Gefährte mit der grauen Schnauze

Von Andrea Specht

Es gibt Momente, da beginne ich augenblicklich zu weinen. Nein, keine Zwiebel. Ich brauche mir nur vorzustellen, ER (mein Hund) ist nicht mehr, und schon schwimmen meine Augen in tiefen Seen. Absolut zuverlässig. Das verrate ich nicht jedem und schon gar nicht solchen, die nicht wissen, wie das so ist mit einem Hund. Ein Hund ist kein Mensch, sagen solche gerne. Eben. Das ist es ja. Doch solche meinen das ganz anders als ich. Deswegen sage ich gleich gar nichts. Dabei wertet die Liebe zu meinem Hund den Menschen in keiner Weise ab, sondern zeigt nur, dass es halt nicht vergleichbar ist, das Mensch-Hundliche und das Mensch-Menschliche.

Über die Grenzen
Das Mensch-Hundliche ist etwas, das die Artengrenze mühelos überspringt. So einfach ist das. Die Zeitspanne dieser Beziehung ist allerdings recht beschränkt, und vor diesem Hintergrund ist man vielleicht oft ein wenig wehmütig gestimmt. Zehn, zwölf Jahre, vielleicht vierzehn, bei viel Glück sogar fünfzehn. Dann aber heißt es Abschied nehmen. Warum werden Pferde doppelt so alt, wenn man sie lässt? Warum hat die Natur Schildkröten, Papageien, ja sogar ein paar Spinnenarten so viel Zeit eingeräumt – und bei unseren Hunden so gegeizt?

Das Leben eines Hundes ist knapp bemessen. Die bekannte einfache Rechnung – 1 zu 7 Jahren – bereitet mir oft Gewissensbisse. Wenn ich zu wenig Zeit habe, wenn die ganze Woche über kein wirklich interessanter Spaziergang für IHN herausgesprungen ist, wenn uns einfach die gemeinsamen Jahre davonlaufen. Dann rechne ich um, versiebenfache meine Nachlässigkeit und entschuldige mich im Geiste bei IHM. Für die Versäumnisse – dafür, dass ich mit SEINER Zeit so verschwenderisch umgehe, dafür, dass ich viele Versprechen nicht gehalten habe, für ungezählte Ungerechtigkeiten, für meine menschlichen Schwächen.

Trotzdem immer dabei
Im Oktober ist ER zwölf geworden. SEINE Lebensuhr beginnt langsam abzulaufen. Ich höre das Ticken, und ER spürt es. Die abendlichen Joggingrunden, die gelegentlichen Radtouren, das alles hat so langsam aufgehört, dass ich es lange gar nicht bemerkte. Bemerkt habe ich nur die paar Kilos, die ich seither zugelegt habe. Alleine macht es keinen Spaß. Ins Auto springt ER seit vielen Monaten nur noch ganz selten. Ich habe eine hölzerne Rampe bauen lassen, ein Unikat, das immer wieder Aufsehen erregt. Zugegeben, mein Geländewagen ist sehr hoch gebaut und absolut Hundesenioren-feindlich. Aber mit der Rampe geht es gut. Obwohl, einige Male ist ER schon abgerutscht, wenn ich nicht aufgepasst habe und er zu flott dran war. Doch ER ist dabei. Nur das zählt für IHN.

Manchmal versuche ich mir SEINE Welt vorzustellen. Sie muss sehr still geworden sein. ER rührt schon lange kein Ohr mehr, wenn jemand an der Tür läutet. Nur manche Töne und Geräusche kann ER noch hören, knarrende, knatternde, klickende. Empfindet ER diese neue, schallgedämpfte Welt als angenehm oder beunruhigt IHN die plötzliche Stille?

Die Selbstverständlichkeit der Jahre
ER schläft viel. Manchmal träumt ER jetzt heftiger als früher. Doch vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein. Vielleicht beobachte ich IHN nur bewusster. Aus welchen Erinnerungen rühren SEINE Nachtgespinste? Träumt ER manchmal von unbeschwerten Welpentagen? Fühlt ER das Alter, das an den Knochen nagt und die Gelenke steif macht? Bemerkt ER das langsame Dahinschwinden SEINER Sinne? Vermisst ER die Kraft, mit der ER jetzt so haushalten muss? Macht IHM das Älterwerden so zu schaffen wie mir selbst? Manchmal stelle ich mir vor, wie es ohne IHN sein wird. Erst dann begreife ich, wie selbstverständlich SEIN Bei-mir-Sein geworden ist. So unbemerkt, dass erst das Fehlen SEINER Nähe spürbar macht, was er mir schenkt. Der Hund. Ein Teil von mir.

Ich sehe IHN jetzt anders an als früher. Bewusster, liebevoller, besorgter. SEINE Schwächen berühren mich. ER ist hilfloser geworden, verletzbarer. Aber auch fordernder und störrischer, wenn ER etwas möchte. ER bringt mich immer noch zum Lachen und bringt mir immer noch etwas bei. Ein etwas steifbeiniger alter Hundeherr. Doch jeder Zoll ein wahrer Sir. Wir haben unsere beste Zeit. Und werden langsam alt.


>>> GEDICHT


Carlo – Gedicht auf meinen
toten Freund

Von Seamus Heaney, ins Deutsche
übertragen von Joachim Kalka

Der Jahrtausendwechsel
sagt Carlo wohl nichts.
Mir tut das Herz weh,

seh ich ihn: einäugig
und am ganzen Leib langsam,
Sein Gebell ist noch laut,

aber nicht mehr so rüde,
nicht das hüpfende „Raus hier!“
der besten Jahre,

als er quer durch den Hof
tobte und fegte.
Ich hab all das damals

nicht genügend geschätzt:
wenn er einfach da war,
aus heiterem Garten,

mit Gewuff und Gekeuche,
Genage am Plastik
von Flaschen und Tüten,

verrückter Durchlöcherer,
verwegener Schauspieler.
Einmal, da hat er

einen Autor gebissen.
(Oder besser: gekniffen,
kann man leider nur sagen).

Wild bei Kondensstreifen.
Erst nur schweigende Hitze,
die Sonne, der Rasen,

und dann mit Geknurre,
langsame Rakete,
hochgereckt brodelnd:

und startete bellend
hinauf in das Blau
Dann kam er angerannt –

wie ein Bild der Verzeihung.
Ich lebte gern nochmals
diese achtlosen Jahre.

Warum hab ich denn nicht
mehr gesehen, mehr Vergnügen
gehabt und gegeben,

stündlich und täglich?
Klar, ich hab ihn gestreichelt,
nachts, und auch manchmal

ganz unerwartet –
meine rasche Erhitzung
hilfloser Gefühle.

Aber meist hieß es doch bloß:
Leben, leben lassen
was kaum genug ist.

Die Trübung des Auges,
das schräge Trotten,
sie erinnern mich daran.

Sogar sein Schwanz,
der den Fußboden klopft,
komm ich durch die Türe,

erinnert mich daran.
Wenn er langsam, langsamer
den Fußboden klopft.




>>> WUFF – ERINNERUNGEN


Ein ganzes Hundeleben
von WUFF-Herausgeber Dr. Hans Mosser
Wenn´s nach den Fachtermini geht, wurde ich geboren – und er, ein Rauhaardackel, gewölft … Fast zeitgleich. Mein erster Hund war quasi ein Geschenk zu meiner Geburt. Und so hat Jockl meine gesamte Kindheit als mein vierbeiniger Gefährte begleitet, und als der saufarbene „Rauli“ starb, waren wir beide gerade 13 Jahre alt. Dass sein junges Herrchen später einmal eine Hundezeitschrift gründen würde, hätte sich der quirlige Bursche, der stets alle um seine Pfoten gewickelt hatte, sicherlich nicht gedacht.

Wozu Pfötchen geben?
Ich erinnere mich noch wie wenn es gestern gewesen wäre, als ich im Alter von 6 Jahren meinte, ich müsste meinem Jockl Kunststücke beibringen, wie man sie halt damals so von einem Hund erwartete – Pfötchengeben, Männchenmachen usw. So stand ich vor meinem saufarbenen „Rauli“, mit mehreren Stückchen einer Knackwurst in der Hand. Allein, Jockl wollte weder das eine noch das andere Kunststück durchführen, wobei anzumerken ist, dass ich auch nicht wirklich wusste, wie man einen Hund richtig dazu motiviert, das zu tun, was man will. Es war vielmehr umgekehrt. Der Hund motivierte stets sein junges Herrchen dazu, das zu tun, was ER wollte … So verdrehte er als Reaktion auf meine Kunststück-Animationsversuche bloß seine Augen, welche dann einen seltsamen Ausdruck – zwei Halbmonden gleich – annahmen, und schon erhielt er die Wurststückchen aus meiner Hand. War es das, was man den berühmten „Dackelblick“ nennt? Ich jedenfalls schämte mich ob dieses Blickes sogleich, von meinem Hund derart lächerliche Dinge zu verlangen. Wozu sollte mein Jockl Pfötchen geben? Außerdem hatte man mir ja gesagt, dass Jockl in Wirklichkeit nicht 6 Jahre, sondern 6 mal 7, also 42 Jahre alt sei, während es bei meinen 6 Jahren bliebe. Und mit 42 ist man doch eine gewisse „Respektsperson“ – zumindest für einen damals 6-jährigen Buben.

Jockl in der Volksschule
Die Geschichten, die ich über uns erzählen könnte, würden natürlich den Rahmen dieser Seite sprengen. Es war ganz einfach so: Mein Hund kannte mich und ich ihn, aber er mich besser als ich ihn, glaube ich noch heute. Uns verband eine Freundschaft, die keiner Worte bedurfte. Er sah mich an, ich brauchte ihm nichts vor zu machen. Menschen gegenüber kann man sich verschließen, niemals jedoch gegenüber einem Hund. Damals schon wuss-te ich, dass Hunde so etwas wie eine Seele haben müssen. Mein Religionslehrer in der Volksschule war da nicht meiner Meinung, konnte mir aber nicht einsichtig erklären, warum Jockl keine Seele haben sollte. In der 2. Volksschulklasse nahm ich Jockl dann einmal unerlaubt in die Schule mit, weil ich meinen Religionslehrer veranlassen wollte, meinem Hund in die Augen zu schauen, um seine Seele zu sehen, wie ich meinte. Aber Jockl kam gar nicht bis zur Religionsstunde, ich wurde noch vor Unterrichtsbeginn wieder nach Hause geschickt, um den Hund zurück zu bringen. Und dazu gab es noch einen bösen Kommentar im so genannten „Mitteilungsheft“. Nun ja, es ist eben nicht jeder Lehrer auch ein guter Pädagoge.
Ich gebe ja zu, trimmen haben wir ihn nur alle heiligen Zeiten lassen, und er sah manchmal aus wie ein Hippie. Aber was soll´s, es waren ja damals auch die 60er Jahre … Als unser Hund dann älter wurde, begannen wir ihn über die Stufen zu tragen (wir wohnten im ersten Stock eines Hauses in Wien), weil er nicht mehr so konnte. Auch wurde er immer ruhiger und schlief häufiger und länger als früher. Als wir beide 12 Jahre alt waren, fand ich allerdings, dass er nun tatsächlich schon eher 12×7 Jahren ähnelte. Als gleich alt empfand ich uns nun nicht mehr.

Wenn die Zeit gekommen ist …
Dann wurde Jockl leider krank, konnte nicht mehr problemlos Kot absetzen, da war auch immer Blut dabei, und ich hatte große Sorge um ihn. Wir waren öfters beim Tierarzt, wo Untersuchungen gemacht und verschiedene Medikamente gespritzt wurden. Später bekam er auch Krampfanfälle, es schüttelte seinen ganzen kleinen Körper und die Beine – da steht man als junger Bub nur noch hilflos da. Erstaunlicherweise konnte man diese Anfälle mit einem homöopathischen Präparat (ich erinnere mich, es war Kupfer) gut in den Griff bekommen, sie traten dann nur noch sehr selten auf. Dennoch bereitete man mich vor, dass er einen nicht operablen Tumor im Darm hätte und man mit seinem baldigen Ende rechnen müsse, bzw. damit, ihn zu „erlösen“, wenn es so weit wäre. Als wieder mal sein Körbchen voller Blut war, der Hund nur noch „dasig“ da lag, packte man meinen Jockl und brachte ihn sofort zum Tierarzt. Nach zwei Stunden erhielt ich meinen Hund tot zurück, er sei beim Tierarzt sanft eingeschlafen und jetzt im Hundehimmel. Ich legte meinen toten Rauli zurück in sein mittlerweile wieder sauber gemachtes Körbchen und hielt ein paar Stunden Totenwache, zumindest empfand ich das so. Jedenfalls wollte ich mit meinem Hund allein sein. Und so nahm ich Abschied von meinem ersten und über alles geliebten Hund. Begraben habe ich meinen Jockl im Garten von Freunden nahe bei Wien, und es ist letztlich wahrscheinlich dieser Rauli Jockl, der den Grundstein gelegt hat für das, was Sie gerade in Ihren Händen halten, das Hundemagazin WUFF.


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