Fünf „Pappnasen" erobern die Welt

Von Andrea Specht

Notruf aus der Krone-Tierecke: Eine in Wien lebende Kroatin will ihre Pekingesenhündin samt Nachwuchs aussetzen, wenn diese nicht sofort abgeholt werden. Maggie Entenfellner, Leiterin der Tierecke, gelingt es, die Hundebesitzerin so lange hinzuhalten, bis die Tierrettung des Kremser Tierschutzheimes eintrifft. Hundemama Mimi und fünf zweiwöchige Fellknäuel werden „eingepackt" und nach Krems verfrachtet.

Willkommen bei Tierfreunden
Mama Mimi, selbst erst zehn Monate alt, nimmt den Wohnungswechsel nicht nur gelassen, sondern höchst erfreut auf. Gern tauscht sie das ungeliebte Zuhause gegen den flauschigweichen Hundekorb im Gartenhaus des Tierschutzheimes und viele, viele Streicheleinheiten. Sie scheint zu spüren, dass sie hier willkommen ist. Selbstbewusst erkundet sie ihr neues Territorium, „verteidigt" ihre Babies mit Stimmgewalt und beginnt auch uns nach einigen Tagen tapfer zu „beschützen".
Für Heimleiterin Christine Bruckmoser, die sich seit vielen Jahren mit Verhaltenstherapie von Hunden beschäftigt, ist die muntere Welpenschar ein ideales Testfeld. Viel zu selten hat sie die Gelegenheit, ihr Wissen im „Hunde-Kindergarten" einzusetzen. Mit viel Engagement stürzt sie sich ins Trainingsprogramm mit den Welpen, die wegen ihrer flachen Pekingesengesichter ab sofort unsere kleinen „Pappnasen" sind.

Männer, Blechbüchsen und Staubsauger
Vom ersten Tag an werden die fünf Winzlinge, drei Rüden und zwei Mädels, an menschlichen Geruch gewöhnt, gestreichelt, angesprochen. Und Woche für Woche kommen neue Eindrücke hinzu. Sind es erst nur Christine und die Betreuer, die sie kennenlernen, werden nach und nach auch andere Menschen „vorgestellt". Und weil im Tierschutzheim fast nur Frauen werken, müssen Männer „organisiert" werden, um die Kleinen ans starke (?) Geschlecht zu gewöhnen. Im Gartenhaus begegnen die Fellknäuel auch dem ersten Staubsauger. Schnell erkennen die neugierigen „Pappnasen", dass ihnen von diesem harmlosen Lärmmacher keine Gefahr droht. Mit Hilfe einer einfachen Dose, die scheppernd über den Boden rollt oder gezielt vom Tisch fällt, lernen die Kleinen, bei alltäglichen oder plötzlichen Geräuschen nicht in Panik zu geraten. Natürlich werden die Übungen gezielt und kontrolliert durchgeführt, um nicht den gegenteiligen Effekt zu erzielen. Sogar ein Regenschirm wird für einige Tage im Gartenhaus aufgestellt und später zur näheren Begutachtung mit ins Freie genommen.

Kontakt mit anderen Tieren
Doch die Welt besteht nicht nur aus Staubsaugern, Blechbüchsen und Regenschirmen, sondern da draußen tummeln sich jede Menge anderer Lebewesen. Im Hasengehege begegnen die Fünf ganz seltsamen Geschöpfen. Die riechen komisch und sehen auch wirklich eigenartig aus mit ihren langen Ohren. Außerdem sind sie soooooo schnell. Immer wieder fordern die kleinen Pappnasen die Zwergkaninchen zum Spielen auf, Köpfchen zwischen den Vorderpfoten, Popo in der Höh`. Sie sehen dabei wirklich zum Fressen lieb aus. Täglich werden die Kleinen für einige Zeit ins Kaninchengehege gesetzt. Die Kaninchen haben keine Angst vor den Pekingesenkindern und genügend Möglichkeiten, sich bei zu großer Lästigkeit außer Reichweite zu retten. Den „Kaninchen-Boss", einen großen weißen Langohr, können sie ohnedies nie aus der Ruhe bringen. Stoisch lässt er die Kleinen auf sich herumturnen, an seinen Ohren kauen oder kuscheln. Auf Spiel und Gerangel folgt ein Nickerchen im weichen Heu.

Zu Katz’ und Hund
Ein wenig zurückhaltender gestaltet sich die erste Begegnung mit Schildpattkatze Fanny. Die hat so grosse gelbe Augen und läuft überhaupt nicht weg. Da ist ein wenig Respekt schon angebracht. Vorsichtig werden Kratzbaum und Kisterl berochen. Man kann ja nie wissen … Doch auch bei den Miezen ist nach kurzer Zeit klar: Sie gehören dazu und sind nicht gefährlich.
Der erste Artgenosse, dem die Fünflinge vorgestellt werden, ist aus „Pappnasen-Perspektive" auf den ersten Blick als Verwandter kaum zu erkennen. Ist doch „Big John’s" Schnauze in unerreichbar schwindelnder Höhe, und allein sein Kopf größer als sie selbst. Dafür ist der riesige Leonberger aber ein Vorbild an Gutmütigkeit und Rücksichtnahme. Nicht ganz so krass fällt da der Unterschied zu Staffhündin Frosch aus, die geduldig alle Annäherungsversuche über sich ergehen lässt. Jeden Tag begegnen die Welpen jetzt neuen Artgenossen und anderen Tieren.

Gewöhnung ans Auto
Die erste Autofahrt ist für Familie „Pappnase" ein großes Erlebnis. Gefahren wird langsam und vorsichtig, um die Welpen nicht zu erschrecken oder Übelkeit zu verursachen. Die kommenden Ausflüge mit dem Auto sind daher auch kein Problem mehr. Sogar ins Restaurant werden die Welpen jetzt mitgenommen, wo sie sich übrigens vorbildlich benehmen, und seitdem sie ans Brustgeschirr gewöhnt wurden, dürfen sie täglich kleinere Spaziergänge an der Leine unternehmen.
Doch so schwer es Trainerin Christine auch fällt, die Zeit des Abschiednehmens steht vor der Tür. Auf Mama Pappnase und die vier Pappnasenkinder warten bereits fünf ungeduldige Familien. Die künftigen Hundebesitzer haben ihre Welpen in den vergangenen Wochen schon kennengelernt und oft besucht. Darauf hat Christine großen Wert gelegt. Einige haben schon kurze Ausflüge mit ihrer neuen Familie unternommen. Jetzt mit elf Wochen dürfen sie endlich abgeholt werden.

Ins neue Zuhause
Neun schöne Wochen haben sie bei uns im Tierschutzheim verbracht, und wir alle haben sie richtig lieb gewonnen. Und wir sind auch richtig stolz auf unsere fünf Zwerge, die dank Christine alles gelernt haben, was Hund für ein sorgloses Leben brauchen kann.
Einer hat uns den Abschied etwas erleichtert: Buddy Pappnase, der kleinste der Fünflinge. Er blieb noch zwei Wochen länger bei uns und wurde abwechselnd von Christine oder Pflegerin Bibiana mit nach Hause genommen. Bei Tierpflegerin Herta ist er schließlich endgültig eingezogen, und so kann er uns natürlich oft besuchen. Apropos Besuch: Jeder der stolzen Pekingesenbesitzer musste sich schriftlich verpflichten, am ersten Pappnasen-Geburtstag im Tierschutzheim vorbeizuschauen, auf eine „Geburtstagsjause" sozusagen …

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