Hund sein wird in der modernen Konsumgesellschaft immer schwieriger. Die vielfach suggerierte Vorstellung vom streichelweichen Kuscheltier zieht Erwartungen nach sich, die Hund unmöglich erfüllen kann. Hunde als ständig verfügbare Spielgefährten, die alles über sich ergehen lassen, Hunde als tröstende Seelenwärmer, die tagsüber geduldig in der Wohnung ausharren, Hunde als brave Sportgefährten, die niemals Joggern oder Wildtieren nachhetzen, Hunde als ideale Familientiere, die Herr-/Frauchens Rang niemals in Frage stellen. All das gibt es, doch es ist nicht die Norm. Wenn Hunde denken und handeln sollen wie Menschen, müssen sie zwangsläufig scheitern.
Recht auf Selbstverteidigung
Aggression gehört zum natürlichen Verhaltensrepertoire von Hunden (und Menschen). Das passt nicht recht zum Kuschelimage des idealisierten Familienhundes. Doch Hunde halten sich nicht an menschliche Erwartungen. Sie werden immer reagieren, wie es ihrer hundlichen Natur entspricht. Das Vermeiden von Konflikten ist ein wesentlicher Teil ihres Verhaltensmusters. Doch wenn all ihre Bemühungen, all ihre Signale ignoriert werden, setzen sie sich zur Wehr. Das Recht auf Selbstverteidigung ist ein Grundrecht, das wir auch unseren Hunden zugestehen sollten.
Der Hund ist immer der Verlierer
Wenn Hunde knurren, weil sie von Kindern herumgezerrt werden, wenn Hunde schnappen, weil warnende Signale von Menschen ständig ignoriert werden, wenn Hunde die Wohnung zerstören, weil sie unter Trennungsangst oder Langeweile leiden, haben sie aus hundlicher Sicht richtig gehandelt. Menschen sehen das meist anders. Viel zu selten hinterfragen Hundehalter eigenes Fehlverhalten. Viel einfacher ist es, den Hund zum Übeltäter abzustempeln. Kaum ein Hund erhält eine zweite Chance. Er ist immer der Verlierer. Schlimmstenfalls bezahlt er seine (aus Menschensicht) Missetaten mit dem Leben.
Konsum-Opfer Hund
Hunde sind überall erhältlich. Zoohändler, Vermehrer und andere Geschäftemacher interessiert nicht, was mit der lebenden Ware passiert. Was zählt, ist der Profit. Der Handel mit Hunden boomt. In einer Haben-Gesellschaft ist das Sein nicht viel wert. „Funktioniert“ Artikel Hund nicht oder erweist sich als zu pflegeintensiv, wird er schnell zum Abfallprodukt. Entsorgung durch „Hundeklappen“ ist in den USA und Japan bereits Usus. Dahinter wartet der Tod.
Fristenlösung für Tierheimhunde
In den USA, Japan, England und einigen ost- und südeuropäischen Ländern werden herrenlose Hunde nach einer kurzen Frist (durchschnittlich zehn bis dreißig Tage) getötet. Sie sterben durch Todesspritzen, Gas, Erhängen und Erschlagen. In Österreich und Deutschland dürfen Hunde ohne „vernünftigen Grund“ nicht getötet werden. Doch was ist vernünftig? In Deutschland entscheiden „Gutachter“ über Sein oder Nichtsein. Aber sowohl in Österreich als auch in Deutschland werden Hunde in Tierheimen aus nicht medizinischen Gründen euthanasiert. Gründe sind schnell gefunden und willige Tierärzte leider ebenso. Fast immer wird agressives Verhalten als Begründung angeführt. Ein sehr dehnbarer Begriff, der Fehlbeurteilungen durch mangelndes Fachwissen, Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit Tür und Tor öffnet. Sehr oft liegt es nicht am Hund sondern an den Betreuern, wenn ersterer im Tierheim zum Problem wird. Tierheime verfügen über geringe finanzielle Mittel und erhalten kaum öffentliche Förderungen. Für gut ausgebildete Mitarbeiter bleibt kein Geld, und die wenigsten Tierheime leisten sich professionelle Hundetrainer. Verwahrung steht vor Betreuung, Reinigungsarbeit vor gezielter Beschäftigung mit dem Tier. Doch mangelnde Beschäftigung, mangelndes Wissen, das Fehlen verhaltenskorrigierender Maßnahmen, stressintensive Einzelhaltung und die Altlasten negativer Erfahrungen beim Vorbesitzer machen aus gescheiterten Hunden schnell unvermittelbare Todeskandidaten.
Was ist ein Hundeleben wert?
Vor kurzem gelangte der bis dato unbekannte oberösterreichische ÖVP-Politiker und Bauernbündler Leo Steinbichler zu ungewollter Berühmtheit, als er forderte, ausgesetzte Tiere nach einem Monat einzuschläfern (s. WUFF 4/2003). Eine Forderung, die österreichweit große Empörung auslöste. Hintergrund seiner Aussage war der geplante Bau eines Tierheimes in der Region Vöcklabruck, der Steinbichler nicht notwendig erschien. Wenn eine „Fristenlösung“ à la USA und Japan österreichischen Politikern als denkbares Modell erscheint, ist es Zeit darüber zu diskutieren, wofür wir uns entscheiden wollen: für die Diktatur des Habens oder eine Philosophie des Seins, die leben lässt, was leben will.
Wissen statt Töten
Einen Hund mit Problemverhalten in einen Zwinger zu sperren und sich selbst zu überlassen, ist keine Lösung. Die Todesspritze auch nicht. Dass es anders geht, beweist das Tierheim Krems. Gezieltes Training, Beschäftigung, Spiel, Vergesellschaftung und Engagement sind der Schlüssel zum Erfolg. Manche Hunde warten lange, bis sie eine zweite Chance erhalten. Doch sie warten niemals umsonst, weil sie bereits im Tierheim ein hundegerechtes Leben führen dürfen. So wird der Weg zum Ziel. Wenn Sie die hier vorgestellten Schicksale lesen und in diese lebensfrohen Hundegesichter schauen, dann bedenken Sie bitte, dass all diese Hunde heute tot wären, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die sich engagiert und mit Herz ihrer angenommen haben. Gott sei Dank gibt es eine ganze Reihe von Tierheimen, die – ebenso wie Krems – dem Leben eine Chance geben …
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