Ähnlich wie die schon länger bekannten Helikopter-Mütter, so verwehren die Heli-Halter ihren Hunden, eigene Erfahrungen zu machen. Auch wenn es gut gemeint ist, die logische Konsequenz dieser geistigen Kasteiung: Unerfahrene und daher auch unsichere Hunde, für die jede Hundebegegnung zum Stressfall wird und das Gassigehen schon Angst einflößt.
Entspannt laufen wir auf den Düsseldorfer Rheinwiesen. Da kommt uns eine Dame mit Hund entgegen. Nichts Ungewöhnliches hier, denn es herrscht unterhalb des Deiches kein Leinenzwang, daher ist es auch weit über die Grenzen der Stadt als Gassigebiet beliebt. Daher wunderte ich mich auch nicht, dass ihr Hund nicht angeleint war. Mein Döggelchen Rico war es ja auch nicht. Doch dann schrie sie plötzlich wild auf. Wegen der Entfernung verstand ich ihr hysterisches Gekreische zunächst nicht. Als ich näher kam, lief Rico bereits auf ihren Hund zu, der sich sichtlich freute, einen Spielgefährten zu treffen. Jetzt verstand ich auch endlich ihre Worte, die sie in einer Tonlage schrie, die in etwa so angenehm war wie das Kratzen einer Gabel auf dem Teller: „Rufen Sie gefälligst Ihren Hund zurück!“ Etwas verwundert, befanden wir uns doch in einer ausgewiesenen Freilauffläche, fragte ich nach dem Warum. Ihre Antwort: „Ich möchte nicht, dass mein Hund mit anderen Hunden Kontakt hat. Das ist mir zu gefährlich.“
War das wieder einer dieser „Helikopter-Halter“, die ihrem Hund jeglichen Kontakt mit Artgenossen verwehren und ihm nicht erlauben eigene Erfahrungen zu machen? Aber vielleicht war der Hund ja auch alt oder krank … Daher sagte ich ihr, dass sie sich hier auf einer Freilauffläche befände, es daher nur logisch und somit vorhersehbar wäre, dass sie hier anderen frei laufenden Hunden begegnen würde. Aber Logik schien nicht so ihr Hobby zu sein. „Ja, ich weiß und das nervt mich auch. Also nehmen Sie Ihren Hund gefälligst jetzt an die Leine!“ Der Befehlston weckte jetzt nicht gerade meine „freundlich-kooperative“ Ader, zumal die Dame wohl zu der Sorte gehörte, die dachte, dass die Welt sich um sie dreht. Daher antwortete ich: „Gute Frau, auch wenn Logik nicht so Ihr Hobby ist, wenn Sie keine Hundebegegnungen wollen, sollten Sie gefälligst nicht auf eine Freilauffläche kommen und anderen mit Ihrem Ultraschall-Gekreische das Trommelfell perforieren.“
Während die Dame noch um Luft und Worte rang, schlenderten das Döggelchen Rico und ich weiter (den ich nun zu mir gerufen hatte, auch wenn mir der in freudiger Erwartung hüpfende und jaulende Hund der Frau leid tat). Solche und ähnliche Begegnungen häufen sich in letzter Zeit. Offenbar werden es immer mehr dieser Helikopter-Halter. Okay, ihre Motivation ist häufig gut gemeint: Sie wollen möglichen Schaden von ihren Hunden abwenden. Kann ich sogar nachvollziehen, schließlich mache ich mir um meinen kleinen Doggen-Wookiee ja auch schon Sorgen, wenn er nur einmal zu viel hustet. Aber nur weil etwas gut gemeint ist, muss es nicht auch gut und richtig sein – das ist zwar eine Binsenweisheit, aber offenbar eine, die viele Hundehalter dieser Sorte nicht kennen. Schließlich nimmt man dem Hund damit die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu sammeln und daran auch zu wachsen. Ja, mehr noch, im Extremfall verhindert es die Sozialisation mit seinen Artgenossen.
Offenbar haben die nie was von den so genannten Kaspar-Hauser-Versuchen gehört – dabei kann man es einfach in Wikipedia nachlesen. Die gab es nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen. Ziel war es, angeborene Verhaltensweisen zu erkennen – also diejenigen, die genetisch verankert waren. Bei Tieren besonders umstritten waren dabei die Versuche an Rhesusäffchen. Die Konsequenzen dieser Deprivation (vom lateinischen deprivare=berauben – auch diesen Begriff kann man in Wikipedia nachlesen) kann man sich lebhaft vorstellen. Bei Menschenkindern führte das – gelinde gesagt – zu Verhaltensauffälligkeiten – oder auf den Punkt gebracht: zu geistigen Störungen.
Bereits im Altertum berichtete Herodot von Experimenten an Kindern. Es war der Pharao Psammettich I., der die Ursprache der Menschen erfahren wollte. Er gab einem Hirten zwei neugeborene Kinder und befahl, diese so aufzuziehen, dass sie niemals ein gesprochenes Wort vernehmen sollten. Er wollte auf diese Weise herausfinden, in welcher Sprache die Kinder zuerst ein Wort sagen würden. Die Geschichtswissenschaft verortet diese Geschichte ins Reich der Mythen, aber sie zeigt auch, dass es solche Experimente gegeben haben muss (wenn auch wahrscheinlich nicht vom besagten Pharao). Im 13. Jahrhundert war es dann Kaiser Friedrich II., der die Ursprache mit ähnlichen Versuchen finden wollte. Deshalb ließ er einige neugeborene Kinder ihren Müttern wegnehmen und an Pflegerinnen und Ammen übergeben. Sie sollten den Kindern Milch geben, dass sie an den Brüsten saugen könnten, sie baden und waschen, aber keinesfalls mit ihnen kosen und zu ihnen sprechen. Das Ergebnis: Die Kinder starben.
Okay, sicher, jeder Vergleich mit Menschen hinkt natürlich. Aber beide, Mensch und Hund, sind soziale Wesen. Nimmt man ihnen das, so läuft einiges in deren Entwicklung falsch. Nicht zuletzt deswegen waren die Experimente von Harry Harlow an jungen Rhesusaffen stark umstritten. Denn soziale Wesen brauchen sozialen Kontakt und Zuwendung. Ohne das verkümmern sie. Also liebe Heli-Halter, denkt mal darüber nach, bevor ihr euren Hund quasi geistig kastriert. Auf jeden Fall beschneidet ihr seine Lebenstauglichkeit!
Und es heißt ja nicht umsonst, dass Hunde, die viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht und viele unterschiedliche Artgenossen kennen gelernt haben, die entspannteren Fellfreunde sind. Ist ja auch irgendwie logisch: Denn je mehr wir erfahren und lernen, umso weniger können neue Situationen Angst machen und umso selbstsicherer reagieren soziale Wesen wie unsere Hunde darauf.
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