Was geschah, als zum ersten Mal ein Mensch ein wolfsähnliches Wesen erblickte? War es Hass – oder Liebe auf den ersten Blick? Keiner von uns war dabei, und keiner von uns kann es wirklich wissen. Dennoch behaupten viele, die Antwort auf diese Frage zu kennen. Aber in Wahrheit ist das Ganze nicht so einfach, wie sich manche denken.
Was wir heute sicher wissen können ist, dass der Hund der wahrscheinlich beliebteste tierische Freund des Menschen ist. Hunde sind gute Gefährten, und wir kennen ihre vielfältigen Aufgaben, die sie in der Gesellschaft ausüben. Es gibt aber kein Geschichtsbuch, welches das gemeinsame Schicksal von Mensch und Hund beschreibt. Um Licht in das Dunkel dieser gemeinsamen Geschichte zu bringen, können Wissenschaftler nur Folgendes tun: Sie forschen sorgfältig nach allen möglichen Fakten und stellen dann zunächst sogenannte Hypothesen (das sind wissenschaftliche Fragestellungen) auf. Um diese Hypothesen nun entweder zu beweisen oder zu widerlegen, planen sie Experimente. Anhand der daraus erhaltenen Ergebnisse entscheidet sich dann, ob die wissenschaftliche Frage mit ja oder nein beantwortet werden kann. Dabei ist es für einen guten Wissenschaftler im Prinzip egal, ob seine Untersuchungen zu einer positiven oder negativen Antwort führen. Wichtig ist nur, die Frage so gut wie möglich zu beantworten.
Anekdoten und Halbversuche
Aus dieser grundsätzlichen Einleitung über wissenschaftliche Untersuchungen sollte klar sein, dass wir auch bei der Forschung über den Wolf und den Hund keine Ausnahme machen können, wollen wir seriöse Antworten auf unsere Fragen gewinnen. Es ist für einen Wissenschaftler sehr interessant zu lesen, wie Menschen, die möglicherweise sehr viel praktische Erfahrung mit Hunden und deren Verhalten haben, so selbstsicher Stellung nehmen, wenn es um wissenschaftliche Fragen geht. Das ist deswegen so interessant, weil es – entgegen einem weit verbreiteten Glauben – in Wahrheit sehr wenige ethologische Beobachtungen und Versuche gibt, die den oben erwähnten Kriterien einer wissenschaftlichen Methode entsprechen. Ein großer Teil des allgemein bekannten Wissens über Hunde beruht nämlich nur auf Anekdoten oder „Halbversuchen“.
Woher kamen die Hunde?
Gleich die ersten Fragen, die sich stellen, sind ähnlich der zu Beginn des Artikels. „Woher“ ist der Hund gekommen, wer sind seine Vorfahren, wo und warum haben sich Wolf und Hund „getrennt“, und wann ist das alles passiert? Es gibt heute so viele Arten von Hunden, dass man sich leicht „verirren“ kann. Natürlich würde niemand einen Hund mit einer Katze verwechseln, aber wie ist das mit dem Wolf, dem Schakal, dem Kojoten? Alle sehen dem Hund sehr ähnlich, könnten also mit ihm verwandt sein. Die klassische Methode zur Beantwortung solcher Fragen war die vergleichende morphologische und anatomische Untersuchung der Arten. Die Hypothese dazu lautet natürlich, dass sich eine nähere Verwandtschaft in einer größeren Ähnlichkeit ausdrückt (siehe Kasten). Und schon auf den ersten Blick fällt auf, dass wir immer eine Hunderasse finden können, die einem der wilden Caniden ähnlich ist. Könnten also Hunde zur selben Zeit von mehreren Caniden abstammen? Das heißt, könnten einige Rassen vom Wolf und andere wiederum vom Schakal abstammen? Ergebnisse von Verhaltensforschern unterstützen diese Theorie teilweise, da ethologische Betrachtungen einerseits wolfs- und andererseits schakalähnliche Verhaltensweisen in verschiedenen Hunderassen gefunden haben. Viele Wissenschaftler hatten aber andere Gedanken. Sie bestanden auf ihrer Ansicht, dass nur der Wolf der Urahn aller Hunde sein kann. Auf eine bessere Antwort durch die heutigen molekulargenetischen Möglichkeiten mussten die Wissenschaftler seit dem Werk von Scott & Fuller (Genetics and the Social Behavior of the Dog, 1965) lange warten.
Richtungsweisende genetische Untersuchungen
Die neuen Methoden der molekulargenetischen Forschung haben es zum Teil ermöglicht, dass man durch Vergleiche der DNS verschiedener Arten etwas über deren Verwandtschaft zueinander sagen kann. Im Jahre 1997 veröffentlichten schwedische und amerikanische Genetiker eine Studie, in der sie auf Grund molekulargenetischer Vergleiche der DNS von Wolf, Kojote und Hund zur Ansicht kamen, dass der Wolf der einzig mögliche Vorfahre des Hundes wäre und die Trennung des Hundes vom Wolf, also die Domestikation, vor etwa 130.000 Jahren erfolgt sei (Viláet al., Multiple and ancient origins of the domestic dog. Science, 276, 1687-1689,1997). Hätten diese Wissenschaftler Recht, dann müssten Hunde ungefähr zur selben Zeit aufgetreten sein, als der heutige Mensch (homo sapiens) aus Afrika nach Europa wanderte. Viele andere Wissenschaftler glauben diese Theorie jedoch nicht. Eine neue Studie vom vergangenen Jahr (Savolainen et al., Genetic evidence for an East Asian origin of domestic dogs. Science, 298, 1610-1613,2002) scheint aber nur die erste Hälfte der vorerwähnten Aussagen zu unterstützen, nämlich dass von allen Caniden der Wolf der nächste Verwandte des Hundes ist. Hingegen sind nach der Meinung dieser Forscher Hunde viel „jünger“ als 135.000 Jahre, ihre Trennung vom Wolf soll vor erst 15.000 Jahren erfolgt sein.
Von diesen Untersuchungen kann man Zweierlei lernen. Erstens: Wenn man wissen will, wie die Ahnen der Hunde ausgesehen und wie sie sich verhalten haben, könnte die nähere Untersuchung des Wolfes vielleicht eine Antwort geben. Zweitens: Die heutigen genetischen Methoden sind nicht in der Lage, uns den eigentlichen Zeitpunkt der Trennung des Hundes von anderen Caniden zu beweisen. Aber ist das eigentlich so wichtig? Nein, denn wir haben ja archäologische Funde von Hundeknochen in Menschengräbern, die rund 12.000 Jahre alt sind. Also – unter Berücksichtigung von Ungenauigkeiten der Datierung – was wir sicher wissen ist, dass Hunde mindestens über 10.000 Jahre alt sind. Das ist eine sehr lange Zeit, wenn wir auch nur an unsere eigene Evolution denken. Und diese Zeit sollte auch für genetische Veränderungen des Hundes sowohl in seiner Anatomie wie auch in seinem Verhalten genügen.
Genetische Information und Umwelteinfluss
Das Verhalten jedes Tieres beruht auf zwei grundsätzlichen Tatsachen. Das eine ist die durch die Gene vermittelte Information, das andere ist die Beeinflussung durch die Umwelt. Jedes Individuum, vom Bakterium bis zum Menschen, ist von diesen beiden Faktoren abhängig. Daraus folgt, dass wenn wir wissen wollen, ob der Wolf und der Hund in Hinblick auf ihr Verhalten genetisch verschieden sind, wir beide unter identen Umweltbedingungen aufwachsen lassen und beobachten müssen. Solch ein Versuch könnte eines der folgenden beiden Ergebnisse bringen:
Man kann zunächst annehmen, dass der wesentliche Unterschied zwischen Wolf und Hund in der Umgebung liegt, in der sie leben. Mit anderen Worten, man stellt die Hypothese auf, dass sie sich genetisch sehr ähnlich sind und es die Umwelt ist, die den Haupteinfluss hat. Das heißt: Tiere, die in der „Wildnis“ leben, würden dadurch zu Wölfen, und solche, die „glücklich“ mit ihren Menschen leben, zu Hunden.
Die alternative Hypothese ist die, dass Wölfe genetisch anders sind. Das könnte man so untersuchen, dass man einen Wolf wie einen Hund aufzieht. Verhält er sich aber trotzdem nicht wie ein Hund, wäre diese Hypothese als richtig bewiesen.
„Stiefmütter“ für Wolfswelpen: Leben wie ein Hund
Vor zwei Jahren hat unsere Gruppe von Verhaltensforschern die Entscheidung getroffen, vier Wolfswelpen wie Hunde aufzuziehen. Der Grund dafür war ein wissenschaftlicher. Wir wollten die Entwicklung der jungen Wölfe Tag für Tag beobachten mit dem Ziel, das soziale Verhalten unserer zahmen Tiere mit spezifischen Tests zu untersuchen. Das Aufziehen eines Wolfes ist nicht einfach. Wir wussten schon vorher, dass wir nur dann Erfolg haben würden, wenn wir die kleinen Wolfswelpen am 4. Tage von ihrer Mutter trennen – noch bevor sie die Augen öffnen. Daher mussten „Stiefmütter“ die Welpen dreistündlich mit Milch füttern, was in den ersten Wochen einen 24-Stunden-Dienst bedeutete. Wir hatten das Glück, vier sehr begeisterte „Wolfsmütter“ in Gestalt von Biologiestudentinnen zu haben, die – wie sich später herausstellte – alles, und das heißt wirklich alles, für ihre „Stiefkinder“ getan haben.
Die ersten Ergebnisse
Genaue alltägliche Beobachtungen zeigten zwar viele kleine Unterschiede, aber in vielen Situationen verhielten sich die Wolfswelpen wie junge Hunde. Um nun die Antwort auf unsere eigentliche Frage zu erhalten, mussten wir die jungen Wölfe unter kontrollierten Versuchsbedingungen studieren. Aus Platzgründen will ich nur zwei Beispiele unserer Versuche erläutern. Den Präferenztest (siehe Kasten), der beweist, dass das Verhalten von Hunden und Wölfen genetisch unterschiedlich programmiert ist, und das Kommunikationsexperiment (siehe Kasten), in dem die Leistungen der Wölfe stets schlechter waren als die der Hunde. Nach unserer Meinung zeigen diese Beobachtungen, dass Wölfe niemals gute Hunde werden. Das wiederum bedeutet, dass Hunde genetische Veränderungen erworben haben müssen, die es ihnen einfacher machen, mit dem Menschen zu kommunizieren, menschliche Gesten zu „lesen“.
Hund und Mensch: Warum sind wir uns ähnlich?
Wie ich es eingangs erwähnt habe, wissen wir nicht genau, wie Hund und Mensch sich trafen. Aber es ist sicher, dass der Hund, so wie er heute aussieht und sich verhält, durch den Menschen so geworden ist. Wir nehmen an, dass es einmal „Urwölfe“ gegeben hat, die sich zu nahe an den Menschen gewagt haben. Das könnten solche Individuen sein, die allein herum zogen oder das Wolfsrudel verlassen hatten, vielleicht weil sie die letzten in der Rangordnung waren. Diese Wölfe fanden in der Nähe von Menschen gute Futterquellen. Aber um zur Gruppe der Menschen Zugang finden zu können, mussten sie ihr Verhalten geändert haben. Wissenschaftlich sollte ich sagen, dass nur die Wölfe von den Menschen aufgenommen wurden, die sich mit ihnen „verstehen“ konnten. Und natürlich konnte es passieren, das dann Menschen die Welpen solcher Wölfe aufzogen und sich dann fortpflanzen ließen. Und mit der Zeit veränderten sich die Wölfe dann so, dass sie immer mehr „menschliche“ Eigenschaften erwarben. Diese Evolution führte dann zum heutigen Hund.
Wenn unsere Hypothese richtig ist, müssten wir solche „menschlichen“ Verhaltensweisen im Hund finden, aber nicht (oder nur in geringem Maß) im Wolf. Ich gebe zu, dass wir jetzt erst am Anfang solcher Studien stehen. In den nächsten Ausgaben des Fachmagazines WUFF werde ich mehr über unsere wissenschaftlichen Ergebnisse berichten.
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Vergleich verschiedener Caniden
Die Tabelle zeigt einen Vergleich der verschiedenen Arten der Caniden (Hundeartigen) mit verschiedenen Hunderassen, indem man das anatomische Verhältnis der Schädellänge (basale Länge) und die Entfernung zwischen den beiden Unterkieferfortsätzen (bizygomatische Breite) bestimmte.
Basale Länge (mm) – Bizygomat. Breite (mm)
Wolf 220 – 140
Bernhardiner 225 – 140
Dogge 210 – 130
Deutscher Schäferhund 190 – 110
Boxer 150 – 125
Sheltie 150 – 80
Kojote 160 – 90
Schakal 140 – 80
Dobermann 190 – 110
Dackel 120 – 75
Pekingese 75 – 75
Dingo 170 – 100
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Hund oder Mensch: Der Präferenztest
Als die Wolfswelpen zwei Monate alt waren, haben wir sie in einem so genannten Präferenztest beobachtet. Solche Tests haben eigentlich eine einfache Logik. Die Tiere können in einem abgesperrten Raum frei herum laufen. Wir bieten ihnen zwei „Objekte“ an, die sie entdecken können. Sie können natürlich mit dem Objekt, das für sie „sympathischer“ oder interessanter ist als das andere, Kontakt aufnehmen. Die beiden angebotenen Objekte im Raum waren einerseits ein erwachsener Hund und andererseits ein Mensch (ein Mitglied unserer Forschungsgruppe), die beide für die Wölfe fremd waren. Beide saßen an einem Ende des Raumes und bewegten sich kaum, um nicht durch die Bewegung das Interesse zu wecken. Wir wussten schon vorher, dass in solch einer Situation Hundewelpen immer den Menschen wählen. Was werden nun die Wolfswelpen machen, die wie kleine Babys an ihren menschlichen Stiefmüttern hingen?
Zu unserem Erstaunen wählten die Wolfswelpen den Hund und interessierten sich weniger für den Menschen! Das heißt, obwohl sowohl Hunde- wie auch Wolfswelpen leicht einen Menschen als „Stiefmutter“ annehmen, kann man schon zu diesem frühen Zeitpunkt erkennen, dass das Verhalten von Hund und Wolf genetisch unterschiedlich programmiert ist.
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Kommunikationsversuch: Hunde stets „besser“ als Wölfe
Ein Mitarbeiter der Gruppe, der den Wölfen gut bekannt ist, steht zwischen zwei Töpfen, die ungefähr 2,5 Meter voneinander entfernt sind. Die „Stiefmutter“ hält den Wolf an der Leine und orientiert das Tier in Richtung zu den Töpfen hin. Vorher hat man in einem der Töpfe ein kleines Stück Fleisch versteckt, aber der Wolf hat natürlich keine Ahnung, wo es sein könnte. Er kann es aber herausfinden, wenn er den Menschen ansieht, der zwischen den Töpfen steht, denn der Mensch wird dem Wolf mit einer Geste den richtigen Topf zeigen. In Zusammenhang mit Hunden werden wir in weiteren Artikeln in dieser Zeitschrift solche Versuche noch öfters erwähnen, doch hier sollte es ausreichen mitzuteilen, dass Hunde solche Aufgaben ziemlich gut lösen können, auch wenn sie so jung sind wie unsere Wölfe in diesem Experiment.
Obwohl die Wölfe immer sehr gut mit uns zusammen gearbeitet haben und immer wieder aufs Neue begeistert waren, wenn sie unsere Vorbereitungen für einen Versuch bemerkten, war doch ihre Leistung in diesem Experiment eine kleine „Enttäuschung“. Zwar konnten sie einige Gesten als Signale für den Ort, wo das Fleisch versteckt war, erkennen, wie beispielsweise dann, wenn der Untersucher direkt hinter dem richtigen Topf stand oder diesen mit der Hand anfasste, dennoch waren die Leistungen der Wölfe auch nach mehreren Wochen Übung stets schlechter im Vergleich zu denen der Hunde. Die Übungen wurden – sowohl bei den Wölfen wie bei den Hunden – durchgeführt im Alter von 8, 9 und 12 Wochen und ab dem 4. Monat wöchentlich.
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Dr. Adam Miklosi ist Biologe der Abteilung Ethologie (Vorstand Professor Vilmos Csány) der Eötvös Universität in Budapest. Seine wissenschaftlichen Forschungsinteressen beziehen sich unter anderem auf den Hund als Modell für die soziale Evolution und die Entwicklung sozialer Intelligenz von Hunden.