Geburtsstunde einer Freundschaft

Von Dr. Joachim Toplak

Über die Herkunft des ältesten Freundes des Menschen gibt es immer wieder neue Theorien, die ältere in Frage stellen, und immer wieder machen auch fake news die Runde. Somit ist es wieder einmal Zeit, Klarheit in die Sache zu bringen. Dr. Joachim Toplak über den derzeitigen Wissensstand im Spiegel der archäologischen und genetischen Faktenlage.

Viel wurde in der Vergangenheit über die Entstehung des Hundes und die alte Freundschaft von Mensch und Hund spekuliert. Es war praktisch alles unklar. Von welchem Wildtier stammt der Hund ab? Gibt es überhaupt einen gemeinsamen Stammvater? Ist es der Wolf oder der Kojote? Wann kam der Mensch auf den Hund? Wo ist dies passiert? Warum hat der Mensch ein Tier zu seinem ersten Haustier domestiziert?

Die Beantwortung dieser Fragen war bis zum Jahre 2015 oftmals falsch und schwammig. Der Grund dafür ist ziemlich banal. Die Kulturkundlerin Frau Dr. Ulmer schreibt in ihrem interessanten Buch über die Hunde bei den Plains Indianern (verlegt im Jahre 2010) auf Seite 34 und 35 Folgendes: »Zieht man archäologische Veröffentlichungen zu den Plains heran, steht im Hinblick auf Tierknochen oft der Bison im Zentrum des Interesses, während Hunde mit keinem Wort angesprochen werden. … Möglich ist, dass der Hund in diesen Fällen schlichtweg vergessen oder ausgelassen wurde…« Der Hund war lange Zeit für die Forschung schlichtweg uninteressant. Dies wohl, weil er schon immer an der Seite des Menschen war!

Initialzündung der Hundeforschung
Umso mehr bewirkte das populärwissenschaftliche Buch der Anthropologin Prof. Dr. Pat Shipman von der Pennsylvania State University mit Titel »The Invaders« im Jahre 2015 sozusagen eine Initialzündung im Bereich der Hundeforschung. In diesem Buch wurden erstmals archäologische Funde – im Wesentlichen von Dr. Germonpre, Belgien – vorgestellt, die Schädel von merkwürdiger Gestalt zeigten. Es handelte sich bei den Fundstücken weder um Wolfsschädel noch um Hundeschädel, sondern um irgendetwas dazwischen. Dementsprechend wurden sie als Wolfs-Hunde bezeichnet. Die Funde kamen aus Ausgrabungsstellen in Polen, der Ukraine, Tschechien bis hinunter nach Rumänien. Aber auch aus Belgien. Sie entstammten aus einer Zeit zwischen 32.000 und 36.000 Jahren v. Chr. Interessant ist, dass es damals noch keine sesshaften Menschen gab. Sollte der Mensch tatsächlich schon so früh mit dem Wolf zusammengekommen sein?

Weitere Ausgrabungen bestätigten diese Vermutung. Vor allem in Predmosti (Tschechische Republik) wurden menschliche Knochen, Wolfs-Hunde-Knochen und Mammutknochen in großer Zahl gefunden. Der Mensch hatte sich offensichtlich mit Hilfe seiner neuen vierbeinigen Gefährten ein neues Jagdrevier erschlossen: Die Mammutjagd.

Bei exakter Betrachtung der Fundstätten fiel auf, dass die Jagdbeute immer ­größere Ausmaße annahm, je jünger die Funde waren. Hatte der Mensch in den Jahren älter als 36.000 Jahre v. Chr. nur wenige Mammuts erbeutet, explodierte die Anzahl in den jüngeren Jahren ­zusehends. Dabei gab auch das Verletzungsmuster der Wolfs-Hunde Anhalt dafür, dass die Tiere zur Jagd und zum Bewachen der Beute eingesetzt worden sind.

Diese hochinteressanten Sachverhalte weckten nun das Interesse einer anderen Forschungsdisziplin. Wissenschaftler der Genetik und der genetischen Paläontologie wetteiferten ab 2015 an der Aufklärung der oben genannten prähistorischen Ereignisse. Dargestellt hat dies der Oxford Professor für Genetik Dr. Bryan Sykes in seinem 2020 erschienenen Buch »Once a Wolf«.

Einer der erfolgreichsten Forschergruppen unter Prof. Robert Wayne, Los Angeles, gelang es eindeutig nachzuweisen, dass der moderne Hund ausschließlich vom europäischen Wolf abstammt. Die mütterliche Seite wurde über den Weg der mitochondrialen DNA festgelegt. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle und haben mit dem Zellkern nichts zu tun. Sie kommen nicht in Spermien vor, wohl aber in der Eizelle. Somit wird diese DNA ausschließlich von Mutter zu Tochter, also in der weiblichen Linie weitervererbt. Die männliche Linie wird durch das Y-Chromosom repräsentiert, welches von Vater zu Sohn weitergegeben wird. Beide Linien stimmten überein und das Ergebnis war eindeutig: Der Hund stammt vom Wolf ab.

Wie wird aus dem Wolf der Hund?
Aber gibt es genetische Veränderungen, die den Hund auf den Menschen prägen und das hundliche Verhalten so sehr beeinflussen, dass er sich eben nicht mehr wie ein Wolf verhält? Und wenn ja, in welcher Zeit konnte so eine einschneidende Verhaltensänderung in der Erbmasse des Hundes ihren Niederschlag finden?

Auch diese beiden entscheidenden Fragen konnten von den Genetikern beantwortet werden. Bei der Beantwortung der ersten Frage kam ein seltenes Krankheitssyndrom aus dem Bereich der menschlichen Herzkrankheiten zu Hilfe. Es gibt ein angeborenes Krankheitsbild, das bei Kindern zu schweren und ohne Operation tödlichen Verlaufsformen führt, das sog. Williams Syndrom. Hierbei handelt es sich um einen Gendefekt, der missgebildetes Elastin (der elastische Teil des Bindegewebes) erzeugt. Die Kinder haben eine schwere Einengung ihrer Hauptschlagader knapp über dem Herzen. Dies muss auf jeden Fall operiert werden. Zusätzlich fiel dem Kinderkardiologen Dr. Williams aus Neuseeland auf, dass diese Kinder alle besonders anhänglich und liebevoll waren. Genetiker analysierten dieses Verhalten ebenso als genetische Veränderung in unmittelbarer Nachbarschaft zum Elastin-Gen. Krankhafterweise werden diese beiden veränderten Gene beim Menschen gemeinsam vererbt und erzeugen das oben genannte Krankheitsbild.

Entdeckung eines »Zahmheits-Gens«
Nun untersuchte man bei Hunden verschiedener Rassen und bei Wölfen aus verschiedenen Kontinenten dasselbe Gen, welches sich unmittelbar neben dem Elastin-Gen befindet. Man machte eine überraschende Entdeckung: Bei allen Wölfen war das Gen völlig gleich, bei sämtlichen Hunden hingegen war es verändert. Nicht immer gleich, aber doch deutlich verändert. Die Genetiker hatten das »Zahmheits-Gen« entdeckt. Es befindet sich am Chromosom 6 des Hundes und heißt WBSCR17. Domestikation hat also eine solide genetische Basis.

Aber wie rasch verändern sich Gene? Wie kann das funktionieren? Überraschend schnell. Den Beweis lieferte (unabsichtlich) der russische Wissenschaftler Dimitri Belyaev (verstorben 1985). Er forschte auf einer Farm für silberfarbene Polarfüchse. Dabei züchtete er auf ein Merkmal: Zahmheit. Schon nach 20 Generationen hatte er es geschafft. Die Füchse waren zahm in Bezug auf den Menschen. Aber sie hatten sich auch körperlich verändert. Ihre Schwänze waren hochgeringelt und die Ohren gekippt bis hängend. Die Schnauze verkürzte sich und wurde breiter, das Fell wurde gefleckt. Sie hatten sich verhaltensmäßig und körperlich verändert, und das schon nach 20 Generationen!

Damit verwundert auch eine sonderbare Entdeckung in der Höhle von Chauvet (Frankreich) nicht mehr. Zwei Spuren von Abdrücken laufen komplett nebeneinander in die hinteren Abschnitte der Höhle. Die Fußabdrücke eines ca. 8-jährigen Kindes, welches ruhig geht, und die Pfotenabdrücke eines großen Hundes/Wolfes, der ebenfalls gemächlich geht. Die Abdrücke der Beiden laufen komplett parallel und überschneiden sich nie. So als ob der Hund neben dem Kind geht. Das Alter dieser Spuren: 30.000 Jahre v. Chr.

Somit ergeben sich heute, im Jahre 2020, aus den oben dargestellten archäologischen, genetischen, paläontologischen und verhaltensbiologischen Fakten folgende wissenschaftliche Feststellungen:

1. Der Hund stammt unzweifelhaft vom Wolf ab.
2. Die Zusammenkunft des Wolfes mit dem Menschen fand zwischen 32.000 und 36.000 v. Chr. statt.
3. Die Zusammenkunft fand nur einmal statt und ereignete sich in Osteuropa (Gebiet des heutigen Polen, Weißrussland oder Rumänien).
4. Die Zusammenkunft erfolgte durch die gemeinsame Jagd und das Aufteilen und Bewachen der Beute.
5. Durch das Leben mit den Menschen veränderte sich der Wolf genetisch und wurde zum Hund, wobei der Hauptunterschied nicht im Aussehen, sondern im Verhalten liegt (Zahmheitsgen).

Abschließend ein Hinweis: Es gilt bitte zu bedenken, dass Wissenschaft ständig im Fluss ist und vor allem über den letzten Punkt diskutiert werden darf/soll!

Literatur

• Shipman, Pat, 2015, »The Invaders«, Harvard University Press, Cambridge M.A.
• Sykes, Bryan, 2020, »Once a Wolf«, Liveright Publishing Corporation N. Y.
• Ulmer, Tanja, 2010, »Der Hund in den Kulturen der Plains-Indianer«, Tectum Verlag Marburg.

Pdf zu diesem Artikel: domestikation

 

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