Haben Hunde ein Gewissen?

Von Regina Röttgen

Was macht das Gewissen aus? Besitzen Hunde die nötigen Voraussetzungen dafür? Kann man diese erforschen? Eine Reise durch die Undefinierbarkeit des caninen mentalen Seins.

Haben Hunde ein Gewissen? – Diese Frage zu beantworten ist wirklich eine große Herausforderung, sagt Juliane Kaminski von der Universität Portsmouth. Schon in Bezug auf den Menschen sei die Frage nach dem Gewissen eine schwierige, gibt die Verhaltensforscherin zu bedenken. „Diese auf Tiere zu übertragen ist noch komplizierter.“ Seit über 15 Jahren beschäftigt sich die Wissenschaftlerin mit den kognitiven Fähigkeiten von Mensch und Tier. „Evolutionär sind wir alle an dieselbe Welt angepasst, aber doch sehr unterschiedlich. Alle Lebewesen haben etwas mitbekommen, das es ihnen ermöglicht, sich besser an ihre Nische in dieser Welt anzupassen.

Möchten wir eine Fähigkeit des Hundes ­erforschen und mit der des Menschen ­vergleichen, wird es kompliziert, so Kaminski: „Hunde sind gut mit Kindern im vorsprachlichen Alter vergleichbar, da beide keine Sprache ausgebildet haben.“ Zuerst muss die zu erforschende Frage daher beim Kind beantwortet werden. „Hierfür wiederum müssen wir unsere Frage herunterbrechen und eruieren, in welchem Kontext Kinder diese Fähigkeit zeigen.“ In unterschiedlichen Zusammenhängen bekommt ein Verhalten oft eine andere Bedeutung. Die zu testende Fähigkeit sollte daher zuerst nur in einem bestimmten Kontext erforscht werden. Erst nachdem Ergebnisse hierzu vorliegen, kann man sich dem Vergleichen unter Arten widmen und überlegen, in welchen Situationen diese Fähigkeit beim Hund Sinn machen würde. Dann kann es mit der Forschung am Hund losgehen.

Was ist Gewissen?
An erster Stelle steht daher auch beim ­Gewissen die Frage der Definition. Über die unterschiedlichen Definitionen vom menschlichen Gewissen seit der griechischen Philosophie bis in die Gegenwart wurden schon ganze Abhandlungen geschrieben. Auch in der Psychologie gibt es verschiedene Definitionen. Von Siegmund Freud über Erich Fromm bis zum ­amerikanischen Psychologen Lawrence Kohlberg wird mit fortschreitendem ­Wissen von ­verschiedenen Stufen der ­Entwicklung des Gewissens ausgegangen. Eines haben ihre Definitionen gemeinsam: Zuerst ist das ­Gewissen das, was uns als Gut und Böse durch Normen, Ängste, Tabus, Gebote und Verbote als richtig ­eingeprägt wird. Zu einem späteren Zeitpunkt wird es dann zu den als richtig ­erkannten Grundsätzen und Normen, die nicht mehr hinterfragt werden.

Der amerikanische Verhaltensforscher Marc Bekoff beschreibt Gewissen so: „Das Gewissen scheint eine Art moralische Fähigkeit zu sein, Gut und Böse zu unterscheiden. Dies bedeutet aber auch, dass die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten vorhanden sind, um eine solche Beurteilung überhaupt vornehmen zu können.“ Für ihn hat jede Tierart ihre eigene Form von Gewissen. „Ich glaube, dass es ein Menschengewissen gibt und eben auch ein Hundegewissen.“ Von einem Vergleich zwischen Hunden und Menschen oder anderen Tierarten rät der Kognitionsbiologe ab: „Denn Hunde tun, was sie tun müssen, um Hunde zu sein. Das gilt für alle Tierarten, auch für den Menschen.“ – so Bekoff.

Zum Grundgedanken des artenspezifischen Gewissens kam Bekoff über die Jahre: Je mehr er das Verhalten von Tieren studierte, desto öfter fand er moralische Vorstellungen bei den jeweiligen Tierarten. Hunde zeigen laut dem Verhaltensforscher insbesondere in ihrem sozialen Spielverhalten ethische Züge. „Die Regeln sind hier eindeutig: Zuerst fragen, ehrlich sein, den Regeln folgen und zugeben, wenn man falsch liegt.“ Würden die Regeln missachtet, ginge die Fairness verloren und somit auch das Spiel. Bis er zu diesem Schluss kam, hatte Bekoff jahrelang Videomaterial ausgewertet. Seitdem ist für ihn klar: Hunde besitzen eine moralische Intelligenz. Denn beim Spiel sind Hunde ständig damit beschäftigt, Regeln zu verstehen und einzuhalten. Vor allem Fairness wird großgeschrieben. Denn viele der spieltypischen Gebärden wie Beißen und Jagen bekommen in einem anderen Kontext eine vollkommen andere Bedeutung. Hunde zeigen daher ständig, dass sie guten Willens sind, fair zu spielen. Dafür benutzen sie feine Signale und Regeln, so dass Spiel nicht in Kampf umkippt, so Bekoff. Hat es ein Hund doch mal übertrieben, entschuldigt er sich bei seinem Mitspieler mit der typischen Bewegung, die er auch zur Aufforderung zum Spielen macht. Nur wenn der andere Hund die Entschuldigung annimmt, kann das Spiel weitergehen. „Das ist ein klares Zeichen von Vergebung“, meint Bekoff.

Der Schritt bis zur Existenz des Gewissens ist für Bekoff dann nur noch ein kleiner: „Soziale Tierarten leben alle in Gruppen, die durch Verhaltensregeln strukturiert sind. Diese Regeln bestimmen, welches Verhalten situationsbedingt richtig und falsch ist.“ Während wir bei Mitmenschen diese Regeln sehr leicht erkennen, tun wir uns allerdings schwer, auf diese bei anderen Tieren zu achten, so der Kognitionsbiologe. Bei näherer Betrachtung jedoch würde man feststellen, dass Konzepte wie Fairness, Empathie, Altruismus, Vertrauen, Vergebung, Toleranz, Integrität und Reziprozität nicht nur dem Menschen vorbehalten sind. Im Gegenteil: Solche moralischen Vorstellungen meint Bekoff in jeder Tierart zu finden. „Warum dann nicht diese Verhaltensweisen – wie auch beim Menschen- mit Moralität assoziieren?“ Allein philosophische und wissenschaftliche Tradition ließe uns im Glauben, Tiere könnten keine moralisch relevanten Entscheidungen treffen und besäßen kein Gewissen.

Kennt der Hund sein eigenes Ich?
Gewissen als Fähigkeit der Unterscheidung von Gut und Böse – so weit möchte Kaminski hingegen mit der Definition von Gewissen nicht gehen. „Um das zu erforschen, müssten wir zuerst festlegen, was Gut und Böse auf kognitiver Ebene bedeutet.“ Einen Vergleich mit dem Hund oder anderen Arten würde nur umso schwieriger. „Für mich ist Gewissen das Verständnis von mentalen Zuständen“, so Kaminski. Ob Tiere sich und vor allem andere als mentale Wesen begreifen, ist einer der zentralen Punkte in Kaminskis Forschungsarbeit. „Dabei ist das Problem immer, wie man sich der eigentlichen Frage überhaupt annähern kann.

Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten: Zum Einen kann man der Frage nachgehen, ob und wie Hunde sich selbst als mentale Wesen wahrnehmen. Eines der gängigen Experimente, um die Selbstwahrnehmung beim Menschen zu testen, ist der sogenannte Spiegel-Test. Menschen erkennen in der Regel ab dem zweiten Lebensjahr ihr eigenes Spiegelbild. Hunde fallen bei dem Test durch. Doch der Test hinkt im Hundeversuch, denn unsere Vierbeiner sind nicht wie wir Menschen Augentiere, sondern Makrosmaten, das heißt, sie orientieren sich vor allem durch ihren Geruchssinn.

Alexandra Horowitz vom Barnard College in New York schuf vergangenes Jahr eigens einen Bewusstseinstest für Hunde, einen olfaktorischen Spiegeltest sozusagen. 36 Hunde ließ sie zum Schnüffeln verschiedener Urinproben antreten. Unter den Proben befand sich jeweils auch eine mit dem Eigenurin der Probanden. An dieser schnüffelten die Hunde am kürzesten. Ein Zeichen, dass sie ihren eigenen Urin erkannten? Um sicher zu gehen, wurde die Eigenurinprobe olfaktorisch manipuliert. Dies führte prompt dazu, dass die Hunde sich mit dieser Probe am ausgiebigsten beschäftigten! Ein Jahr zuvor hatte eine Studie von Wissenschaftler Cazzolla Gatti von der russischen Tomsk-State-Universität ähnliche Ergebnisse geliefert.

Grundsätzlich reicht aber nur eine Herangehensweise zum Thema nicht aus“, gibt Kaminski zu bedenken. „Leider gibt es für Hunde jedoch bisher nicht besonders viele Möglichkeiten.“ Auch wenn den meisten Hundehaltern bereits ein Forschungsergebnis reicht, um ihre Vermutung, dass Hunde ein Ichgefühl besitzen, bestätigt zu sehen, allgemeingültige Ergebnisse sind schwer zu erreichen. Die Wissenschaft sichert sich mehrfach ab – insbesondere, wenn es um so philosophisch-psychologisch-komplexe Konzepte wie das mentale Ich geht. Das ist nicht leicht. „Die grundsätzliche Frage bei diesen Themen ist immer: Wie viel Flexibilität steht dem Tier zur Verfügung, wenn es solche Fähigkeiten zeigt?“ Was zuerst als kognitiv komplexes Verhalten erscheint, kann sich als vollkommen anderes Verhaltensmuster entpuppen, warnt die Verhaltensforscherin. So hatte zum Beispiel Konrad Lorenz damals entdeckt, dass brütende Graugänse ein aus dem Nest gefallenes Ei einfach mit dem Schnabel ins Nest zurückrollen. Nimmt man während der Rollbewegung das Ei allerdings weg, machen sie die Rollbewegung trotzdem weiter. „Was beim ersten Blick als kognitive Fähigkeit aussieht, ist in diesem Fall nichts anderes als ein fest verankertes Verhaltensmuster ohne Flexibilität.“ Kaminski sucht daher nach kognitiven Fähigkeiten, die der Hund flexibel einsetzen kann. Nur so kann man sichergehen, dass die Fähigkeit, die einem Verhalten zugrunde liegt, auch in anderen Kontexten zum Tragen kommt.

In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nach einem episodischen Gedächtnis nachgegangen. Können sich Hunde in Szenarien, die in der Vergangenheit stattfanden, selber einordnen? Einen unumstößlichen, experimentellen Ablauf zu erstellen, gestaltet sich auch hier wieder schwierig: Zuerst muss der Hund etwas rein zufällig ins Gedächtnis aufnehmen, das heißt ohne das Wissen, dass es später nützlich sein wird oder verwendet werden könnte. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass der Hund es nicht einfach nur erlernt hat. Zudem muss diese Erinnerung vollkommen unerwartet „abgefragt“ werden. Dies soll gewährleisten, dass dem Erinnern keine bestimmte Motivation zugrunde liegt. 2016 schaffte es schließlich ein Team von ungarischen Verhaltensforschern um Claudia Fugazza, all diese Faktoren zu berücksichtigen und zum ersten Mal zu zeigen, dass auch Hunde über ein episodisches Gedächtnis verfügen.

Verstehen Hunde andere?
Neben der Frage nach dem eigenen Ich kann man laut Kaminski zudem erforschen, ob Hunde die mentalen Zustände ihrer Artgenossen aber auch die anderer Tiere wahrnehmen. „Ob sie andere als mentale Wesen begreifen, ist experimentell einfacher zu überprüfen, daher wissen wir darüber derzeit schon mehr.

So zeigten verschiedene Studien bereits, dass Hunde Empathie empfinden. Ein verzweifeltes Babyweinen zum Beispiel versetzt den Familienhund in Stress, während ein fröhliches Brabbeln des Kleinkindes das nicht tut. Auf solch akustische Signale reagieren Hunde aus neurologischer Sicht genauso wie Menschen: Bei beiden wird die gleiche Gehirnregion aktiv – das fand vor kurzem ein Forscherteam um Ethologe Atilla Andic von der Universität in Budapest heraus. Zahlreiche konkrete Hinweise deuten zudem darauf hin, dass Hunde auch die Emotionen hinter den menschlichen optischen Signalen verstehen. So erfassen Hunde positive Gesichtsausdrücke selbst bei fremden Menschen schneller als ärgerliche. Auf diese schauen sie dann auch nicht so lange wie auf freundliche menschliche Gesichter. Denn beim Anblick von ärgerlichen menschlichen Gesichtern steigt auch beim Vierbeiner der Level an Stresshormonen. Olfaktorische Experimente kamen zu dem gleichen Ergebnis: Ganz aktuell zeigte eine Studie des Forscherteams um Biagio D’Aniello von der Universität „Frederico II“ in Neapel, dass Hunde unsere Gemütszustände nicht nur riechen können, sondern auch übernehmen. Riecht der Mensch glücklich, zeigen die Vierbeiner größeres Interesse. Selbst auf Fremde gehen Hunde dann schneller zu. Riechen sie jedoch menschliche Angst, bekommen auch die Hunde Angst und zeigen Anzeichen von Stress.

Warum das Verstehen von anderen Individuen als mentale Wesen für Wissenschaftler, aber auch Philosophen von elementarer Wichtigkeit ist, zeigt dieses Beispiel: Der Hundehalter nimmt den Spielball in die Hand und geht in den Garten. Der Hund folgt ihm in Erwartung, dass gespielt wird. Was simpel anmutet, kann unterschiedliche Hintergründe haben: „Wir Menschen neigen dazu, eine solche Situation auf die für uns gängige Weise zu interpretieren: Wir würden in mentalen Zuständen denken“, so Kaminski. Erst dadurch, dass wir andere als Individuen mit ihren mentalen Zuständen wahrnehmen, ist deren Verhalten für uns versteh- aber auch vorhersehbar. Menschen würden daher annehmen, dass der Halter den Ball in die Hand genommen und in den Garten gegangen ist, da er die Absicht hat zu spielen.

Beim Menschen entwickelt sich diese Fähigkeit als grundsätzlich existierender Baustein der menschlichen Kognitivität. „Es ist eine Lernkurve, die sich unabhängig von Sprache, Umfeld und anderen Einflüssen auf jeden Fall entwickelt“, so Kaminski. Beim Kind entwickelt sich diese Fähigkeit auch ohne assoziatives Lernen – das nimmt man zumindest an, denn aus ethischen Gründen verbietet sich die experimentelle Verifikation. Zurück zum Hund: Nimmt der Hund seinen Halter als mentales Wesen wahr, würde er folglich denken: Oh, mein Mensch hat den Ball genommen und geht in den Garten, Er hat vielleicht die Absicht zu spielen, ich geh’ mal hinterher, vielleicht spielen wir ja gleich.
Doch denkt er das wirklich? Oder deutet er nur das Verhalten seines Menschen, wie die alternative Hypothese propagiert? „Dann hat der Hund schlicht eine ­assoziative Regel gelernt“, erläutert Kaminski das mögliche Gegenkonzept. Die erlernte Regel wäre in unserem Beispiel: Wenn der Mensch mit dem Ball in der Hand in den Garten geht, erfolgt das ­Spielen.

Die Fähigkeit, über Bewusstseinsvorgänge anderer wie deren Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen und Meinungen nachzudenken und daraus Handlungsschlüsse zu ziehen, nennt man Theory of Mind (ToM). Lange Zeit ging man davon aus, dass es sich hierbei um eine rein menschliche Fähigkeit handelt. Das Team um den amerikanischen Anthropologen und Verhaltensforscher Michael Tomasello von der Abteilung für vergleichende und Entwicklungspsychologie am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie konnte jedoch beobachten, dass auch Schimpansen über eine solche Fähigkeit -zumindest in gewissem Maße- verfügen. Seit mehreren Jahren versuchen Kognitionsbiologen diese Fähigkeit auch bei Hunden nachzuweisen. Eine experimentelle Herausforderung, da sich unsere Vierbeiner auch an Faktoren wie Körperbewegung, Geruch oder Stimme ihres Gegenübers orientieren.

Gesichtsausdrücke – Hinweis auf ein Gewissen?
Ein beliebtes Experiment, um bei Kindern das Konzept der ToM zu erforschen, ist der Test mit der Keksdose: Jonas sitzt am Tisch und schaut auf die Keksdose vor sich. Noch weiß er nicht, was darin ist. Gespannt beobachtet der Vierjährige, wie die Dose von der Versuchsleiterin geöffnet wird. Innerhalb von Sekunden ändert sich Jonas’ Gesichtsausdruck. Seine Überraschung und Enttäuschung kann man ihm regelrecht vom Gesicht ablesen. In der Dose sind „nur“ Buntstifte! Auf die Frage, was denn seiner Meinung nach die Kinder nach ihm in der Dose vermuten werden, antwortet Jonas: „Natürlich Kekse!“ Jonas verfügt über das psychische Konzept der Theory of Mind (ToM). Denn er weiß, dass die anderen Kinder den Inhalt der Dose noch nicht kennen. Aufgrund seiner Erfahrung und seines Wissens schließt er, dass auch diese annehmen werden, dass in der Keksdose Kekse sind.

Zu einem ähnlichen Schluss kam die Kognitionsbiologin Marianne Heberlein von der Universität Zürich in einer ihrer Studien zu Hunden. Dafür brachte sie ihre vierbeinigen Probanden mit zwei Personen in Kontakt: Die eine teilte ihr Essen mit den Hunden, die andere, später als kompetitiv bezeichnet, aß ihr Essen ohne es mit den Vierbeinern zu teilen. Nachdem die Hunde beobachten konnten, wie Futter in Behältern versteckt wurde während andere Behälter leer blieben, begann der eigentliche Test. Wie würden sich die Hunde im Beisein dieser Personen verhalten? „Die Hunde scheinen kompetitiven Personen ein leeres Versteck anzuzeigen“, erklärt Heberlein die Ergebnisse. Während die Hunde in Anwesenheit der Person, die vorher ihr Essen mit ihnen geteilt hatte, ihre Blicke auf die volle Futterdose richteten, verhielten sie sich der kompetitiven Person gegenüber anders. In Anwesenheit dieser schauten die Hunde vermehrt auf die leere Dose. Ein Beweis von ToM bei Hunden? Nicht unbedingt: Letztlich konnte Heberlein nicht hundertprozentig sicher sein, ob und was die Hunde mit ihren Blicken ausdrücken wollten.

Gerade wenn es um die Mimik unserer Vierbeiner geht, liegen wir Menschen oft einfach schlicht falsch. Den Kopf auf die Pfoten gelegt, die Augenbrauen mittig nach oben gezogen trifft uns der Hundeblick von schräg unten – gerne deuten wir diesen Blick als Schuldgefühl, passt er doch meist so wundervoll in die Situation. Verhaltensforscher sehen das allerdings anders. Über Jahre hinweg ging man davon aus, dass Gesichtsausdrücke beim Hund unkontrollierbare emotionale Ausdrücke sind, die automatisch erfolgen. Dass dem nicht so ist, konnte Kaminski vor kurzem in einer Studie nachweisen: In Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit des Menschen bewegen Hunde ihr Gesicht mehr oder weniger. „Es sind nicht nur schlichte Erregungszustände, die die Hunde dazu veranlassen, ihr Gesicht vermehrt zu bewegen. Denn Hunde zeigen eine andere Intensität in ihrer Mimik im Moment, da sie Futter sehen, als wenn sie uns Menschen anschauen. Ist der Anblick von Futter Grund für ihre Aufregung, bewegen Hunde ihr Gesicht nicht viel. Ist der Grund allerdings die Kommunikation mit dem Menschen, dann bewegen sie ihr Gesicht.“ Kaminski und ihr Team konnten zeigen, DASS die Hunde ihr Gesicht bewegen.

Fast wirkt es wie Ironie des Schicksals der Thematik, dass die Studie von der Presse zumeist falsch interpretiert wurde. Denn sie zeigte nicht, WARUM die Hunde es tun. „Den Hunden ist aber bewusst, dass sich in der Kommunikation mit dem Menschen ein stärkerer Gesichtsausdruck lohnt. So viel können wir definitiv sagen. Allerdings kann man daraus nicht schließen, dass Hunde ihre Mimik intentional einsetzen“, so Kaminski. „Die Gesichtsausdrücke, die Hunde in bestimmten Situationen der Kommunikation mit uns verwenden, lösen bei uns etwas aus. Wahrscheinlich, weil sie einer Gesichtsbewegung ähneln, die wir Menschen in solchen Momenten machen.“ So werden zum Beispiel Hunde, die einen bestimmten Gesichtsausdruck zeigen, bei dem die Augenbrauen hochgezogen werden, öfter adoptiert als andere, die den Ausdruck nicht zeigen. Das hatte Kaminski in einer früheren Studie zeigen können.

Der oben beschriebene „schuldige Blick“ ist dann auch kein Ausdruck von schlechtem Gewissen. Das fand Horowitz in einer Studie heraus. Das Schicksal der Missinterpretation von Seiten der Presse ereilte übrigens auch sie damals. „Meine Studie zeigte, dass die Hunde diesen „schuldigen“ Blick nur bevor oder während ihr Halter sie schimpft vermehrt zeigen“, schreibt die Wissenschaftlerin in einem Kommentar, auf den Bekoff in diesem Zusammenhang hinweist. Zuvor war den vierbeinigen Probanden untersagt worden, einen Hundekuchen zu fressen. Die Hunde, die ihn trotzdem fraßen, zeigten den „schuldigen“ Blick aber nur selten gleich im Anschluss an ihre „Untat“. Viel öfter setzten die Vierbeiner den „schuldigen“ Blick auf, während oder kurz bevor ihr Halter sie schimpfte. „Eben in dem Moment, wo der Hund auch wirklich schuldig war“, so Horowitz. Die Hunde reagierten wohl eher auf den „erhobenen Finger“ oder andere Signale, die dem Hund vermittelten, dass Ärger ansteht.

Die Einschätzung, etwas falsch gemacht zu haben, basiert darauf zu verstehen, was der andere für Erwartungen hat, und mein Verständnis davon, ob mein Verhalten diesen Erwartungen entspricht oder nicht.“ Kaminski schlägt den Bogen zum mentalen Verständnis: „Dies wiederum setzt voraus, dass ich andere als mentale Wesen wahrnehme und auch deren Erwartungen und Wünsche verstehe.“ Natürlich heißt dies nicht, dass Hunde kein schlechtes Gewissen haben. Nur eins ist sicher: Sollten sie eins haben, dann zeigen sie es anders als wir.

Die Wissenschaftlerin ist zuversichtlich: „Dieses relativ junge Wissenschaftsfeld ist erst seit 20–30 Jahren in den Mittelpunkt der Forschung gerückt. Viele dieser Fragen werden wir vielleicht irgendwann beantworten können. Aber Wissenschaft ist langsam.“ Noch sei es daher reine Spekulation, ob sich aus den Fähigkeiten der Hunde Schlussfolgerungen wie die Existenz eines Gewissens ziehen lassen können – zumindest auf wissenschaftlicher Ebene. Bis dahin kann es jeder wie Bekoff halten und aus bereits erforschtem Verhalten seine persönlichen Folgerungen ziehen.

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