Hat der Rassehund Zukunft?

Von Regina Röttgen

Gesunder Hund – heute eine Rarität?

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Wer Hunde liebt und wissen will, was man bei der Auswahl eines Hundes beachten sollte, für den ist dieser Artikel Pflichtlektüre.
Fakten kompakt
• Bei populären Rassen kommen gut 90% der Welpen aus dubiosen Quellen ohne Herkunftsnachweis.
• Qualzucht bedeutet bewusst kranke Hunde zu züchten und lebenslange Einschränkungen des Hundes in Kauf zu nehmen.
• Beispiel Dalmatiner: Je mehr einzelne Flecken und weniger schwarze Platten, desto höher ist das Risiko für Taubheit.

Rund 350 Hunderassen gibt es und nur ganz wenige sind darunter, die nicht für oft sogar gleich mehrere Krankheiten disponiert sind. Wie konnte es so weit kommen? Vor allem: Kann man ­heute überhaupt noch einen gesunden Hund bekommen? WUFF-Autorin Regina ­Röttgen hat recherchiert und die Zuchtverbände befragt. Ein spannender und aufschlussreicher Artikel über unseren besten Freund.

Als Helen Bates für ihre Familie einen passenden Hund aus­suchte, entschied sie sich für die Rasse Cavalier King Charles ­Spaniel. Der kleine Hund mit liebevollem Charakter, der auch noch fantastisch im Umgang mit Kindern ist, schien ideal für die Familie. Als Silvie anfing, Berührungen am Kopf aus dem Weg zu gehen, ahnte keiner, dass dies die ersten Anzeichen einer grauenvollen Krankheit waren: ­Syringomyelie. Mit Silvies schrecklichem Schicksal beginnt der Film „Pedigree Dogs Exposed“, eine BBC Dokumentation aus dem Jahre 2008. Nach zwei Jahren Recherchen deckte Jemima Harrison damals den „größten Skandal im Tierschutz“ auf, wie sie es im Film nennt: Durch Zucht entstandene gesundheitliche Schäden.

Die britische Tierneurologin Clare Rusbridge beschreibt Silvies Leid im Film so: „Das Gehirn kann man mit einem Fuß Größe 44 vergleichen, der in einen Schuh Größe 39 hineingezwängt wurde.“ Das Ergebnis sind neurologische Schäden im Großformat und unvorstellbare Schmerzen. „Beim Menschen gilt es als eine der schmerzvollsten Krankheiten überhaupt.“ Wie viele Cavalier King Charles Spaniels von dieser qualvollen Krankheit betroffen sind, weiß man heute genauso wenig wie damals. „Bei ­dieser Rasse ist Syringomyelie jedoch häufig“, weiß Irene Sommerfeld-Stur. Die österreichische Professorin für ­kynologische Genetik kennt alle genetisch bedingten Krankheiten unserer Rassehunde. Der Cavalier sei zudem oft von der tödlich verlaufenden Herz­krankheit Mitralklappenendokardiose geplagt.

Andreas Ackenheil, Anwalt für Tierrecht in Deutschland, kennt die Krankheit ebenfalls. „Der Schädel ist fürs Gehirn zu klein, wodurch es im Bereich der Gehirnventrikel zu einem Überdruck kommt, der zur Bildung von Zysten im Bereich des Halsrückenmarks führt. Diese Zysten haben, je nach Größe und Lage, verschieden ausgeprägte neurologische Symptome und unvorstellbare Schmerzen zur Folge.“ Hautnah hat er die Erkrankung vor 15 Jahren bei einer seiner ersten Hündinnen erlebt. „Damals war diese ­Erkrankung noch völlig unbekannt“, so der Tierrechts­experte. „Um­ gesunde Cavaliere zu züchten, werden heute konkrete Maßnahmen von Züchtern und Vereinen umgesetzt.

Die Qualzucht-Debatte läuft seit langem auf vollen Touren. Doch noch immer gibt es zu viele Hunde, die unter vermeidbaren genetischen Krankheiten leiden. Jede Rasse hat mittlerweile ihre eigenen Krankheiten, kein Körperteil wird verschont.

Schmerzen rund um den Hund
Der Österreichische Kynologenverband ÖKV als Dachverband aller Rassehundevereine des Landes sowie sein deutsches Pendant, der VDH, ­schließen Hunde aufgrund von bestimmten Krankheiten von der Zucht aus. Die ­Liste ist lang. Darunter finden sich zahlreiche vererbbare Augenkrankheiten. Dazu gehört Ektropium, das Aufrollen des unteren Augenlidrandes. Betroffen sind viele Rassen: Basset Hound, Bernhardiner, Cocker Spaniel, Bloodhound und Shar Pei zum Beispiel. Da die Hunde ihre Lider nicht richtig schließen können, leiden sie unter ­Tränenfluss und Bindehaut-Entzündung.

Orthopädische Schäden gehören heute ebenfalls zu den Zivilisationskrankheiten unserer Vierbeiner. „Bei fast allen großwüchsigen Hunderassen sind degenerative Gelenkserkrankungen häufig“, sagt Sommerfeld-Stur. „Auch die Lebenserwartung der Riesen ist relativ gering. Todesursache ist in vielen Fällen eine Herzerkrankung oder Krebs, meist Knochenkrebs.“ Herzerkrankungen sind zwar bei Rassen jeder Größe zu finden. „Bei Dobermann und Dogge sieht man sehr oft DCM (dilatative Kardiomyo­pathie).“ Diese Herzkrankheit kann zu plötzlichen Todesfällen in sehr jungem Alter führen. Kleine Rassen wiederum sind von der Patella-Luxation betroffen, bei der eine oder beide Kniescheiben leicht herausspringen. Dalmatiner und viele andere Rassen mit hohem Weiß­anteil laufen Gefahr, taub auf die Welt zu kommen. Die Problematik ist ursprünglich durch „Schönheit“ bedingt. Beim Dalmatiner erhöht sich das Risiko für Taubheit mit der Plattenlosigkeit, sprich ein möglichst reines weißes Fell. „Gesundheit muss als Zuchtziel weit vor der Farbe stehen“, meint Dr. Katja H. Wolf, Referentin für Wissenschaft & Forschung beim Österreichischen Kynologenverband. „In diese Richtung denkt auch der Österreichische Dalma­tiner Club.

Selbst neurologische Erkrankungen sind bei unseren Hunden heute schon Rassestandard. Dachshund und Deutsch Kurzhaar sind nur zwei der vielen Rassen, die heute unter Epilepsie leiden. Eine lange Liste von Rassen ist außerdem prädestiniert für den Besuch beim Zahnarzt. Fehlstellungen des Gebisses oder eine Zahnunterzahl sind schon fast „normal“. Der kleine Chihuahua hat oft mit einer offenen Fontanelle zu kämpfen. „Die Liste ließe sich noch lange weiterführen“, sagt Sommerfeld-Stur.

Manche Rassen müssen sich gar mit mehreren dieser Krankheiten quälen. So ist der Cavalier King Charles ­Spaniel ­zusätzlich noch prädestiniert für Patella-, Augen- und Gebissprobleme. Der Chinese Crested leidet häufig unter Haut-, Augen-, Gebiss- oder Patella­problemen und der kleine Lhasa Apso hat oft Patella-, Gebiss- oder Augenerkrankungen sowie eine Hüftdysplasie.

Leid in der Großpackung
Am härtesten jedoch hat es die Rassen English Bulldog, Boston Terrier und die Französische Bulldogge getroffen. Orthopädische Erkrankungen, ­Patella- und Luftröhrenprobleme, Augenkrankheiten, Gebissfehlstellungen, Herzkrankheiten, Wirbelabnormitäten – gleich mehrere davon stehen auf den rassetypischen Krankheitslisten. Alle drei Rassen teilen zudem das Schicksal des Mopses: Sie sind sogenannte Brachyzephalie-Rassen, Hunde mit dem Problem der Kurzköpfigkeit. Meist schnarchen sie, leiden unter Atemnot, haben Erstickungsanfälle, kommen mit Hitze und viel Bewegung nicht mehr zurecht. Ein Spaziergang ist schon nach 10 Minuten zu Ende. Der Hund japst jämmerlich nach Luft. Ein qualvoller Teufelskreis beginnt: Da Hunde nicht schwitzen, regeln sie den Temperaturausgleich durch Ein- und Ausatmen bzw. Hecheln. Doch die kurze Nase reicht hierfür nicht aus. Die Atmung verstärkt sich, wodurch Weichteile in die oberen Atemwege eingesaugt und diese noch mehr verengt werden. Die Hunde bekommen immer weniger Luft.

Doch gerade diese Rassen stehen auf der Popularitätsliste ganz oben. „Zweifels­ohne entsprechen kurzköpfige Hunde dem vom österreichischen Nobelpreisträger Prof. Dr. Konrad Lorenz entwickelten Kindchen-Schema“, meint Wolf. „Der Trend zu einem kleinen Hund ergibt sich auch aus den Lebensumständen vieler Hundehalter, die in einer Stadtwohnung leben.“ Ein weiterer Grund sei das einnehmende Temperament dieser Rassen, so Sommerfeld-Stur. „Dabei ist das ruhige Wesen in den meisten Fällen schlicht und einfach eine Folge des ständigen Sauerstoffmangels.“ Ein operativer Eingriff ist meist unumgänglich. Doch bringt dieser nur Linderung und keine definitive Heilung. Denn mit der Zeit wird das Weichgewebe wieder in den Atemweg gezogen. Es kommt zum Rückfall.

Derzeit rollt eine neue Welle „Problem­hunde“ an: Seit einiger Zeit sind so­genannte Teacup-Hunde beliebt. Die Miniaturversionen gängiger zwergwüchsiger Rassen sind so klein, dass sie in Tassen passen. Zuchtverbände haben daher ein Mindestgewicht von 2 kg für Hunde festgelegt. „Nichtsdesto­trotz gibt es extrem kleine Hunde mit einem Erwachsenengewicht unter einem Kilogramm.“ Sommerfeld-Stur weiß um die gesundheitlichen Probleme dieser Hunde. „Grob gesagt kommt es im Skelettbereich zu einer stärkeren Miniaturisierung als im Bereich von Organen und Muskeln.“ Zwerghunde hätten daher dünnere Knochen, die leichter brechen. Besonders problematisch sei der teils bloß papierdünne Schädelknochen. „Ein ganz geringfügiges Trauma kann zum Bruch mit den entsprechenden Folgen führen.“ Selbst die Körpertemperatur konstant zu halten wird bei dieser Mini-Größe zum Problem. „Durch ihre relativ große Körperoberfläche verlieren sie viel Körperwärme, was sie bei niedrigen Außentemperaturen durch Zittern zu kompensieren versuchen. Dadurch wiederum sinkt ihr Blutzuckerspiegel, was im Extremfall zu einem hypoglykämischen Schock (Unterzuckerung) führen kann.“

Was ist Qualzucht?
Weitläufig werden diese Krankheiten heute als Qualzucht bezeichnet. Gesetzlich ist klar: Qualzucht ist verboten. Die Praxis jedoch gestaltet sich ­schwierig. Zu schwammig ist die gesetzliche Definition, zu komplex das Thema, zu etabliert die Qualzuchtmerkmale in der Hundezucht. „Es ist kaum möglich, eine klare Grenze zwischen qualzuchtrelevanten und nicht relevanten Merkmalsausprägungen zu ziehen“, sagt Sommerfeld-Stur.

Ackenheil und Sommerfeld-Stur sind einer Meinung: Zwar könne der völlig nasenlose, laut röchelnde Mops ganz klar als Qualzucht bezeichnet werden, doch: „Es gibt hier kein Schwarz-Weiß oder eine messbare Grenze wie bei ­Geschwindigkeitsübertretungen. Es ist daher immer eine Einzelfallentscheidung“, gibt die Genetikerin als Beispiel. Ein strafrechtliches Verbot kann die Probleme nicht mehr lösen. Dafür ist es zu spät. Experten fordern nun ein grundsätzliches Umdenken.

Probleme sind hausgemacht
Geschaffen hat der Mensch dieses Problem selber. Als Mitte des 19. Jahrhunderts Hunde zum Statussymbol der viktorianischen Mittelklasse wurden, mutierte die Hundezucht zur sportlichen Beschäftigung. Plötzlich stand nicht mehr der Nutzen, sondern das Aus­sehen der Hunde im Vordergrund. Auf Hundeausstellungen zeigte man, was alles mit und aus den Rassen gemacht werden konnte. Um die neu entdeckte Leidenschaft zu regeln, wurde 1873 der weltweit erste Dachverband für Rassehundevereine gegründet, der britische „Kennel Club“. Denn mit Hundezucht und Ausstellungen konnte man plötzlich richtig Geld verdienen. Die Idee, die der Zucht damals zugrunde lag, war die der zu diesem Zeitpunkt populären Eugenik. Man versuchte den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern und die der negativen zu verringern. Nur: Das „Beste“ richtete sich leider zu oft nach dem Aussehen.

Das Ergebnis ist traurig. Denn moderner Rassenwahn und Rassehundezucht haben die natürliche Selektion verdrängt. „Heute gibt es nur noch wenige Hunderassen, die unter natürlichen Selektionsbedingungen Überlebens­chancen hätten“, sagt Sommerfeld-Stur. Durch die Fortschritte der modernen Veterinärmedizin würden selbst Hunde zur Fortpflanzung gebracht, die zu einer natürlichen Fortpflanzung gar nicht mehr in der Lage seien.

Die Idee der Eugenik hat sich bis heute als Zuchtkonzept gehalten. Der Grund für die Defekte ist laut Sommerfeld-Stur dann auch in der Inzucht zu finden. „Inzucht führt dazu, dass immer mehr Allele homozygot (reinerbig) werden.“ Folge sei, dass sowohl möglich krankhafte als auch besonders leistungsfähige Genkombinationen vermehrt auftreten. Verpaart zudem ein Züchter viele Hündinnen an ein und denselben Championrüden, kommt es zu einem zusätzlichen Anstieg der ­Homozygotie in der Hundepopulation. Sollte ein solcher Rüde ein oder mehrere rezessive Defektgene tragen, wird es ernst. „Nach ein paar Generationen kann es zum explosionsartigen Auftreten eines neuen genetischen Defektes bei dieser Rasse kommen.

Zwar hat man vor kurzem ein für Kurznasigkeit verantwortliches Gen bestimmen können und auch eine Genmutation für die Bandscheibenkrankheit IVDD entdeckt. Doch gestaltet sich die Bekämpfung von Gendefekten eher schwer. „Im Idealfall kann man einen Defekt in ein bis zwei Generationen aus der Population eliminieren“, leider würde dieser Idealfall allerdings so gut wie ­niemals vorliegen, gibt Sommerfeld-Stur zu bedenken. „Im schlechtesten Fall ist eine Elimination überhaupt nicht möglich.“ Dann könne man nur noch versuchen, die Häufigkeit der Erkrankungen möglichst niedrig zu halten.

Verantwortung liegt bei jedem
Gerade den Formwertrichtern fällt eine große Verantwortung zu. Sie bestimmen die Richtung, in die sich eine Rasse entwickelt. „Kaum ein Rassestandard schreibt tatsächlich qualzuchtrelevante Merkmale vor. Wenn Formwertrichter aber Extremvarianten einer Rasse zu Siegern machen, dann geben sie einen Trend vor, dem die Züchter – sofern sie auf Ausstellungserfolge Wert legen – zwangsläufig folgen“, kritisiert Sommerfeld-Stur. Auch auf die Eliminierung von Qualzuchtmerkmalen haben Formwertrichter Einfluss. „Sie können Qualzuchtmerkmale an den Augenlidern, Zähnen, Haut, Bewegung, Atmung usw. feststellen und entsprechend im Richterbericht vermerken“, fügt Wolf hinzu.

Der ÖKV hat sich schon vor langem die Bekämpfung der Qualzuchtmerkmale zum Ziel gesetzt. „In dem vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen geförderten Projekt Konterqual werden seit 10 Jahren alle Screening-Verfahren zusammengefasst und dokumentiert“, erläutert Wolf. Die Screening-Verfahren wurden mittlerweile in den einzelnen Zuchtordnungen verankert und sind daher bindend. Der sogenannte „Qualzucht Paragraph“ läuft also keineswegs aus, so Wolf. „Es wurde die 10-jährige Übergangsfrist zur Bekämpfung der Qualzuchtmerkmale gestrichen. Die züchterische Bekämpfung der Qualzuchtmerkmale dauert nämlich bei manchen Erbfehlern wesentlich länger.“ So wie der ÖKV haben viele Zuchtverbände mittlerweile Screening-Verfahren zur Bekämpfung rassetypischer Krankheiten.

In Deutschland geht gar die Recht­sprechung in diese Richtung. „2005/6 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Züchter schuldhaft handelt, der nicht alles unternimmt, damit ein genetisch sauberes und gesundes Tier entsteht“, so Ackenheil. Bleibt zu hoffen, dass in den kommenden Jahren die rassetypischen Erkrankungen weiterhin schrumpfen. Denn unter den 350 Hunderassen ist die Zahl derer ohne Qualzuchtmerkmale erschreckend gering.

Geldgier als Hauptgrund?
Wie sehr sich Zuchtverbände und seriöse Züchter auch für eine Eliminierung genetisch bedingter Schäden einsetzen, ohne Mithilfe der Käufer wird es kaum gehen. Wolf findet es wichtig, dass Hundekäufer nur offensichtlich gesunde Welpen von nachweislich gesunden Elterntieren kaufen: „Auch in der Hundezucht reguliert die Nachfrage das Angebot.“ Ein Blick auf die Liste des deutschen Hunderegistrierungsservices Tasso verdeutlicht, wie weit wir davon noch entfernt sind. Als Beispiel: Im Jahr 2015 wurden 872 VDH-Chihuahua­welpen geboren, beim zentralen Haustierregister angemeldet wurden aber 11.837. Tausende von Welpen nur einer einzigen Rasse stammen folglich aus anderen Quellen. „Illegale Importe und unkontrollierte Hinterhofzuchten sind ein großes Problem.“ Sommerfeld-Stur bringt die Thematik auf den Punkt: „Manche der Rassen mit Extremmerkmalen sind zum Modehund geworden, so dass eine große Nachfrage herrscht.“ (Mehr über illegale Importe in WUFF Ausgaben 10/2017 und 11/2017).

Wege zu einem gesunden Hund
Umso wichtiger ist es, dass man als Käufer immer auf die Quelle achtet, aus der man den Hund bekommt. Ackenheil rät Käufern, sich nicht von ihren Emotionen leiten zu lassen. „Autokäufe werden oftmals rechtlich intensiver durchdacht als ein Welpenkauf.“ Gerade bei Rastplatzgeschichten und mehr oder weniger anonymen Internetinseraten sollte man wissen, dass man potenziell kranke ­Tiere kauft, warnt der Anwalt für Tierrecht. Ein Kauf bei einem anerkannten Züchter sei die Quelle der Wahl. Zuerst sollte man aber die Zuchtordnung der Rasse, die man sich ausgesucht habe, lesen und die Rasse gut recherchieren. „Dadurch kann man besser beurteilen, ob und welche gesundheitlichen Vorsorge­prüfungen automatisch vorgenommen wurden und ob die Elterntiere gut ausgewählt wurden.

Heute muss man wissen, welche Krankheiten für die Rasse spezifisch sind. „Denn mit denen muss man sich nachher eventuell auch gerichtlich auseinandersetzen.“ Viele Gerichte urteilten bereits in diese Richtung. Immer mehr Richter seien zum Beispiel der Meinung, dass Käufer von Schäferhunden wissen müssen, dass diese Rasse für eine Hüftgelenksdysplasie prädestiniert ist, so Ackenheil. „Manche Erkankungsformen sind für bestimmte Rassen mittlerweile obligatorisch. Als Käufer bin ich mehr oder weniger dazu verpflichtet, mit dem Verkäufer darüber zu sprechen.“ Die mit 10.202 VDH-Welpen mit großem Abstand am häufigsten in Deutschland gezüchtete Hunderasse steht auch in Österreich mit 755 ÖKV-Welpen an der Spitze. „Es wäre schon fahrlässig, wenn jemand einen Schäferhund kauft ohne sich die Ahnentafel der Elterntiere zeigen zu lassen und zu kontrollieren, ob und mit welchem Ergebnis diese auf HD ge­testet wurden.“ Wenn ein Elterntier bereits älter ist, rät Ackenheil dazu, zu erfragen, ob der Hund in der Zwischenzeit noch mal getestet wurde und ob in den nachfolgenden Linien HD aufgetreten ist.

Der Verkäufer darf Krankheiten aber auch nicht mehr verschweigen. „Er muss zwar nicht sagen, dass der ­Welpe irgendwann mal erkranken könnte. Er muss aber sagen, dass zum Beispiel der Großvater HD hatte und dass dies beim Welpen im Auge behalten werden sollte. Ansonsten handelt der Verkäufer arglistig“, erklärt Ackenheil den Trend der gültigen Rechtsprechung in Deutschland. Um eventuelle Ansprüche auf Gewährleistung umzusetzen sei es egal, ob ein schriftlicher Vertrag unterschrieben wurde. Dass ein Vertrag per Handschlag allerdings sinnvoll beim Welpenkauf sei, bezweifelt der Anwalt. „Der Käufer sollte immer auf einen guten schriftlichen Vertrag Wert legen.“ Sei der Verkäufer dazu nicht bereit, müsse man sich fragen, warum. „Zwar gelten beim Kaufvertrag per Handschlag die Regelungen des BGB, doch in einem schriftlichen Vertrag kann man diese abändern und zum Beispiel Informationspflicht und Vertragsstrafen mit aufnehmen.“ Ein seriöser Züchter würde nur einen vernünftigen Kaufvertrag abschließen, der Regelungen für beide Seiten beinhalte.

Genetikerin Sommerfeld-Stur hat einen weiteren Tipp: „Gesünder ist immer der Hund, dessen Elterntiere bei der Selektion nicht nur auf Schönheit sondern auch auf körperliche Leistungsfähigkeit geprüft worden sind.“ Denn körperliche Leistungen können alleine von gesunden Hunden erbracht werden. „Selektion auf körperliche Leistungen ist damit eine automatische Selektion auf Gesundheit.“ Kein Wunder, dass ein Deutscher ­Schäferhund der sogenannten „Arbeitslinie“ fast so aussieht wie seine Ahnen vor mehreren Jahrzehnten. Sein Verwandter der „Showlinie“ hingegen ist schwer wiederzuerkennen und kann teils kaum noch auf seinen Hinter­beinen richtig laufen.

Bei brachycephalen Rassen ist wohl leider der beste Schutz der Verzicht auf den Kauf, meint Sommerfeld-Stur. „Wenn man aber unbedingt einen Mops & Co haben will, dann sollte man bei der Auswahl eines Welpen sich die Eltern sehr genau anschauen und eher einen Welpen von Elterntieren mit längeren Nasen und ohne hörbares Atemgeräusch auswählen.

Vorsicht gilt ebenfalls, wenn man abseits des Rassestandards kauft, vorausgesetzt es muss unbedingt ein Rassehund sein. Die in Deutschland und Österreich mit am häufigsten gezüchtete Rasse Labrador Retriever gibt es in den Fellfarben Gelb, Braun und Schwarz. Allerdings sind auch andere Fellfarben zeitweise Mode. Dass man sich damit ungewollt gesundheitliche Probleme ins Haus holen kann, wissen die Wenigsten. „Farbe ist beim Hund eben nicht bloß Farbe, zumindest gilt das für einen Teil der Farben.“ Sommerfeld-Stur warnt, dass Gene oft nicht nur ein Merkmal, sondern gleich mehrere beeinflussen können und es zudem Interaktionen zwischen ­verschiedenen Genen gibt. „Foxred und die pinke Nase beim Labrador sind Variationen des Phäomelanin, was in Assoziationen zum Cortisolstoffwechsel steht.“ Es gebe Hinweise darauf, dass rote Hunde in bestimmten Situationen anderes Verhalten zeigen. Die Farbe Silber hingegen entsteht durch eine Verdünnung der Melaninkörnchen, wodurch die Haare auch unstabiler werden. „Beim ‚Silberlabrador‘ kann es zudem zu einer verhängnisvollen Kombination mit einem bestimmten Schadgen kommen. Deshalb haben viele ‚Silberlabradore‘ mit CDA (Farbverdünnungsalopezie) zu tun, einer Krankheit, bei der die Immunabwehr der Haut gestört ist und es zu eitrigen Entzündungen kommt.

Bei vielen Rassen, vor allem aber bei den sogenannten „Qualzuchtrassen“ sollte man laut Sommerfeld-Stur allerdings zu den Kosten für den Welpen auch gleich die Kosten für mit großer Wahrscheinlichkeit notwendige tierärztliche Behandlungen veranschlagen. Wie hoch diese sein können, weiß Ackenheil: „Für meine Hündin habe ich damals knapp 1.500 Euro bezahlt, aber an Operationskosten und Nachsorge über 5.000.“ …

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