Hunde sehen anders als Menschen

Von Gerhard Fasching

5. Sehschärfe und Auflösungsvermögen

Als Sehschärfe des Auges bezeichnet man die Fähigkeit, Details eines Objektes zu erkennen und getrennt voneinander scharf wahrzunehmen. Diese Fähigkeit wird beeinflusst durch die Eigenschaften der lichtbrechenden Medien des Auges (Hornhaut, Linse, Glaskörper), der Neuroanatomie der Netzhaut, aber auch durch im Gehirn gelegene Sehbahnen und Sehzentren, welche die von den Nervenzellen der Netzhaut aufgenommenen Informationen weiterleiten und verarbeiten.

Optische Faktoren für die Sehschärfe:
Die optischen Medien des Auges – Hornhaut, Linse und Glaskörper – sind dafür verantwortlich, ein Bild exakt auf der Netzhaut abzubilden.

Die Hornhaut des Hundes weist ähnlich wie die des Menschen (43 Dioptrien) eine Lichtbrechung zwischen 35 und 46 Dioptrien auf. Für die Hornhaut des Hundes gilt, dass in der Regel der horizontale Radius größer als der vertikale ist, sodass ein kornealer Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) vorliegt und eine nicht punktgenaue, sondern etwas verzerrte Abbildung der Umwelt entsteht. Dieser Astigmatismus bewirkt selten eine Fehlsichtigkeit von mehr als einer Dioptrie und beeinflusst die Sehkraft daher kaum.
Die Linse des Hundes hat eine Brechkraft von 41,5 Dioptrien im Vergleich zur Linse des Menschen mit 19 Dioptrien und der Katze mit mehr als 50 Dioptrien. Die Fähigkeit zur Akkomodation (Scharfstellen) der Linse ist beim Hund mit nur 2-4 Dioptrien schlecht. Daraus ergibt sich, dass der Hund Objekte, die sich näher als 30 – 50 cm befinden, nicht scharf sehen kann. Die Linse der Katze kann 9 – 10 Dioptrien akkomodieren, die eines jungen Menschen bis zu 13 Dioptrien, was bedeutet, dass ein Objekt, welches nur 7 cm vom Auge entfernt ist, noch scharf gesehen werden kann. Im Lauf des Alterungsprozesses reduziert sich die Fähigkeit zur Akkomodation und erlischt möglicherweise. Parallel ins Auge einfallende Lichtstrahlen werden im normalsichtigen (emmetropen) Auge, bei dem alle die Lichtbrechung beeinflussenden Gegebenheiten normal ausgebildet sind, exakt auf die Netzhaut fokussiert. Entsteht das Bild vor der Netzhaut, spricht man von Myopie oder Kurzsichtigkeit. Bei der Hyperopie oder Weitsichtigkeit liegt der Fokus hinter der Netzhaut.

Bei Refraktionsmessungen bei Hund und Katze wurde mittels Strich-Skiaskopie (eine objektive Methode, die ohne Mithilfe des Patienten die Lichtbrechungs-Eigenschaften des Auges misst) ermittelt, dass jüngere Hunde und Katzen meist leicht weitsichtig sind. Mit zunehmendem Alter entsteht eine Kurzsichtigkeit, die aber meist eine Abweichung von +/- einer Dioptrie nicht übersteigt. Schäferhunde, Rottweiler und Zwergschnauzer sollen häufiger kurzsichtig sein als andere Hunderassen. Aufgrund der im Folgenden geschilderten prinzipiell schlechten Sehschärfe des Hundes und der Katze wirken sich diese minimalen Abweichungen von der Emmetropie doch stark verschlechternd auf die Sehleistung betroffener Tiere aus. Eine erbliche Komponente für Myopie ist nicht auszuschließen.

Hunde, die an grauem Star leiden, sind nach chirurgischer Entfernung der getrübten Linse jedoch ohne Implantation einer Kunstlinse mit ca. 14 Dioptrien weitsichtig. Das Einsetzen einer Kunstlinse mit 41,5 Dioptrien korrigiert diese Fehlsichtigkeit meist ausreichend. Etwa ein Viertel dieser operierten Hunde ist mit dieser Standardlinse unterkorrigiert und immer noch mit +5 bis +8 Dioptrien weitsichtig.

Nachfolgende Fotos simulieren eine Szene, beobachtet mit den Augen eines Hundes, vom gleichen Standort, jedoch mit unterschiedlicher Sehschärfe.

Eigenschaften der Netzhaut für die Sehschärfe:
Der Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut zeichnet sich bei Mensch, Hund und Katze durch einen höheren Gehalt an Photorezeptoren und Ganglienzellen aus. Beim Menschen beinhaltet dieser Bereich eine Fovea (s. weiter unten). Hunde und Katzen besitzen keine Fovea, dieser Bereich erhöhter Nervenzelldichte wird hier als Area centralis bezeichnet. Sie hat die Form eines horizontal verlaufenden Streifens (Visual Streak), der sich oberhalb der Sehnerven-Einmündung (Papille) befindet. Hier liegen wohl die wesentlichen Unterschiede in der Sehleistung zwischen Hund, Katze und Mensch begründet.

Die beiden vorkommenden Photorezeptoren Stäbchen und Zapfen sind sehr unterschiedlich in ihren Fähigkeiten. Stäbchen dienen in erster Linie der Rezeption von Licht bei dämmrigen Verhältnissen, Zapfen hingegen vermitteln das Farbensehen und die Sehschärfe bei hellem Licht.

Die Fovea des Menschen enthält nur Zapfen, der Visual Streak von Hund und Katze hauptsächlich Stäbchen. Die Zapfendichte in diesem Bereich liegt beim Menschen um ein Zehnfaches höher als bei Hund und Katze. Das Auflösungsvermögen der Netzhaut hängt jedoch nicht nur von der Zapfendichte im Bereich des schärfsten Sehens ab. Das Verhältnis von Photorezeptoren zu ableitenden Ganglienzellen ist ein weiterer wesentlicher Faktor. In der Fovea der Primaten befinden sich im Schnitt 0,3 Zapfen pro Ganglienzelle, im Visual Streak von Hund oder Katze 4 Zapfen pro Ganglienzelle. Die Gesamtzahl der Sehnervenfasern beträgt beim Menschen 1,3 Millionen, beim Hund nur 100.000.

Man kann davon ausgehen, dass diese Eigenschaften der Netzhaut der limitierende Faktor für die eher mangelnde Sehschärfe bei Hund und Katze sind und dass im Gehirn gelegene Sehbahnen und die Sehrinde keine wesentlichen weiteren Einschränkungen mehr bedingen.

Messung der Sehschärfe
Um einen anschaulichen Vergleich der Sehschärfe zwischen Hund, Katze und Mensch zu ermöglichen, sei kurz auf die Messung der Sehschärfe nach Snellen eingegangen. Sie wird beim Menschen durch das Erkennen von Buchstaben standardisierter Größe (sog. Snellen-Charts) durch eine Versuchsper-son ermittelt. Die Testperson löst Buchstaben bestimmter Größe aus einer Entfernung von 20 Fuß (6 Metern) auf, die ein Normalsichtiger ebenfalls aus dieser Entfernung erkennen kann. Dieser Wert 20/20 entspricht einer minimalen Winkel-auflösung von einer Bogenminute. Eine Snellen-Sehschärfe von 20/40 bedeutet, die Testperson erkennt die entsprechende Buchstabengröße aus 20 Fuß Entfernung, die ein Normalsichtiger bereits aus einer Entfernung von 40 Fuß erkennen würde. Die Snellen-Fraktion ergibt sich aus dem Quotienten der beiden Zahlen.

Mittels Verhaltensuntersuchungen, aber in erster Linie durch elektrophysiologische Untersuchungen der Netzhaut (Elektroretinogramm), wurde die Sehschärfe von Hund und Katze ermittelt. Anhand der Snellen-Skala ausgedrückt, ergeben sich für den Hund Werte von 20/50 bis 20/140, für die Katze Werte bis 20/200. In anderen Worten: Würden Hund oder Katze, aufgrund des schlechten Auflösungsvermögens ihrer Augen, Buchstaben auf der Snellen-Tafel, die ein normalsichtiger Mensch aus einer Entfernung von ca. 50 Metern erkennen könnte, erst aus einer Entfernung von 6 Metern erkennen.

Das scharfe Erkennen von Objektdetails ist für Hunde und Katzen für das Zurechtfinden in der ursprünglichen ökologischen Nische wohl eher zweitrangig im Vergleich zur sehr guten Anpassung an schlechte Lichtverhältnisse und Empfindlichkeit auf Bewegung im großen Gesichtsfeld.

6. Farbensehen
Das Erkennen von Farbtönen ist eine Fähigkeit der Zapfen der Netzhaut, die bei Hund und Katze nur in geringer Anzahl (weniger als 10% der Photorezeptoren) vorhanden sind. Hund und Katze besitzen 2 Arten von Zapfen mit unterschiedlicher Empfindlichkeit auf Lichtwellenlänge. Eine Zapfenart rezeptiert Licht mit einer Wellenlänge von 429 – 435 nm, ein Farbbereich, der dem Menschen violett und dem Hund vermutlich blau erscheint. Die zweite Rezeptorpopulation erkennt Wellenlängen von über 555 nm und wird als Farbe gelb wahrgenommen. Ein deutlicher Unterschied zum Menschen dürfte auch das fehlende Differenzieren zwischen Farben mit langen und mittleren Wellenlängen sein, die dem Menschen als gelb-grün, gelb, orange und rot erscheinen. Einem Blindenführhund ist es nicht möglich, nur anhand der Farben die Signale einer Verkehrsampel richtig zu interpretieren. Er zieht dazu vermutlich andere Parameter wie Position oder unterschiedliche Helligkeit der Signale heran. Hunde können dagegen unterschiedliche Grautöne wesentlich besser differenzieren als der Mensch.

Bei Hund und Katze spricht man von dichromatischem Sehen (mit 2 Arten von Zapfen) im Gegensatz zum trichromatischen Sehen (3 unterschiedliche Arten von Zapfen) des Menschen, bei dem alle Wellenlängen des sichtbaren Spektrums wahrgenommen werden.
Diese Einschränkungen im Farbensehen dürften in der Dämmerung, an die Hund und Katze bestens adaptiert sind, von geringer Bedeutung sein. Bei schlechten Beleuchtungsverhältnissen reicht die Lichtintensität nicht aus, um die Zapfen zu aktivieren. Daher ist eine Differenzierung von Grautönen hier wesentlich effektiver.

Zusammenfassung
Verglichen mit dem menschlichen Sehen ist das Sehvermögen des Hundes und der Katze in Bezug auf Tiefenschärfe, Farbensehen, Akkomodation und Sehschärfe deutlich reduziert. Qualitäten wie das Sehen bei schlechten Lichtverhältnissen, das Wahrnehmen von Bewegung, die Ausdehnung des Sehfeldes und das Differenzieren von Grautönen sind hingegen wesentlich besser ausgeprägt.

TV: Während der Mensch ab einer Folge von 50 Bildern pro Sekunde (= 50 Hz) dies bereits als kontinuierlichen Film wahrnimmt, benötigt ein Hund dafür mindestens 70-80 Bilder. D.h. bei einer Fernseh-Bildfolgefrequenz von 60 Hz dürfte der Hund nur eine rasche Folge von Einzelbildern sehen. Dass ihn auch diese beeindrucken können, wissen Hundehalter aus Erfahrung.


WUFF-INFORMATION


Das Sehvermögen des Hundes – Übersicht

Teil 1 in WUFF Sept. 2006
1. Sensibilität auf Licht
2. Empfindlichkeit für Bewegung
3. Perspektivisches Sehen
4. Das Gesichtsfeld und die räumliche Wahrnehmung

Teil 2 in WUFF Okt. 2006
5. Die Sehschärfe und das Auflösungsvermögen (Hornhaut, Augenlinse, Netzhaut)
6. Farbensehen
7. Zusammenfassung



WUFF STELLT VOR


Der Autor

Tierarzt Gerhard Fasching ist seit 1996 Mitglied des Arbeitskreises Veterinärophtalmologie (AKVO)

– Info: www.augentierarzt.at

1993 bis 2005 war Tierarzt Fasching in der Tierklinik Wels tätig, seit Jänner 2006 in eigener Ordination („Tierarztpraxis – Grünbachplatz") in Wels. Die veterinärmedizinischen Schwerpunkte sind Opthalmologie und Kardiologie.
In Bezug auf die Ophtalmologie werden u.a. folgende Methoden angeboten:

– ESVO Zucht-Untersuchung auf erbliche Augenerkrankungen
– Hornhautchirurgie
– Linsenchirurgie – Kunstlinsenimplantation
– ERG – Ultraschall am Auge
– Infos: Tierarzt Gerhard Fasching, „Tierarztpraxis – Grünbachplatz"
4600 Wels, Grünbachplatz 5
Tel.: 07242/35 16 26
www.tierarztpraxisgruenbachplatz.at
fasching@reicom.at


Das könnte Sie auch interessieren: