Gedanken über Ethik und Tiere in Philosophie und Religion

Von Dr. Hans Mosser

Die Behandlung des Tieres, als Teil der Natur und Mitgeschöpf des Menschen, ist immer wieder – wenngleich auch in unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Blickrichtungen – Thema in Philosophie und Religion gewesen. Der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für Religionswissenschaft der Universität Wien, Univ.-Prof. Dr. Johann Figl, unterscheidet in der Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung vier große Phasen:

1. Die totemistische Beziehung in prähistorischen und primitiven Religionen:
Völker, für die das Tier in erster Linie eine Jagdbeute darstellte, haben für das Erlegen Rituale entwickelt, die den Jäger von seiner „Schuld“, das Tier getötet zu haben, befreien sollen. Also eindeutig bereits Ansätze einer moralischen Auseinandersetzung mit Tieren. Tiere, die dem jeweiligen Stamm als „Totem“ verbunden waren, durften hingegen nicht getötet werden.

2. Das integralistische Weltbild der asiatischen Religionen:
Im Vordergrund des Tierverständnisses steht bei Religionen indischen Ursprungs wie Hinduismus und Buddhismus die „Einheit aller Lebewesen“, während es bei den chinesischen Philosophen des Konfuzianismus und Taoismus die „Harmonie mit der Natur“ ist.

3. Das utilitaristische Modell der antiken Philosophen:

Aristoteles und Platon stellen den Menschen ins Zentrum. Als vernunftbegabtes Wesen haben ihm alle anderen Lebewesen zu dienen. Davon leitete sich dann auch die Sichtweise des römischen Rechts ab, das Tiere als „Sachen“ definiert – was noch bis heute nachwirkt.

4. Das kreationistische Weltbild der monotheistischen Religionen:
In Judentum, Christentum und Islam soll der Mensch als „Krone der Schöpfung“ die Welt regieren, alles andere ist ihm untertan. Dennoch werden die Tiere sehr wohl als „Geschöpfe Gottes“ angesehen. Allen diesen Religionen ist gemeinsam, dass der in die Schöpfung eingreifende Mensch den Tieren nicht unnötig Leid zufügen darf. Univ.-Prof. Figl weist auch darauf hin, dass sich bereits im Alten Testament Gebote für die artgerechte Tierhaltung finden.

Der Heilige Franz von Assisi
Als zentrale Figur des Christentums gilt Franz von Assisi (1181-1226), als DER Heilige, der die Tiere liebte und für sie kämpfte. Seine Einstellung, dass jedes Lebwesen die gleichen Rechte habe, war zu seiner Zeit revolutionär. Für ihn waren Tiere und Pflanzen gleichwertige Mitgeschöpfe des Menschen, die unserer Fürsorge bedürfen. Er starb am 3. Oktober 1226 und wurde zwei Jahre später, am 4. Oktober 1228, als Schutzpatron aller Tiere heilig gesprochen. Seit 1931 wird dieser Tag als Internationaler Welttierschutztag begangen.

Das Tier in der Philosophie
Einer der ersten antiken Philosophen, der sich mit Tierethik beschäftigte und Respekt gegenüber Tieren forderte, war Plutarch (ca. 46-120). Für ihn waren sowohl Mensch wie auch Tier ein Teil der Natur, daher war der Mensch „weder höher, noch niedriger“ als das Tier. Von Plutarch stammt das Gleichnis mit der Katze, welches eine gewisse Gleichheit zwischen Mensch und Tier ausdrücken soll: „Wer weiß, wenn ich mit meiner Katze spiele, ob sie sich die Zeit nicht viel mehr mit mir vertreibt, als ich mir dieselbe mit ihr vertreibe? … Wir verstehen mittelmäßig, was die Tiere haben wollen, und fast eben so gut verstehen auch uns die Tiere. Sie schmeicheln, sie drohen, sie ersuchen uns, und dies tun wir auch gegen sie.“
Im römischen Recht wurden Tiere gegenüber dem Menschen zu Sachen, eine Rechtseinstellung, die sich heute erst langsam ändert. Diese Ansicht des Tieres wirkte fort bis ins Mittelalter. Man möchte nun erwarten, dass im später folgenden Humanismus ein pfleglicherer Umgang mit dem Tier gefordert würde, was aber so nicht der Fall war. Im Gegenteil, die großen Denker des Humanismus in der Renaissance sahen den Menschen als „Maß aller Dinge“, und für Descartes (1596-1650) war das Tier überhaupt nur mehr eine Art „Automat“. Erst der französische Denker Voltaire (1694-1778) wandte sich gegen Descartes und die Dogmen der Kirche und verurteilte deren Intoleranz. Obwohl Voltaire ein Agnostiker war, verwies er in seiner Argumentation auf Gott, indem er über Tiere sagte: „Gott schuf ihnen dieselben Sinnesorgane wie uns; wenn sie nichts spüren, hat Gott ein zweckloses Werk erbracht. … Gott (aber) tut nichts umsonst.“ Voltaire, der Vorkämpfer für Toleranz, Vernunft und Menschenrechte, verurteilte es – ganz im Gegensatz zu Descartes – als barbarisch, Tieren Leid zuzufügen, vor allem im Rahmen der damals aufkommenden Tierversuche: „Diese Barbaren ergreifen den Hund, dessen Treue und Freundschaft die des Menschen so weit überragt, und nageln ihn auf einem Tisch fest und sezieren ihn bei lebendigem Leib …“. Voltaire weist immer wieder auf die Leidensfähigkeit von Tieren hin: „Sag’ mir, Mechanist, hat die Natur in diesem Tier alle Grundlagen des Gefühls angelegt, damit es nichts empfindet?“ Konsequenter Weise tritt Voltaire auch entschieden für eine vegetarische Ernährung ein.
Im deutschen Sprachraum war es ein sehr bekannter und oft zitierter Philosoph, der sich über Gerechtigkeit und Tiere äußerte:
Arthur Schopenhauer (1788-1860). Für ihn ist Mitleid die Triebfeder jedweden moralischen Handelns, was auch die leidensfähigen Tiere einschließt.

Leidensfähigkeit definiert Mensch und Tier
In England war es der Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832), der die Leidensfähigkeit von Tieren als Basis einer Tierethik etablierte. Er sagt über die Tiere: „Die Frage ist nicht, können sie denken, sondern: können sie leiden?“ Mit dieser Aussage widerspricht Bentham der herrschenden Auffassung, dass es bei dem Unterschied von Mensch und Tier nur darum gehe, ob diese Vernunft hätten oder nicht. Bentham hingegen betont die vorhandenen Gleichheiten, nämlich die Schmerz- und Leidensfähigkeit, über welche Mensch und Tier gleichermaßen verfügen.
Und so ist es auch kein Wunder, dass die Tierschutzethik eigentlich in England begann und ca. ein Jahrhundert später in dem Werk „Animal Rights“ von Henry S. Salt (1851-1939) gipfelte. Für Salt waren die Tierrechte eine Erweiterung des moralischen Bewusstseins des Menschen. Wenn es Rechte gibt, dann dürften sie nicht den Menschen zu- und den Tieren abgesprochen werden, müssten vielmehr für alle gelten: „Es ist (daher) ungerecht, irgendeinem empfindlichen Wesen vermeintlichen Schmerz zuzufügen“.

Leben will leben – und hat das Recht dazu!
Der Arzt, Philosoph und Missionar Dr. Albert Schweitzer (1875-1965) kritisierte die europäischen Philosophen von Descartes bis Kant: „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hinein komme und das getane Werk mit den Spuren seiner Pfoten entstelle, so wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen. Was sie sich an Torheiten leisten … grenzt ans Unglaubliche.“ Schweitzers zentrale Aussage: „Alles Leben ist umgeben von Leben, welches leben will.“ Die Ehrfurcht vor dem Leben sollte Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen umfassen.
Vom großen Denker und Staatsmann Mahatma Ghandi (1869-1948) stammt die Aussage, dass man die Größe einer Nation nach der Art, wie sie mit Tieren umgeht, beurteilen kann. Und in der Präambel zum „Heimtierübereinkommen“ des Europarates (gesamtes Dokument siehe WUFF 2/1996) kommt die Bedeutung des Heimtieres in folgendem Satz klar zum Ausdruck: „… in der Erkenntnis, dass der Mensch die ethische Verpflichtung hat, alle Lebewesen zu achten …“.

Der „sechste Sinn“
Der Theologe und Religionspädagoge an der Fakultät Katholische Theologie der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main, Dr. Guido Knörzer, schrieb in diesem Magazin (WUFF 7/2001, „Der Hund unter der Kanzel“): „Jeder, der mit Tieren zu tun hat, weiß, dass die Trennungslinie Mensch-Tier gar nicht so scharf ist wie behauptet. Man braucht eigentlich bloß genau hinzusehen, um zu wissen und zu spüren, dass Tiere eine Seele haben, dass sie mehr eigenen Willen haben als in der Vergangenheit angenommen. Jeden Tag kann ich bei unserem Hund … solche Dinge beobachten. Die Tiere spüren auch ganz genau, was mit uns selbst los ist, noch bevor wir das selbst wissen …“. Und die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall erklärt in einem Interview mit der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ (www.vierpfoten.at), dass Schimpansen wie Menschen seien. „Sie spielen, halten Händchen, lachen und haben Gefühle wie Angst, Freude oder Aggression. Eben wie wir Menschen auch. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Schimpansen keine Sprache haben. Aber die Menschen beginnen erst jetzt, sich Gedanken zu machen, welche Eigenschaften Tiere haben, über die wir Menschen nicht verfügen. Denken Sie etwa an Hunde. Es ist erstaunlich, aber ein Hund weiß ganz genau, wann sein Herrchen nach Hause kommt. Er beginnt bereits kurz vor seiner Ankunft ans Fenster zu laufen, um ihn zu erwarten. Es gibt darüber sogar eine wissenschaftliche Untersuchung. Diese Art der telepathischen Fähigkeiten haben nur Tiere, wir Menschen verlieren sie mehr und mehr.“

Tierethik Teil einer Gesamtethik
Eines aber muss auch klar ausgesprochen werden: Wenn Tierschutz zum Hass gegen Menschen wird, und wenn Tierschützer im Bemühen, für Rechte der Tiere einzutreten, Menschen verletzen, dann verkehren sich sowohl der Sinn als auch die Wirkung des Tierschutzes ins Gegenteil. Gewalt wird stets Gewalt hervorrufen. Tierschutz und Tierethik (Ethik im Sinne von Normen menschlichen Handelns und deren Rechtfertigung) können meiner Ansicht nach daher nur im Gesamten einer humanistischen Ethik des Lebens gesehen werden. Und dazu gehören eben nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere. Daher haben jene wie diese einen Anspruch auf Schutz – eine Ansicht, die sich gesellschaftlich auch zunehmend ausbreitet (s. Bedeutung des Tieres in der Salzburger Landesverfassung oder der deutschen Bundesverfassung). Es ist daher unredlich, Menschen- und Tierschutz gegeneinander ausspielen zu wollen, wenn beide nichts anderes sind, als die zwei Seiten derselben Medaille …

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