„Ich bin ja so enttäuscht von meinem Hund!“

Von Petra Durst-Benning

„… und danach hat Merkur mich auch noch angeknurrt! Ich bin ja soo enttäuscht von meinem Hund!“ Betroffenheit machte sich breit in den Gesichtern der Zuhörer bei dieser Schilderung von Sportskamerad Harry, seine letzten fehlgeschlagenen Fährtenübungen betreffend. Betroffenheit und noch etwas anderes. Peinliche Berührtheit – ja, das war es. Hätte Harry sich über seinen Hund Merkur und dessen „Unverläßlichkeit“ grün und blau geärgert, wäre das von jedem verstanden worden. Geärgert über den eigenen Hund hat sich schließlich schon mal jeder einmal.

Schicksalsaufgabe
Aber Enttäuschung? Das klingt unter Hundlern beinahe so schlimm, als müßte jemand gestehen, sein achtjähriger Sohn sei beim Ladendiebstahl erwischt worden. Und so etwas auch noch freiwillig zugeben?
Enttäuschung hat immer etwas mit einer Erwartungshaltung zu tun. Wer sich einen Hund ins Haus holt, tut dies nicht selten in der Wunschvorstellung, damit ein großes Stück vom Glückskuchen abzubekommen. Dafür wird auch einiges getan: Von der idealen Welpenaufzuchts-Diät über Prägungsspielgruppen bis hin zum richtigen Spielzeug – unser Hund soll es gut haben! Ausbildungskurse werden besucht und Hundebücher gewälzt – für den perfekten Hund ist uns kein Einsatz zu hoch. Als Gegenleistung erwarten wir ewige Liebe, grenzenloses Vertrauen und Leistung. All das, was uns das „Schicksal“ in anderen Lebensbereichen vielleicht verwehrt hat, soll unser Hund nun erfüllen. Eine große Aufgabe.

Hund als Spiegelbild
Oft wird der Hund so – meist unbewußt – zur Projektionsfläche des eigenen, ungelebten Lebens gemacht. Mag man selbst eine sportliche Niete sein – den Hund will man mindestens bis zur Schutzhundeprüfung bringen. Mögen die eigenen Kinder statt Rechtsanwalt und Ärztin zu werden, sich mit einer außerberuflichen Karriere und viel „fun“ zufrieden geben – wenigstens bei unserem Hund wollen wir Leistung sehen! Und uns so im Glanz seiner Heldentaten zufrieden sonnen können. Was betrachtet der Mensch schließlich lieber als sein Spiegelbild?

Ein klein wenig Lassie?
Dabei ist es wahrscheinlich jedem einigermaßen logisch denkenden Hundehalter klar, daß nicht jeder Vierbeiner seinen Tag mit Heldentaten á la Lassie oder Kommissar Rex zubringt. Es sind nun einmal nicht alle Wuffis dazu geschaffen, ihrem Menschen morgens die Pantoffel zu holen, mittags das Handy zu apportieren, abends kurzerhand einen Einbrecher in die Flucht zu schlagen, um danach Wache zu halten vor Herrchens Bett. Trotzdem steckt wohl in jedem von uns im Unterbewußtsein die Erwartungshaltung, unser Vierbeiner möge sich wenigstens ein bißchen so klug verhalten wie von den Fernsehstars vorgelebt. Ein klein wenig Lassie – ist das zuviel verlangt bei soviel Einsatz unsererseits?

Wozu der Stress?
Enttäuschung über den geliebten Vierbeiner kann viele Gesichter haben. Wenn die teuer gekaufte Tochter einer Championatshündin nicht die gleichen Erfolge im Ausstellungsring erzielt, wie ihre berühmte Mutter. Wenn der Tierheimhund trotz grenzenloser Liebe im neuen Zuhause ein argwöhnischer, scheuer Hund bleibt. Oder wenn Dobermannrüde Max trotz sorgfältiger Futterzusammenstellung und bester Pflege ein schmächtiges Bürschchen bleibt. Wozu dann eigentlich der ganze Streß, fragt sich so mancher. Zugeben würde das jedoch kaum einer!

Verfressen und mürrisch
Auch im alltäglichen lauert die Gefahr der Enttäuschung: Statt mit Bellos Wohlverhalten vor der versammelten Verwandtschaft ein wenig protzen zu können, müssen wir seine Hinterlassenschaften aufwischen, weil er vor lauter Aufregung Durchfall und Übelkeit gleichzeitig erlitt. Beim Spaziergang müssen wir erleben, wie unser Liebling vergammelte Mäuse, weggeworfene Papiertücher und noch schlimmeres hinunterschlingt, als gäbe es zuhause nichts! Statt schwanzwedelnd auf die Kinder der hundelosen, besten Freundin zuzugehen, dreht Waldi sich mürrisch ab, nicht ohne dabei die Lefzen ein wenig hochgezogen zu haben. Hätte er denn nicht ein wenig freundlicher sein können?!

Wer hat Schuld?
Im Versagen des Hundes sehen viele auch ihr eigenes Versagen. Sich darüber mit jemandem auszutauschen, seiner Enttäuschung laut Wort zu verschaffen, bringt aber kaum jemand fertig! Statt gesteckte Ziele auf ihre Realisierbarkeit abzuklopfen, werden neue Ausbildungstaktiken ausgeklügelt, Übungsstunden verlängert und der Druck auf den Hund erhöht. Wut und Ärger werden freien Lauf gelassen, auf Teufel komm’ raus wird versucht, Minuspunkte des Hundes zu sammeln: Der Hund sei zu triebig / nicht zu triebig genug / zu weich oder zu hart und so weiter.

Enttäuschung eingestehen
Eine andere Methode, mit der Enttäuschung über den eigenen Hund fertig zu werden, ist die, sich andere schwarze Schafe zu suchen, dann heißt es: Der Züchter / Vorbesitzer war Schuld / der Richter taugte nichts / das Wetter war zu kalt oder zu heiß / Frauli hat den Hund zu sehr verwöhnt und so weiter. Beides sind wunderbare Methoden, das Gefühl der Enttäuschung zu verdrängen, es einfach nicht zuzugeben. Daß man sich dabei um eine große Chance bringt, übersehen die meisten: Wer sich seine Enttäuschung offen und ehrlich eingesteht, gleich, ob diese nun berechtigt oder unberechtigt ist (wer bestimmt das eigentlich?), dem fällt es leichter, Bilanz zu ziehen über die eigenen Wünsche und Sehnsüchte, seinen Hund betreffend.

Entspanntes Zusammenleben
Falscher Ärger und der Zwang zum Perfektionismus können wie lästiger Ballast abgeworfen werden, an dessen Stelle das Akzeptieren von Leistungsgrenzen tritt. Manchmal geschieht dies von heute auf morgen, manchmal handelt es sich um einen schrittweisen Prozeß. Im ersten Fall ist oft ein persönliches Schlüsselerlebnis der Auslöser für das Umdenken, manchmal leben auch andere Hund/Halterpaare ein entspanntes Zusammenleben vor und zeigen damit Defizite in der eigenen Hundehaltung auf.
Es sind nur wenige Menschen, denen es von Anfang an gelingt, ihren Hund so zu nehmen, wie er ist. Anderen gelingt dies nur nach mehr oder weniger schmerzlichen Erfahrungen. Das tiefe Verständnis, das wahre Vertrauen, das zwischen solchen Hund/Halter-Paaren existiert, spürt man jedoch auch schon als Außenseiter.

Wahre Hundeliebe
Aber Achtung! Das vorhin Gesagte bedeutet nicht, daß man sich mit jedem Fehlverhalten abfinden soll! Eine Ausbildung und Förderung der hundlichen Anlagen unter Beachtung der Leistungsgrenzen ist immer angesagt! Aber bitte ohne falschen Ehrgeiz! Dem Hund seine eigene Identität zuzugestehen, ihn (zumindest ein Stück weit) so sein zu lassen, wie er von Natur aus ist, seine Schwächen genauso zu akzeptieren wie sich über seine Stärken zu freuen – darin liegt die wahre Hundeliebe. Wem dies gelingt, hat ein großes Stück Weisheit auch für sein eigenes Leben gewonnen. Was das bedeutet? Das sollte jeder für sich selbst herausfinden …

>>> WUFF – INFORMATION

Der Hund als perfekter Sportler, Ausstellungs-Champion, Partner- oder Kinderersatz – wer versucht, – ob bewußt oder unbewußt – sich durch seinen Hund selbst zu verwirklichen, läuft Gefahr, die größte Enttäuschung seines Lebens zu erleben.

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