Gefühle bei Tieren

Von Dr. Marc Bekoff

Der Verstand und die Gefühle von anderen Individuen außer uns selbst sind für uns nur beschränkt zugänglich, weil wir nicht wirklich in den Kopf oder das Herz eines anderen Lebewesens schlüpfen können. Skeptiker benutzen oft diese Argumentationskette des Solipsismus (abgeleitet von solus – allein und ipse – selbst). Es handelt sich dabei um eine philosophische Lehre, nach der sich ein Individuum als einziges real-existierendes Subjekt sieht, während alle anderen Wesen nur in dessen Vorstellung existieren, aber nicht real sind. Diese Denkweise kann aber wirklich nur eine Sackgasse sein, wenn praktische Gründe die Hauptrolle spielen. Natürlich sind die Gedanken anderer nicht offen zugänglich, aber das hält uns nicht davon ab, zu versuchen zu verstehen, was der andere Mensch denkt oder fühlt, und dann diese Information zu gebrauchen, um spätere Entscheidungen mit Mitgefühl zu treffen.

Zweierlei Maß
Wenn es um das Gefühlsleben von Tieren geht, können Skeptiker in der Beweisführung ziemlich „leichtfertig" sein. Und oft benutzen sie dabei zwei Standards, messen mit zwei unterschiedlichen Maßen. In der Praxis bedeutet dies, dass sie doppelt so viele Beweise für das Vorhandensein von Gefühlen bei Tieren fordern als sie das in anderen Wissenschaftsbereichen verlangen würden, ein Punkt, der dem verstorbenen Donald Griffin (Anm.: siehe Kasten) wichtig war. Weil aber subjektive Erfahrungen eine Privatangelegenheit sind, die im Gehirn – und in den Herzen – von Individuen ihren Sitz haben und in ihrer Gesamtheit unzugänglich für andere sind, ist es für Skeptiker leicht zu behaupten, dass wir niemals sicher sein können, ob Tiere Gefühle haben, um dann den Fall für erledigt zu erklären.

Nichtsdestoweniger zeigt uns ein flüchtiger Blick auf viele Studien zum Verhalten von Tieren, zur Verhaltens-Ökologie, zur Neuro-Biologie und zur biomedizinischen Forschung ganz klar, dass wir kaum jemals alles werden erfahren können zu den Fragen, um die es gerade geht. Und dennoch hindert uns das nicht daran, genaue Voraussagen darüber zu treffen, was ein Lebewesen wohl in einer vorgegebenen Situation tun wird, oder eine ganze Skala von Behandlungen vorzuschlagen, um verschiedene Krankheiten zu lindern. Dieses alles dann ohne unwiderlegbare Beweise, ohne eine vollkommene Sicherheit, etwas, das sowieso nur wenige Wissenschaftler jemals anbieten können.

Die Bedeutung wissenschaftlicher Daten
Es ist auch wichtig, die Macht einer Voraussage zu bedenken. Niemand hat bis jetzt nachgewiesen, dass eine Form einer Voraussage besser ist als andere, und das ist immer noch eine offene Frage (Bekoff 2004, 2006; s. Literaturverzeichnis im letzten Teil der Serie in WUFF 7/2005). Kann der wissenschaftliche Verstand bessere Voraussagen treffen als der gesunde Menschenverstand, wenn es um die Gefühle und die Empfindungsfähigkeit von Tieren geht? Ich kann keine Beweise zu dieser Frage finden (auch wenn die Leute früher dachten, die Erde wäre eine Scheibe). Selbst wenn wissenschaftliche Daten zur Verfügung stehen, so werden die einzelnen Forscher sie unterschiedlich interpretieren oder sie vielleicht nicht einmal benutzen. Das ist auch in anderen Bereichen der Fall. Sandra Anselman hat aufgezeigt, dass selbst vorhandene wissenschaftliche Daten zur Artenvielfalt tatsächlich kaum eine oder sogar gar keine Rolle spielen, wenn es um die Entscheidung geht, welche Arten in den Vereinigten Staaten auf die Rote Liste (Liste der gefährdeten Arten) gesetzt werden. Opportunismus und andere Faktoren spielen eine wesentlich größere Rolle.

Wissenschaft ist auch Werte-beladen
Keine Wissenschaft ist perfekt, es ist „eben nur Wissenschaft". Aber „eben nur Wissenschaft" ist keine abwertende Aussage. Wir müssen sauber klären, was Wissenschaft ist und was wir mit ihrer Hilfe beweisen können und was nicht, und wie gut wissenschaftliche Daten wirklich sind. Wissenschaftler sind nicht nur verantwortlich dafür, dass sie ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit mitteilen, sondern dass sie ihr auch mitteilen, dass Wissenschaft ein Werte-beladenes und unvollständiges Unterfangen ist. Wissenschaftler sollten aus der Wissenschaft nicht etwas machen, was sie nicht ist.

Im nächsten Essay der in der Februarausgabe begonnenen WUFF-Bekoff-Serie geht es um die evolutionäre Kontinuität. Dr. Bekoff verweist auf viele Ähnlichkeiten zwischen Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen und betont, dass die Unterschiede eher im Grad ihrer Ausprägung als im Grundsätzlichen liegen.

WUFF INFORMATION

Donald Griffin – der Begründer der kognitiven Ethologie
von Dr. Hans Mosser

Es war der große Tabubruch in der Wissenschaft der Zoologie, als Dr. Donald Griffin 1978 begann, Intelligenz, Denken und Bewusstsein von Tieren zu erforschen.

Donald Griffin (1915-2003), bekannt durch seine Entdeckung, wie Fledermäuse ohne zu sehen navigieren, gilt als Geburtshelfer der „Kognitiven Ethologie". Als er 1978 erstmals begann, das Denken und Fühlen von Tieren zu einem wissenschaftlichen Thema zu machen, stellte dies einen Tabubruch dar. Galt – und gilt bei vielen auch heute noch – in Bezug auf Tiere doch bis dahin die mechanistische Ansicht von René Descartes, nach dem Tiere seelen- und gefühllose, lediglich mechanisch funktionierende Lebewesen seien. Damit war und ist der französische Mathematiker und Philosoph (1596-1650) Ursache unsäglichen Tierleids. So wurden von ihm auch Versuche und Sektionen an lebenden Hunden ohne Narkose durchgeführt. Die Todesschreie der unsäglich gequälten Hunde verglich Descartes mit dem Quietschen und Raunen eines mechanischen Uhrwerks, sie würden jedenfalls kein Ausdruck eines Gefühls des Schmerzes sein.

Wie pervers aus heutiger Sicht diese Theorie ist, und wie sehr sie in Wahrheit aber noch immer in den Köpfen vieler Zeitgenossen lebt – dazu fehlt bis heute eine klare Stellungnahme der Wissenschaftler. Donald Griffin, der seine Untersuchungen an der Ro-ckefeller University machte, fand heraus, dass Tiere fähig sind, sich Vorstellungen zu machen, Optionen abzuwägen und dann zu entscheiden. Griffin: „Tiere wollen das eine und fürchten das andere. Sie erwarten, dass ihre Handlungen zu bestimmten Ergebnissen führen." Diese Tatsachen allein seien Beweis für das Vorhandensein von Bewusstsein und Vernunft.

Hinweis: Mehr über Griffin und Themen zur Ethik im Hundewesen in einem Artikel von Dr. Hans Mosser in der Ausgabe WUFF 7/2006.

>>> WUFF – INFORMATION


Dr. Marc Bekoff

Der Autor ist Universitätsprofessor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der University of Colorado in Boulder. Er hat bisher 18 Bücher veröffentlicht. Sein neuestes Buch, Encyclopedia of Animal Behavior, erschien im Dezember 2004. Seit über 2 Jahren schreibt Dr. Bekoff in WUFF Essays über seine Arbeit und seine Gedanken zu Tieren.

• Encyclopedia of Animal Behavior. (Dezember 2004) 1200 Seiten in 3 Bänden. Preis 349.95 Dollar plus Versand. ISBN 0-313-32745-9. Greenwood Publishing, www.greenwood.com

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