Tel Aviv, eine quirlige Großstadt mit fast einer halben Million Einwohnern auf engstem Raum, scheint eigentlich nicht der geeignete Platz für Hunde zu sein. Wolkenkratzer, verkehrsreiche Straßen, lautes, pulsierendes Leben rund um die Uhr, keine Waldgebiete, kein freies Feld. Und doch überrascht genau das: Im ganzen Stadtbild Hunde aller Rassen und Mischungen, aller Farben und Größen, mit ihren Menschen entspannt unterwegs bei Tag und Nacht.
In Tel Aviv leben ca. 30.000 Hunde, wofür die Stadt 80, ja, Sie lesen richtig, 80 Hundeauslaufareale zur Verfügung stellt. Sicherlich ist man in dieser Stadt extrem tierfreundlich, auch besonders tierschutzbewusst, was sich unter anderem in einem ungewöhnlich hohen Prozentsatz an Vegetariern und Veganern in der Bevölkerung ablesen lässt. Doch reicht dies als Erklärung für diese außergewöhnliche Hunde-Dichte kaum aus.
Ehrliche, unvoreingenommene Nähe
Es ist eine Stadt, in der die Bevölkerung überdurchschnittlich jung und von vielen Singles geprägt ist. Ebenso wie das Rudeltier Hund ist auch der Mensch ein soziales Wesen, braucht Nähe und ein Miteinander. Dies umso mehr, wenn er oft Stress ausgesetzt ist. Jeder Hundehalter kann das Ergebnis vieler Studien bestätigen, wonach uns Hunde guttun. Das Zusammenleben mit ihnen kann nachweislich sogar unsere Gesundheit positiv beeinflussen. Hunde sind nicht arglistig, wissen nichts von Täuschung oder intrigantem Verhalten. Sie kommen freundlich auf uns zu, halten uns die Treue und berühren unser Innerstes. Vielleicht liegt darin der Grund, dass sie mit ihrer bedingungslosen Zuneigung und Unverfälschtheit in dieser politisch unsicheren Stadt offensichtlich eine ganz besondere Rolle spielen. Etwaige Gefahr geht von Menschen aus, nicht von Tieren.
Kein Raum für Nichtigkeiten
Im deutschsprachigen Raum belasten uns kaum noch wirklich existenzielle Probleme, was uns leider nicht davon abhält, uns schnell zu beklagen. Wie heißt es oft treffend: Wir jammern auf höchstem Niveau. Man wählt den Rechtsweg, weil der Hahn in der Nachbarschaft tatsächlich morgens kräht. Mit Unterschriftensammlungen gehen Bürger auch mal gegen den Bau eines Kindergartens oder Pflegeheimes vor. Wir können uns den Luxus erlauben, uns mit Spitzfindigkeiten aufzuhalten und bestehen nachdrücklich auf unseren Rechten, seien sie noch so unbedeutend. Wessen Leben jedoch tagtäglich einer latenten Bedrohung ausgesetzt ist, scheint sich nicht über Unwichtiges aufregen zu wollen und hat gelernt, echte Gefahr von unechter zu unterscheiden.
Alltag in einer Großstadt
So scheint man Hunde (übrigens auch Katzen) in dieser Metropole überall als Mitgeschöpfe anzunehmen. Sie begleiten ihre Besitzer beim Sport am Strand, beim Bummeln in den belebten Straßen und zu jeglichen Treffen in Cafés und Restaurants. In Ermangelung von Wald und Flur unterwegs in Gassen, auf Boulevards und Promenaden haben sich die Hundebesitzer daran gewöhnt, jederzeit eine meist an der Leine festgeknotete Tüte mitzuführen, um die Hinterlassenschaften ihrer Lieblinge ordnungsgemäß zu entsorgen. Dies wird auch bis auf ausgesprochen wenige Ausnahmen vorbildlich praktiziert. Anders würde diese auffällige Konzentration an Vierbeinern wohl kaum gesellschaftlich derart akzeptiert.
Laisser-faire
Niemand stört sich am Hund, der vom Nachbartisch herüberkommt. Ohne die Unterhaltung zu unterbrechen, wird er so ganz nebenbei gestreichelt und trollt sich dann wieder. Niemand regt sich auf, weil der fremde Vierbeiner das eigene Bein streift oder mit seiner Nase am Kleinkind schnüffelt. Hunde gehören zum Alltag und werden in den unzähligen Hundeparks der Stadt mehrfach täglich zu ihren Artgenossen gebracht. Dort wird getobt und auch mal gedöst, während die Besitzer wohlwollend zusehen, Zeitung lesen oder an ihren Laptops arbeiten. Löst sich ein Hund, wird alles sofort entsorgt. Von Zeit zu Zeit steht ein Mensch auf und drückt auf den Hahn eines Wasserspenders, der den Hunden in jedem Park zur Erfrischung zur Verfügung steht. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit, jeden hinzutretenden Hund gleich mitzuversorgen.
Entspannung pur
Nicht zu übersehen ist, dass der ausgeglichene Umgang der Menschen mit den Tieren entspannte Vierbeiner schafft, die sich in dieser lockeren Atmosphäre unverkrampft entfalten können und die Unbeschwertheit widerspiegeln.
Grundlegendes übernehmen
Auch wenn uns Hundehalter dieser Blick in Nachbars Garten vielleicht neidisch werden lässt: Diese ungezwungene Stimmung lässt sich nicht einfach in unser Umfeld übertragen. Die Toleranz sowohl zwischen Nichthundebesitzern und Hundehaltern, als auch untereinander, ist bei uns kaum vorstellbar, entspricht vielleicht auch nicht unserer Mentalität. Wir regeln gerne alles bis ins Detail. Hunde werden bei uns nur noch akzeptiert, wenn sie sich wohlerzogen einfügen und ihre Halter gelernt haben, ihren Vierbeiner unauffällig bei sich zu behalten. Das mag man beklagen, ist aber eine Tatsache, der wir Rechnung tragen müssen.
Gesetzestreue
In Mitteleuropa wird schon seit Jahren gegen Hunde und ihre Halter mobil gemacht. Auch wenn sich bei nicht wenigen der tragischen Vorfälle mit Hunden in der Vergangenheit herausstellte, dass es bereits von Amts wegen Auflagen gegen die auffällig gewordenen Halter gegeben hatte, es aber versäumt worden war, deren ordnungsgemäße Umsetzung zu kontrollieren, nutzte mancher Politiker den populistischen Ruf in der Bevölkerung nach gesetzlichen Verschärfungen, um sich mit erweiterten Gefahrenverordnungen zu profilieren. Dass dies einer Art Sippenhaft aller Hunde und deren Halter gleichkam, kümmerte wenig, denn Hundehalter sind sich viel zu uneinig, als dass man mit ihnen als starke Kraft bei Wahlen rechnen müsste. Vom Hundehalter wird bei uns erwartet, dass er seinen Hund jederzeit kontrollieren kann und dafür Sorge trägt, dass andere Menschen von ihrem Vierbeiner unbehelligt bleiben. Ansonsten hat jeder von uns mit Repressalien zu rechnen.
Mangel an Toleranz
Wo Fußgänger gegen Radfahrer, Mountainbiker gegen Nordic Walker oder Waldspaziergänger gegen Reiter vorgehen, kann man auch für Hunde nicht mit Toleranz rechnen. Wer überall auf seine eigenen Rechte pocht, muss sie auch anderen zugestehen. Träumen wir nicht von einem Schlaraffenland für Hunde. Das wäre unrealistisch. Zu viele Menschen haben inzwischen durch das wiederholte Thematisieren statistischer Einzelfälle tatsächlich Angst vor Hunden. Angst, die wir ernst nehmen müssen, sei sie objektiv begründet oder nicht. So bleibt uns nur, die Erziehung unserer tierischen Gefährten auf eine belastbare Basis zu stellen, um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden.
Abgeschaut
Doch können wir durchaus von den Erfahrungen der »hundefreundlichsten Stadt der Welt«, wie Tel Aviv genannt wird, lernen und einen bestimmten Aspekt auf unsere Einstellung und unser Verhalten übertragen. Wir sollten uns bewusst machen, wie ausgesprochen positiv sich Gelassenheit auswirkt. Dabei geht es nicht um blauäugiges Ausblenden von Konfliktpotenzial, sondern darum, den Hund unaufgeregt durchs Leben zu leiten und zu begleiten. Damit erhalten wir wesentlich unkompliziertere Vierbeiner, deren Leben und damit auch unser eigenes definitiv von weniger Stress geprägt ist. Der entspannte Mensch verkörpert für den Hund den souveränen Rudelführer, der alles Wichtige regelt und ihm den Rücken freihält. Letztendlich geht es dabei Beiden besser, dem Menschen wie seinem Hund.
Grund zu Gelassenheit
Doch nicht jeder von uns ist der coole Typ. Gerade weil unsere Hunde im Fokus stehen, ist uns nur allzu bewusst, dass es keine Zwischenfälle geben darf. Das trägt nicht gerade zur Entspannung bei. Zum souveränen Hundeführer wird man durch Kompetenz. Wer mit seinem Hund fleißig alle erdenklichen Alltagssituationen trainiert, verschafft nicht nur seinem Vierbeiner Routine, sondern erweitert auch stetig die eigenen Fähigkeiten. Neben der hierdurch erworbenen Alltagstauglichkeit können Freizeitaktivitäten, die gezielt auf Teamwork setzen, das Miteinander von Mensch und Hund zusätzlich intensivieren. So zusammengeschweißt haben Sie, wo immer Sie mit Ihrem Hund unterwegs sind, allen Grund entspannt zu bleiben.
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