Nicht nur die Hundehaltung, auch die Hundehalter unterliegen einem Wandel. Ein Hundehalter vor 30 Jahren hat seinen Hund anders geführt als ein Hundehalter es aktuell tun würde. Die Kynologie hat sich als Wissenschaft etabliert und die Sicht auf den Hund hat sich verändert, je nachdem, ob es sich um die Babyboomer, die Generation X oder Z handelt. Hundehaltung – einst und jetzt. Eine spannende Analyse der Wiener Hundehalterin Rosa Hackl.
Der Hund hat heute einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft als vor 30 Jahren. Solchen gesellschaftlichen Wandel kann man messen und beschreiben, die Maßeinheit ist hier »die Generation«. Eine Generation setzte man früher mit 33 Jahren an, gemeint ist der Zeitraum von Geburt bis Elternschaft. In der Wissenssoziologie hat sich allerdings eine weitere Definition durchgesetzt, sie geht von einem etwa halb so großen Zeitraum aus. Im Abstand von 15 Jahren ändern sich nämlich die technischen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bedingungen so stark, dass dies nicht ohne Auswirkungen auf die in diesem Zeitraum lebenden Menschen bleibt. So waren die Voraussetzungen für die »Babyboomer« der 1960er andere als für die sogenannte »Generation X«, die von 1970 bis 1985 verortet wird. Die jüngste Generation ist die »Generation Z«, die gegenwärtig noch unter 15 Jahre alt ist. Die Kulturwissenschaft geht davon aus, dass eine Generation »gemacht« wird, sich also in kommunikativen Prozessen herausbildet.
Karl Mannheim hat bereits 1928 einen »Generationenbegriff« vorgelegt, der nicht die üblichen 33 Jahre verwendet, sondern diese kürzere, etwa halb so lange, auch als »Kohorte« bezeichnete Maßeinheit verwendet. Diese ist durch gemeinsame »Generationserlebnisse« charakterisiert, also prägende Ereignisse in Kindheit und Jugend, die einen Einfluss auf ganze Geburtsjahrgänge haben.
Aus persönlicher Erfahrung kann man zwei, bestenfalls drei Generationen beschreiben. Das will ich in diesem Text versuchen. Ich halte seit 40 Jahren Hunde, das sind etwa 2,5 Generationen nach dem Verständnis von Mannheim. Ich glaube so wie er, dass Umwelt-einflüsse und Gesellschaft, als Teil dieser Umwelt, eine große Auswirkung auf menschliches und tierisches Verhalten haben. Hund und Hundehalter sind, nicht nur, aber auch, ein Produkt ihrer Umwelt. Viele Reisen um den Globus bestätigen mir diese Annahme, denn Hund und Hundehaltung ist in jedem Land anders.
Bhutan – der Hund als Reinkarnation
In Bhutan wird der Hund als Reinkarnation gesehen. Ausgehend von Tibet ist man im Himalaya der Ansicht, dass Hunde die Seelen von Menschen in sich tragen. Diese sollen in ihrem früheren Leben Lamas, also »Lehrer«, Mönche, gewesen sein, die quasi ihre Verfehlungen im Hund absitzen. Daher haben Hunde in dieser Gesellschaft absolute Narrenfreiheit. Sie leben, unterstützt von den Menschen, ein sehr freies Leben. Bei Tag schlafen sie, in der Nacht diskutieren sie ihre territorialen Ansprüche aus. Hundebisse sind in Bhutan kein Thema, sie passieren kaum. Erzählt hat mir das ein Freund, Herr Wangchuk, der als Buddhist am Dach der Welt lebt. Wir hatten eine Diskussion über Hundehaltung und er hat bei meinen Erzählungen, wie Hunde in Österreich gehalten werden, teils herzlich gelacht, den Kopf geschüttelt oder kurz traurig geschaut, dann hat er mir diese Geschichte über die Hunde als Reinkarnation erzählt.
Hundehaltung in Österreich und Deutschland
In Österreich und Deutschland haben es Hunde prinzipiell gut, die meisten Menschen mögen zwar nicht immer die Hundehalter, aber sie mögen Hunde. Eine repräsentative Umfrage, die das Hamburger Institut Research International im Jahr 2002 bei 538 Hundehaltern und 521 Nicht-Haltern durchführte, belegt, dass 70% der Nichthalter Hunde gern oder sogar sehr gern mögen, nur 6% der Befragten können Hunde gar nicht ausstehen. Bezüglich der dem Hund zugeschriebenen Bedeutung gaben 99% der Hundehalter und 97% der Nichthalter an, dass Hunde (bei Polizei, Rettung, Assistenz oder als sozialer Beistand) eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft haben. Die überwiegende Mehrheit der Befragten hält Hunde auch nicht für aggressiv. Der einzige Schwachpunkt in der Mensch-Hund-Beziehung ist laut Studie das obere Ende der Leine, d.h. die Hundehalter kommen weniger gut an. Sie werden zwar überwiegend als Tierfreunde (76%) und liebevolle Menschen (88%) gesehen, schneiden aber in der Bewertung durch Nichthalter weniger gut ab als ihre Vierbeiner. Kritikpunkte sind vor allem ihre fehlende Einsicht in Sachen Hundehaufen (89%) und mangelnde Rücksicht gegenüber Menschen, die sich vor Hunden fürchten (83%), wobei Hundehalter aus Sicht ihrer Mitmenschen selbst ein hohes Maß an Toleranz erwarten (76%). Würde man heute, also 17 Jahre später, eine vergleichbare Befragung durchführen, das Ergebnis wäre wohl ähnlich. Die Gesellschaft mag Hunde, das obere Ende der Leine sieht sie allerdings immer kritischer.
Die Eigenerfahrung
Im zarten Alter von 7 Jahren, also 1971, haben mich meine Altvorderen an einen Deutsch Drahthaar, von Beruf Jagdhund, angeleint und uns gemeinsam in die Wälder geschickt. 8 Jahre später, im jugendlichen Alter von 15 Jahren, also 1979, habe ich meinen ersten eigenen Hund ins Haus geholt. Ein junger Schäferhund war im Tierheim des Wiener Tierschutzvereins gelandet. Seine Vorbesitzer, ein älteres Ehepaar, gaben den Junghund ab, er hatte die Wohnung zu kreativ umgestaltet. Die ersten Tage verliefen daher nicht ganz friktionsfrei. Fuzzi, so hatte ich den Hund getauft, errichtete beim Telefon eine Art »No-Go-Area« und verteidigte sein Revier. Die Wohnung wollte er nicht verlassen, stattdessen grub er den Parkettboden auf und eröffnete in meinem Wohnzimmer einen ersten Vorläufer der heutigen Hundezone. Nach einigen Tagen willigte mein pelziger Mitbewohner ein, Hundekette und Leine zu akzeptieren und das Haus zu verlassen. Er hatte Zwingerhusten, das hinderte ihn daran, davon zu laufen. Als der Husten vorbei war, lief der Hund davon. Das brachte mich in meine erste Hundeschule, wo nach sehr traditionellen Methoden Hunde »abgerichtet« wurden. Rückblickend glaube ich nicht, dass Herr Hund und ich dort sehr viel gelernt haben, aber wir beschlossen das Nachlaufspiel bleiben zu lassen und möglichst wenig aufzufallen.
Fuzzi lernte auf einer Vespa mitzufahren, er wurde der beste Freund der Wiener Türsteher und war gern gesehener Gast auf vielen Partys, obwohl er alles plünderte, was ein Hund plündern kann. Eine Leine kannte er kaum, im Sommer ging er im noblen Donnerbrunnen in der Wiener Innenstadt oder in der Lobau schwimmen. An manchen Tagen streunten wir im Wienerwald herum, an anderen in den Parks der Innenstadt, Fuzzi war nicht selten Teil der philosophischen Runden im Burggarten. Der Hund gehörte allen und niemand, aber alle Menschen gehörten ihm. Hunde waren damals willkommen, wer selbst keinen Hund hatte, streichelte gerne einen. In Lokalen wurde er vom Tisch gefüttert, beim Fleischhauer bekam er die Wurstreste. Hundefütterung war damals noch kein großes Thema und Frolic »erlaubt«. Es gab keine sozialen Medien, in denen man sich über Hundehaltung hätte austauschen können, man lebte ganz einfach mit dem Hund. Es war eine funktionale Zweckgemeinschaft. Fuzzi hatte viel Freiheit und ich Geborgenheit, ein guter Deal, den wir beide selten hinterfragt haben. Er wurde 13 Jahre alt.
In meiner hundefreien Periode, »Dogsitter« kamen gerade in Mode, passte ich auf Howard auf, ein Airedale Terrier, sehr edel, sehr stur und sehr selbstbewusst. Dann begann der Weg zurück zu den Wurzeln, ein Jagdhund, ein Dogo Argentino namens Snuffi trat in mein Leben. Es war kurz nach dem Millennium als Diavolo de Santa Esmeralda – so hieß er laut Zuchtpapieren – und ich uns zum ersten Mal trafen. Damals habe ich gedacht, was für ein hässlicher Hund, groß, weiß, dünne Beinchen, so ganz anders als alles was in meiner Vorstellung ein Hund sein sollte. Trotzdem landete er auf meiner Couch und die Frage »schaffe ich so einen Hund« war eine eher rhetorische. Snuffi blieb. Er war bereits erwachsen, von seinem Vorbesitzer, der die Natur nicht leiden konnte, gut erzogen. Auch Snuffi ging in Wien ohne Leine spazieren, er hatte durchaus seine Stammlokale, aber der Wald, den er erst mit mir kennen lernte, war ihm bedeutend lieber. Ich werde nie vergessen, wie er vor Freude geschrien hat, als er dort, wo ich mit »meinen« Deutsch Drahthaars aufgewachsen war, das Gras unter seinen Pfoten spürte und einen Horizont voller Wiese und Wald sah. Es gab damals noch keine Rasselisten in Österreich. In Deutschland gab es sie schon, aber Deutschland war weit und es schien unvorstellbar, dass diese Listen jemals nach Österreich kommen könnten.
Snuffi war einfach Hund, ein großer, kräftiger Rüde mit einem guten Sozialverhalten. Er war hinter jeder Hündin her und er hatte seine Auseinandersetzungen mit anderen Rüden. Man ließ das damals zu, es war normal, solange keine ernsten Verletzungen passierten, trennte man sich in bester Freundschaft. Snuffi hat nie einen anderen Hund ernsthaft verletzt, es gab keinen Grund, ihn in seiner Freiheit einzuschränken. Er wurde auch selbst nie ernsthaft verletzt. Er war ein begnadeter Casanova, nur einmal hat ihn eine Dackeldame in die Nase gebissen. Ich hatte damals schon etwas mehr Ahnung vom Thema Hund, weniger weil es die Erziehung von Snuffi erfordert hätte, eher weil zu der Zeit das Internet Thema wurde und damit auch die Welt der Hundeforen.
Vielleicht ist es gut nicht alles zu wissen, denn sonst hätte ich mich kaum auf eine Wohngemeinschaft eingelassen, die aus Dogo Snuffi, einem Bullterrier, einem Pitbull, einer Staffordshire Hündin und zwei weiteren Dogohündinnen bestand. Ich weiß nicht, ob ich heute, mit viel mehr »Wissen« im Kopf, entspannt genug für so eine Wohngemeinschaft wäre. Es war damals, vor etwa 15 Jahren, möglich, mit 6 Hunden in öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Es war möglich mit einer solchen Meute »offline« Gassi zu gehen. Es gab kaum schiefe Blicke und auch die Hundebegegnungen liefen relativ zivilisiert ab, es war entspannt. Man traf sich mit anderen Hundehaltern, man sah sich als Gemeinschaft, Hund war einfach Hund.
Der Hund wurde ein Thema
Das änderte sich um das Jahr 2000 in Deutschland und 10 Jahre später in Österreich, als Rasselisten in Kraft traten. Erste Veränderungen waren bereits vorher zu spüren. Man hatte das Gefühl, es werden immer mehr Hunde, und die Menschen, die nun mit Hund unterwegs waren, die waren irgendwie anders als jene, die man zuvor mit ihren Vierbeinern antraf. Der »gerettete Auslandshund« wurde modern. Statt vom Züchter oder aus dem heimischen Tierheim kamen viele Hunde nun von Orten, die ich erst auf der Landkarte suchen musste. Gleichzeitig tauchte in Grätzeln (Anm.: wienerisch für Stadtteil) mit hohem Migrationsanteil ein neuer Typus Hundehalter auf: Jogginghose und keuchender bemuskelter Terrier gehörten plötzlich in manchen Bezirken zum Stadtbild. Um das Jahr 2005 kam in Wien auch die Kampagne »Sackerl für das Gackerl« und damit verbunden die Aufforderung, den Hundehaufen wegzuräumen. Ob nun der Anstieg der Hundepopulation der Grund war oder eine Veränderung im Zeitgeist, hin zur sauberen Stadt, ist schwer zu sagen. Der Hund wurde Thema, in der Politik, in den Medien, und Hundehaltung fühlte sich irgendwie anders an, restriktiver.
Es war die Zeit, wo ich begann, mich mit den theoretischen Aspekten der Hundehaltung intensiver auseinanderzusetzen. Weniger, um die eigenen Hunde zu erziehen, dazu reichte die gesammelte Erfahrung und mein Bauchgefühl. Es ging mehr darum mitreden zu können. Um das Jahr 2007 begannen die Debatten um die Hundeerziehung. Es wurde ein harter Diskurs geführt ob man »harte« oder »sanfte« Methoden anwenden sollte, letztere setzten sich schließlich durch. Der »Wattebäuschler« wurde geboren, das Pendel war von einem Extrem ins andere geschwungen. Der Trend hielt an und neue Hundetrainer schossen wie Pilze aus dem Boden. Um 2009 war klar, dass die Stadtregierung in Wien beabsichtigte Rasselisten einzuführen und es war absehbar, dass der Dogo Argentino auf dieser Liste landen würde. Der damalige Tierschutzombudsmann war durch die deutschen Lande gereist und hatte sich beraten lassen. Ich war im festen Glauben, dass Österreich sich niemals auf ein so sinnloses, populistisches Gesetz einlassen würde. Ich war auch überzeugt davon, dass sich nun alle Hundehalter, Schulter an Schulter, dagegen wehren würden. Beides ein grober Irrtum. Die Österreicher stimmten pro Rasseliste, viele Hundehalter stimmten ebenfalls dafür. Es war der erste Riss, der später zu einem tiefen Graben in der Gesellschaft werden sollte.
Gesellschaftliche Spaltung
Das Jahr 2010 ist in Österreich (in Deutschland war das schon 2000) ein Wendepunkt in der Geschichte der Hundehalter. Er markiert eine neue Epoche der Hundehaltung, weg vom »Miteinander«, hin zu einem »Gegeneinander«. Diese Entwicklung entsprach durchaus dem damaligen Zeitgeist, Streit war Thema, in der realen und in der virtuellen Welt. Ich hatte zu dieser Zeit drei Dogo Argentinos, Snuffi und seine beiden Hundedamen, Suki und Serenita. Wir legten den freiwilligen Hundeführschein ab, er wurde später in einen verpflichtenden umgeschrieben. Plötzlich gab es zwei Klassen von Hund, jene auf der Liste und jene, die nicht auf einer Liste standen, diese Tatsache wurde von vielen Hundehaltern weidlich ausgenutzt. Für mich war es eine einschneidende Veränderung in meinem Leben.
Politik gegen Hund
Mein Glaube an Gerechtigkeit war erschüttert. Diese Imbalance sollte dazu führen, dass ich aktiv und politisch wurde. Die Politik wollte damals die Hundehaltung im urbanen Raum eindämmen. Das ist ihr nicht gelungen, die Zahlen der Hundepopulation in Wien veränderten sich kaum. Laut Stadt Wien wurden 2007 in der Hauptstadt 51.149 Hunde gehalten, 2010 waren es 53.345, im Jahr 2014 stieg die Hundepopulation auf 61.861 gemeldete Hunde, um sich aktuell, also Ende 2019, bei 55.604 Hunden einzupendeln. Diese Zahlen beziehen sich nur auf die gemeldeten Hunde. Als gelernter Wiener weiß man, dass, die Dunkelziffer eingerechnet, eine etwa doppelt so große Population zu vermuten ist. Die Schwankungen beziehen sich eher auf die Bereitschaft, den Vierbeiner anzumelden, als auf die tatsächliche Anzahl von Tieren. Laut Statista ist von 2012 bis heute die Zahl der Hundehalter von 16 auf 13 Prozent nur leicht gesunken. Der Trend geht eindeutig zur Mehrhundehaltung.
Als ich mit Fuzzi, vor etwa 40 Jahren, meinen ersten eigenen Hund übernahm, war es die Norm, einen, sehr selten zwei Hunde, zu halten. Als Snuffi einzog, also vor etwas weniger als 20 Jahren, lag die Norm bereits bei 2+. In diesem Zeitraum hat sich nicht nur die Anzahl der Hunde und ihr Stellenwert verändert, auch die Gesellschaft ist eine andere geworden. 1980 war die traditionelle Familie noch ein großes Thema, der Wandel von der Kollektiv- zur Individualgesellschaft hatte sich noch nicht vollzogen. Der dann folgende gesellschaftliche Wandel in den letzten 40 Jahren war enorm. Technologie und die damit verbundenen neuen Chancen haben eine individualisierte Freizeitgesellschaft geschaffen. Das hat Vorteile und das hat Nachteile.
Von der Familien- zur Individualgesellschaft
Meine Großmutter lebte noch in einem klar strukturierten Familienverband und hatte wenig Freizeit. Ich hingegen bin in einer beginnenden Individualgesellschaft groß geworden und hatte viel mehr Freizeit als Oma. Mein Zugang zu Information ist ein völlig anderer, ich habe nie die Blockade von Kriegen erlebt, meine Generation kennt nur Frieden und Wohlstand. Meine Ansprüche an das Leben sind völlig andere. Oma wäre gegenüber meiner Einstellung zur Hundehaltung ebenso verständnislos wie Herr Wangchuk, der im Himalaya zu Hause ist. Dabei, Oma hatte einen Hund, das beweisen alte Familienfotos. Der flotte Weg in die Individualisierung der letzten Jahrzehnte basiert vor allem auf drei Entwicklungen. 1. Die Wohlstandssteigerung der 1980er-Jahre: Alle konnten sich kontinuierlich mehr leisten, vom Farbfernseher bis zur Fernreise. 2. Der Anstieg von Freizeit: die Arbeitszeit wurde kürzer, der Weg in die Freizeitgesellschaft war offen. 3. Der einfachere Zugang zur Bildung: das Bildungsniveau ist enorm gestiegen. Ein Studium war für meine Oma unerreichbar, für mich war es möglich. Höhere Bildung bedeutet auch die Vermittlung kognitiver Kompetenzen und Anregungen, um profunder über sich selbst und das eigene Leben nachzudenken und auf dieser Grundlage selbstbestimmtere Lebensentscheidungen treffen zu können und das auch zu wollen.
Der Preis dafür ist der Aufbruch traditioneller Strukturen, die ja nicht nur alt und verzopft sind, sondern auch Sicherheit und Geborgenheit geben können. Und da kommt der Hund ins Spiel – meine Hunde waren immer tierische »Lebenspartner«, Wesen, mit denen ich mein individuelles Leben und die damit verbundenen Freiheiten teilen konnte, ohne zu vereinsamen oder doch in Abhängigkeiten abzurutschen. Genau das ist der Punkt, der mich von Oma und Herrn Wangchuk trennt. Ich würde behaupten, die Individualisierung der Gesellschaft und die aufgrund von Wohlstand, Frieden und Technologie geschaffenen Chancen formen unsere aktuelle Art der Hundehaltung und sie bestimmen den Stellenwert der Vierbeiner in unserer Gesellschaft. Wird der Hund »Partner«, dann ist er mehr als ein Hund. Das erklärt, warum Hundehalter ihre Vierbeiner mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn es nötig ist. Das erklärt auch den stark emotionalisierten Diskurs beim Thema Hund. Es gibt wenige Dinge, über die Menschen so herzhaft streiten können.
Veränderte Wertigkeiten
Aber vielleicht ist diese neue Beziehung zum Hund eigentlich ziemlich »retro«. In der Zeit, als der Hund sich dem Menschen anschloss, also vor Tausenden von Jahren, da war diese Partnerschaft dazu da, den Bauch voll zu bekommen. Heute ist diese Partnerschaft dazu geeignet, das Herz zu füllen. Die Wertigkeiten haben sich verschoben. In einer emotional kalten Zeit des materiellen Wohlstands ist ein warmes Herz wichtiger als ein voller Bauch.
Die Werte der Symbiose Hund und Mensch mögen sich verschoben haben, aber die Beziehung ist wichtiger denn je. Das ist eine mögliche Erklärung für die Polarisierung des Themas. Hundelose Menschen empfinden vielleicht eine unterschwellige Eifersucht, diese äußert sich in Vorwürfen wie »das Vieh ist wichtiger als der Mensch«. Verstärkt wird dieses Gefühl möglicherweise durch den Umstand, dass Hunde heute eher selten »Allgemeingut« sind. Vor 40 Jahren hat man seinen Hund gerne mit anderen geteilt, vor 30 Jahren auch noch, aber heute ist das anders. Einen »Partner« teilt man nicht so freudig. Je mehr der emotionale Wert des Hundes steigt, umso mehr isoliert man seine Umgebung vom Hund, noch dazu, wenn man diese als hundefeindlich empfindet – das ist ein Teufelskreis.
Ein weiterer Faktor, der einen Konflikt in sich birgt, ist die Verdichtung von urbanem Lebensraum. Es wird enger in den Städten, das führt zu Auseinandersetzungen um Raum, genauer gesagt, um Grünflächen. Früher hatten Menschen einerseits weniger Zeit »ins Grüne« zu gehen und anderseits gab es mehr »Grün«. Heute haben die Menschen Zeit für Ausflüge, aber es fehlt ihnen oft das geeignete Ziel. Politiker sind Fans von Statistiken. Statistisch gesehen liegt die Gruppe der Hundehalter nur bei 5-15% der Gesamtgesellschaft, in Wien sind es etwa 5%, wenn man die nicht gemeldeten Hunde einrechnet. Allerdings leben Hundehalter durchaus in gesellschaftlichen Strukturen und die Zustimmung zum Hund liegt, gesamtgesellschaftlich betrachtet, um die 75%. Es ist nicht von besonderer Weitsicht geprägt, Hunde ausgrenzen zu wollen. Hundehalter sind zudem meist gut situiert. Das mag man manchen nicht auf den ersten Blick ansehen, doch da wird viel Geld in das Wohlbefinden des Vierbeiners investiert und häufig gehören Hundehalter zum gut situierten Teil der Gesellschaft. Das untermauert auch eine Untersuchung, die zwei Markt-Media-Studien ausgewertet hat (Habig, Flaig 2005 – siehe auf wuff.eu beim Artikel).
In dieser Studie findet sich ein interessanter Satz: »Die wenigsten Hunde finden sich bei ‚Hedonisten‘ «. Das ist wenig überraschend, denn Hundehaltung bedeutet »Hingabe« und damit hat es ein Hedonist nicht so, denn das ist ein Mensch, dessen Verhalten vorwiegend von der Suche nach Lustgewinn und Sinnengenuss bestimmt ist, selten aber von der Hingabe an ein Lebewesen. Das beißt sich mit den Anforderungen, die ein moderner Vierbeiner an seinen Menschen stellt. Hunde legen nämlich Wert auf eine enge Bindung. Ein Mensch, der Hunde hält, muss prinzipiell bindungsfreudig sein und ein gewisses Faible für Verantwortung haben.
Der Mischling aus dem Tierschutz – eine neue Entwicklung
Der Mischling per se ist nicht neu, auch vor 40 Jahren hat es den »Bauernhofhund« gegeben. Meist war er das Produkt eines streunenden Dorfrüden, der die lokalen Hündinnen beglückte. Neu ist eher, dass die Mischlinge nicht mehr vom Bauernhof, sondern oft aus dem Ausland kommen. Da ist ein neuer Markt entstanden, der zwei Bedürfnisse abdeckt. Diese Hunde sind billig und es gilt als »gute Tat«, ein Lebewesen zu »retten«. Gleichzeitig kann man sich damit vom konservativen Rassehundehalter abgrenzen. Es ist eine Art »Lifestyle«, einen geretteten Hund zu besitzen. Es ist ein Trend, der vor etwa 15 Jahren begonnen hat, er gehört damit zur Generation X.
Generation X und Z in der Hundehaltung – und auf der Hundewiese
Zu den Generationen X und Z gehört auch der Wandel in der Hundeerziehung. Babyboomer wie ich sind noch damit aufgewachsen, dass ein Hund streng erzogen werden muss, wenn nötig auch mit Strafe, in jedem Fall aber konsequent. Auf Gehorsam wurde früher viel Wert gelegt. X und Z sehen das anders. Während Generation X Wert auf konsequente, aber sanfte Erziehung legt, findet Generation Z, dass Erziehung für einen Hund eine große Einschränkung darstellt. Bei Hunden wie bei Kindern – der Trend geht seit Generation X in Richtung antiautoritäre Erziehung. Das ist auch eine wesentliche Veränderung in der Mensch-Hund-Beziehung.
Die Streitigkeiten, für die Hundewiesen berühmt sind, haben ihren Ursprung oft in diesem Generationenkonflikt. Ein Hund agiert so, wie er sozialisiert und erzogen wird. Manche Hunde sind Sonnenscheinchen, manche haben einen schwierigen Charakter, laut Udo Gansloßer, das »Obelix-Syndrom«. Wenn man zum Beispiel Generation Z angehört und einen Obelix an der Leine hat, dann wird es für die Umwelt schwierig. Ein Hund, der wie Obelix alle Römer, also sämtliche Hunde verhauen will, ist selten beliebt. Gerät nun Generation Z mit Obelix an einen Babyboomer, ist eine Auseinandersetzung vorprogrammiert, nicht nur zwischen den Hunden.
Gesellschaft, Politik und Hund
In einem Zeitgeist, der antiautoritäre Hundeerziehung einfordert, will der Gesetzgeber Hundehaltung besonders streng regeln. Das kann nicht gut gehen. Babyboomer haben meist Verständnis dafür, dass Hunde gut erzogen sein müssen, Generation X schon weniger, Generation Z gar nicht. Die Politik bevorzugt zwar die sanfte Erziehung, aber sie will alltagstaugliche Hunde, die ohne viele Probleme zu verursachen durchs Leben gehen. Dieser Spagat funktioniert nicht. Das schlägt sich in immer abenteuerlicheren Hundegesetzen nieder, denn den selbsterziehenden Hund gibt es nicht und nicht alle Hunde haben sich lieb. Die Politik sollte das wissen, bei Menschen ist das ähnlich.
Bisher konnte sich der »Tutnix«, der als Synonym für den unerzogenen, wenig alltagstauglichen Hund steht, gut hinter den Listenhunden verstecken. Die Politik hat mit ihren Listen nur einige Rassen im Fokus. Da aber die meisten Unfälle in den eigenen vier Wänden passieren und hier alle Hunde, ganz unabhängig von der Rasse, zubeißen, wird sich diese Art der Gesetzgebung nicht ewig halten können. Man wird den Fokus verlagern müssen auf Ausbildung und Erziehung, aber beides tut nicht weh und der Hundehaltung per se wird das gut tun.
Wir können nicht zur Hundehaltung meiner Oma zurückkehren, die Gesellschaft hat sich dazu zu sehr verändert. Auch der Weg des Herrn Wangchuk, der Hunde als Reinkarnation von Lamas respektiert und sie daher frei in der Gesellschaft mitleben lässt, ist nicht unserer. Wir müssen einen Weg finden, der zu unserer Gesellschaft passt und der die Konflikte von drei Generationen befriedet, dazu brauchen wir die Rückkehr zum gesunden Menschenverstand und eine Politik, die uns eine gute Hundegesetzgebung liefert.
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