Hunde als Projektions­flächen von Menschen

Von Sibylle Kläusler

Sigmund Freud, der Begründer der­ Psycho­analyse, versteht unter Projektion
„das Verfolgen eigener Wünsche in Anderen“.  In ­unserem Leben haben wir unzählige ­„Andere“ und somit Projektionsflächen: unsere Partner, Kinder, Kollegen, Freunde, Bekannte, ja sogar unsere Chefs und – unsere Hunde. Wir haben alle irgendeine Vorstellung vom Leben mit ihnen.

Es ist eine bestimmte Vorstellung, die uns antreibt, einen bestimmten Hund ins Haus zu holen. Eine Familie entscheidet sich bspw. für einen Vierbeiner, weil sie ihren Kindern den respektvollen und verantwortungsvollen Umgang mit einem Tier vermitteln möchte. Ein Polizist sucht sich einen taffen Hund aus mit dem Wunsch, dass er ein möglichst zuverlässiger Arbeitskollege wird. Ein Sporthundeführer wünscht sich einen nervenstarken, triebigen Hund, mit dem er sportliche Erfolge erzielen kann. Und wer kennt nicht das Klischee vom Jugendlichen mit Kapuzen­jacke und dem großen, starken vierbeinigen Muskelprotz an der Leine. Oder die überaus gepflegte Dame mit dem Chihuahua auf dem Arm. Klischees haben schon was Wahres, sonst würden sie gar nicht in unseren Köpfen existieren.

Wenn Hunde Lücken füllen
In unserem eigenen Hund sehen wir etwas Bestimmtes, was uns Freude macht, berührt oder herausfordert. Wir wollen es sicher nicht immer wahr haben, aber der Hund füllt in unserem Leben oft eine bestimmte Lücke. Da gibt es die Menschen, die sich ohne Hund als halber Mensch fühlen, bei denen das Selbstbewusstsein in den Keller sackt, wenn sie ihren vier­beinigen Begleiter nicht bei sich haben. Nicht selten soll der Hund auch einen zweibeinigen Sozialpartner ersetzen. Dies ist bei Weitem nicht nur bei älteren Menschen der Fall.

Aber auch das herausfordernde Verhalten eines Hundes kann uns als Projektionsgrundlage dienen. Dann können wir nämlich unsere Fähigkeit, mit Schwierigkeiten und Heraus­forderungen umzugehen, unter Beweis stellen. Kein Mensch macht etwas ohne jeden Selbstzweck. Sogar Menschen, die in Tierheimen oder im Tierschutz arbeiten, machen dies nicht nur im Interesse des Tieres, sondern auch weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt, das Gefühl, gebraucht zu werden, nützlich zu sein und Gutes zu tun. Das ist überhaupt nicht verwerflich, im Gegenteil. Es ist nur wichtig, dass wir uns ab und zu dieser eigenen Bedürfnisse bewusst werden, die wir mit Hilfe des Hundes befriedigen.

Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität
Problematisch wird es dann, wenn wir aufgrund unserer eigenen Wünsche und Vorstellungen die Bedürfnisse des Hundes vergessen oder vernachlässigen. Wenn wir dermaßen in unseren Vorstellungen und Wünschen verhaftet sind, dass wir die Diskrepanz zwischen Realität und Wunschdenken nicht mehr wahrnehmen, dann kommt es früher oder später zu Konflikten, und meistens leidet der Hund und die Verbindung Mensch-Hund darunter. Der Mensch macht das meistens nicht bewusst, sondern er lebt ganz einfach in seiner eigenen Welt, hat einen Tunnel­blick. Hunde, die in die Rolle eines Ersatzes für den mensch­lichen Sozial­kontakt gedrängt werden, können diese Aufgabe meistens mehr schlecht als recht erfüllen. Es liegt schlichtweg nicht in der Hundenatur, dem Menschen einen Menschen zu ersetzen.

Spätestens dann, wenn sich der sanftmütige und kuschelige ­Vierbeiner plötzlich von seiner ­Raubtierseite zeigt, sollten die Alarmglocken ­läuten und zum Nach- und Umdenken ­anregen. „Zu Hause ist er aber ganz lieb, ruhig und unproblematisch.“ Das Hundeleben findet jedoch selten in einer geschützten Werkstatt, sondern ­draußen statt.

Wir haben manchmal Mühe, der ­Realität in die Augen zu schauen. Es gibt Hunde, die zeigen uns das Gegenteil von dem, was wir sehen möchten. Der Mensch versucht dann nicht ­selten, das Verhalten zu beschönigen, zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, damit alles wieder in sein Bild passt. Hunde haben eine andere Vorstellung der Welt und deren Ordnung. Die Werte jedes einzelnen Hunde­halters sind die Basis seiner Projek­tionen auf den Hund. Jemand, der mehrere Hunde hält, weil ihm das Rudel als solches sehr wichtig ist, kann unter Umständen Mühe haben, mit einem einzelnen Hund mal etwas alleine zu unternehmen. Obwohl das manchen Hunden sehr gut täte, entspricht es in diesem Beispiel nicht der Vorstellung des Menschen. Die vierbeinigen Artgenossen hätten wohl kaum Probleme damit.

Bei allen Alltagsaktivitäten mit unseren Vierbeinern spielt unsere Wertehaltung und somit unsere Vorstellung, wie der Hund zu sein oder sich zu verhalten hat, eine elementare Rolle. Legen wir großen Wert auf Regelmäßigkeit und halten wir präzise Fütterungszeiten ein, so können wir uns vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn ein Hund eine Mahlzeit ver­weigert und völlig desinteressiert den Futterort verlässt. Nicht ­selten sind Hundehalter ganz perplex, wenn zwei an sich freundliche Hunde einander beschnüffeln und wie aus dem Nichts eine Zankerei anfangen. Schon so manches menschliche Bild von Hunde­harmonie ist durch solche Ereignisse ziemlich ins Wanken geraten. Aufpassen muss man da, dass man nicht gleich den Teufel an die Wand malt und denkt, man habe jetzt einen verhaltensauffälligen Hund.

Stimmungsübertragungen
Sowohl die Menschen als auch die Hunde sind sozial strukturierte Lebewesen. Und zum Verhaltensrepertoire von Zwei- und Vierbeinern gehört Aggression auch dazu. Gerade in der aktuellen Zeit spielen die Begriffe „sozial“ und „verträglich“ eine elementare Rolle im Alltag eines Hunde­halters. Dabei besteht die Gefahr, dass der Mensch unbewusst einen hohen Druck auf sich und seinen Hund ausübt und selbst ganz normale Verhaltensweisen des Hundes unterdrückt.

Kennen Sie das? Ein Hund bellt einen anderen an oder äußert sich lautstark gegen Nachbarn oder sonst jemanden. Die offizielle Reaktion ist „Bello, sei jetzt still, ist ja schon gut.“ Die inoffizielle ist etwas anders … „Recht hast du, sag‘s ihm, ist eh ein unsympathischer Kerl.“ Auch wenn wir manche Dinge nur denken, die entsprechende Ausstrahlung auf den Hund ist trotzdem vorhanden. Es ist möglich, dass in gewissen Situationen der Hund als Überträger unserer eigenen Stimmungen agiert. Er ist dann quasi Sprachrohr unseres Unbewussten. Solche Stimmungsübertragungen haben einen manipulativen Charakter. Der Hund übernimmt in unserem Auftrag eine Aktion, muss dann aber doch unter Umständen mit einer Korrektur rechnen. Es ist nicht konsequent, dem Hund einerseits zu ­signalisieren, dass er mit dem Bellen aufhören soll, und ihn andererseits für sein Verhalten unbewusst zu bestätigen. Das kann beim Hund zu Spannungen und Un­sicherheiten führen. Wenn wir jemanden als unsympathisch empfinden, dann sollten wir versuchen, eine möglichst neutrale Position dieser Person gegenüber zu entwickeln. Dann geht es nicht nur uns besser, sondern wir müssen den Hund nicht als unseren emotionellen Blitzableiter benutzen.

Die gleiche Problematik besteht bei Begegnungen auf dem Spaziergang. Nicht selten projizieren und übertragen wir unsere Ängste und unseren Ärger über eine andere ­Person oder einen anderen Hund auf unseren eigenen Vierbeiner. Unser Körper widerspiegelt eins zu eins unsere Emotionen und Gedanken. Deshalb können wir unseren Körper wunderbar als Werkzeug einsetzen, um unsere Stimmung auch wieder zu ändern. Achten Sie auf die Art und Weise, wie Sie gehen, wie Sie atmen und auch auf Ihre Muskelspannung. Unser Körper ist das Sprachrohr ­unserer Seele und kommuniziert ­ständig mit unserem Hund.

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