Hundeprüfungen im öffentlichen Interesse

Von DIng. Gloria Petrovics

Zweck jeder Prüfung ist es, sich in einer definierten Weise Kenntnisse über einen bestimmten Teilaspekt des Zustandes eines Objektes oder Lebewesens zu verschaffen. Das bedeutet:
1. Was genau will ich über den Probanden wissen (Prüfungsziel), und
2. wie stelle ich es am zweckmäßigsten fest (Prüfungsmethode).

Prüfungen für Hunde können verschiedene Zielsetzungen haben:
– Sportliches Interesse des Hundebesitzers – z.B. Messungen von Leistungen
– Vereinsinteressen – z.B. Zulassung zur Zucht
– Öffentliches Interesse – Blindenführhundeprüfung nach dem Bundesbehindertengesetz, zukünftige Prüfungen für Service- und Signalhunde, Zughundeprüfung zur Feststellung der Verkehrssicherheit; in Zukunft gegebenenfalls „Hundeführerschein".

Im öffentlichen Interesse
Die folgenden Ausführungen sollen sich nur auf die Zielsetzung „öffentliches Interesse" beschränken. Wenn Hundebesitzer in der Öffentlichkeit mit ihren Tieren agieren, kommt es unweigerlich zu Begegnungen mit anderen Menschen, manchmal auch zu Interessenskollisionen. Um potentielle Konflikte möglichst zu minimieren, hat der Gesetzgeber Regeln aufgestellt – Aufsichtspflicht des Hundeführers, Maulkorb- oder Leinenpflicht, aber auch Zutrittsverbot für Hunde zu bestimmten Orten.
Wenn eine von der allgemeinen Norm abweichende Situation zu erwarten ist, wie Zughunde auf einer Fahrbahn vor einem Wägelchen oder Rehabilitationshunde (Blindenführhunde, Servicehunde, Signalhunde) im Theater, sind die Umstände für die erlaubte Normabweichung zu definieren und folglich an diese Tiere und deren Führer besondere Anforderungen zu stellen, deren Erfüllung sinnvollerweise in Form einer Prüfung nachzuweisen ist. Da diese Art von Prüfungen über sportliches oder Vereinsinteresse hinaus öffentlich-rechtliche Folgen nach sich ziehen, sind sie auch nach den allgemeinen Grundsätzen eines formellen Verwaltungsverfahrens zu organisieren. Sie haben daher folgende Kriterien zu erfüllen:

– Gleichheit
Die jeweiligen Zielsetzungen und Beurteilungskriterien sind grundsätzlich so zu konzipieren, dass sie vom fachlichen Standpunkt aus für das ganze Bundesgebiet und alle gleichartigen Mitglieder einer Gruppe (alle Blindenführhunde, alle Zughunde etc.) gelten können.

– Genau definiertes Prüfungsziel
Am Beginn stehen der Idealhund und der Idealhundeführer. Er kann bereits in groben Zügen in einem Gesetz vorgegeben sein (wie der Blindenführhund in §39a Bundesbehindertengesetz), oder er muss für zukünftige Regelungen von den jeweiligen Interessensgruppen (Gesetzgeber, vollziehende Behörden, Hundeführervereinigung etc.) gemeinsam definiert werden (z.B. Servicehunde, Signalhunde, Zughunde). Je genauer der gewünschte Zustand und die Begründung dafür beschrieben ist, desto besser lässt sich die grundsätzliche Zulassung zu dieser Sparte (z.B. gesundheitliche und wesensmäßige Eigenschaften beim Hund, körperliche oder geistige Eigenschaften des Hundeführers) sowie die Ausbildung des jeweiligen Teams darauf abstellen und die Abweichungen vom erwünschten Zustand feststellen.
Wenn man sich einen Zughund vorstellt, der mit seinem Wägelchen am rechten Straßenrand auf einer stark befahrenen Straße geht, auf der anderen Seite einen Hund sieht und nach links – in welcher Absicht auch immer – losspringt, sind die Anforderungen in diesem Fall auch für Jemanden, der das noch nicht selbst erlebt hat, sofort einsehbar und daher ganz leicht klar und unmittelbar zu definieren:
1. Ein solcher Hund muss bei der Arbeit „hundeneutral" sein.
2. Der Hundeführer muss sich auf der linken Seite vom Gespann befinden, damit er, falls sein Hund doch Abweichungstendenzen zeigt, diesen zum Rand hin abdrängen kann.
Schwieriger wird es bei mittelbaren Anforderungen. Ob ein blinder Hundeführer die Freifolge seines Blindenführhundes benötigt, wird insbesondere von manchen Blindenführhundefirmen in Frage gestellt, obwohl diese Fähigkeit nachgewiesenermaßen unmittelbar sehr nützlich sein kann, z.B. beim Spazierengehen mit einem sehenden Begleiter. Ebenso wichtig ist jedoch der mittelbare Nutzen, da die Freifolge ein wichtiges Mittel zur Kontrolle des Hundes auch ohne physische Verbindung durch die Leine und zur Verstärkung der Bindung an den Hundeführer darstellt.
Einen ähnlichen Zweck erfüllt die Unterordnung beim Zughund. Wenn der Hund nicht eingespannt ist, wäre der Gehorsam des Hundes theoretisch für die Öffentlichkeit genau so relevant oder nicht relevant wie der jedes anderen Familienhundes. Da die Unterordnungsbereitschaft des Hundes jedoch sein Verhalten im eingespannten Zustand beeinflusst, ist diese als mittelbare Anforderung zu betrachten. Bei der Erstellung des Standards für solche Disziplinen sind daher unbedingt auch die mittelbaren Ziele einzubeziehen und die Begründungen dafür anzuführen.

– Zweckmäßigkeit vs. Aussagekraft
Eine Prüfung ist immer eine Momentaufnahme des Leistungszustandes. Um eine doch einigermaßen aussagekräftige Bewertung zu erreichen, müssen Grundsätze beachtet werden, die im Kasten angeführt und erklärt sind.

– Transparenz und Nachvollziehbarkeit
Um Leistungen beurteilen zu können, benötigt man außer dem idealen Vorbild – dem Standard also – Messgrößen. Je genauer diese definiert sind, desto größer ist die Treffsicherheit und Haltbarkeit eines Gutachtens, wie es z. B. für Blindenführhunde im § 39a BBG gefordert ist. Die Prüfungsordnung muss so gestaltet sein, dass sie die einzelnen Disziplinen und deren gewünschte Ausführung in einer möglichst genauen Weise beschreibt, eine mangelhafte Durchführung aufzeigt und eine nachvollziehbare Bewertung ermöglicht.
Die trainierbare Gesamtleistung eines Blindenführhundes setzt sich aus Unterordnung und Führfähigkeit zusammen, eines Zughundes aus Unterordnung und Fahrleistung. Die Bewertung erfolgt in sinnvoller Weise dadurch, dass für die einzelnen Disziplinen eine jeweilige Höchstpunktezahl vergeben wird, die durch ihre erreichbare Höhe gleichzeitig Aufschluss über die Wertigkeit der jeweiligen Disziplin innerhalb der Gesamtleistung des Fachgebietes (z.B. Führleistung) gibt. Die höchstmögliche Punktezahl für eine Leistung ergibt sich aus der Addition der Bewertungen für die einzelnen Disziplinen. Eine Mindestpunktezahl zum Bestehen der Prüfung ist festzulegen.
Da es aber nicht Sinn einer im öffentlichen Interesse konzipierten und durchgeführten Prüfung sein kann, einen Hund positiv zu bewerten, der wohl aufgrund entsprechender Leistungen in den meisten Disziplinen die Mindestpunktezahl erreicht, jedoch in einzelnen Disziplinen gravierende Sicherheitsmängel aufweist, müssen auch dafür Vorkehrungen getroffen werden. In der bis 30.6.1997 geltenden Prüfungsordnung für Blindenführhunde war dies noch nicht berücksichtigt und führte zu sehr problematischen Situationen. So wurde des öfteren eine mehr als mangelhafte Leistung der Hunde beim Umgehen von Höhenhindernissen festgestellt – eine sehr aufwändig zu trainierende, aber für die Sicherheit des Sehbehinderten sehr entscheidende Disziplin, weil den Firmen die Prüfungsordnung samt diesem Schlupfloch natürlich auch bekannt war. Dem kann man jedoch vorbeugen, indem diese entscheidenden Disziplinen
a) mit einer hohen Punktezahl bewertet werden, und
b) entsprechend einschneidende Abzüge vorgesehen werden, wobei der Abzug der vollen Punktezahl für solche Disziplinen (je nach Bedeutung bereits nach einmaliger oder fortgesetzter Fehlleistung) trotz ausreichender Gesamtpunktzahl bei den übrigen Disziplinen einen Abbruch und Nichtbestehen der Prüfung zur Folge hat. Auch hier gilt: je genauer die Begründungen für diese Maßnahmen bei Erstellung der Prüfungsordnung, desto weniger Unklarheiten und Streitigkeiten gibt es nachher.
Eine Beschreibung ohne Bewertung führt zu willkürlichen, nicht vergleichbaren und daher unbrauchbaren Beurteilungen (siehe Kasten).

Zusammenfassend sei gesagt, dass Prüfungen, wie jedermann aus eigenen Schulerfahrungen weiß, stressig für alle Beteiligten sind, also auch für die Prüfer. Diese stehen immer im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit einer strengen Kontrolle und Menschlichkeit. Die Auffassung „Mir werd’n schon net streit’n" hat jedoch bei Prüfungen nichts zu suchen. Je genauer die Bedingungen für alle Teilnehmer definiert sind, desto brauchbarer wird das Ergebnis sein.



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Prüfer müssen unabhängig sein!

Eine Prüfung ist immer eine Momentaufnahme des Leistungszustandes. Um eine doch einigermaßen aussagekräftige Bewertung zu erreichen, müssen folgende Grundsätze beachtet werden:

1. Umfang der Prüfung
Der Aufwand muss in einer vernünftigen Relation zum Ergebnis stehen. Natürlich wird sich das Bild der zu beurteilenden Leistungserbringung oder der Wesenseigenschaft mit steigendem Zeitaufwand und vermehrter Anzahl der Testsituationen präzisieren, die Beobachtung eines Hundes oder Teams vier Wochen lang durch eine dreiköpfige Kommission wäre auch sicher sehr aussagekräftig, aber nicht wirklich machbar.

2. Wegstrecke
Eine aussagekräftige Prüfungsstrecke muss alle Disziplinen beinhalten, die in der Prüfungsordnung gefordert sind. Weiters muss die Strecke dem Hund unbekannt sein, um Lerneffekte zu vermeiden.

3. Dauer der Prüfung
Die zeitliche Komponente spielt eine große Rolle. Von einem Blindenführhund muss zum Beispiel gefordert werden, dass er über längere Zeit unter seinem Führer eine konstante Leistung erbringt. Die Prüfung muss daher mindestens eine Stunde dauern, wobei natürlich Hundeführer, die körperlich oder von der Konzentrationsfähigkeit her nicht besonders leistungsfähig sind, jederzeit das Recht auf eine Pause haben.

4. Auswahl der Prüfer
Ungeachtet der Tatsache, dass die Anerkennung einer Prüfung letztlich bei der zuständigen Behörde liegt (z.B. bei Blindenführhunden die Bundessozialämter bzw. das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen), hat die jeweilige Prüfungskommission eine verantwortungsvolle Aufgabe, da ihre Beurteilung in der Regel als Grundlage für die Behördenentscheidung herangezogen wird und so gravierende, die Sicherheit des Teams und dritter Personen betreffende, finanzielle und nicht zuletzt menschliche Folgen hat. Klare Bestimmungen zur Ernennung von Prüfern sind daher unbedingt zu fordern. Unabhängigkeit von Personen oder Personengruppen, die vom Verkauf oder der Ausbildung der Hunde in irgendeiner Weise profitieren, und fundierte Fachkenntnisse sind grundlegende Voraussetzungen für eine Funktion als Prüfer.

Für neue Fachgebiete, bei denen naturgemäß noch keine Prüferausbildung existiert, ist zu fordern, dass so bald wie möglich Ausbildungsunterlagen und ein formeller Ausbildungsgang erstellt werden. Wird gegen diese Prinzipien gehandelt, kommt es zu einem Chaos, und Manipulationen sind möglich. Im Falle der Blindenführhunde ist zwar das „gemeinsame Gutachten von Sachverständigen" im Gesetz vorgeschrieben, in den zugehörigen Richtlinien auch die Fachbereiche, aus denen diese kommen sollen, aber nicht, wie sie ernannt werden und wer sie ernennt. Das hat dazu geführt, dass sich seit Anfang 2000 die Hundelieferfirmen de facto die Prüfer selbst bestimmen können und die erfahrenen Prüfer fast vollständig durch völlige Neulinge ersetzt wurden.




>>> WUFF – INFORMATION


Kritischer Vergleich von Prüfungsordnungen

Eine Beschreibung ohne Bewertung führt zu willkürlichen, nicht vergleichbaren und daher unbrauchbaren Beurteilungen. Dies zeigt folgender Vergleich zwischen der bis 31.1. 2000 geltenden Prüfungsordnung für Blindenführhunde, sowie der nun seit 1.2.2000 angewandten, die von der Interessensgemeinschaft „Blindenführhundeschulen Österreichs" (bestehend aus den Hundelieferfirmen Bürger und Gerstmann) beim Sozialministerium durchgesetzt wurde.

– Frühere Prüfungsordnung:
Treppe hinunter anzeigen: 30 mögliche Punkte
Auf das Hörzeichen „such Treppe runter" hat der Hund die nächstgelegene Treppe zu suchen und anzuzeigen. Der Hund hat bis zur Treppe zu gehen und am oberen Rand so stehen zu bleiben, dass der (die) HundeführerIn mit dem Stock die erste Stufe greifen kann. Erst auf Hörzeichen darf der Hund weitergehen.
– Sucht keine Treppe bis minus 20 Punkte Abzug
– Überläuft die Treppe minus 30 (= Prüfungsabbruch wegen Nichtbestehens)
– Bleibt zu weit hinten stehen bis minus 10 Punkte Abzug
Wenn der Hund die Treppe nicht sucht, ist das ziemlich unangenehm und ein Zeichen mangelhafter Ausbildung, führt aber nicht zum Prüfungsabbruch, sondern nur zu einem Punkteabzug (bis zu 20 Punkten, wenn es mehrfach geschieht). Ähnlich, wenn er zu früh stehen bleibt. Diese Fehlleistungen schlagen sich natürlich in der Gesamtwertung nieder. Dagegen ist das Überlaufen der Treppe auch nur einmal ein absolutes Sicherheitsrisiko, kann zu tödlichen Unfällen führen und führt daher zum sofortigen Abzug aller 30 Punkte, daher zum Prüfungsabbruch und Nichtbestehen der Prüfung.

– Nunmehrige Prüfungsordnung über Wunsch der Firmen:
Anzeigen von Stufen bzw. Treppen – Abwärts:
o bleibt davor stehen
o sperrt
o sicher
o zögerlich
o hält nicht an
Hier wird einfach angekreuzt, was zutrifft. Ob dies richtig ist, gut oder schlecht, und welchen Stellenwert es hat, ist nirgends festgehalten. Es ist nicht durchschaubar, nach welchen Gesichtspunkten eine Gesamtbewertung zustande kommt. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind hier in keiner Weise gegeben.
Ein eigenes Kapitel bei der Bewertung sind durch Training entweder gar nicht oder nur sehr schwer nachhaltig beeinflussbare Wesenseigenschaften der jeweiligen Hunde. Die Frage einer Bewertung nach Punkten ist für die Blindenführhunde derzeit in Diskussion. Dieses Fachgebiet ist auch international in einer rasanten Entwicklung begriffen.




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Die Autorin

Ministerialrätin Dipl.Ing Gloria Petrovics, Beamtin im Landwirtschaftsministerium, Hundeliebhaberin seit frühester Kindheit, von 1989 bis 1999 Prüfungsleiterin in der Prüfungskommission für Blindenführhunde, maßgeblich am Zustandekommen des „Blindenführhundeparagraphen" (Bundesbehindertengesetz §39a) beteiligt, Leistungsrichterin bei der 1. Zughundeprüfung im ÖKV, zahlreiche Artikel über Rehabilitationshunde in In- und Ausland.

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