Egal, ob Jagen oder Hinterherjagen, bei beidem entzieht der Hund sich dem Einwirkungsbereich seines Menschen. Das kann man ändern. Anton Fichtlmeier gibt Hilfestellung.
Zuerst muss man sich die Frage stellen, ob der Hund tatsächlich jagt, es sich also um einen echten Jäger handelt, oder ob er nur irgendetwas hinterherjagt und/oder etwas verjagt, also ob der Hund, ganz einfach gesagt, nur diversen Bewegungsreizen erliegt.
Jagen oder Hinterherjagen –das ist die Frage
Echtes Jagdverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass der Hund tatsächlich dem Wild und dessen Spuren mit der Motivation folgt, dieses zu packen und es dann nach Möglichkeit zu töten. Ob einem Hund, egal welcher Rasse er angehört, diese Motivation innewohnt, kann erst dann mit Sicherheit gesagt werden, wenn er nachweislich Jagderfolg hatte. Ist das der Fall, bleibt dem Hundebesitzer oft nichts anderes übrig, als zukünftig diesen »echten Jäger« konsequent in Gebieten an der Leine zu lassen, wo die Gefahr besteht, dass er an Wild und dessen Spuren kommen könnte.
Das Verjagen oder Vertreiben von Personen, Joggern, Radfahrern, Katzen etc. und das Hinterherjagen sich bewegender Objekte wie Bälle, Stöckchen, Autos etc. wird durch deren Bewegung ausgelöst und verschafft Hunden mit jeder Wiederholung einen sich kontinuierlich steigernden Lustgewinn. Den Hinterherjäger und »Verjager« kann man im Gegensatz zum »echten Jäger« relativ schnell und einfach unter Kontrolle bringen und auf Alternativverhalten umlenken. Unabhängig davon, ob es sich beim einzelnen Hund wirklich um echtes Jagdverhalten oder »nur« um das Hinterherjagen, ausgelöst durch einen Bewegungsreiz, handelt, haben all diese Verhaltensmuster eines gemeinsam: Der Hund entzieht sich schlichtweg dem Einwirkungsbereich seines Menschen. Dieser verliert die Kontrolle über seinen Hund.
Kontrolle durch Führungsanspruch
Hundeführung bedarf der Intention des Hundehalters seinen Hund so zu führen, dass dieser andere nicht belästigt, ängstigt oder diese und sich gar gefährdet. Wer einen Hund hält, hat explizit die gesetzliche Verpflichtung entsprechend kontrollierend auf ihn einzuwirken.
Von einem jagdlich geführten Hund erwartet der Jäger, dass dieser einerseits hochmotiviert und dabei auch allein auf sich gestellt am Wild arbeitet und andererseits bei normalen Spaziergängen durch Wald und Flur akzeptiert, dass jetzt nicht gejagt, sondern an der Seite des Hundeführers geblieben wird. Das ist nicht leicht, aber es ist machbar, wie man an vielen jagdlich geführten Hunden sieht.
Wie viel einfacher sollte es also sein, einen Familienhund so zu führen, dass dieser sich dem Halter nicht entziehen kann. Muss doch dieser Hund nicht unterscheiden, wann Jagd angesagt ist und wann Privatspaziergänge durch die Landschaft stattfinden. Umso erstaunlicher ist es, dass sich viele Hundehalter so schwer tun, ihren Familienhund entsprechend zu kontrollieren. Doch Kontrolle über den Hund ist meiner Meinung nach für jedermann machbar. Dazu müssen nur Erziehungs- und Führungsmodelle bezüglich der dem Hund zugestandenen Freiräume entsprechend modifiziert werden.
Ein neues Denkmodell
Um nachhaltig eine Veränderung herbeizuführen müssen Sie zuerst einmal einen Führungsanspruch stellen, der sich eines klaren Regelwerks bedient und darüber hinaus den Willen haben, das dazu nötige Durchhaltevermögen aufzubringen. Dieses Regelwerk baut auf Signalübereinkünfte, Hausstandregeln und Freiraumbeschränkung des Hundes auf. Wie diese Freiraumbeschränkung in der Praxis aussehen sollte, damit sich entsprechender Erfolg einstellt, habe ich in meinem Konzept der fünf Freiraumzonen (FRZ) zusammengefasst. Es handelt sich hierbei um ein Denkmodell, innerhalb dessen man dem Hund umso mehr Freiraum zugestehen kann, je besser er sich an Gesten und Aktionsmustern seines Menschen orientiert und je freiwilliger er das tut. Ihr Hund bekommt also ab sofort nur noch denjenigen Freiraum zur Verfügung gestellt, in dem er jederzeit zu Ihnen verlässlich Kontakt aufnimmt und solange mit Ihnen in Kontakt bleibt, bis Sie das Kontakthalten wieder als beendet erklären.
• FRZ 1 dient der Kontaktaufnahme und dem Kontakthalten des Hundes im unmittelbaren Nahbereich und bewirkt »Leine als Nebensache«. Das heißt, der Hund lernt sich an Ihren Gesten zu orientieren und geht damit an lockerer Leine.
• Innerhalb der FRZ 2 werden dem Hund neben Spiel und Spaß Aktionen angeboten, die seiner Impulskontrolle dienen, sowie ein Hörzeichen für den Verhaltensabbruch konditioniert.
• FRZ 3 bedarf anfangs der Umzäunung oder des Einsatzes einer Sicherheitsleine. Sie dient dazu, dass der Hund sich lösen kann, nur am Wegrand und nicht in den Büschen schnuppern und im Sichtbereich freilaufend mit anderen Hunden toben kann, dabei jedoch jederzeit abrufbar ist.
• In der FRZ 4 erledigt der Hund auf sich gestellt Aufgaben in größerer Entfernung, auch außer Sicht.
• In der FRZ 5 ist die Kontrolle über den Hund nicht mehr gegeben oder lässt sich nicht sicherstellen. Das muss konsequent durch Reglementierung verhindert werden.
Meine Erfahrung zeigt, dass Hundehalter, die das Konzept der FRZ konsequent leben, einen schnellen und sehr nachhaltigen Erfolg haben. Insbesondere dann, wenn sich hier zusätzlich eine beim Hund durch unterschiedlichste Aufgabenstellungen bewirkte Impulskontrolle eingestellt hat und er sich über ein Abbruchsignal stoppen lässt.
Impulskontrolle heißt sich für das eine und dabei gegen das andere zu entscheiden.
Es kann losgehen
Versuchen Sie sich Stück für Stück von Freiraumzone zu Freiraumzone durchzuarbeiten und bewegen Sie sich einmal probehalber für drei Wochen ausschließlich in den ersten 3 FRZ und vermeiden Sie dabei konsequent die FRZ 5! Denn jede notwendig werdende Maßregelung des Hundes, die sich durch sein Ausbrechen in die FRZ 5 ergibt, stellt einen großen Rückschritt dar, da bereits getroffene Übereinkünfte und die zur Anwendung kommenden Signale in Frage gestellt werden und ihre Gültigkeit verlieren. Es gilt also Haltungsbedingungen sowie den positiven emotionalen Bereich zu optimieren und entsprechenden Führungsanspruch konsequent einzufordern.
Tagebuch erstellen
Führen Sie ein Tagebuch, anhand dessen Sie sich jeden Tag noch einmal reflektieren und die einzelnen sich mit dem Hund ergebenden Situationen einer entsprechenden FRZ zuordnen. Sozusagen eine Transaktionsanalyse zwischen Hund und Mensch. Auf diese Weise lassen sich Problempunkte erkennen, an denen gearbeitet werden muss.
WICHTIG: Funktioniert etwas bereits ohne Ablenkungsreize in FRZ 1 nicht, wird es auch nicht funktionieren, wenn Wild, Radfahrer, Jogger oder Artgenossen in Anblick kommen.
Bewegungsreize mit Tabu belegen
Um einen Hund davon abzuhalten, gedankenlos jeden sich bietenden Bewegungsreiz anzunehmen, genügen zwei Hörzeichen.
Zum einen ein ermahnendes »Nein!«, das für ihn bedeuten soll: »Lass das! Mach es nicht!« und ein einen Verhaltensabbruch bewirkendes »Stopp!« oder scharf gesprochenes »Aus!«, was heißt: »Stell sofort dein Verhalten ein, sonst kracht es!« Um dem Hund diese beiden Hörzeichen zu vermitteln, eignen sich Dummys, die man wirft, sehr gut.
Die Herangehensweise könnte wie folgt aussehen: Zu Beginn wird der Hund ins Sitz gebracht, dann hebt eine Hand leicht drohend die Leine, während mit der anderen Hand das Dummy geworfen wird. Zeitgleich sagt man ermahnend »Nein!« Sollte der Hund dieses ermahnende »Nein!« ignorieren, wirft man sofort mit einem explosionsartig artikulierten »Aus!« die Leine hinter ihm her, geht zugleich in die Hocke, um damit als Alternativverhalten sein Herankommen zu bewirken, was belohnt wird. Für diese Vorgehensweise ist es wichtig, dass der Hund das In-die-Hocke-Gehen reflexmäßig beantwortet.
Klappt das, wird in Folge während des Spaziergangs unvorhersehbar für den Hund immer wieder mal ein Stöckchen oder provozierend ein Ball geworfen und dabei ein ermahnendes »Nein!« ausgesprochen. Sollte der Hund hier los laufen und auf das »Nein!« nicht reagieren, muss sofort das einstudierte Hörzeichen für den Verhaltensabbruch folgen und mit der nötigen Intention auf ihn eingewirkt werden. Nach und nach werden nun alle Bewegungsreize, an denen der Hund sein Interesse bekundet, mit einem »Nein!« belegt und ihm als positive Alternative eine Blickkontaktübung, eine Hocke mit Handfütterung, oder ein freudiges Umhertoben angeboten.
Dadurch, dass man nach der Einwirkung sofort in den positiven Modus geht, (z.B. in der Hocke mit dem Hund entweder schmust oder ihm Futter gibt oder mit ihm freudig umherhüpft), werden mit der Zeit die Ablenkungsreize zum Auslöser dafür, dass der Hund erwartungsvoll Kontakt zu seinem Menschen aufnimmt und sich somit eine Reglementierung erübrigt.
Spuren mit Tabu belegen
Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, wenn der Hund akzeptiert, sich nur Spuren zuzuwenden, die ihm sein Mensch anbietet. Dazu wird ihm zunächst nähergebracht, nur Gegenstände oder Dummys als interessant und lohnenswert anzusehen, an denen Geruchsspuren seines Menschen anhaften und von fremden unerwünschten Gegenständen zu lassen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie keine Geruchspuren des Hundebesitzers an sich tragen. Auch hier nutzen wir wieder Dummys, um dem Hund die Bedeutung von »Nein!« näherzubringen. Im Laufe der Zeit lässt sich der Hund immer besser über »Nein« davon abhalten, sich fremden und damit unerwünschten Spuren zuzuwenden. Dazu gehen Sie wie folgt vor: Bitten Sie andere Hundebesitzer einige Gegenstände oder Dummys ihrer Hunde in einem Kreis abzulegen. Dazwischen positionieren Sie zum Beispiel Ihre Schuhe, Handschuhe o.ä. und/oder Dummys Ihres Hundes. Nun lässt man jeden der daran beteiligten Hunde nacheinander einen Gegenstand aus dem Kreis holen. Dieser wird sogleich wieder in den Kreis zu den anderen Gegenständen zurückgelegt.
Nimmt ein Hund einen falschen Gegenstand auf, wird das mit »Nein« belegt, oder dem Hund notfalls der Gegenstand einfach aus dem Fang genommen und seinem eigentlichen Besitzer übergeben. Und das so, dass der Hund es wahrnehmen kann. Dann wird der Hund mit einer freundlichen Geste zu einem seiner Gegenstände geleitet, zum Aufnehmen motiviert und freudig der Tausch mit einem Leckerchen dafür angeboten.
Zwei Arten der Impulskontrolle (Selbstzügelung)
Es gibt primär zwei Faktoren, warum ein Hund einem Impuls nicht nachgibt (sogenannte Impulskontrolle).
• 1. Weil er sich selbst zügelt, um eine Reglementierung durch den Menschen zu vermeiden. Richtig angewendet funktioniert diese Impulskontrolle innerhalb von zwei bis drei Wiederholungen. Der Hund macht zunächst die Erfahrung, dass er aufgrund eines bestimmten Verhaltens reglementiert wird. Zeigt der Hund dann ein zweites Mal dieses Verhalten und es wird wieder entsprechend reglementiert, wird er spätestens beim dritten Mal sagen: »Ich lass das lieber«.
• 2. Die zweite Form der Impulskontrolle (Selbstzügelung ohne Reglementierung durch den Menschen) dauert etwas länger, da es sich schwieriger gestaltet, gemeinsame Aktionen für den Hund so spannend und lohnenswert zu gestalten, dass sich dieser freiwillig zügelt und dadurch einem Impuls nicht nachgibt. Stattdessen bleibt er an der Seite seines Menschen oder konzentriert sich ausschließlich auf die vom Halter als Alternative angebotene Aufgabe.
Hunde als Ablenkungsreize ausklammern
Dieses Beispiel aus der Praxis soll die zwei Arten der Impulskontrolle verdeutlichen.
Die beiden Hunde wurden ins Bleib beordert. Hier findet eine Selbstzügelung der Hunde über die Bleib-Symbolik statt, um eine Reglementierung zu vermeiden. Die Bleib-Symbolik ergibt sich aus der am Hund angeklinkten Leine und einem Gegenstand, der den grünen Bereich definiert und anmahnt, nicht in den verbotenen roten Bereich zu wechseln. Da die Halterin hier direkt daneben steht, hemmt das die Hunde zusätzlich, sich der Hündin rechts zu nähern.
Rechts: Die Hündin soll sich auf ihre Aufgabe – die Personenspur zu verfolgen – konzentrieren und die Hunde links ignorieren. Eine Selbstzügelung wird durch Reizermüdung bewirkt. Die Hündin lässt sich kurz durch die »geparkten« Hunde ablenken. Der Hundeführer beschränkt dabei in »passiver« Weise die Länge der Leine und wartet so lange ruhig und geduldig, bis sich die Hündin von selbst wieder der Spur zuwendet.
Es geht dabei grundsätzlich darum, den Hund indirekt über die geschickte Handhabung der Leine nur so zu beeinflussen, dass sich bei ihm Reizermüdung einstellt und er selbst die gewünschte Entscheidung trifft und auf die Spur zurückkehrt. So stellt sich im Laufe der Zeit beim Hund die sogenannte Spur-Reinheit (Hund klammert fremde Spuren aus) ein.
Wildteile als Ablenkungsreize ausklammern
Einhergehend mit der sich einstellenden Spur-Reinheit erhöht sich auch die Impulskontrolle des Hundes, sodass jetzt künstlich erstellte Ablenkungsreize durch Wildteile hinzukommen können.
Dazu geht man wie folgt vor: Man bietet dem Hund links und rechts vom Trail Ablenkungsreize über Wildteile an. Auch hier wird er anfangs noch über entsprechendes Leinenhandling daran gehindert, unmittelbar an die Wildteile zu gelangen. Nach und nach lässt man immer wieder, wenn er aus der Spur heraus Richtung Wildteile gehen will, ein ermahnendes »Nein« hören, wobei sich zeitgleich die Fährtenleine spannt und man wieder wartet, bis der Hund das Interesse am Wildteil verliert und sich Richtung Fährte orientiert. Exakt in diesem Moment ertönt ein freundlich motivierendes »Ja« und man setzt die Fährtenarbeit fort.
Funktioniert das gut, kann man das Ganze in Gebiete verlegen, wo tatsächlich natürliche Wildspuren sind und Wildaufkommen ist. Dort stellt man dem Hund diverse Aufgaben, wie zum Beispiel das Suchen von Dummyschleppen oder Personenspuren, wobei er immer die Wildspuren ausklammern soll. Hier hat es sich als vorteilhaft erwiesen, dass sich mehrmals ein kleines Suchobjekt auf der Fährte befindet, für dessen Anzeigen man den Hund belohnen kann. Der Hund verknüpft, dass immer, wenn es nach Wild riecht, sich parallel dazu Suchobjekte finden lassen, die große Freude beim Hundeführer auslösen.
Genauere Erläuterungen und Anleitungen finden Sie in meinen Büchern »Der Hund an der Leine« und »Suchen und Apportieren«.
DVDs und Bücher aus dem Hause Fichtlmeier
DVDs
• Der Weg des Vertrauens
• Der Hund an der Leine
• Der brauchbare Jagdhund im Feld und am Wasser
Bücher + E-Books (Kosmos Verlag)
• Grunderziehung für Welpen
• Der Hund an der Leine
• Suchen und Apportieren
• Die Prägung des Jagdhundwelpen
• Die Ausbildung des Jagdhundes
• Weimaraner
Pdf zu diesem Artikel: jagdverhalten_fichtlmeier