Hunde verstehen uns wie dreijährige Kinder

Von Dr. Adam Miklosi

Im Jahre 1907 erschien im amerikanischen „Century Magazine“ ein Artikel über einen ganz besonderen Hund. Der mit den Initialen B.B.E. angegebene Autor berichtete über Versuche mit seinem Hund Roger. Zunächst wollte der Besitzer seinem Vierbeiner beibringen, Spielkarten zu erkennen. So legte er nebeneinander acht Karten auf den Boden. Dann stellte er eine Vorderpfote des Hundes auf eine Karte, sagte dazu „Das ist das Pik As“ und gab dem Hund zugleich ein kleines Stück Futter. Dasselbe geschah in gleicher Weise bei allen anderen Spielkarten. Schon nach einem Monat Training konnte Roger bei Nennung einer Karte diese immer korrekt anzeigen, unabhängig von ihrem jeweiligen Platz in der Reihe, der ständig geändert wurde. Die Übungen wurden auch auf andere Karten ausgedehnt, und schließlich vermochte der Hund sogar 15 Karten zu unterscheiden.

Buchstaben lesen
Aber das war noch nicht alles. Nun wurden die Spielkarten ausgetauscht gegen Karten, die lediglich mit einem Buchstaben des Alphabets versehen waren. Die Aufgabe des Hundes bestand nun darin, für einfache Wörter, die der Besitzer aussprach, die Karten mit den richtigen Buchstaben in der richtigen Reihenfolge anzuzeigen. So sollte Roger beispielsweise beim Wort Hund die erste Karte mit dem Buchstaben H, die zweite mit U usw. auf den am Boden liegenden Karten nacheinander anzeigen. Schließlich behauptete der Besitzer sogar, dass Roger Gedanken lesen könne, denn wenn er ein Wort nur dächte, würde der Hund schon die entsprechenden Karten wählen.

Das Blick-Signal?
Natürlich haben wir keinen Beweis dafür, aber man könnte durchaus annehmen, dass in Wahrheit Roger nicht viel von Spielkarten oder Buchstaben verstand, jedoch sehr sensibel auf die Blickrichtung seines Besitzers reagierte. Denn wenn dieser vom Hund eine Karte verlangte, blickte er wahrscheinlich unbewusst auf den entsprechenden Buchstaben. Und dies war ein relativ „einfaches“ Signal für Roger, diese Karte dann auszuwählen. Aber Roger war damals nicht der Einzige mit einem solchen Talent. Zur selben Zeit verzauberte in Berlin ein Pferd namens „Kluger Hans“ mit ähnlichen Fähigkeiten die Wissenschaftler (siehe Kasten).

Hunde interpretieren Menschen
Nachdem die Wissenschaftler sich dafür entschieden, dass es sich in beiden Fällen nicht um Gedankenlesen handeln könne, beschäftigten sie sich mit diesen Phänomenen nicht mehr weiter. Sie hatten nicht erkannt, dass es sich dennoch um eine sehr außergewöhnliche Fähigkeit dieser Tiere handelt. Heute jedoch denkt die Wissenschaft wieder anders darüber. Es ist nämlich keineswegs trivial, dass Tiere menschliche Gesten verstehen und interpretieren können und mit ihrem Verhalten darauf reagieren, d.h. gewissermaßen antworten. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier kann man auch als eine Art von Kommunikation auffassen, wenn bestimmte Verhaltensformen eine Signalfunktion bekommen. In den meisten Fällen ist diese Fähigkeit zur Kommunikation weitgehend genetisch bestimmt, das heißt, dass Lernen dabei nur eine geringe Rolle spielt. Aber umso interessanter ist es daher, dass dann doch einige Tiere die Bedeutung spezieller Signale auch erlernen und dann selbst produzieren können.

Hundesprache ist Körpersprache
Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass Hunde sehr gute Fähigkeiten haben, menschliche Gesten zu interpretieren, und ihre Leistung ist dabei auch dann gut, wenn sie solchen menschlichen Signalen in einer neuen Situation zum ersten Mal begegnen (was die genetische Komponente betont). Was die Hunde wirklich verstehen, ist die Körpersprache. Jeder Hundebesitzer weiß das – also was gäbe es da noch zu erforschen? Für die Wissenschaftler ist aber diese Form des Wissens, welches die Hundebesitzer aus der Erfahrung mit ihrem Hund gewonnen haben, nicht genug, denn die Wissenschaft beruht auf konkreten und reproduzierbaren Beweisen. Und so haben wir Wissenschaftler der Budapester Universität eine Testsituation gesucht, wo man diese erwähnten Fähigkeiten des Hundes in einfacher Form beweisen kann. Wir haben in WUFF bereits diesen so genannten „Kommunikationsversuch in einer Zweiwahltestsituation“ veröffentlicht, in welchem die Tiere (es waren damals Wölfe und Hunde) aufgrund der Gesten des Untersuchers eines von zwei angebotenen Gefäßen ausgewählt haben (WUFF 4/2003). Das Tier weiß, dass in einem der beiden Gefäße Futter versteckt ist, aber nicht in welchem. Um das richtige Gefäß zu finden, musste es die Gesten des Untersuchers „verstehen“. Und weil die Hunde fast immer das korrekte Gefäß auswählten, nehmen wir an, dass sie diese Gesten auch verstehen. Natürlich – bei nur 2 Gefäßen besteht eine 50-%ige Chance, richtig zu entscheiden, auch dann, wenn die Gesten nicht verstanden werden. Um daher feststellen zu können, ob die Entscheidung für das richtige Gefäß kein Zufall ist, sondern eben auf dem „Verstehen“ der Hinweise des Untersuchers beruht, muss in ca. 70% der Versuche richtig entschieden werden. Erst dann kann es sich – statistisch gesehen – nicht mehr nur um einen Zufall handeln. Und bei den Hunden war dies der Fall.

Verständnis oder nur erlernt?
Wir haben die Versuche nun auf verschiedene Weise, dem Hund das korrekte Gefäß mitzuteilen, durchgeführt. Als erstes haben wir untersucht, wie der Hund die „Zeigegeste“ versteht. Dieses Signal ist deswegen sehr interessant, weil es nur vom Menschen benutzt wird und einen bezüglichen Charakter hat. Das heißt, mit dieser Geste weisen wir auf einen speziellen Teil oder Aspekt unserer Umgebung hin. In diesem Test zeigte der Untersucher mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf eines der beiden Gefäße, und fast immer wählten die Hunde dann auch dieses Gefäß aus. Wir meinten jedoch, dass man nur dann von einem echten Verständnis sprechen kann, wenn die Hunde auch dann auf diese Geste richtig reagieren, wenn sie etwas abgeändert ist und in anderen Situationen auftritt. Andernfalls könnte man annehmen, dass die Hunde durch frühere Erfahrungen mit ihren Besitzern die Bedeutung dieser Zeigegeste einfach erlernt haben. Wir wollten aber das sozusagen angeborene Verständnis des Hundes für menschliche Gesten untersuchen. Der „Trick“ in unserer Versuchsanordnung war daher, dass wir nur solche Gesten benutzten, die von den Besitzern vorher niemals verwendet wurden.

Neue Gesten
Wir verwendeten drei „neue“ Gesten beziehungsweise Situationen und die schon erwähnte Zeigegeste als Kontrolle. Jeder Hund wurde in 8 Serien mit allen vier Gesten getestet. Eine unserer neuen Gesten war das „Kreuzzeigen“, bei dem der Untersucher mit dem der Zeigerichtung entgegengesetzen Arm auf das korrekte Gefäß zeigte. Und die Situationsmodifikation bestand darin, dass die Untersucherin sich direkt neben ein Gefäß stellte, aber zum anderen zeigte. Und schließlich benutzen wir das „Ellbogenzeigen“, wobei die Untersucherin den zeigenden Finger vor der Brust hatte, während ihr Ellbogen deutlich aus der Körpersilhouette herausragte.

Die Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigten, dass die Hunde die ersten beiden neuen Gesten sofort verstanden. Sie wählten das richtige Gefäß sowohl wenn die Untersucherin den entgegengesetzten Arm benutzte, als auch dann, wenn sie direkt neben dem falschen Gefäß stand und zum weiter entfernten korrekten zeigte. Das „Ellbogenzeigen“ hingegen verwirrte die Tiere, sie konnten es nicht mit dem richtigen Gefäß assoziieren.
Ob diese Leistung gut oder schlecht ist, kann man beurteilen, wenn man das Ergebnis der Hunde mit dem von Kindern und Schimpansen vergleicht. Die getesteten Affen konnten keine der neuen Gesten verstehen, obwohl auch sie in menschlicher Umgebung aufgewachsen waren. Und das „Ellbogenzeigen“ konnte von Kindern erst ab einem Alter von 2,5-3 Jahren verstanden werden. Jüngere Kinder machten bei dieser Versuchsanordnung genauso oft Fehler wie Hunde. Das heißt, Hunde sind also relativ gut, wenn es um das Verstehen menschlicher Gesten geht, aber sie erreichen nicht die Fähigkeiten eines größeren Kindes.

Klares Signal
Auf Grund anderer Experimente sind wir zu dem Schluss gekommen, dass für Hunde das wichtigste Signal einer Zeigegeste das ist, wenn der zeigende Finger sich deutlich außerhalb der Körpersilhouette befindet, also zusammen mit dem ganzen Arm vom Körper weggestreckt ist. Ältere Kinder hingegen verstehen, dass das entscheidende Signal die Richtung des Zeigefingers ist, wo immer dieser sich auch befindet. Natürlich ist es möglich, dass man dies mit entsprechendem Training auch einem Hund beibringen kann. Unser Versuch beweist lediglich, dass normalerweise Hunde dieses Verständnis nicht von selbst erwerben.

Zeigen mit den Blicken
Schließlich möchten wir auch noch darauf hinweisen, dass – wie die einführende Geschichte von Roger es zeigt – Hunde oft sehr sensibel auf die Kopf- und sogar Augenbewegung des Menschen reagieren. Unsere Hunde zeigten im schon erwähnten „Kommunikationsversuch in einer Zweiwahltestsituation“ eine sehr gute Leistung, wenn man anstatt mit dem Finger zu zeigen, Kopfbewegungen benutzte, und nach etwas Training konnte der Hund das richtige Gefäß sogar dann auswählen, wenn man nur mit den Augen hinblickte. Eine unglaubliche Leistung!
Nun, könnte es nicht sein, dass die von Dr. Miklosi und seinen Mitarbeitern untersuchten Hunde nicht aufgrund des menschlichen Zeigehinweises, sondern vielmehr mit ihrem Geruchsinn das richtige Gefäß, in dem sich das Futter befand, wählten? Was glauben Sie? Um diese durchaus berechtigte kritische Frage zu beantworten, haben die Wissenschaftler eine eigene Versuchsanordnung entwickelt. Was dabei herausgekommen ist, lesen Sie im nächsten WUFF (11/2003).



>>> WUFF HINTERGRUND


Der „Kluge Hans“
Eine Information der WUFF-Redaktion

Der „Kluge Hans“, ein anscheinend außerordentlich talentiertes Pferd, das addieren, subtrahieren und andere Rechenaufgaben lösen konnte. Hans wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von dem pensionierten Lehrer Wilhelm von Osten trainiert. Zur Lösung von Rechenaufgaben musste Hans so lange mit einem Huf auf den Boden klopfen, bis er bei der richtigen Zahl angelangt war. Wilhelm von Osten, der von den Fähigkeiten des Tieres ehrlich überzeugt war, publizierte seine Ergebnisse, und schon bald war der „Kluge Hans“ weltberühmt – offensichtlich ein Beweis für die Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit eines Tieres.
Aber die wirklichen Fähigkeiten des „Klugen Hans“ lagen weniger im Bereich der Mathematik als im Bereich der visuellen Wahrnehmung. Der Psychologe Oskar Pfungst, der das Phänomen genau untersuchte, fand heraus, dass von Osten durch unwillkürliches Kopfnicken dem Pferd immer dann ein Signal gab, wenn er bei der gewünschten Zahl angekommen war. Pfungst konnte nachweisen, dass schon eine Kopfbewegung um einen Fünftelmillimeter ausreichte, um dem Pferd mitzuteilen, dass es mit dem Klopfen aufhören sollte.

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