenslänglich?
Im Optimalfall sicher ja! Aber manchmal ist das eben nicht möglich, ohne dass es dadurch für den Hund zu Einschränkungen kommt. Ziel kann darum in meinen Augen nicht sein, den Hund auf keinen Fall abzugeben, sondern die Lösung zu finden, die allen gerecht wird. Und diese Lösung ist eben oft mit Verzicht für den Menschen verknüpft, und fällt dem Menschen häufig um ein Vielfaches schwerer als dem Hund.

Ich kenne beide Seiten. Meinen ­Beaglerüden Meier habe ich von einem älteren Ehepaar übernommen, das bis dahin keinerlei Hundeerfahrung hatte. Klar ist da ein pubertierender Beagle-Jungspund sicherlich nicht die optimale Wahl, aber er war nun mal da und irgendetwas ­musste passieren. Die ehemaligen Halter taten sich mit dem Gedanken an eine Abgabe sehr schwer, waren aber mit diesem Hund maßlos überfordert und konnten ihm nicht gerecht werden. Erst nach einigen Gesprächen sahen sie ein, dass die Entscheidung, den so sehr geliebten Hund abzugeben, die einzig richtige war und im Sinne des Hundes passierte. Leicht fiel es ihnen nicht, bei der Übergabe flossen viele Tränen. Und trotzdem war es richtig, war es das Gegenteil von Egoismus.

Wir stehen übrigens nach wie vor in gutem und regelmäßigem Kontakt, sie beteiligen sich immer wieder an den Kosten, schicken Fresspakete und sie bekommen zu Weihnachten immer einen Kalender mit den schönsten Fotos von Meier, der natürlich einen Ehrenplatz in ihrem Wohnzimmer bekommt. Und sie sind nach wie vor froh, diese Entscheidung im Sinne des Hundes getroffen zu haben – auch wenn sie ihnen schwerfiel. Ist dagegen etwas einzuwenden? Ich finde, nein! Der Hund ist glücklich, ich bin es und die ehemaligen Halter sind es auch.

Im Zweifel für den Hund
Seit ein paar Monaten kenne ich ­leider auch die andere Seite und weiß, wie es ist, einen Hund abgeben zu ­müssen. Auch meine Lebensumstände haben sich durch den plötzlichen Tod meines Lebensgefährten gravierend ­­geändert. Unsere Hunde waren bis dahin immer gut versorgt. Wenn einer von uns unterwegs war, um Seminare zu halten, blieb der andere zuhause, um sich um die Hunde zu kümmern. Natürlich wären wir gerne auch mal zusammen unterwegs gewesen, aber das ist mit fünf Hunden schwierig und diesen Kompromiss gingen wir zugunsten unserer Hunde gerne ein, wie wir auch sonst bereit waren, auf Vieles zu verzichten, um unseren Traum von der Mehrhundehaltung zu verwirklichen.

Auch andere Kompromisse, wie den Verzicht auf Urlaub oder darauf, uns eine bessere Bleibe für uns und unsere Vierbeiner zu suchen (ein schönes und bezahlbares Haus mit 5 Hunden zur Miete zu finden gleicht einem Sechser im Lotto), gingen wir gerne ein – die Hunde waren es uns wert, sie waren unser persönlicher Luxus!

Aber nun war alles anders, ich stand alleine mit fünf Hunden da. Man kann sich auf vieles vorbereiten, einen Plan B haben, aber der Tod eines gesunden und relativ jungen Menschen ohne bekannte Vorerkrankungen ist nicht planbar. Und ich möchte mein Leben auch nicht in der ständigen Erwartung leben, dass etwas Derartiges passieren könnte. Unser Plan B war natürlich, dass der jeweils andere die Hunde übernehmen würde, sollte einem von uns etwas zustoßen. Aber unser junger Beagle Schmitti, den wir erst zwei Monate vorher übernommen hatten, weil auch er unüberlegt von seinem Vorbesitzer angeschafft worden war, steckte mitten in der Pubertät. Wir hatten ja erst ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie wichtig stabile Verhältnisse und ein souveräner Mensch für einen pubertierenden Hund sind. Und ich war/bin in meiner Trauer das Gegenteil eines stabilen und souveränen Menschen, ich merkte bereits nach ein paar Tagen, dass ich diesem Hund in meinem Zustand, dessen Ende nicht absehbar ist, nicht gerecht werden kann. Schmitti tat, was ein junger Hund nun mal tut: Unfug machen – und das nicht zu knapp. Eine Heraus­forderung, der wir beide, also mein Lebenspartner und ich, uns nur zu gerne gestellt hätten, der ich aber nun alleine nicht gewachsen war. Mir fehlten schlichtweg die Nerven dazu. Und ich finde, dass ein junger Hund das nicht verdient hat! Er hat verdient, dass man sich um ihn kümmert, ihn erzieht, ihm auch mal etwas nachsieht und ihm eine stabile und souveräne Leitfigur ist. Dazu war ich aber nicht in der Lage. Und einem jungen Hund ist sicher nicht damit gedient, dass man seine Erziehung auf „irgendwann“ verschiebt.

Also beschloss ich nach ein paar Tagen und vielen schlaflosen Nächten, in denen ich mir sehr viele Gedanken gemacht habe, ihm ein Zuhause zu suchen, in dem man ihm all das bieten kann, denn das ist es, was er verdient hat!

Trotzdem fand diese Entscheidung nicht überall Verständnis, sondern es wurden auch Vorwürfe laut, dass ich beim Auftreten „kleinster Probleme einfach so“ einen Hund abgeben würde, und dass die Anschaffung der Hunde und die Abgabe von Schmitti verantwortungslos und kurzsichtig gewesen sei.

Egoismus oder Treue?
Und damit spannt sich der Bogen zum Anfang dieses Artikels: Ich bin der Meinung, dass ich eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung getroffen habe, nämlich eine Entscheidung im Sinne dieses Hundes! Für Schmitti war die Abgabe kein Problem, mir fiel sie sehr, sehr schwer. Beim ­neuerlichen Abschied hat es mir beinahe das Herz zerrissen, war es doch unser Hund … Schmitti hingegen fand sich sofort in seinem neuen Zuhause ein und freut sich, dass er ein ausgeglichenes Frauchen und zwei hündische Spielkameraden hat. Dass ich einen Hund nicht einfach in ein Tierheim abschieben würde, versteht sich hoffentlich von selbst!

Ich denke, ein wesentlicher Punkt, der in emotionalen Diskussionen über die Abgabe eines Hundes oft vergessen wird oder den vielleicht auch viele Menschen nicht wahrhaben wollen, ist folgender: Hunde sind Opportunisten. Solange auch anderswo das Entertainmentprogramm stimmt, der Napf gefüllt ist und sich ein Mensch um den Hund und seine Bedürfnisse kümmert, leben sich die meisten Hunde sehr schnell ein. Das war auch bei Meier nicht anders. Das gilt für die meisten Hunde, auch wenn es sicher auch Ausnahmen gibt. Die größeren Probleme hat in der Regel der Mensch. Und darum halte ich eine wohlüberlegte Entscheidung im Sinne des Hundes nicht für verurteilenswert, sondern – ganz im Gegenteil – für respekt­verdienend. Denn das bedeutet für mich, die eigenen Belange hintanzustellen, also das genaue Gegenteil von Egoismus. Ich kann also morgens noch beruhigt in den Spiegel schauen. Aber die Profilierungsneurose mancher Menschen lässt vielleicht einfach den Gedanken nicht zu, dass der eigene Hund mit einem anderen Menschen genauso zufrieden – oder gar noch zu­friedener – sein könnte.

www.strodtbeck.de

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