Hyperaktivität beim Hund

Von Kristina Ziemer-Falke

Nur lebhaft oder hyperaktiv?

„Der ist hyperaktiv!“ Sicher lag es jedem Hundehalter schon einmal auf der Zunge, wenn er einen Hund gesehen hat, der wie ein Wirbel­wind durch die Gegend flitzte, kaum zu bremsen war und meistens vor ­Lebensfreude strotzte. Doch was ­verbirgt sich eigentlich ­hinter dem Begriff ­„Hyperaktivität“? Sind so viele ­Hunde ­wirklich hyper­aktiv oder ­verbirgt sich doch etwas ­Anderes dahinter? Wir haben uns dieses ­Phänomen mal näher an­gesehen und für Sie die ­wichtigsten Punkte ­zusammengefasst.

Es wirkt so, als habe der Hund immer einen dringenden Termin und nähme seine Umwelt innerhalb von Sekunden auf und wahr. Hunde, die schnell unterwegs sind, sind tolle Persönlichkeiten, aber können den Hunde­halter das eine oder andere Mal an die Grenzen bringen. So schnell kommen wir oft kaum hinterher. Dennoch muss sich nicht immer eine echte Hyperaktivitätsstörung dahinter verbergen, denn die kommt – Gott sei Dank – gar nicht so häufig vor. Somit ist das Phänomen nicht mit einem aktiven Hund zu vergleichen.

Bei einer „echten“ Hyperaktivität handelt es sich um eine Störung auf neuronaler Ebene. Sie erkennen folgende mögliche Symptome, die alle zusammen aber auch alle einzeln auftreten können – ebenso wie in unterschiedlichen Intensitäten:

Symptome:
• Die Hunde sind nicht in der Lage, sich in ruhigen Situationen zu­entspannen.
• Die Hunde haben bereits im Ruhe­zustand eine erhöhte Herz- und Atemfrequenz, die sich bei Belastung nicht mehr deutlich steigert.
• Übersteigerte Vokalisierung
• Übersteigerte Aktivität wie ständiges Umherlaufen
• Keine oder schlechte Erfolge im ­Leinenführtraining
• Neigung zu Zwangshandlungen, ­sogenannte abnormale repetitive ­Verhaltensweisen
• Der Hund benötigt wenig Schlaf, ­oftmals sogar weniger als 5 Stunden.
• Fehlende oder kurze Traumphasen
• Wenn die entsprechenden Reize (die Hyperaktivität auslösen) fehlen, kann der Hund völlig normal er­scheinen.

Lob dem Hund anpassen
Ihr Hund entspannt, wenn er eine klare Orientierung an Ihnen und am Alltag bekommt. Schaffen Sie Möglichkeiten, bei denen Sie Ihren Hund viel loben können. Das Lob muss aber an seine Stimmung und seine Hyperaktivität angepasst werden. Bei einem Boxer sollte man das Lob anders (nämlich ­ruhiger) dosieren als bei einem ­Schweizer Sennenhund. Denn beide nehmen Ihre Lobintensität anders wahr. Während sich ein Boxer noch gelobt fühlt, wenn Sie flüstern, würde das bei einem Molosser nicht mehr der Fall sein. Leidet der aktive Boxer aber unter einer Hyper­aktivitätsstörung, so kann es sein, dass das Flüstern zusätzlich noch langsamer ausgesprochen werden muss. Denken Sie dran, Ihr Lob soll Freude vermitteln und keinen zusätzlichen Stress für den Hund.

Wirklich hyperaktiv?
Bei Hunden, die von Hyperaktivität betroffen sind, ist ein weit gesteigertes Maß an Aktivität zu beobachten. Oft reicht da eine winzige Umgebungs­stimulation und der Bewegungsdrang ist kaum zu stoppen. Die Konzentration auf bestimmte Aufgaben fällt extrem schwer. Trotzdem ist eine Beurteilung dieser Hunde nicht leicht. Im Vergleich mit anderen Hunden sollte ausschließlich die gleiche Rasse und Altersgruppe herangezogen werden – ebenso wie die Charaktereigenschaften. Die Beobachtungen müssen einen entsprechend langen Zeitraum berücksichtigen, in dem unterschiedliche Situationen und Umgebungen einfließen. Spielstunden eignen sich dafür also nicht, da diese Momentaufnahme die Langzeitbeobachtungen nur verfälscht, zumal Spielstunden die Situation, Aktivität zu zeigen, noch unterstützen.

Nicht jeder lebhafte Hund leidet an Hyperaktivität
Es sollte nicht voreilig diagnostiziert werden! Viele Hunde haben auch einfach nur nie gelernt, in Ruhe zu entspannen. Auch müssen wir als Halter die Hand aufs Herz legen und schauen, wie unser Training die Aktivität des Hundes beeinflusst. Sind wir konsequent oder gibt es Schlupfmöglichkeiten für den Hund? Gibt es Letzteres, geben wir dem Hund auch mehr Spielraum, um seine Aktivität auszulassen. Das eine oder andere Mal sind wir es sogar als Halter, die unsere Hunde durch übermäßige Aktionen zusätzlich in Aufregung versetzen. Sollten Sie als Hundehalter eines hyperaktiven Hundes über einen medikamentösen Einsatz nachdenken, sollte dies nur in Absprache mit einem Tierarzt, am besten Fachtierarzt für Verhaltenskunde, geschehen, der Sie bei der Einstellung und der weiteren Behandlung begleitet. Einig sind sich die Fachleute aber nicht, ob und wie es dem Hund mit Medikamenten besser geht. Jeder Fall sollte individuell betrachtet werden.

Den Charakter im Blick behalten …
Wenn Sie unsicher sind, ob Ihr Hund zu einer Hyperaktivitätsstörung neigt, dann schauen Sie sich seine ganz persönliche Geschichte an. So wie es impulsive, (hyper-)aktive und leicht aufbrausende Menschen gibt, kann man sich das auch bei Hunden vorstellen. Es gibt Hunde, die Schwierigkeiten haben zu warten, bis sie an der Reihe sind (sie stürzen sich etwa auf die Futterschüssel, bevor sie am Boden steht). Charaktereigenschaften machen ein Lebewesen aus und beschreiben es. Jedes Lebewesen ist eine individuelle Persönlichkeit und hat diverse Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Wie unterschiedlich die Veranlagung auch sein mag und zu welcher Persönlichkeit sich ein Lebewesen entfaltet, wird stark von äußeren Faktoren (falscher Umgang, falsche Umgebung) beeinflusst.

Das heißt also, dass auch Umweltbedingungen ursächlich für ­neurologische Fehlfunktionen sind. Interessant ist hier vor allem die vorgeburtliche Komponente. Bereits im Mutterleib werden hormonell die Weichen für ein späteres Verhalten gestellt. Eine entspannte Umgebung und gesundes Futter für die trächtige Hündin unterstützen die Entwicklung positiv. Die Welpen einer gestressten, unruhigen Hündin passen sich schon pränatal stoffwechselmäßig der stressigen Umgebung an und werden höchstwahrscheinlich im späteren Leben ähnliches Verhalten zeigen. Eine entspannte, ausgeglichene Hündin ist aber noch lange kein Garant für entspannte Welpen. Auch ihr könnten traumatische Erlebnisse während der Trächtigkeit schwer zusetzen, den Cortisolspiegel erhöhen und dazu führen, dass sich diese Situation auf den Stoffwechsel der Welpen überträgt. Auch nach der Geburt wird das Hormonsystem weiter beeinflusst. Das kann durch schlechte Haltung, Infektionen, fehlende Zuwendung oder Angstgefühle gravierende Folgen haben und bis zum Abbau der Verbindungen zwischen den Nervenzellen führen. Uns ist bekannt, wie wichtig positive Erlebnisse für den Hund, besonders für den Welpen sind, damit sich darauf aufbauend Verhaltensstrategien entwickeln können. Leider funktioniert das umgekehrt mit nega­tiven Erfahrungen auch.

Was können wir tun?
Wir als Hundehalter können also unseren Hund dahingehend unterstützen, dass wir einem hyperaktiven Hund mehr Struktur durch Ruhe und Klarheit geben. Würden wir uns noch von der Stimmung des Hundes anstecken lassen, hat dies meist zur Folge, dass es uns selbst damit nicht gut geht, wir gestresst und gereizt sind und uns dennoch ­weiter hilflos fühlen. Ihr kleiner Wirbelwind filtert diese Stimmungen jedoch binnen kürzester Zeit und stellt fest, dass wir ihm nicht die Orientierung geben können, die er nun bräuchte. Sinnvoller ist die Erstellung eines Trainingsplans, den Sie systematisch abarbeiten. Auch sollten die Trainingseinheiten kurz sein. Lieber nur 2 Minuten trainieren als zu viel von dem Hund fordern. Sie sollten zudem auch nur mit ihm trainieren, wenn Sie entspannt UND gut gelaunt sind. Legen Sie damit eine Orientierungslinie fest. Ein erster Schritt der Klarheit ist, dass Ihr Hund weiß, dass, wenn Sie trainieren, Sie auch eindeutig in der Stimmung sind. Zudem müssen Sie aufmerksam bei der Sache sein. Sollten Sie sich also während des Trainings selbst ablenken lassen und gedanklich schon die Einkaufsliste fürs Abendbrot schreiben, verunsichert das Ihren Hund und er wird mit seinen bekannten Techniken Ihre Aufmerksamkeit einfordern. Ein Teufelskreis beginnt, den Sie eigentlich stoppen wollen.

Das Zusammenleben mit einem ­(hyper-)aktiven Hund gestaltet sich oft anstrengend(er), als mit einem Hund, der auch gerne mal seine Ruhe hat und stunden­lang unter dem Schreibtisch liegen kann. Daher ist es auch wichtig, dass Sie sich als Hundehalter Freiräume schaffen und sich selbst Pausen im Alltag schaffen. Das können am Tag 20 Minuten sein, in denen Sie sich zurückziehen und Ihr Hund lernt, dass Sie nun Pause haben und Sie nicht ansprechbar sind. Auch solche kleinen Auszeiten unterstützen, denn Sie sind ein wichtiger verlässlicher Teampartner für Ihren Hund, auch Sie müssen gesund und fit sein, um Ihren Hund erfolgreich lenken zu können.

Hyperaktivität beim Junghund

Sollten Sie einen Junghund haben, der unter Hyperaktivität leidet, entwickeln diese oft ein weiteres störendes Verhalten wie Angststörungen oder Hyperaggression. Sollten Sie nicht eindeutig erkennen können, ob Ihr Hund unter einer Hyperaktivität leidet oder „nur“ sehr aktiv ist, besprechen Sie den Fall individuell mit einem Hundetrainer, der in diesem Bereich ausgebildet ist.

Hintergrund

In der Wissenschaft und Forschung hat man herausgefunden, dass Hunde, die unter einer Hyper­aktivitätsstörung leiden, auf die Gabe von Amphetaminen mit Beruhigung anstatt mit gesteigerter Aktivität reagieren. Die genauen Ursachen sind teilweise noch nicht zu 100 % erforscht. Vermutet werden:

• Genetische Disposition
• Erkrankungen wie etwa eine Schilddrüsendysfunktion
• Entwicklungsbedingte Ursachen
• (Chronischer) Stress
• Unbewusste Bestätigung durch uns als Hundehalter ruft dieses Problem zwar nicht primär hervor, steigert es jedoch, wenn es bereits besteht
• Weitere Abhängigkeiten, die erforscht und untersucht werden:
• Alter
• Sexualstatus
• Umgebung
• Stimmungsübertragung
• Bisher Erlerntes

Die gute Nachricht ist, dass sogar spontane Verbesserungen möglich sind. Sollten Sie einen Hund haben, der unter Hyperaktivität leidet und die oben beschriebenen ­Symptome zeigt, können Sie ihn jedoch in Ihrem Alltag unterstützen, indem Sie hierfür sorgen:

• Geistige und körperliche Auslastung
• Stressfreie Erziehung
• Entspannungsübungen
• Entspannung gezielt auf Signal setzen
• Stimmungsübertragung/Eliminierung von kontraproduktiver Stimmungsübertragung
• Geregelter Lebensrhythmus (gleichbleibender Tagesrhythmus)

Pdf zu diesem Artikel: hyperaktivitaet

 

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