Hier schreibt der Meier! Über Freiheit und Regeln in der Hundeausbildung

Von Sophie Strodtbeck

Hallo zusammen! Ich wundere mich sehr, mit welcher Vehemenz, Pauschalität und leider oft auch Unsachlichkeit die Diskussion über die Erziehung und Ausbildung meiner Artgenossen geführt wird. Hier nun mein Beitrag zur WUFF-Diskussion.

Jeder Hund ist schließlich anders, wie will man da pauschal über „die richtige Methode" ­sprechen?! Da ist zum Beispiel mein Kumpel Piccolo, der Canis etepetetus. Ein kleines Hundchen mit einem unglaublichen will-to-please und einem zarten Seelchen, der schon bei einem etwas lauteren Wort am liebsten die Köfferchen packen und abwandern würde („zu viel Stress, ich kann so nicht arbeiten!"), und der dafür lebt, es Frauchen und am liebsten der ganzen Welt recht zu machen.

Auf der anderen Seite meine Wenigkeit, ein prächtiger 3-jähriger Beaglerüde (entschuldigen Sie bitte mein Eigenlob, aber man muss die Dinge schließlich beim Namen nennen), der mit allen vier Pfoten fest im Leben steht und genau weiß, was er will. Dazu muss man wissen, dass meinesgleichen seit Jahrhunderten drauf selektiert wurde, eine gewisse Beharrlichkeit an den Tag zu legen und extrem eigenständig zu sein. Man stelle sich mal vor, wir Meutehunde würden auf der Schleppjagd nach fünf Minuten sagen: „Keinen Bock mehr, ich gehe nach Hause", oder „Herrchen, wo ist die Fährte? Ist das auch die richtige?". Also sind wir per se schon mal Hunde mit eigenem Kopf und einer unglaublichen Ausdauer. Auch eine gewisse Härte war bei uns schon immer Zuchtziel, denn eine Meute aus Piccolos, die bei zwei Brennnesseln oder fünf Dornen am Wegesrand sagen, „da kann ich nicht vorbei laufen, das könnte gefährlich sein und weh tun", wäre auf der Jagd sicherlich kein Gewinn – außer für die Hasen.

Bei mir persönlich kommt noch erschwerend und strafmildernd hinzu, dass ich bei meinem jetzigen ­Frauchen im Alter von einem halben Jahr gelandet bin, nachdem ich bereits fünf Besitzer verschlissen hatte. Bis dahin hatte ich ein absolut regel- und grenzenloses Leben geführt, und die einzige Konsequenz, die ich zu tragen hatte war, dass ich jeweils abgegeben wurde, wenn ich es gar zu bunt trieb. Das störte mich allerdings auch nicht weiter, ein bisschen Abwechslung schadet ja nicht.

Dass also zwei so unterschiedliche Charaktere wie das Pickelchen und ich auch in der Erziehung anders behandelt werden müssen, sollte eigentlich klar sein, oder?

Erziehung vs. Ausbildung

Damit wären wir gleich beim nächsten Punkt: Erziehung vs. Ausbildung. Das muss erst einmal definiert werden. Ich versuche es mal:
Erziehung bezeichnet eine Interaktion, bei der der Erziehende versucht, bei dem zu Erziehenden ein von ihm oder der Gesellschaft erwünschtes Verhalten bzw. eine erwünschte Einstellung zu erzeugen, zu bestärken und zu bewahren. Ein Beispiel hierzu wäre die „Familienhundeerziehung".

Ausbildung hingegen ist die Vermittlung von Kenntnissen und Fertig­keiten, die auf einen bestimmten Lerninhalt vorbereiten. Ein Beispiel für eine Ausbildung ist die Rettungshundeausbildung oder auch die Ausbildung zur Begleithundeprüfung. Die habe ich übrigens mit Bravour ­bestanden, ist ja auf einem Hunde­platz keine große Schwierigkeit. Und das sogar zu meinen schlimmsten Zeiten, als Frauchen ansonsten ordentlich mit mir zu kämpfen hatte und am Verzweifeln war. Darum sagt Frauchen auch immer, dass Ausbildung (überflüssiger) Schnickschnack sei. Einen Hund ausbilden sollte jeder können, der ein bisschen Ahnung von Hunden hat.

Der Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung ist oft sehr schön bei diversen Hundesport-geführten (oft Hüte-)Hunden zu sehen, die zwar auf dem Platz Höchstleistungen in ­Obedience, Agility und Co. erbringen, aber im Alltag eine reine Katastrophe sind. Um einen Hund zu erziehen und alltagstauglich zu machen, um eine Basis zu schaffen, braucht es ein bisschen mehr. Alles, was mit Ausbildung zu tun hat, wird hier im Hause rein positiv bestärkt. Motivation ist wichtig und es soll allen Beteiligten Spaß machen. Und wenn Hund und/oder Frauchen keinen Spaß haben, dann lässt man es halt sein – es gibt ja schließlich genug anderes, was man tun kann, um Hund seinen Anlagen gemäß zu fordern und auszulasten.

Freiheit im Alltag durch Grenzen

Anders der Alltag: hier gibt es kein „wenn Hund jagen geht, mache ich eben was anderes" und auch kein „Hund belästigt Passanten, was soll’s". Das sind Dinge, die im Alltag funktionieren müssen. Und genau hier bedeuten Regeln und Grenzen – beides Begriffe, die von manchen Vertretern der „sanften Hundeer­ziehung" bereits mit viel Skepsis beäugt werden – Freiheit. Und um diese Freiheit zu erreichen, bedarf es zum einen einer guten Basis, einer von Vertrauen geprägten Mensch-Hund-Beziehung, und zum anderen auch klarer Regeln und gegebenenfalls eben auch mal eines sog. Abbruchsignals. Abbruchsignal – welch böses Wort … ­Wieder ein Begriff, der manchmal dazu führt, dass man in die „Brutalo-Ecke" gestellt wird.

Ich hätte mit meiner Vorgeschichte vermutlich nur noch wenige Chancen gehabt, wenn sich nicht Günes, der Canis autisticus, vehement in meine Erziehung eingemischt hätte. Der alten Dame sind grenzenlose und aufgedrehte Jungspunde wie ich nämlich ein Graus – glaubt Ihr, sie hat mit mir diskutiert, mich angegähnt, mein Verhalten ignoriert oder mir Alternativen antrainiert? Nein! Sie war kompromisslos und konsequent, sie hat mit deutlichen Abbrüchen gearbeitet und mir ganz klar meine Grenzen aufgezeigt. Und dafür ist ihr mein Frauchen, die alte Verräterin, bis heute sehr dankbar! Die von Günes eingesetzten „Zwangsmethoden" bestanden aus massiver Bewegungseinschränkung (stundenlang musste ich im Eck stehen, ich armer Kerl!), aus Rempeleien und auch aus Schnappereien. Weil ich es als Beagle trotzdem immer wieder wissen wollte und sicherheitshalber noch immer noch mal nachfragte, waren die ersten Wochen für den Rest unserer Familie recht anstrengend und nervenaufreibend – aber es hat funktioniert und heute sind die alte Dame und ich beste Freunde, und ich darf sogar mit ihr kuscheln, weil sie weiß, dass „der Blick" inzwischen ausreicht, damit ich Leine ziehe.

Auch hier bedeuten also klare Grenzen und Regeln Freiheit und Harmonie. Und um diese Regeln durchzusetzen bedarf es manchmal und bei manchen Hunden eben auch deutlicher Abbruchsignale. Und was soll ich sagen: Auch Frauchen hat es kapiert und sich einiges abgeschaut. Auch sie ist körpersprachlich sehr deutlich, grenzt mich manchmal ein und rempelt mich gegebenenfalls auch mal an oder rennt mich über den Haufen (was sie z.B. mit Piccolo nie machen ­würde). Und trotzdem (oder deswegen?) habe ich ein enormes Vertrauensverhältnis zu ihr. Ich weiß, dass sie sich für meine Belange einsetzt und mich nicht im Regen stehen lässt. Ich weiß, dass sie sich um die Gefahrenabwehr kümmert, und dass sie deswegen auch das Recht hat, mir das Selbige zu unter­sagen – zur Not auch mit klaren Abbrüchen. Die sind aber inzwischen gar nicht mehr nötig, weil ich weiß, dass ich sie nur anschauen muss, damit sie mir hilft.

Neulich zum Beispiel, als dieser notgeile französische Bully immer wieder versucht hat, bei mir aufzureiten. Der Bully bekam erst mal einen Schwall Wasser ins Gesicht, danach war das Thema durch und ich konnte mich mit einem Seufzer der Erleichterung und einem bewundernden Blick zum Frauchen wieder meinen Hobbys zuwenden. Da ist doch in der Mensch-Hund-Beziehung auch für den Hund alles in Ordnung, oder? Ich jedenfalls kann nicht behaupten, dass ihr deutliches Auftreten und manchmal sogar eine gewisse Körperlichkeit, wie ein Rempler, unsere Beziehung in irgendeiner Weise beeinträchtigt haben.

Buhmann & Pauschalitäten

Aber in dieser Diskussion muss man ja nicht mal so weit gehen, um als Buhmann zu gelten. Es reicht ja schon ein Halsband. Ja, Ihr habt richtig gehört. Vom schönen Chiemsee schwappen Wellen herüber, die behaupten, dass Hund tote Augen bekommt, wenn er am Halsband geführt wird. Es reicht also in manchen Kreisen, dass Hund ein normales breites (!) Halsband trägt, um den Besitzer als „Brutalo" abzustempeln. Wenn ich mir dann meine unzähligen Artgenossen anschaue, die an absolut schlecht sitzenden Geschirren geführt werden, muss ich mich schon wundern und stelle fest, dass auch dieses Thema oft mehr ideologisch als anhand von Tatsachen bewertet wird. Und ­seien wir mal ehrlich: dass die meisten Geschirre schlecht sitzen und für den Hund wesentlich schädlicher sind als ein breites, gepolstertes Halsband, ist oft schon auf 100 Meter Entfernung zu sehen, und der daraus resultierende Schaden wird auch von den meisten Physiotherapeuten bestätigt. Und trotzdem gilt oft derjenige, der seinen Hund am Geschirr führt, ­pauschal als gewaltfreier als der Halsband-Nutzer. Das alleine zeigt doch, wie selbstherrlich die Diskussion (von beiden Seiten) geführt wird und wie fern sie oft der ­Realität ist.

Wo ist denn bitte der gesunde Mittelweg? Und wo ist das Bauchgefühl? Wenn ich mir als Hund mal den Großteil der Hundehalter anschaue, dann ist es offenbar heutzutage wichtiger, blind irgendwelchen Ideologien (am besten mit eingetragenem Warenzeichen) hinterher zu rennen, als der Intuition zu folgen und sich vor allem an der Biologie des Hundes und am Umgang der Hunde unter­einander zu orientieren. Was für den einen Hund gut ist, muss es für den anderen noch lange nicht sein – siehe Piccolo und ich. Da spielen einfach die Individualität und der Charakter des Hundes und seine Persönlichkeit eine zu große Rolle. Auch Günes würde übrigens mit Piccolo nie so umgehen, wie sie es mit mir tut …

Also Mensch, hör doch endlich auf, abstruse Grabenkämpfe zu führen, und fang an, Dich mit Deinem Hund auseinanderzusetzen und aus ihm einen alltagstauglichen Begleiter mit so vielen Grenzen und Regeln wie nötig und so viel Freiheit wie möglich zu machen! Wie weiter oben erwähnt, bedingt Ersteres ja auch das Letztere.

Wichtig dabei sind Konsequenz, Gerechtigkeit, Berechenbarkeit, Vertrauen und manchmal bzw. bei manchen Hunden eben auch klare Abbruchsignale, die – solange die ersten vier Punkte erfüllt sind – sicherlich nicht zu einem Vertrauensbruch zwischen Mensch und Hund führen. Das tun sie ja unter Hunden auch nicht!

Peace, Ihr Herr Meier

PS: Dass ein deutliches Auftreten in diesem Fall nichts mit Brutalität oder Tierschutzrelevanz zu tun hat, muss hoffentlich nicht extra erwähnt werden – sicherheitshalber tue ich es aber doch.

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